Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Morgens um sieben Uhr kam ich zu Hause an

Die Mutter war glücklich. Ich blieb eine Stunde in der Stube, dann bekam ich mein Arbeitszeug und ging mit den Brüdern in die Werkstatt. Das Leben wurde wieder eintönig, der Vater lag zeitweise krank im Bett, zu Weihnachten gab es wieder Kesselreparaturen. In der Neujahrsnacht streifte ich durch den Volksgarten, traf in der Morgenfrühe die Musikantenbrüder Bongart, als sie von einer Festlichkeit heimkamen. Als ich nach Hause kam, fragte mich die Mutter, ob ich schon in der Messe gewesen wäre.

Die erste Woche dachte ich nur an die Arbeit. Als ich die Brüder Bongart am Sonntag wieder traf, ging ich mit ihnen nach Haus, und wir verabredeten gemeinsame Musikabende. Der Geiger mußte fleißig üben, er sollte zum 1. April im städtischen Orchester angestellt werden. Das war ein Sprung: aus der Buchbinderbude in eine Schar von Künstlern! Der Klavierspieler komponierte und hatte zwei Gesangvereine, die er dirigierte. Der Zeichner sollte auf die Kunstgewerbeschule kommen, der Lithograph war schon auf der Zeichenschule. Alle brachten sie es zu einer Meisterschaft; ich fing wieder an zu dichten. Nun war ich fast keinen Abend mehr zu Hause, die Musik verscheuchte meine Gedanken, die mir von der langen Wanderschaft in die Enge der Familie folgten. An einem Theaterabend des Jünglingsvereins sah ich ein Mädchen – als ich damals ging, war es noch ein Kind – nun verliebte ich mich heftig in sie; ich dachte, ich hätte mich nie mehr verlieben können – nun war sie da, die große Liebe, die mit einem Hieb alle Gedanken in eine andere Richtung brachte. Jetzt schwärmte ich durch den Vorfrühling, nur noch das geliebte Mädchen vor Augen.

In der Musik fand ich mein jubelndes Herz wieder – Konrad spielte, seitdem er nicht mehr in die Fabrik mußte, den ganzen Tag; ich verbummelte die Arbeit, lag bloß noch draußen oder bei dem Freunde. Eines Tages begleitete ich ihn zur Stadthalle, er sollte schon jetzt ein Sinfoniekonzert mitspielen. Um Mittag wollte ich ihn wieder abholen. Als ich kam, traf ich ihn nicht mehr an, er hatte während der Probe einen Ohnmachtsanfall bekommen und war nach Haus gebracht worden. Nach einer Operation im Krankenhaus kam er wieder nach Hause. Eine Woche blieb ich an seinem Bett, und kam nicht aus den Kleidern. Ich sah, wie er alle Tage schwächer wurde. Am Sonntag fing er an, im Fieber durcheinander zu reden. Dann befiel ihn die Angst vor dem Tod. »Meine Gesundheit liegt im Buchbinderkeller begraben – ich will nicht sterben!« schrie er einen ganzen Tag lang ohne zur Ruhe zu kommen. Da legte ich mich zu ihm ins Bett. In meinem Arm wurde er still; er schlief, solange ich ihn hielt, erwachte, wenn ich ihn losließ. Auf einmal sagte er: »Komm, Hein, jetzt spiel ich dir etwas vor, was du noch nie gehört hast!«

Er stand auf, ging ins Musikzimmer, nahm die Geige, nickte mir zu, hob den Arm, schwankte – und fiel um. Ich griff ihn, zog ihn auf das Sofa, wir betteten ihn zurecht. Er atmete noch ein paarmal hart auf, dann streckte er sich aus und war tot.


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