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Die Strohdieme

Mitten im kahlen, verschneiten Felde steht die Dieme groß und breit da, und so protzig, als sei sie stolz auf die weiße Haube, die ihr der letzte Schneefall verehrt hat.

Hundert Schritte von ihr führt der Weg entlang, der von der Vorstadt nach dem Walde führt, und auf dem tagtäglich viele Menschen hin und her gehen. Kaum einer von ihnen sieht nach ihr hin. Was ist denn auch weiter daran zu sehen? Es ist ja nur ein Haufen von gedroschenem Stroh.

Das ist wohl wahr. Aber sie ist doch mehr, als nichts und weiter nichts denn ein Haufen toten Strohes. Sie ist eine Herberge und Schlafstätte für vielerlei Getier, das da entweder sein heimliches Leben führt oder ohne Besinnung die harte Zeit verträumt, bis im Frühling, wenn die Dieme abgebaut wird, die Sonne das, was unter ihr schläft, aufweckt.

Schon im Vorherbste, als die Dieme eben gerichtet war, und die ersten rauhen Winde und kalten Güsse über das Land gingen, rettete sich alles, dem es auf dem Felde zu kalt und zu zugig wurde, zu ihr hin, große und kleine Laufkäfer, Fliegen und Wespen, Kurzflügler und Ohrwürmer, Raupen und Eulenfalter, Asseln und Tausendfüße, Spinnen und Milben, Springschwänze und Erdflöhe. Sie alle krochen unter die unterste Strohschicht, krabbelten dort noch eine Weile umher und fielen, als der Frost einsetzte, in Schlaf.

Zu gleicher Zeit kamen die Mäuse angerückt, rötlichgraue, schlanke Waldmäuse, die schönen zimtbraunen, auf dem Rücken mit einem schwarzen Aalstrich geschmückten Brandmäuse, die zierlichen Zwergmäuse, die plumpen, kurzschwänzigen Feldmäuse. Sogar Ackerspitzmäuse stellten sich ein, denn Fraß für ihre spitzen Zähne boten die vielen schlafenden Kerbtiere zur Genüge, auch wurde mehr als eine kranke und schwache Maus ihre Beute.

Vor der Dieme liegt ein mächtiger Haufen Kaff, den die Dreschmaschine unter sich ließ, und der zu einem guten Teil aus Unkrautsamen besteht. Da war anfangs Tag für Tag ein lustiges Leben; Haus- und Feldspatzen, Gold- und Grauammern, Hänflinge und Grünlinge, Buchfinken und Haubenlerchen gaben sich dort ein Stelldichein. Das lockte dann den Sperber, der alle paar Tage angestrichen kam, um die Dieme herumschwenkte und mit einem Vogel in den Griffen dem Walde zuflog. Späterhin löste ihn der Merlin, der Zwergfalke aus Lappland, ab. Wie ein Blitz war er zwischen den Finken und Ammern, und gleich darauf fußte er auf einem Grenzsteine und kröpfte seine Beute, ohne sich um die Menschen zu kümmern, die hundert Schritte bei ihm vorübergingen.

Gestern, als der Nordostwind aus dem Holze herausheulte und Schlackschnee über das Feld schmiß, war es still und öde bei der Dieme. Ab und zu ließ sich eine Krähe auf dem Rande des Daches nieder, spähte hinab, ob sich nicht eine Maus blicken ließ, und flog mißmutig weiter. Heute, wo die Sonne hell am blauen Himmel steht und das leichtverschneite Land bescheint, ist allerlei Leben bei der Strohburg. Bald hier, bald da huscht eine Maus hervor, sonnt sich ein Weilchen und schlüpft wieder in ihr Loch, wenn der Schatten einer Krähe auf den Schnee fällt oder ein Trupp Spatzen herangebraust kommt. Eine dicke Waldmaus, die von der Dieme nach dem Kaffhaufen will, paßt nicht auf, und die graue Krähe, die schon eine Weile gelauert hat, packt zu, faßt sie und streicht mit ihr fort, verfolgt von zwei Rabenkrähen, die ihr hungrig quarrend den Raub abzujagen suchen.

In der dünnen Schneeschicht am Fuße der Dieme sind allerlei Spuren sichtbar. Über Nacht ist der Fuchs, der in dem eine Meile weit entfernten Forst seinen Bau hat, hier gewesen; deutlich zeigt der Schnee seine Spur. Dann sind die zierlichen Eindrücke des Wieselchens da zu sehen, ferner die Spuren von Katze und Hund. Sie alle sind auf Mäusejagd gewesen. Sogar den Igel hat der Hunger aus seinem Unterschlupf in der Dornenhecke herausgetrieben; seine Spur führt rund um die Dieme hin. Die schöngeperlte Feder, die an einem dürren Unkrautstengel hängengeblieben ist, stammt von der Schleiereule, die nächtlicherweile vom Kirchturme aus der Dieme einen Besuch gemacht hat, wo sie mit dem Kauze zusammentraf, der vom Walde herkam und der die große Flügelfeder verlor, die dort im Schnee liegt. Auch ein paar Rehe haben hier herumgetreten, den Schnee vor dem Kaffhaufen geplätzt und das ausgewachsene Getreide abgeäst.

Die Goldammern, die eben auf dem Kaffhaufen herumsuchten, wo ein Hund oder der Fuchs nach Mäusen gescharrt hat, stieben plötzlich empor und hasten davon, und auch das Haubenlerchenpaar, das vor der Dieme umhertrippelte, flattert von dannen, denn von der Hecke her kommt ein schlankes, schneeweißes Tier mit blanken, schwarzen Augen angehüpft, das Hermelin. Nach fünf bis sechs Sprüngen macht es jedesmal halt, richtet sich auf, äugt umher und rennt dann weiter.

Jetzt ist es bei der Dieme angelangt, findet mit seinen Spürborsten sogleich heraus, wo es bequem einschleichen kann, und fort ist es. Nun wird Todesschrecken unter den vielen Mäusen herrschen, die in der Dieme wohnen. Das wird ein banges Geflitze und Gekrabbel sein und ein ängstliches Gerenne und Gerutsche. Schon ist das weiße Mörderchen wieder da; hochaufgerichtet sitzt es und hält eine noch mit den Hinterfüßen zappelnde Brandmaus zwischen den scharfen Zähnchen. Einen Augenblick sieht es sich um, dann hüpft es mit seiner Beute der Dornhecke am Feldgraben zu, wo es gerade noch rechtzeitig anlangt, um der Krähe zu entgehen, die danach aus der Luft herunterstößt. Vor Schreck hat es aber die Maus fallen lassen, mit der die Krähe nun abfliegt. Kaum hat sie die Maus hinabgewürgt, da streicht sie mit wütendem Geplärre der Dieme zu, auf der sich ein heller Rauhfußbussard niedergelassen hat; es paßt ihr nicht, daß er dort auf Mäuse lauert. Schnell sind noch drei andere Krähen da und schnarren den gutmütigen Fremdling so an, daß er es für besser hält, sich von dannen zu begeben.

Im Frühling, wenn der Bauer Strohmangel hat und die Dieme abbaut, werden die Mäuse nach allen Ecken und Enden auseinanderflüchten. Viele von ihnen werden die Hunde greifen, andere die Knechte totschlagen; die meisten aber werden entkommen. Dann wird die Dieme auch ihr schlimmstes Geheimnis offenbaren. Anderthalbhundert schrecklich abgemagerte Frösche und Kröten werden die Leute dann vorfinden, die der Iltis, der sich an der einen Seite des Strohberges eins seiner Winterlager gewühlt hat, im Herbste zusammenschleppte und hier aufspeicherte für schlechte Zeiten, nachdem er jedes Stück durch einen Biß in das Kreuz gelähmt hatte. Nur wenn tagelanger kalter Regen ihn festhält, frißt er davon, und so quälen sich die unglücklichen Tiere viele Monate zwischen Leben und Tod hin.

Einige hundert Menschen gehen täglich an der Dieme vorbei. Kaum einer von ihnen wirft einen Blick danach hin und keiner weiß, wie vielerlei Leben sich in ihr und um sie abspielt, stilles, friedliches Leben, bittere Not und schreckliches Elend.


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