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Die Böschung

Quer durch die Heide zieht sich der Kanal, der die Wasser des Moores dem Flusse zuführt.

Er ist so tief in das Gelände eingelassen, daß seine Böschungen hoch und steil sind. Deshalb ist es dort meist überwindig und darum herrscht selbst dann, wenn die Luft rauh über das übrige Land geht, noch allerlei Leben, zumal der Rand der Böschung mit Föhren, Birken, Eichen und allerlei Gebüsch bedeckt ist und ihre Flanken an den meisten Stellen ausgedehntes Sandrohrgestrüpp trägt.

Neulich, als es zum ersten Male über Nacht hart gefroren hatte, das Heidkraut von Reif starrte und das meiste von den Faltern, Fliegen, Bienen und Käfern, das tags zuvor noch lustig sein kleines Leben geführt hatte, tot dalag oder sich verborgen hielt, sah es an der Böschung gar nicht danach aus, als ob der Winter sich schon angemeldet habe.

Die Birken waren zwar binnen zwölf Stunden gelb geworden, die Eichenblätter hatten sich auf einmal gebräunt und die Espen hatten kohlschwarzes Laub bekommen. Die Silberrispen des Sandhalmes schimmerten aber noch in alter Pracht, die Moorhalmbüsche leuchteten wie goldenes Glas, an den Brombeeren waren nur wenige fahle Blätter zu sehen und hier und da fristete noch eine Blume das Leben, hier die rubinrote Karthäusernelke, da das goldene Mauseohr, dort die blaue Knaule und daneben die weiße Sumpfschafgarbe.

Als die Sonne dann den Reif abgetaut hatte und den Boden anwärmte, schwirrte und flirrte es da, wie zur sommerlichen Zeit. Mordwespen suchten Raupen und Spinnen, um sie mit ihren Giftstacheln zu lähmen und in ihre Bruthöhlen zu schleppen. Spinnen huschten zwischen den borstigen Grasbüscheln über den feinen, weißen Sand, hier schlich ein Rüsselkäfer, da rannte ein Sandläufer, Schlammfliegen sonnten sich auf den Föhrenwurzeln, Bienen und Hummeln naschten an den letzten Blumen, große dicke Raupen in samtenen, mit Gold verbrämten Pelzen krochen langsam über das silbergraue Renntiermoos, dickköpfige Grillen wagten sich aus ihren Löchern hervor, kleine Heuschrecken zirpten zum letzten Male, viele Sandfüchse flatterten an den nackten Stellen, ein Zitronenfalter taumelte an den Büschen entlang. Köcherhafte und Florfliegen rafften sich zu einem kurzen Fluge auf und sogar Wasserjungfern schwirrten hin und her. Auch auf dem Ameisenhaufen krimmelte und wimmelte es noch, ein Eidechschen lag breit und behaglich in der Sonne, ein junges Kreuzkrötchen kroch hurtig über die Moospolster und jagte auf Mücken, und ein Grasfrosch schnappte nach Schmeißfliegen.

Alle dieses kleine feine Leben nahm aber nach und nach ein Ende, als Nacht für Nacht der Frost über die Heide fuhr und als dann der schwere kalte Regenguß kam, da war es ganz aus damit. Was sich nicht zu bergen wußte, wie die Käfer, Eulenfalter, Florfliegen und Ameisen, das brachte die Kälte um oder tötete der Regen. Gegen Mittag, wenn die Sonne heiß gegen die Böschung scheint, schwirrt wohl noch einmal eine Fliege, kriecht ein Käferchen dahin, und die Wintermücken spielen dann in hellen Haufen über dem Sande und steigen auf und ab; all das andere kleine Getier wird aber erst wieder sichtbar, wenn der Winter aus ist und die Frühlingssonne die Böschung bescheint. Dagegen mangelt es dort nie an anderem Getier. Vor allem sind es die Vögel, die die Büsche mit Leben erfüllen. Ein Meisentrupp nach dem andern, meist von einem Spechte geführt und von Goldhähnchen begleitet, rispelt und krispelt in den Föhren, Birken und Eichen umher, Dompfaffen suchen das Gebüsch nach Beeren und Knospen ab, Krammetsvögel halten dort Rast, und so ist es da fast nie still und leer.

Geht die Sonne zur Rüste, ziehen die Krähen laut quarrend unter dem goldenen Himmel ihrem Schlafwalde zu, fallen die Goldammern in die Eichenbüsche ein und rascheln lange in dem dürren Laube, ehe sie die Augen zumachen, fällt die Amsel zeternd in die Schlehdornen, dann tritt ein heimliches Leben an die Stelle des offenbaren. Aus ihren Bauen schlüpfen die Kaninchen heraus, sichern lange an dem Eingange der Fahrten und rücken zu Felde. Ihnen nach folgt der Hase, der sich den Tag über in dem Sandrohre geborgen hielt. Dann erscheint die Eule und streicht die Böschung auf und ab, der vielen Mäuse wegen, denen die Sandrohrkörner reiche Nahrung bieten. Enten kommen angeklingelt, fallen am Ufer ein und schnattern es nach Fraß ab. Feldhühner rennen den Fußsteig entlang und huschen bei der Brücke über den Fahrweg. Gern treten die Rehe dort herum, um die Brombeeren zu verbeißen. Das Hermelin sucht die Kaninchenbaue ab und würgt, was es greifen kann, desgleichen der Iltis, der unter der Brücke wohnt, und der Fuchs, der in den Heidbergen sein Gebäude hat, schleicht allnächtlich hier umher, weil er jedesmal gute Beute macht, und alle paar Tage spürt sich der Otter auf dem Sandwege, und die Reste von Döbel und Hecht zeigen an, daß er nicht umsonst gefischt hat.

Wenn die Sonne dann wieder über den Berg kommt, wenn der Nebel von dem Kanale weicht, die Goldammern ihre Schlummerbüsche verlassen und zu Felde fallen, geht das laute Leben wieder los. Dann lacht der grüne Specht, der einen Stollen in den Ameisenhaufen getrieben hat und sich darin vollfrißt, der Häher kreischt, der Zaunkönig schmettert sein Liedchen, Hänflinge, Grünfinken und Stieglitzen machen halt, wenn sie hier vorbeigestrichen kommen, die Elster nimmt für einen Augenblick Platz, ehe sie nach der Abdeckerei fliegt, der Bussard lauert, ob er nicht das Wiesel betölpeln kann, das unter dem Durchlasse haust, und allerlei Meisenvolk tummelt sich im Buschwerke.

So geht es in der rauhen Zeit tagein, tagaus. Ist aber der Winter zu Ende, werden die silbernen Kätzchen an den Weiden zu goldenen Flämmchen, entfalten die Kohmolken am Ufer ihre großen gelben Blumen, wandern die Pieper aus Nordland auf der Rückreise am Kanal entlang ihrer Heimat zu, dann wacht auch das kleine und feine Leben wieder auf und es blitzt und flitzt und schwirrt und flirrt und flittert und flattert und summt und brummt von früh bis spät an der Böschung.


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