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Die Wallhecke

Vor Zeiten, als noch Ur und Wisent bei uns hausten, der Grauhund das Elchkalb hetzte und der Adler den Wildschwan dort schlug, wo heute keine Spur mehr von ihnen allen zu finden ist, ließen sich blonde Männer, die von Norden kamen, hier in dem bruchigen Gelände nieder.

Gerade hier, an der besten Stelle weit und breit, wo sich sowohl fruchtbares feuchtes Marschland wie auch sandiger Esch fand, setzte sich ein Bauer fest und baute sich ein festes Haus, dessen Rohrdach auf beiden Seiten bis auf den Boden reichte, und das auf einem starken Unterbau von großen Findelsteinen ruhte. Hoch ragte es mit seinem spitzen Giebel, aus dem der weiße Herdrauch herausfloß, über das Buschwerk des Eschs hervor, das erste feste Haus hier in der Gegend, und wenn abends der rote Feuerschein aus seiner Einfahrt leuchtete, heulten ihn die Wölfe an, wie sonst das Mondlicht.

An diesem Unzeug fehlte es in der Gegend nicht und auch nicht an Bären und Luchsen, und derentwegen und damit ihm sein Weidevieh nicht von den Wildochsen verführt werde, zog der Bauer einen Wall und einen Graben um den Hof. Den First des Walles bepflanzte er mit Eichen und Hagebuchen, Weißdorn und Schwarzdorn, und da der Wind und die Vögel allerlei Samen von Bäumen und Büschen herbeiführten, so wuchs auf dem Wall schließlich eine dichte Hecke, zumal da der Bauer, um sie gegen Mensch und Tier noch undurchdringlicher zu machen, die jungen Bäume niederbog und mit den Köpfen eingrub, so daß sie sich auch am Kopfende bewurzelten.

So wie dieser Bauer, so machten es alle, die sich, jeder für sich, in dieser Gegend niederließen und den Busch rodeten. Sie umgaben aber nicht nur ihre Hausstätte mit Wallhecken und Gräben, sondern auch die Weidekämpe und die Ackerstücke, die sie nach und nach dem Urlande abgewannen, einmal der Raubtiere wegen und dann auch des Wildes halber, das ihnen sonst zu viel Schaden an der Feldfrucht tat, denn dem Rotwild gelüftete es nach dem milchenden Hafer, und die Sauen waren sehr erpicht auf die Rüben. Da es nun von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr Bauern in dem Lande wurden, denn der Boden war fruchtbar, und viele Kinder galten als schönstes Gottesgeschenk, so überzog sich das ganze Land bald mit einem Gewirre von Wallhecken, die alle undurchdringlich waren, und deren Zugänge durch Schlagbäume, die mit Schlehdornzweigen umwickelt waren, versperrt werden konnten.

Die wenigen Straßen, die sich der Verkehr allmählich bahnte, waren zumeist Hohlwege, die zwischen hohen Wallhecken dahinliefen und ebenfalls mit Schlagbäumen gesperrt werden konnten, denn die Zeiten waren oft nicht friedlicher Art; fremde Scharen erschienen, Sommerfahrer von den Inseln im Nordmeere, die plündernd, sengend und mordend durch das Land zogen, oder Weidebauern, die, von den Steppenvölkern verdrängt, neue Wohnsitze suchten, auch wohl ganze Haufen wilder Reiter aus dem Osten, deren Spuren durch niedergebrannte Weiler und Schädelmäler bezeichnet waren. Sie richteten aber in diesem Lande nicht allzuviel aus. Es war ihnen unheimlich mit seinem Gewirre von Verhauen und Schlagbäumen, hinter denen, von unsichtbaren Händen geschnellt, Pfeile und Speere hervorgeschossen kamen, und sogar die römischen Truppen waren froh, wenn sie das ungemütliche Land mit seinen nassen Gründen und dürren Heiden, seinen Gräben und Hecken, Hohlwegen und Landwehren hinter sich hatten; als schließlich Varus samt seinen Legionen von den wütenden Bauern unter die Füße getreten war, ließen sie sich nicht wieder blicken.

Was sollten sie schließlich auch mit einem Stückchen Land anfangen, in dem es weiter nichts zu holen gab als nasse Füße und Schrammen? Sobald die römische Vorhut in Sicht kam, ging an allen Ecken das Tuten und Blasen los, und Hillebillen und Hörner brachten die üble Kunde von Gau zu Gau. Dann fielen alle Schlagbäume wie von selber herunter, die Gräben und Hohlwege füllten sich mit Wasser, die Engpässe wurden mit Bündeln und Dornzweigen ungangbar gemacht, und wenn dann die Legionäre fluchend und schimpfend bis über die Enkel durch den zähen Kleiboden wateten und endlich zu einem Gehöfte kamen, dann fanden sie nicht Kuh und Kalb, nicht Huhn noch Ei mehr vor; alles, was irgendwie Wert hatte, hatten die Bauern in die entlegene Wasserburg im unwirtlichen Moore geflüchtet, und da saßen sie, aßen zu ihrem schwarzen Brote ihren guten Schinken mit Behagen und machten sich über das hergelaufene Volk lustig, das sich beim Herumkriechen zwischen den Wallhecken die Gesichter schund. Wenn es sich dann verkrümelt hatte, so kamen sie aus ihren Verstecken heraus und lebten wieder wie zuvor.

Späterhin aber brach der Franke in das Land ein, und mit dem wurden die Bauern nicht so gut fertig wie mit den Römern, denn er war zähe wie Aalleder. Über das ganze Land warf er seine Besatzungen, und schlug ihm Herzog Weking auch noch so oft auf die Finger, kaum waren sie heil, so war er wieder da. Da half auch die Wallhecke nichts mehr, und knurrend und brummend mußten die Bauern klein beigeben, dem Wode und der Frigge entsagen und ihre blonden Köpfe dem Taufwasser hinhalten, und wenn auch manch einer von ihnen noch ab und zu nach dem Wodeberge hinpilgerte, um nach der Väter Weise dem Altvater der Götter ein weißes Roß unter dem heiligen Baume auf dem großen Steine zu opfern, mit der Zeit ließen sie das sein, denn zu gefährlich war ein solches Werk, dieweil der Frankenkaiser Todesstrafe darauf gesetzt hatte. So zahlten sie Zins und leisteten Frone und beugten sich dem Christengotte.

Die Zeiten kamen, die Zeiten gingen; Gutes und Böses brachten und nahmen sie; die Wallhecken aber blieben. Es wurden ihrer sogar immer mehr, obschon sie Bär und Wolf, Ur und Elch nicht mehr abzuhalten brauchten, denn die waren schon lange ausgerottet, wie denn auch Hirsch und Sau das dicht besiedelte Land mieden. Aber immer noch umgab der Bauer seine Hofstatt, seine Weidekämpe und Ackerstücke mit Wall und Graben, denn er war sie einmal gewöhnt, diese dichten Verhaue aus Eiche, Hagebuche, Birke und Espe, Weißdorn und Schlehe über den moosigen, dicht mit den Wedeln des Eichenfarns bekleideten Wällen, die im Frühling silbern von Schlehenblüten sind, und von denen im Sommer das Jelängerjelieber seinen schweren Duft in die Abendluft sendet, in deren krausem Astwerk die Nachtigall schlägt, Rotkehlchen und Mönch brüten, wo die Elster und der Markwart baut, und vom knorrigen Eichenstumpfe um die Schummerstunde das Käuzchen ruft. Ein Land ohne Wallhecken konnte sich der Bauer in dieser Gegend hier gar nicht vorstellen, und nichts dünkte ihm schöner, als am Sonntagnachmittag nach der Kirche, seine Ehelichste hinter sich, die kurze Pfeife im Munde, zwischen Feld und Wallhecke dahinzuschlendern und seinen Roggen anzutreiben. In der Wallhecke hat er als kleiner Junge gespielt, hat Sappholz zum Flötenmachen geschnitten, Vogelnester und Himbeeren gesucht, auch wohl, als er zum Hütejungen heranwuchs, Hasen und Kaninchen geströppt und die ersten Rauchversuche gemacht; und so liebt er sie von Herzen.

Hatte sie doch auch in wirtschaftlicher Hinsicht keine geringe Bedeutung für ihn. Je stärker das Land bebaut wurde, um so mehr verschwanden die Wälder und Haine, und so mußte die Wallhecke schließlich zum Teil den Bauern das Feuerholz liefern. Je nach Bedarf holte er sich eine der alten knorrigen, krumm und schief gewachsenen Eichen oder Hagebuchen von ihr und pflanzte junge Heister an ihre Stelle, und auch die Stecken für die Flachtenzäune, die Peitschen-, Harken-, Beil- und Spatenstiele und Holz zu allerhand anderen Geräten mußte sie ihm liefern, desgleichen Maibüsche, um das Haus zu Pfingsten zu schmücken, und Efeu und Immergrün, um die Gräber zu bepflanzen. So war sie ihm in vieler Weise nützlich. Außerdem hatte er eingesehen, daß sie vielen Vögeln Unterschlupf bot, die das Ungeziefer kurz halten, und von dem Ilk, dem Igel und dem Wiesel, die dort hausen, wußte er, daß sie dem Mausevolke nachstellen, so sehr, daß seit Menschengedenken das Land hier keinen Mausefraß ausgestanden hat. Sollte er darum also die Wallhecke nicht ehren und achten, auch wenn überkluge Leute ihm vorredeten, sie nähme zu viel Platz ein, beschatte das Ackerland zu sehr und hagere mit ihrem Wurzelwerke den Boden aus? Steht anderswo der Roggen so, daß ein großer Mann samt dem Hute auf dem Kopfe darin verschwindet? Und wo gibt es Weizen, der solche Ähren hatte, so dick wie ein Finger? Und was sieht wohl besser aus, so eine schöne grüne, lebendige Wallhecke, bunt von Blumen und laut von Vogelgesang, oder ein Zaun aus totem Holz und kaltem Draht?

So dachte er einst; heute denkt er nicht mehr so. Der neue Wind, der von Ost nach West weht, und der das hohe Lied von der alleinseligmachenden, baum- und buschlosen Getreidesteppe nach einer Weise singt, die nicht nach deutscher Art klingt, hat ihm so lange in die Ohren getuschelt, bis er sich altväterisch und rückständig vorkam, die Axt von der Wand und die Hacke aus der Ecke langte und sich daran machte, das Wahrzeichen seines Landes, seiner Väter Erbe, mit Stumpf und Stiel auszuroden. Wo noch vor zehn Jahren Mönch und Nachtigall sangen, Elster und Käuzchen brüteten in den grünen Wallhecken, da reiht sich Feld an Feld, und vom dürren Zaunpfahle oder vom häßlichen Stacheldrahte schallt das blecherne Geplärre der Grauammer, des Vogels aus Ostland, des Sängers der langweiligen Getreidesteppe, ein abstoßender Klang den Ohren der Einheimischen, aber angenehm den Leuten klingend, die, aus Osten kommend, bei dem Bauern, dem die Städte das Gesinde nahmen, schanzen, und deren Sprache und Art ihm ebenso fremd und unschön dünkt wie das Lied des grauen Vogels, den sein Vater noch nicht kannte, und der sich unter der Erde umdrehen würde, könnte er sehen, was aus den Wallhecken wurde, die ihm so lieb und teuer waren.

Es ist nicht nur das Gesicht der Landschaft, das durch das Ausroden der Wallhecken seine schönsten Züge verliert, es ist nicht nur die Tierwelt, die dadurch Einbuße erleidet, auch des Bauern innere Art wird sich, und wohl kaum zum Besseren, verändern, geht das ureigenste Wesen seines Landes zum Teufel. Die schöne, hier und da wohl einmal schädlich wirkende, im großen und ganzen aber zur Vertiefung und Verinnerlichung führende Abgeschlossenheit, die den Bauern auszeichnete, wird ihm verloren gehen. Kahl wird er in seinem Gemüte werden, kahl und arm, wie alles Volk, dem sein Land nicht mehr bietet als Brot und Geld. Verschwinden werden die wundervollen Sagen und Märchen, an denen das Land so reich ist, verklingen werden die schönen, alten Lieder, die die Mädchen singen, wenn sie am offenen Feuer das Spinnrad treten, zu herkömmlichem Brauche wird die tiefgründige Frömmigkeit verflachen, die des Bauern ganzes Leben nährte.

Dann, wenn es zu spät ist, wird das Volk einsehen, was es tat, als es ein Ende machte mit der Wallhecke.


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