Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der dritte Damm

Hell und frei ist es auf den Wiesen der Ise; aber dumpf und dunkel ist es im Espenleu, der sich hinter ihnen wie ein schwarzes Bollwerk erhebt und so aussieht, als gäbe es weder Weg noch Steg in ihm.

Es sind aber mehr als genug da, enge, heimliche, vielfach gewundene Pirschsteige, verwachsene, feuchte Holzwege, graswüchsige Gestelle, und dann die drei Dämme, die quer durch den Forst auf das Moor zuführen und auf denen die Bauern von Wahrenholz sich Bruchheu und Torf holen, breite tiefausgefahrene Fahrwege, nur an wenigen Stellen, wo der Sand ansteht, trocken, zumeist aber feucht oder ganz naß.

Den ersten und den zweiten Damm kenne ich schon länger; den dritten habe ich mir gestern gesucht. Ich wußte, daß er da irgendwo zur rechten Hand weit hinter dem zweiten Damme liegen müsse, und so überschritt ich den schmalen, schlüpfrigen Steg, unter dem der Bach lustig sein goldbraunes Gewässer dahinschießen ließ, und ging dem engen Pirschsteige nach, der in einen düsteren Kiefernstangenort führte. Da war es dumpf und modrig. Ein hartes Gras bedeckte den moorigen Boden, Farne schossen aus muffigen Gräben, wie Gespenster sahen die untergebauten Fichten aus. Die Nonne hatte sie umgebracht, und nun standen sie tot und rot da.

Der Boden war bedeckt mit faulendem Fallholze, über das Moos und Schimmel hinwegkroch. Überall schossen Pilze hervor, große und kleine, gelbe und braune, hellrote und dunkelblaue, und giftgrüne und eisengraue. Die Luft war erfüllt von ihrem Dufte; wie in einem Keller roch es. Mir war, als hörte ich die Verwesung durch das Dickicht schleichen und als spürte ich ihren faulen Atem.

Heller wurde es dann vor mir. Goldgrün leuchtete in der fahlen Sonne der Adlerfarn, der den Windbruch ausfüllte. Aber ebenso dumpf und modrig roch es auch dort, nur noch strenger, denn jeder Baumstumpf, jeder Wurfboden war mit großen braunen, gelben und leichenfarbigen Schwämmen bedeckt, und überall quollen zwischen den Moorhalmbülten die dicken, mißfarbigen, geborstenen Knollen der Hirschtrüffel aus dem braunen Boden und erfüllten die Luft mit olmigem Dufte.

Alles, was ich gewahrte und vernahm, mutete mich seltsam und sonderbar an. Traurig hingen die Zweige der Fichten herab, jämmerlich verrenkt sah das Astwerk der Kiefern aus, und der von graugrünen Flechten überzogene Stumpf des verrotteten Wurfbodens wirkte wie ein verwitterter Leichenstein auf einem verwahrlosten Grabe. Das Gewisper der Goldhähnchen in den dunkeln, mürrisch raunenden Kronen klang so schüchtern, das Locken der Haubenmeisen im Unterholze war voller Angst, unheimlich heulte in der Ferne der Hohltäuber, Entsetzen kreischte aus des Hähers schneidendem Schrei, geisterhaft schallte des Schwarzspechts Ruf und das dröhnende Schrecken des Bockes, der mit Geprassel durch das Gestrüpp brach, mutete mich wie eine zornige Verwünschung an.

Auf eine schmale, feuchte Bahn trat ich schließlich, suchte mir das nächste Quergestell, in dessen hohem, weichem, saft- und kraftlosem Grase noch der Tau der letzten Nacht hing und kalt auf meine Schuhe schlug, ging es bis zu Ende und stand dann auf dem dritten Damme. Hoch reckten sich zu seinen Seiten alte Fichten und Fuhren über dicht verschränktem Buschwerk, und ein geschlossenes Bollwerk von üppigem Adlerfarn, hier goldgelb, dort bleich gefärbt, zog sich neben den dumpfen Gräben entlang, aus denen die Wasserlilien drohend ihre grünen Schwerter hervorstreckten.

Der Wind legte sich; ganz stille war es. Kein Blatt rührte sich, kein Halm schwankte. Plötzlich schüttelte sich eine Espe, als rüttele eine unsichtbare Hand an ihrem Stamme. Die Strahlen der Sonne fielen schräg durch die Kronen und malten blutrote Flecke auf die Stämme, die wie unheimliche Gesichter aus dem Laube hervorleuchteten. Ein klagender Habichtsruf kam von irgendwoher; ein höhnischer Bussardschrei antwortete ihm. Ein Dürrast fiel in den Graben. Ein Vogel flatterte hastig durch das Gesträuch. Ich ging leise, als fürchtete ich den Schall meiner eigenen Tritte. Wo ein dunkles Wasserloch an dem Wege starrte, fuhr ein gewaltiger schwarzer Vogel empor, machte einige plumpe Sätze und strich ab. Der Waldstorch war es; wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt kam er mir vor.

Ein Heuwagen, von schwarzbunten Kühen gezogen, kam angeschwankt. Ein baumlanger, dunkel gekleideter, ernst blickender Bauer geleitete ihn. Stumm nickte er mir zu, und ich dankte ihm in gleicher Weise. Dann war ich wieder allein mit mir zwischen den hohen, düsteren Bäumen, über die heiser quarrend die Krähen hinschwankten, und ging zwischen den hohen Moorhalmen neben dem schwarzen Graben her, den verwelktes Gekräut halb verhüllte, in dem hier und da eine bleiche oder blutrote Blüte wie eine trübe Erinnerung an schönere Tage sichtbar war. Zwischen den grauen Stämmen glotzten die schwarzen Spiegel vermoorter Kolke mich an, Andenken an schwere Stürme, die hier einst mächtige Bäume umkippten und samt gewaltigen Wurzelballen aus dem Erdboden rissen.

Immer seltsamer und wunderlicher wurde mir zumute; mir war zu Sinne, als müßte ich noch etwas Besonderes erleben. Ich gab das dem Wetterumschlag schuld, der in der Luft lag und der mich bedrückte. Fast hätte ich mich erschreckt, als neben mir eine Taube von der Blöße emporpolterte, und froh war ich, als ein Reh auf den Damm trat und vor mir herzog. Aus Gewohnheit pirschte ich vorsichtig hinter ihm her, obgleich ich ohne Wehr und Waffe war und dort nicht jagen durfte. Das Reh sprang ab, denn wieder nahte ein Heuwagen, geleitet von einem langen, ernst dareinschauenden, stumm grüßenden Bauern, dem ich wieder stumm dankte. Zwei Eichkatzen, die sich fauchend und schnalzend um einen Stamm jagten, freuten mich nicht. Das Lächeln war mir eingefroren.

Zu meiner Rechten lag über dem Graben ein moosbedeckter Holzsteg. Gleichgültig sah ich nach ihm hin, denn ich dachte, er führte zu einem Pirschsteige. Da fielen meine Blicke auf einen kleinen Steinhügel, der mit Moos bewachsen war und in einer Ausbuchtung der Dickung stand, und auf dem sich ein grauer Granitblock erhob, der eine schwarze eiserne Tafel mit goldener, stark verblichener Inschrift trug. »Hier fiel«, stand da. Zögernd trat ich vor den Hügel und las weiter: »am 14. August 1863 durch Mördershand der brave Hilfs-Forst-Aufseher Ernst Sander aus Schönevörde.« Da wußte ich, weswegen mir den ganzen Nachmittag so zumute war, als stände mir etwas Besonderes bevor, und warum mich der dritte Damm immer so gelockt hatte, und weshalb er mir, als ich ihn fand, so unheimlich vorgekommen war, obgleich ich schon auf verlasseneren Wegen in öderen Wäldern geschritten war.

Noch einmal las ich die kurze, schlichte Aufschrift; dann ging ich weiter, an der verlassenen Meilerstelle vorbei, bis ich auf dem Knüppeldamm war und vor der großen Brandfläche stand, sah dem Bocke zu, der durch das Birkengebüsch zog, und kehrte um. Blutrot zerschmolz die Sonne in blauschwarzem Gewölk, Nebel krochen aus den dunklen Gräben und überspannen den Damm, die Dämmerung schlich aus der Dickung und verschmolz Nähe und Ferne, eine Eule flog lautlos quer über den Weg, eine Fledermaus zickzackte um die Wipfel, Spitzmäuse schrillten im Gekräut, verstohlen brach es im Unterholz und schreckte dann laut. Endlich war der Wald zu Ende, und durch die Wiesen, die im Nebel schwammen, kam ich dahin, wo Menschen wohnen.

Abends erzählte mir im Kruge ein Bauer die Geschichte von dem Förstersteine. Zu hannöverschen Zeiten stand viel Hochwild im Espenleu, und das Freijagen lohnte sich. Da lebte in Wahrenholz ein Arbeitsmann, der lieber die Büchse zur Hand nahm als Axt oder Spaten. Als dann der Forstaufseher mit zwei Kopfschüssen tot aufgefunden wurde, wurde dieser Mann festgenommen. Er leugnete, aber das Gericht überführte ihn durch viele Zeugen; so wurde er zum Tode verurteilt, doch begnadigt. Achtundzwanzig Jahre schob er im Kalkberge zu Lüneburg den Karren; dann wurde er entlassen. Zur Arbeit war er nicht mehr fähig, und als die anderthalbhundert Taler, die er sich im Zuchthause erspart hatte, alle waren, fiel er der Gemeinde zur Last. Im Armenhause zu Wunstorf ist er gestorben.

Bis zu seinem Ende aber hat er die Tat abgestritten, von der im Espenleu bei Wahrenholz der graue Stein am dritten Damm meldet.


 << zurück weiter >>