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Die Marsch

Langsam und behäbig fließt der Fluß durch die Marsch. Sein dunkles Wasser glitzert silbern im Sonnenlicht und gibt verzerrte Bilder von den goldenen Kuhblumen und den silbernen Weidenbüschen wieder, die sich in ihr spiegeln.

Ein frischer Hauch bewegt lustig den duftigen, aus unzähligen lichten Schaumkrautblüten gewebten Schleier, der sich über das grasgrüne Land zieht. Zwischen ihnen tanzen zarte Falter hin, deren Schwingenspitzen feurig wie die Morgensonne leuchten.

Hoch oben am bachblumenblauen Himmel spielen fröhlich die Schwalben und kreisen, dunkel eben und jetzt hell aussehend, zwei große Weihen. Unten am Ufer flirren und schwirren um die schimmernden Ellernbüsche zahllose Frühlingsfliegen. Wenn sie sich dem Wasserspiegel nähern, springen ihnen laut schnalzend blinkende Fische entgegen.

Zwei Krähen, blitzblank im Sonnenschein leuchtend, kommen angeflogen. Mit schneidendem Rufe steht ein Kiebitz auf, holt sie ein, stürzt sich auf sie hinab und umfuchtelt sie in regellosem Fluge. Ein zweiter gesellt sich zu ihm, noch einer, ein vierter und immer mehr: wie eine Schar von Gespenstern gaukelt es um die schwarzen Eierdiebe her.

Selbstzufrieden stümpert der schwarzköpfige Rohrammerhahn sein dürftiges Liedchen von der Spitze eines dürren Reethalms. Aus dem Weidicht kommt das Gezirpe der Rohrsänger, ein Gemisch von Froschgequarre und Riedgeruschel. Ein Pieper flattert unbeholfen empor, hölzern klappernd und fällt wie kraftlos in das Gras. Wehmütig piepst die gelbe Bachstelze und fröhlich zwitschernd steigt das Weißkehlchen auf.

In den Uferbuchten prahlen die Frösche; aus dem verworrenen Getöse klingt hier und da und dort das breite Lachen eines alten Vorsängers heraus. Wo einer der Störche, die würdevoll und gemessen, weithin sichtbar, durch das Gras waten, sich naht, endet das Gequarre in einem entsetzten Gepaddel und Geplantsche, bis der schwarzweißrote Schreck weitergestelzt ist, und der Lärm erst schüchtern wieder beginnt, um immer zuversichtlicher und unbekümmerter anzuschwellen.

Das breite, weite, grüne Land ist voll von kleinen Vogelstimmen, und der Himmel darüber tönt von Lerchengetriller und Schwalbengezwitscher. Dennoch steht eine große Ruhe über der grünen, mit silbernen und goldenen Blüten besäten Marsch, eine Ruhe, die der klirrende Ruf der leuchtenden Seeschwalben, der spitze Schrei des dunklen Rohrhuhns eher verstärkt als zerstört, und auch das Jodeln der Wasserläufer und das weithin hörbare Flöten eines Brachvogels geht in ihr schließlich doch unter.

Hinter den Ellernbüschen kommt ein Flug schlanker Vögel angeschwenkt, schlägt Bogen über Bogen, fällt ein, steht auf, läßt sich abermals nieder, nimmt sich wiederum hoch, und verharrt schließlich auf einer höheren Stelle, deren Graswuchs mager und dünn ist. Kampfläufer sind es, schnurrige Gesellen. In anspruchsloses Graubraun sind die Weibchen gekleidet; die Männchen jedoch prunken in schimmernden Rüstungen. Der eine ist dunkelstahlblau an Nackenlatz und Brustschild, der da erzgrün, dieser rostrot, jener weiß, und andere sind weiß- und gelbgefleckt, hell und dunkel gemustert; aber keiner gleicht dem anderen völlig.

Stocksteif stehen sie da, die seltsamen Burschen, ungemein viel Würde entwickelnd. Stochert einer einmal nach einem Würmchen im Rasen, so besinnt er sich doch sofort, daß heute Mensurtag ist, und nimmt schnell wieder Haltung an. Auf einmal stehen sich zwei gegenüber, zittern vor Kampflust, sträuben die Kragen, nehmen Paukstellung an, fahren aufeinander los, rennen sich die Schnäbel gegen Gesicht und Brust, prallen zurück, sausen wieder zusammen und stehen plötzlich mit heruntergelassenen Schilden da, als hätten sie nichts miteinander vorgehabt.

Es ist ja auch nur Bestimmungsmensur, das Gefecht, nicht so schlimm gemeint, wie es aussieht. Der dunkelerzgrüne und der hellkupferrote Hahn treten jetzt an. Hei, wie sie aufeinander losfahren, zurückweichen, Pause machen, hin und her trippeln, einen neuen Gang beginnen, mitten darin abbrechen, wieder zusammenprallen, in die Höhe hüpfen, stürmisch flattern, den Gegner mit Finten aus der Deckung locken und ihm schnell einen Stich versetzen. Dann auf einmal ist der Kampf zu Ende. Die Fechter stehen gleichgültig da, zupfen sich den Paukwichs zurecht, rennen im Grase umher und suchen im Moose nach Käfern.

Fort stiebt die ganze Gesellschaft, Paukanten sowohl wie Corona. Im Zickzack schwenkt der Flug über die nassen, von goldenen Blumen strahlenden Sinken, burrt quer über den Fluß, saust um die Weiden herum und verschwindet in der Ferne, wo die beiden Reiher an dem Ufer stehen. Der Rohrweih, der dort angeschaukelt kommt, hat sie vertrieben. Wo sein Schatten hinfällt, schweigen die Frösche, verstummt der Wiesenschmätzer, bricht der Rohrsänger sein Gezirpe ab. Aber eine Seeschwalbe, wie ein silberner, rotbespitzter Pfeil herunterschießend, vier Kiebitze und zwei Wasserläufer belästigen das braune Gespenst so lange, bis es sich von dannen macht, und sofort fangen die Frösche wieder zu quarren an, Schmätzer und Rohrsänger legen von frischem los, und die Wasserhühner kommen kopfnickend aus dem Ried hervorgerudert.

Über der Kuhle, die ganz von den starren Blättern der Krebsschere erfüllt ist, schweben stumm die Trauerseeschwalben hin und her, dann und wann hinabschießend und eine Beute aufnehmend. In dem dichten Wirrwarr von Rohr und Schilf führt eine Entenmutter ihre wolligen Jungen. Mit schallendem Fluge streichen Stare herbei, fallen im Grase ein, watscheln dort herum und suchen eifrig nach Futter. Über der offenen Blänke flirrt es silbern und spritzt es, als regnete es dort; der Barsch jagt Fischbrut. Dicke Blasen steigen auf und zerplatzen seufzend; der Aal wühlt im Schlamme. Trillernd schwirren zierliche Uferläufer vorüber und drei Erpel, die das Segelboot aufstörte, stehen mit Getöse auf und klatschen weiterhin in das Schilf.

Kühler weht es vom Abend her. Die Sonne versinkt. Nebel tauchen auf. Der Heuschreckensänger läßt sein eintöniges Geschwirre erschallen, die Frösche werden lauter. Schon unkt ein Dommelchen in seinem Rohrverstecke, heiser ruft ein Reiher, stolz vor rosenrot glühenden Wolken dahinrudernd, und mehr und mehr erklingt das Gemecker der Himmelsziegen, die pfeilschnell dahinsausen.

Die Ferne versinkt in Nebel, und die Nähe geht im Dunst unter. Hart schnarrt in strengen Pausen der Wachtelkönig, gellend pfeift die Ralle, klagend ruft eine Mooreule. Noch einmal glüht die Sonne auf, ehe sie Abschied nimmt. Das Blaukehlchen vermischt sein Lied mit dem Geruschel des Rohres und dem Gekluckse der Wellen, bis das Plärren der Frösche alle anderen Laute verschlingt und der Nebel alle Farben zudeckt.


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