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Novembersonnenschein

Der Wald wirft seine Blätter ab; viele Bäume sind schon ganz kahl, andere haben noch etwas Laub, einige sind noch vollbelaubt, aber das sind wenige.

Vor zwei Wochen, da war es anders. Da hatte der Wald sein rotes Staatskleid an, das bunteste von allen dreien.

Denn drei hat er; eins aus hellgrüner Foulardseide; das trägt er im Mai. Dann das aus rotem Atlas, das er Ende Oktober trägt, und das weiße, mit Silber gestickte, das er nur an sehr schönen Wintertagen anzieht. Das andere sind alles mehr Alltagskleider, so auch das, was er jetzt an hat. Aber wenn er Besuch bekommt, vornehmen Besuch, dann macht er sich trotzdem fein, so gut es geht.

Heute zum Beispiel, denn da kam die Sonne zu Besuch, ein seltener Gast im November. Da hatte der Wald sich dann schnell hingesetzt und das fahle Alltagskleid etwas aufgeputzt, einen goldgelben Einsatz eingenäht, eine hellgrüne Rüsche eingeheftet, einen goldroten Volant angesetzt, hatte die knallroten Korallen angelegt und eine funkelnde Brosche vorgestreckt. Fein sah das aus.

Als ich gestern über die Felder ging, war er nicht so fein. Graubraun, fahlgelb, trübrot, so war sein Kleid, mit stumpfen, dunkelgrünen Samtaufschlägen. Heute aber ist die ganze Jungbuchenkante ein langer leuchtender goldroter Strich, als wenn Elbenfeuer brennten. Und im Walde die Buchenjugenden, die sind bunt wie ein Pantherfell, noch viel bunter. Denn ein Pantherfell ist rot und schwarz gefleckt, hier aber ist hellrot und goldbraun, orange und gelb, grün und tiefrot durcheinander gewirbelt. Von Rechts wegen müßte das unruhig aussehen, gesucht und augenverwirrend. Aber es wirkt gerade umgekehrt. Es beruhigt und erfrischt wie sprudelndes Wasser, dieses Sprudeln der Farben.

Der Querweg ist sauber gefegt, den gehe ich nicht. Ich gehe den laubbedeckten Weg geradeaus. Das ganze Jahr mag ich leise treten im Walde und gehe um die trockenen Blätter herum, aber im November suche ich sie, und wo sie am dicksten liegen, gehe ich am liebsten.

Es redet dann so viel, das Rauschelaub. Wenn die Luft grau und der Himmel tief ist, redet es von Herbst und Sterben, von Vergehen und Verwesen und predigt das alte Entsagungslied.

Heute aber nicht. Von Ruhe vor neuem Schaffen, von Winterrast vor jungem Frühling, von stiller Gegenwart und froher Zukunft redet heute das Rauschelaub.

Hier unter den alten Samenbuchen muß ich stehenbleiben. So schön war es hier noch nie wie heute, wo die Sonne hier zu Besuch ist an diesem Novembertag. Ein unendlicher Teppich aus kupferrotem geschorenen Plüsch bedeckt den Boden, die altsilbernen Stämme der Buchen, der Fichten tiefviolette Schäfte teilen ihn ein, daß die Augen ihn in Absätzen genießen sollen.

An vielen Zweigen ist noch Laub, und leise bewegt der Wind diese Zweige, damit ich sie zuerst sehen soll und mich freuen an ihrem goldenen Rot und rotem Gold. Langsam schaukeln sie hin und her, und hin und wieder fällt ein goldenes Blatt von ihnen zu Boden.

Absichtlich hat der Wind meine Augen abgelenkt, denn jetzt, wo sie dem einen fallenden Blatt folgten und von ihm weiter wandern, da sahen sie erst das Allerschönste. Eine Buche ist es, eine schlanke, mit vielen wagerechten Zweigen. Die hat noch alles Laub. Und darauf fällt die Sonne mit besonderer Liebe.

Gestern habe ich ihn gar nicht gesehen, diesen goldenen Buchenbaum; ich bin an ihm vorbeigegangen. Gestern schien die Sonne auch nicht. Es gibt Menschen, die sieht man auch erst, wenn sie lächeln, da leuchtet ihr goldenes Herz. Dort unten steht ein junger Ahorn, der leuchtet wie gelbes Glas. Prächtig sieht er aus und lustig, aber denken kann ich mir nichts bei ihm, und wenn er auch noch so prahlerisch seine goldgelben, spreizigen Blätter im Winde dreht. Höchstens daß es auch solche Menschen gibt.

Durch das rote, rauschende Laub geh ich weiter. Ein blaugrüner Brombeerbusch wirft eine rauhe Schlinge um meinen Fuß. Als wenn er mir etwas sagen wollte. Er will auch etwas sagen, er, der nie blüht und nie Frucht trägt, und Sommer und Winter grünt in demselben harten Grün. Draußen, am Moorwege, oder am sonnigen Rain, wachsen seine Brüder. Purpurrote Ranken haben sie, prangen im Sommer mit weißen Blüten und im Herbst mit süßen Früchten, und färben im Winter ihr Laub rot und gelb. Er bleibt aber das ganze Jahr, wie er ist. Denn hier unter dem Schatten der Buchen kriegt er keine Sonne, hat nicht Luft und Licht. Das bißchen müde Herbstsonne, das bißchen fahles Winterlicht kann ihn nicht zu Blüte und Frucht bringen.

Menschen gibt es auch, die so sind. Ihr Leben leben sie im schattigen Einerlei, sie blühen nicht in ihrem Mai, und wenn sie blühen, es trägt keine Frucht. Auch der Brombeerstrauch zu meinen Füßen hat wohl einmal eine Blüte gehabt, aber nie trug er eine Frucht.

Hinter den Fichten an der Waldstraße stehen hohe Kiefern. Schwer, entsagungsvoll, hängen ihre Zweige. Wenn sie jung sind, sind sie Himmelsstürmer, langen nach oben mit kecken Zweigen, wachsen und wachsen, schneller als jeder Baum im Wald, als könnten sie es gar nicht abwarten. Und wenn sie groß sind, sind sie müde und lassen die Zweige sinken.

Alles Schnellwüchsige wird früh müde. Unter den Fichten der Adlerfarn, kraftlos und altersschwach hängt er in den Zweigen des Faulbaums. Und wie wuchs er im Mai, und wie eilig hatte er es im Juni, und wie gierig spreizte er im Juli seine Wedel nach rechts und links. Alles Mache, nichts dahinter.

Wenn ich mir dagegen die winzige Eiche unter ihm ansehe! Drei Jahre ist sie alt. Dreimal wuchs ihr der freche Farn über den Kopf, aber jedesmal wurde er auch wieder klein, ganz klein, noch kleiner als die kleine Eiche.

Ein heller Klang, wie von einer silbernen Glocke, geht durch den Wald. Der Schwarzspecht ist es. Er lacht den Menschen aus, der in Novembersonne geht und doch nachdenklich ist. Er hat recht, der Rotkopf. Nachdenken ist gut genug für graue Tage. An hellen Tagen soll man leben und lachen.

Rauschelaub, rausch mir das Werdelied von goldener Frühlingszeit, wo junges Gras aus dir hervorkommt und weiße Blumen zwischen dir nicken, wo alle Vögel singen im sonnigen Frühlingswald.

Gerade hier, wo ich bin, wo das dunkle Schaftheu seine starren Halme reckt und blanker Efeu schimmert, hier am Grabenrand, da wird es dann wunderbar sein. Braune Simsenknäulchen werden da zittern, weiß wird alles sein von Windröschen, und dazwischen wird die goldne Waldnessel blühn.

Einen großen runden Fleck malt die Sonne vor mich hin auf rotes Laub und dunklen Efeu. Und mitten darin blüht es weiß und goldgelb, ein weißes Sternchen, drei goldene Mäulchen, zwei Frühlingsblüten im späten Herbst.

Das ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder. Alle Windröschen haben im Frühjahr geblüht, alle Goldnesseln leuchteten im Mai, diese beiden aber blühn jetzt in dem großen runden Fleck, den die Sonne auf den Grabenrand wirft, die Spätherbstsonne.

Denn Sonne bleibt Sonne und behält ihre Kraft. Ringsherum fallen die Blätter, rund umher welkt das Laub, hier allein blüht ein Stück Frühling in der Sonne im Wald.


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