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Der Bergreich

Das Bergstädtchen ist heute ein einziger großer Blumengarten. Überall recken sich die Rispen des weißen und blauen Flieders zwischen dem hellgrünen Gesprieße der Tannen und dem tiefen Kupferrot der Blutbuchen, über jeden Zaun fluten des Goldregens leuchtende Trauben, die Roßkastanien sind überladen mit roten Kerzen, die Waldrebe entfaltet ihre blauen Sterne, der Rotdorn bricht fast unter der Fülle seiner Röschen, und die riesigen Knospen der Pfingstrosen sind aufgesprungen und lassen ihre weißen und roten Blumenblätter leuchten.

Der Himmel, der zwei Tage grau und grämlich war, ist vergißmeinnichtblau geworden, die Sonne, die zwei Tage lang hinter Grauwolken steckte, scheint voll und heiß und lockte Bienen und Fliegen. Der frische, reinliche Ostwind hat den faulen, schmutzigen Westwind abgelöst, er schwenkt die blühenden Büsche und läßt die Falter flattern.

Wo tief zwischen grünen Waldkuppen ein kühles Wasser liegt, dahin zieht es alle Menschen an diesem glühenden Tag, über den Bergbach, dessen wilde Wellen rauschend und brausend, blitzend und blendend über das Wehr springen, den Wiesenpfad über den Berg hinan und hinein in den schattigen Wald, wo von hoher Felsböschung der Ginster seiner goldenen Blumen Fülle nicken läßt.

Am Teich sind alle Tische voll von frohem Volk. In der klaren schönen Flut spiegelt sich der Buchen, Eichen, Fichten und Espen verschiedenfarbiges Grün in wunderbarer Mischung; wo der Wind den Wasserspiegel erreicht, kräuselt sich das Wasser blau und silbern. Von den gelben Rudern spritzen leuchtende Perlen und hinter den Kielen zittern silberne Streifen her.

Rund um den Teich führt ein abwechslungsreicher Weg durch warmes Licht und kalten Schatten, über bunte Wiesen und durch grünen Wald. In den sonnigen Buchten fahren die flinken Ellritzen hin und her, in den tiefen Ecken steht die bunte Forelle. Silberne Wasserjungfern knistern über die schwimmenden Blätter der Wasserhirse, stahlblaue Schwalben huschen über die Flut.

Aus dem Schatten der Buchen, wo einer hohen Kuckucksblume große weiße Blüten schimmern, tritt man auf eine sonnige Wiese, in der eine bunte Blume die andre drängt; da surren langhörnige Käfer, da schwirren glasflüglige Falter, da blitzt und funkelt es von allerlei sonnenfrohem Kleingetier.

Weiterhin in der sumpfigen Schattenecke plätschert das Wasserhühnchen herum, dicht über die schwarzgrüne Flut streicht ein Strandläuferpärchen, mit den langen, schmalen, gebogenen Flügeln fast das Wasser streifend, behäbig quarrt der Teichfrosch, lustig meckert der Laubfrosch und langsam rudert ein Molch zwischen dem Kraut umher.

An einem Wieseneinschnitt, den ein kleines Wasser durchrieselt, ist ein dichtes Beet schneeweißer Dolden. Da schlüpft der Zaunkönig unter den grünen Schirmen der Pestwurz umher, und zwischen den überrieselten Steinen fischt die Bergbachstelze nach Gewürm für ihre Kleinen.

Und dann tritt man in das Gedämmer der Fichten, aus deren Wipfeln das dünne Gepiepe unsichtbarer Goldhähnchen ertönt, und wieder hinaus auf die sonnige Talsperre, mit ihrer Doppelaussicht auf die tiefe Klamm und die weite, grüne, von zwei Silberfäden durchzogene Wiese, und den stillen, grünen, grünumkränzten Teich.

Hinter uns geht die Sonne unter, rote Glut über das dunkle Wasser gießend. Die Drossel singt und der Kuckuck ruft, das Rotkehlchen plaudert und die Frösche quaken, Eintagsfliegen tanzen über dem Wasser in dichten Schwärmen, unbekümmert darum, ob ihr kurzes, auf Stunden bemessenes Leben von den scharfen Zähnen der Fledermaus beendet wird, die zwischen ihnen hin und her huscht, oder von dem Rachen der großen Forellen, die platschend nach ihnen springen, große, goldene Ringe in das tiefe Rot des Wassers malend.

Dann ruft die Eule, ein kühler Wind kommt über die Berge, der Teich verliert den Rosenglanz und die Wälder um ihn ziehen ihr schwarzes Nachtkleid an. Aber der Mond will nicht, daß dem hellen Tag eine dunkle Nacht folgen soll. Groß und rund steigt er über den Berg und wirft eine lange silberne Straße über das Wasser, eine Straße, auf der nur Wesen gehen können, die ohne Leib sind. Aus den schwarzen Buchten tauchen sie auf, aus den schwarzen Winkeln kommen sie hervor, weiße, wesenlose Gestalten, aus dem Nichts entstehend, in das Nichts zerfließend, bis sie vor dem hellen Mondlicht wieder fliehen in ihre schwarzen Buchten und dunklen Winkel, die Nebelelfen.

Die lauten, frohen Menschen sind alle schon fort. Ganz still ist es geworden am Teiche. Eines kleinen Vogels süßperlendes Nachtlied, der Eule tiefer, runder Ruf, eines Fisches Platschen, der Espen Geflüster, alles ist es, was noch laut ist in der Mondnachtstille.

Wir sind auch ganz still. Was sollen Worte hier, wo die Gedanken kaum hineinzuflüstern wagen in die feierliche Stimmung von Wald und Wasser und Mondenschein.


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