Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Wenn viel Arbeit in der Werkstatt war

mußte ich aushelfen, wo es nötig, war wenig da, so mußte ich einen Mann ersetzen. Für die Ferien sparte der Vater mir allerhand Kleinigkeitsarbeit auf: die Schrauben aufzudrehen, die Nieten zu sortieren, Arbeit, für die ein Mann zu schade war. Ich bekam eine Kiste vor den Schraubstock gestellt und ließ die Muttern mit einem Wendeisen die Spindel herunter- und hinauflaufen. Manchmal mußte ich aber schwer daran reißen. Dann schnappte das Eisen über und schlug mir feste an die Backen oder an den Kopf. Das gab Beulen und blaue Flecken. Die Hände waren ganz mit Öl und Dreck verschmiert und auch Sonntags nicht sauber zu kriegen. In der Kirche mochte ich die Hände nicht auf die Bank tun, ich schämte mich.

Manchmal fehlten Kleinigkeiten beim Arbeiten, ich mußte dann zur Stadt, sie beim Eisenhändler zu holen. Weil die Arbeit wartete, lief ich, wie ich war, mit schwarzen Händen und rußigem Gesicht. Da hielt mich ein Schutzmann fest. Er wollte mich zur Wache bringen. Ich dürfte noch gar nicht arbeiten, ich stände noch unterm Kinderschutzgesetz. Ich fing zu weinen an, mitten auf der Straße sammelten sich die Leute und machten soviel Spektakel, daß der Schutzmann mit mir in die Eisenhandlung ging und sah, was ich holen mußte. Es war kaum ein Pfund Eisen. Der Inhaber sagte, daß ich in der väterlichen Werkstatt sei, da könne er nichts machen. »Dann wasch dich vorher und zieh dich sauber an!« sagte der Schutzmann, »wenn ich dich nochmal so treffe, wirst du mit zur Wache genommen und dein Vater bestraft.«

Ich sagte es der Mutter. Aber der Vater durfte nichts davon wissen, der hätte den Schutzmann durchgeprügelt und dann wär das Elend groß gewesen. Er wurde es doch gewahr und hat fürchterlich über den Staat und die Gesetze geschimpft.

Es war mir gar nicht arg, wenn die Gesellen schimpften. Sie taten es ja nicht mit mir. Der Lehrer schimpfte immerzu: »Du bist ein Nagel an meinem Sarge, du bist schuld an meinem frühen Tod, du bist der schlimmste Junge, den es auf Gottes Erde gibt.« Der Vater nannte mich einen Faulpelz und Daumendreher, Schlappschwanz und Feigling, ein Ungeheuer von Ungehörigkeit, einen Schmarotzer und Vielfraß, der das Salz in den Kartoffeln nicht wert, einen Lügner und Betrüger, der kein wahres Wort kenne. Zuerst hab ich das auch geglaubt. Was tat ich denn dem Lehrer Böses? Ich langweilte mich in der Schule, weil ich, ich weiß nicht woher, das alles kannte und konnte, was es da zu lernen gab. Ich wußte noch viel mehr, drum machte ich keine Aufgaben, sah zum Fenster hinaus und kam so spät in die Schule, als es eben ging. Mir war das ja alles so gleichgültig, es gab ja nie etwas Neues. Die Schulbücher ließ ich zu Hause, ich durfte es, denn es genügte, wenn einer in der Familie ein Schulbuch hatte. Es waren so viel arme Leute, die den Kindern keine Lernsachen kaufen konnten. Da sagten die Jungens einfach, ich hab kein Buch, das hat mein Bruder. Da mußte man zu Hause mit dem Bruder eingucken. Eigentlich sollte es von der Schule aus Bücher für die armen Kinder geben, es war aber nie Geld dafür da. Fast die Hälfte hatte keine Bücher. Warum sollte ich den Beutel voll mitschleppen? Wenn die Wut des Lehrers groß war, gab es vier feste Schläge in die Hand. Das war eine gemeine Quälerei. Verschiedene Jungens sprangen nach den vier festen Schlägen einfach zum Fenster hinaus, wenn der Lehrer die Türe zuhielt. Das Schlagen nützte gar nichts mehr, das Schimpfen noch weniger.

Der Vater begriff nicht, daß ich auch einmal, wie die andern Jungens, umherlaufen wollte. Wenn ich die Arbeit satt war, kam ich erst gar nicht nach Hause und der Vater suchte mich vergebens. Dann entschuldigte ich mich mit Ausreden, machte es noch schlimmer mit Lügen, die er nachkontrollierte. Ich beichtete die Lügen und gewöhnte sie mir ab. Wenn ich aber die Wahrheit sagte, war es noch schlimmer. So blieb mir nichts übrig, als soviel wie möglich in die Werkstatt zu gehn.

Es war aber auch viel Arbeit da: hundertzwanzig Dampf-Trockenplatten für Stoffdruckmaschinen. Die Leute, die nichts davon kannten, fragten: »Was ist das?« Weil man es nicht schnell erklären konnte, sagten die Gesellen: »Panzerplatten für Rußland!« Nun waren die Platten so weit fertig, daß die Nieten eingeschlagen werden konnten. Weil die Nieten nur zwölf Millimeter stark waren, wurden sie kalt geschlagen. Da war auch das Stockhalten einfacher: Man setzte sich auf einen Klotz unter die Platte, klemmte die Nietschraube zwischen die Knie, steckte eine Niete ins Loch und drehte mit der Hand die Nietschraube hoch. Dann fingen die Gesellen an, sie plattzuschlagen, bei jedem Schlag mußte die Schraube höher gerückt werden. Das geschah mit einem Pinn, der in ein Loch der Nietschraube gesteckt wurde. Mein Kopf war dicht unter den Platten, unter den Schlägen, die daberten und zitterten, krachten und gellten. In zwei, drei Minuten war eine Niete fertig, dann wurde die Winde losgedreht und vorgeschoben, wieder untergesteckt und nach einer halben Minute ging die Klopferei von neuem los; es gab keine Unterbrechung mit Heftschraubenlösen und Dorneinschlagen, weil vorher die Löcher ausgerieben und die Heftnieten eingeschlagen wurden. Das ging wie eine lebendige Maschine ununterbrochen voran. Ich war ein Teil dieser Maschine geworden und was nicht in die Tätigkeit gehörte, starb ab: die Ohren taubten, die Gedanken waren nur noch Loch und Niet, Wunsch und Sehnsucht, soviel wie möglich fertigzukriegen und zu verdienen.

Ich war ein Teil der Verdienst-Maschine, mir tat nichts mehr weh der Vater konnte nicht mehr auf mich schimpfen, der Lehrer hatte nichts mehr zu sagen, mit den Jungens hatte ich keine Streitereien.

Nur, daß ich am Sonntag müde war, zur Kirche ging und noch einmal in die Andacht. Dann ging ich nach Haus und blieb bei der Mutter.

Ich war kaum mit den Jungens von der Schule zusammengekommen, als die Kartoffelferien zu Ende gingen. Da sagte mein Vater: »Was sollst du noch länger auf der Schulbank herumliegen, du bist zwölf Jahre, frag deinen Lehrer, ob du nicht noch vier Wochen frei haben kannst, ich kann dich nicht entbehren.«

Ein neuer großer Auftrag brachte viel Arbeit. Jeden Tag kam eine Fuhre Eisen an, fünfzehn Gesellen wurden in der kleinen Werkstatt an verschiedenste Arbeiten verteilt. Das Schmiedefeuer brannte den ganzen Tag, der Vater mußte eiserne Rahmen, zwei Meter lang und einen Meter breit, zurechtbiegen und zusammenschweißen. In diese Rahmen wurden fast zweihundert Löcher gebohrt und zwei Platten von jeder Seite draufgenietet. Ein riesengroßer Kesselschmied aus dem Ruhrgebiet wurde Vorarbeiter. Er hatte rote Haare und einen roten Spitzbart, seine Stimme dröhnte lauter als alles Gehämmer und Geklopfe.

Nach einer Woche gab es Streit zwischen ihm und meinem Vater. Der Rote, wie er genannt wurde, hatte mich auf die Waage gestellt und als er nicht mehr als fünfundsechzig Pfund Gewicht herausbekam, sagte er zu meinem Vater, es sei eine Schweinerei, mich so arbeiten zu lassen, er müsse als Vater wissen, was er mit seinem Sohn vorhätte. Ein tüchtiger Arbeiter würde ich ja werden, daß sei klar, aber ich würde auch ein echter Sozialist werden.

Daraufhin verbot mir der Vater die Werkstatt, er sprach zu Hause mit der Mutter über mich. Ich solle überhaupt nicht Kesselschmied, sondern Techniker und Ingenieur werden. Ich müsse unbedingt auf die höhere Schule kommen.

Zu Ostern sollte ich in die Stadt aufs Gymnasium. Dieser Winter würde so viel Geld einbringen, daß es gut möglich sei. Morgen noch ginge er zu einem Ingenieur, der ihm mit Rat und Tat zur Seite stände.

Inzwischen hatte die Schule wieder begonnen. Dort langweilte ich mich so, daß der Lehrer mich fortwährend wegen allerhand Spielereien, die ich machte, ausschimpfte. Es war ein schöner Spätherbst. Ich hörte die Spatzen auf dem Schulhof lärmen, da fiel mir ein, ich könnte den Lehrer gut um vier Wochen Urlaub bitten.

»Den Urlaub kannst du haben,« sagte der Lehrer, »dann hast du wenigstens Zeit, unsern Heuwagen zu reparieren. Sag dem Vater, er solle auch die Reifen neu aufziehen. Wir brauchen ihn zur Kartoffelernte.«

Ich zog den Wagen nach Haus auf den Werkstatthof, kippte ihn um und ließ ihn liegen. Jeden Morgen nahm ich mein Butterbrot, ging in den Wald und kam zu Mittag zurück, aß und ging wieder los. Kein Mensch merkte, daß ich nicht in die Schule ging.


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