Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zur Osterzeit

Jeden Morgen schien die Sonne; aber ehe ihre Strahlen noch Wärme verbreiteten, kam der Südwestwind über den Berg, hing graue Vorhänge über die Sonne, färbte das zarte Graurot der alten Dächer des Städtchens zu totem Schwarzgrau um und überflutete Wege und Stege.

Ab und zu verschnaufte der grämliche Wind und ließ der Sonne einen Augenblick Zeit, ihre Lieblinge, die stolzen Kaiserkronen und die leuchtenden Hyazinthen, die Aurikeln und Narzissen abzutrocknen und auszurichten. Dann pfiffen sogleich alle Stare, dann flötete jede Amsel, die Spatzen schilpten, die Rauchschwalben zwitscherten und hoben sich hoch in die Luft, und der Wendehals erfüllte die ganze Gartenstraße mit seinem Gekicher. Nur der Buchfink traute dem Landfrieden nicht und ließ unermüdlich seinen Regenruf erschallen.

Ich lasse ihn rufen und gehe zum Tore hinaus, an grünen Stachelbeerhecken vorbei, in denen Braunelle und Müllerchen singen, unter gewaltigen, von fetten Knospen strotzenden Linden her, in denen Stieglitz und Grünfink schwatzen, und deren kahler Zweige Farblosigkeit hier und da eines Ahornbaumes goldene Blumenfülle unterbricht. Zur Linken hinter dem blauen Geklumpe der Berge quellen dicke weiße Wettertürme herauf, von rechts her klingt des Grünspechtes, des Regenverkünders, Gelächter; aber noch scheint die Sonne, läßt den kahlen, knospenbedeckten Buchenwald dort oben rot aufleuchten, gibt den sprießenden Lärchen am dunklen Fichtenhang ein helleres Grün, übergießt den kahlen Berg mit silbernem Schein und wirft auf die grüne Saat und den roten Acker eine Flut von Licht und Glanz.

Gestern war hier alles tot, grau und stumpf; heute ist Leben hier, Farbe und Freude, denn die Sonne, die liebe Sonne ist da. Sie grüßen die Hähne des Dörfchens hinter dem Berge, ihr singen Goldammer und Blaumeise; wo sie hinfällt, schwillt und quillt das Moos am Stamme, reckt und streckt sich die junge Saat, jeder Vogel singt und klingt, alle Knospen strotzen und protzen, hell glühen die Berge auf, die ihr Schein trifft, weiß leuchten des Berges krumme Straßen in ihrem Strahl, und das ganze Tiefland wirft sich schnell in ein frohes Festkleid.

Leichter geht sich der steile Weg in der Sonne, leichter als gestern. Das bunte Farbenspiel in der Runde, die Drossellieder ringsumher, das mannigfache Leben auf der Flur und in den Wipfeln macht meine Füße schneller. Dort jagen sich drei rote Hasen auf grüner Saat, hier schreiten zwei blanke Krähen auf rotem Acker, da wippt der Steinschmätzer von Rain zu Rain, hier schweben Tauben über den Wipfeln, drüben unter dem Waldschlößchen ziehen die Rehe über das Feld, und vom dürren Anger hebt sich singend die Heidlerche empor. Aber das rechte Leben ist hier noch nicht. Zu hart pfeift der Wind, läßt die Silberknospen der Heckenkirsche langsamer sich erschließen als im geschützten Busch, erlaubt den Windröschen nicht, sich zu entfalten, und den Schmetterlingen wehrt er frohen Flug und tändelnden Tanz. Darum ist es auch still hier oben auf der Höhe; doch von dorther, wohin der Wind nicht kommen kann, klingen laute Lieder.

Aber hier, im niederen Buschwalde, herrscht der Frühling unumschränkt. Da schießt und sprießt das üppige Grün in vielfacher Form aus dem fetten Boden, da leuchten aus faulem Laub und totem Geäst Blumen mannigfacher Art. Goldstern und Hahnenfuß glänzen dort in den Farben der Sonne, darüber nicken der Himmelsschlüssel zarte Blüten, Blau und Rot bringen die Lungenblumen dazwischen, und Rosenrot und Lilienweiß die Windröschen.

Hier hat der Regen den Frühling nicht ertränkt, hier hat er ihn erfrischt. An jeder Knospe hängt ein Glitzertropfen, in jedem Blattquirl liegt eine Schimmerperle; warm und feucht, wie in einem Treibhause, ist hier die Luft. Und so weiß der Aronstab gar nicht, wie üppig er wachsen soll; die Knabenkräuter spreizen saftige Blattrosetten, das Labkraut strotzt vor Kraft, der Bärlauch von Frische, das böse Bingelkraut sucht die Türkenbundschosse tot zu machen, den zierlichen Hasenklee und den blanken Haselwurz.

Heiß fällt das Sonnenlicht auf diese Fülle von jungem Grün und lockt alles zu frohem Lebensdrang, was den hellen Tag liebt. Der Mönch singt und singt ohne Unterlaß, der Weidenlaubvogel unterbricht sein Gejubel nur, um ein Mückchen aufzuschnappen, Graudrosseln und Amseln pfeifen ringsumher, und alles ist erfüllt vom Geschmetter der bunten Buchfinken.

Ein rotes Eichkätzchen schlüpft von Zweig zu Zweig, vor lauter Lustigkeit mit dem buschigen Schwanze schnellend und vergnügt kullernd und fauchend, so daß die beiden Rehe, die langsam den Grenzgraben entlang ziehen, ganz erstaunt nach ihm hinäugen. Mit den kohlschwarzen Geäsen rupfen sie die zierlichen Blütchen der Hainsimse und die frischen Triebe des Weißdorns und treten, als die unbeständige Luft ihnen meine Witterung zuträgt, in die Dickung hinein.

Am Grenzgraben schlendere ich entlang, an den zu seltsamen Gespenstern verrenkten Hainbuchen vorbei, um die Geißblatt und Waldrebe ihre Ranken geschlungen haben. Ein großer Raubkäfer wildert im alten Laube, eine dicke Weinbergsschnecke kriecht bedächtig über das Moos und über die in der Sonne liegende Blindschleiche, deren silberner Schuppenleib mit veilchenblauen Punkten bestreut ist.

Aus dem stillen warmen Busche heraus komme ich wieder auf die Straße, wo der Wind rauh und laut weht. Jenseits im hohen Buchenbestande hat er noch Kraft, aber er bleibt bald zurück und bricht sich an den Kronen. So kann der Baumpieper über dem fahlen Kahlschlage getrost sein Tanzlied singen, kann die Meise im blühenden Traubenholunder balzen, kann das Rotkehlchen im sprießenden Weißdorn singen und der Zaunkönig aus der Rosenblütenpracht des Seidelbastes sein keckes Geschmetter erschallen lassen. Wechselnde Bilder bietet der Weg: dürre Halden mit grauem Steingetrümmer und bleichen Schneckenhäusern, kahler Buchenwald mit dem Rufe versteckter Ringeltauben, Fichtenbestände, von Meisenruf und Goldhähnchengezwitscher erfüllt, feuchte Quertäler, besät mit der Blütenfülle der Schlüsselblumen, lichtes Haselgebüsch, durchjubelt von Vogelrufen, über bunten Lungenblumenbeeten.

Großes und kleines Leben ist überall. Viele hundert Drosseln und Kernbeißer vereinigen sich hier zu einem Sängerfeste seltsamer Art. Dort folgt hastig Lampe, der gute Mann, der Liebsten Spur, überall im Moose und Laube ist ein Wühlen und Rascheln, Knistern und Krispeln, in jeder Krone ein anderer Gesang. Laut flötet die Spechtmeise, gellend ruft der Buntspecht, der Häher ahmt alle anderen Vögel nach und macht aus ihren Liedern ein närrisches Allerlei, und der Wildtäuber klatscht ihm laut Beifall.

Alle haben sie die Sonne gern, sogar der dicke Kauz hat sich breit aufgeplustert und findet, daß ihm die Wärme gut bekommt. Auch Frau Reinecke, die da irgendwo in der Dickung ein halbes Dutzend Giermäuler zu versorgen hat, macht es sich auf dem moosigen Buchenstumpf bequem und läßt sich die Sonne auf den ruppigen Balg scheinen. Aber ein dürrer Zweig verriet mich ihr, hastig fährt sie durch dick und dünn, von dem Geschimpfe des Hähers verfolgt. Der starke Bock aber mit dem hohen, weitausgelegten Gehörn äugt mir ruhig nach; es hat so lange nicht mehr geknallt, und er meint, endlich einmal müßte der Mensch aufhören, ihm nachzustellen.

Langsam zieht er vor mir her, und ich schleiche ihm von Baum zu Baum nach. Hier pflückt er ein Hälmchen, dort rupft er ein Blättchen, bis er sich erinnert, daß sein Gehörn noch nicht ganz blank ist. Und so plätzt er erst unter dem Weißdornbusch, daß Laub und Moos fliegen und Blätter und Blumen wirbeln, und bearbeitet dann mit dem Gehörn den grünen Busch, daß von der ganzen jungen Herrlichkeit so gut wie nichts mehr übrig bleibt.

Endlich hat er genug und zieht über die Bodenwelle, und ich bummele weiter durch den herrlichen lichten Bestand, mich an den stolzen Eichen, hochschäftigen Buchen, kräftigen Fichten und ragenden Birken freuend, bis der geschlossene Buchenwald mich aufnimmt mit seinem hellgrünen Bodenteppich, über dem überall die gelben Himmelsschlüssel nicken.

Auch dieses Stück Wald nimmt ein Ende; rotlaubige Buchenjugenden, schwarzgrüne Fichtenbestände, Buschwald mit buntem Bodenflor wechseln miteinander ab, hier und dort von kleinen grauen Steinbrüchen mit schön geschichteten, moosigen Wänden unterbrochen, aus denen ein Traubenholunder oder ein Rosenbusch die Zweige streckt.

Viele Wege führen von der Straße ab, jeder bietet Schönes und Feines. Gern folgte ich dem einen oder dem anderen, doch meine Zeit ist um, und ich steige den steilen, steinigen Pfad hinab, der mich aus dem jungen Frühlingswalde hinausführt in die alte Stadt, in deren Gärten es überall singt und klingt, wie allerorts jetzt zur Osterzeit.


 << zurück weiter >>