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Wetter

Die letzte Zeit hatte es in einem fort in das Grummet geregnet und in die Kartoffelernte, und so sah es trübselig in der Gaststube aus. Es kamen wenig Leute, und wer da war, der hustete oder nieste und sprach von weiter nichts als von Kreuz und Leid.

Vorgestern gab es aber bloß drei Regenschauer, und gestern nur zwei, und die waren ganz leicht, und da die Sonne schön warm war und der Wind flott ging, wurde ein gutes Stück Arbeit geschafft, und es ging etwas anders in der Gaststube zu, indem nicht immer und ewig die Begebenheit mit dem Gutsbesitzer aus der Gegend von Halle an der Saale erzählt wurde, der über sein Land ritt und sich dann totschoß.

Gestern war das Wetter noch besser, und so gab es allerlei Leben im Kruge, denn die zwanzig Kartoffelkleierinnen vom Eichsfelde mit ihrem Vorarbeiter sprachen vor, ließen die Musikmaschine spielen und sangen. Die Tage vorher kehrten sie nicht ein, sondern schlichen naß und schmierig an der Wirtschaft vorbei und machten, daß sie in ihren Schlafschuppen kamen.

Als sie fort waren, hob der Halbmeier Plesse den Kopf, horchte und sagte: »Morgen gibt's Wetter, Korl!« Alle Bauern und Arbeitsleute, die da saßen, lauschten nach draußen, lachten und nickten, und die Gesichter wurden gleich ganz anders, denn draußen war eine sonderbare Musik; es hörte sich an, als ob eine riesige Harfe gespielt wurde. Das waren die Leitungsdrähte, die mit gewaltigem Summen und Brummen Wetterumschlag anzeigten.

»Da ist mehr Verlaß auf, als auf die Sterne und die Wolken und das Abendrot und den Wind,« rief Wesemann; »Korl, eine Runde!« Und dann meinte er: »Ich verstehe mich so ziemlich auf das Wetter, aber seit Stücke vier, fünf Jahre weiß ich nicht mehr ein und aus. Ist es kalt und sternklar, oder liegt der Nebel auf den Wiesen, dann regnet es bestimmt, und ist es dunkel und warm, dann gibt es Wetter, wenn es nicht regnet. Ich werde da nicht klug draus.« Der alte Schnuckenschäfer auf der Bank, der schon seit einer Stunde an seinem Bittern herumtrank, meinte: »So ist es. Morgen aber wird es Wetter, denn mit meinem Reißen ist es man halb so schlimm. Und das ist mein bester Kalender.«

Und so wurde es. Als ich in das Bett ging, heulten die Leitungsdrähte ganz unheimlich, und morgens weckte mich blanker Sonnenschein und hellautes Hahnengekrähe und Hundegekläff. Die Magd sang, und der Wirt flötete wie ein Scherenschleifer. Die Knechte, die nach den Wiesen wollten, fuhren, daß es donnerte, und klappten mächtig mit den Peitschen. Auf meinem Tische stand ein gewaltiger Strauß von Zaunastern und Ringelblumen, und als die Wirtin mir den Kaffee brachte, lachte sie über das ganze Gesicht.

Nach dem Frühstück ging ich durch das Dorf. Ich kannte es kaum wieder. Waren gestern auch soviel Sonnenblumen und Dahlien hinter den Zäunen? Gab es die Tage vorher ebensoviele hübsche Mädchen hier? Das ist doch dieselbe schöne Frau, die mir mit der Harke auf der Schulter entgegenradelt; warum bietet sie mir heute zuerst die Tageszeit, und so freundlich? Als ich ihr gestern begegnete, dankte sie nur so eben. Aber es ist Wetter geworden, das Grummet kann herein, die Kartoffeln kommen heraus, und so hat alles blanke Augen und helles Gesicht, und es ist, als riefe jeder, groß und klein, alt und jung, arm und reich: »Wetter, Wetter, Wetter!« Alle Hühner krähen es, alle Hunde bellen es, die Enten schnattern und die Gänse gackern es, und die Pferde vor den Wagen wiehern und das Vieh auf der Weide brüllt es: »Wetter, Wetter, Wetter!«

Die letzte Woche waren die Straßen dreckig und alle Wege aufgeweicht, trübe sah es auf den Feldern aus und traurig auf den Wiesen. Da klopft ein Mann seine Sense; wie freudig hört sich das an; neulich, als es in einem Ende regnete, klang es anders. Dort mähen drei Leute in Hemdsärmeln; das flutscht nur so. Jüngst, als sie im vollen Regen dieselbe Arbeit taten, ging es nicht so flott. Und wie hübsch die Mädchen, die da so lustig beim Wenden sind, in den hellen Fluckerhüten aussehen, ganz anders als die Tage vorher, wo sie immer vor dem Regen Angst hatten und sich keine Mühe gaben, sich blank anzuziehen. Und von da hinten, wo aufgeladen wird, kommt wahrhaftig ein schrilles Juchen, so frisch und froh, wie man es sonst nur beim Einfahren des ersten Schnitts zu hören bekommt.

Durch die Felder gehe ich zurück. Den Frauen, die beim Kartoffelausmachen sind, rufe ich ein keckes Wort zu; sie wollen sich halbtot lachen. Vor drei Tagen hätte ich es nicht gewagt, einen Scherz zu machen. Ich nickte nur und konnte froh sein, wenn sie mir den Gruß ebenso zurückgaben. Bei den letzten Häusern, wo die Brinksitzer wohnen, ist großes Hallo! die Kinder haben schnell einen Drachen zusammengestümpert, den sie im frischen Winde flattern lassen, und der gichtbrüchige Altvater, den ich seit zwei Wochen nicht mehr zu sehen bekam, steht am Zaune und sieht ihnen lächelnd zu. Der Postbote, der sonst streng auf seinem Gange bleibt, winkt mir zu, kommt mir entgegen, gibt mir die Post, bedankt sich ganz anders als sonst für die Zigarre und meint: »So muß es bleiben und dann noch schöner werden!«

Nach dem Mittag gehe ich in das Holz. Wie schön es heute da ist: die Krähen quarren, der Bussard jauchzt, und überall pfeifen die Meisen. Neulich war alles tot und still. Der Förster begegnet mir; er hält mich an, fragt dies und das, und er ist sonst kein Mann von vielen Worten und hat nicht gern fremde Menschen in seinem Belauf. Die Holzarbeiter rufen mir trotz der tiefen Wege einen frohen Gruß zu, und selbst die Köhler, die vorige Woche meine Zigarren hinnahmen, als ob sie mir damit eine Gnade antäten, bedankten sich höflich, und der eine, der ganz krumm von Giederreißen ist, erklärt mir redselig, wie ein Meiler angelegt und gar gemacht wird.

Und jetzt ist es Abend. Die Gaststubentür geht in einem fort und alle Augenblicke muß die Musikmaschine spielen. Vor acht Tagen, als die eine Partei das Lied »Wir lustigen Hannoveraner« und die andere »Ich bin ein Preuße« verlangte, roch die Luft nach ungebrannter Asche. Heute wechselt der »Hannöversche Königsgruß« mit »Heil Dir im Siegerkranz« ab, ohne daß einer von den Welfen oder von den Preußen auch nur eine Miene verzieht, wenn die unliebe Weise ertönt, und als der Wirt »Deutschland, Deutschland« spielen läßt, singen alle zusammen mit.

Es ist ja Wetter heute, Wetter! Hat auch der noch seinen halben Hafer auf dem Felde, ist dem auch der Buchweizen verfault und jenem das Grummet, weiß dieser nicht, wie er die Kartoffeln heraus- und der nicht, wie er das Grummet hereinkriegen soll, weiß jeder von ihnen auch, ob Bauer, Knecht oder Arbeitsmann, daß es ein teures Jahr gibt, der eine einzige blanke Tag hat ihnen allen wieder Mut gegeben und ein bißchen Hoffnung. Heute kommt keine Frau und holt ihren Mann heim, und wenn er auch bis elf Uhr sitzen bleibt.

Aber nun, da es neun schlägt, geht einer nach dem anderen. Denn draußen geht es wieder: »Summsummsumm« und »Tungtungtung«; die Leitungsdrähte singen wieder das schöne Lied von gestern, und so heißt es: »Früh zu Bett und früh heraus, denn morgen gibt es wieder Wetter!«


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