Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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An einem Winterabend

wurde ich in die Werkstatt geschickt, um Feierabend anzusagen. Als ich in das Tor trat, sah ich in einer Ecke ein Flämmchen, sonst war der große Raum vollkommen finster. Ich rief die beiden Gesellen mit Namen, – da schnappten mich zwei Hände, trugen mich hinaus und ich flog in hohem Bogen in die Wiese nebenan. Dann hörte ich einen Schrei, eine große Flamme machte für einen Augenblick die Werkstatt hell, – da kam Karl zurück: er trug ein brennendes Gefäß. Fluchen und Stöhnen drang aus der Werkstatt, langsam ging ich hinein und sah, wie Karl jetzt einen brennenden Menschen mit Säcken und Lappen bedeckte. Es war Peter, er wälzte sich am Boden: Karl riß seine Jacke aus und deckte sie auf die Flammen, die bald erloschen. Das Stöhnen im Dunkel wurde lauter, die Stimme Karls tröstete, während er auf dem Schmiedeherd ein Feuer hochzündete. Mich schickte er nach Haus, einen Arzt zu bestellen; nur die Mutter war da, sie lief sogleich zur Stadt. Ich schlich mich in die Werkstatt zurück. Karl schnitt die Kleider des Kollegen entzwei. Er goß reines Schmieröl auf die großen Brandwunden. Und nun hörte ich, daß Peter die Benzinlampe hatte füllen wollen. Er hatte die große Zehnliterkanne genommen, da die kleine Handkanne leer war. Als sein Kollege sah, wie die vorbeirinnenden Tropfen aufflammten, da griff er zuerst mich, warf mich vor das Tor, sprang dann zu dem Behälter zurück und trug ihn mit steifen Armen hinaus zu dem Löschtrog. »So hat es noch einmal gut gegangen. Ich trug den Tinn so, daß die Flamme abgetrieben wurde, – wie mir das glückte, weiß ich nicht. Sie konnte jeden Augenblick explodieren, und wir wären alle drei verbrannt.«

Spät in der Nacht kam der Arzt; er schimpfte, als er den Verletzten sah: seine verbrannten Hände und die tellergroßen Wunden auf der Brust waren von Peters alter Mutter mit schwarzer Schmierseife bestrichen worden. Er hielt diese fürchterliche Tortur aus, aber als der Arzt die Seife abwusch wurde der starke Mann ohnmächtig.

In den zwei Monaten, die Peter krank war, besuchte ich ihn oft, und nach Feierabend kam auch sein Kollege Karl. Es wurde natürlich viel erzählt, und wir wurden gute Freunde.

Als er gesund war, kam er wieder in die Werkstatt arbeiten.

Einige Monate später hörte ich einer heftigen Auseinandersetzung meiner Eltern zu. Meine Mutter verlangte, daß der Vater die beiden Gesellen entlasse, denn sobald ich mit der Schule fertig war, sollte ich in der Werkstatt arbeiten. Der Vater weigerte sich. Sie schrie die Verbrechen der beiden hinaus: Peter schwerer Einbruch: einundeinhalb Jahre Zuchthaus; Raub: fünf Jahre; Diebstahl: zwei Jahre. Karl: schwere Körperverletzung: zweieinhalb Jahre; Diebstahl: ein Jahr; Diebstahl im Rückfall: eineinhalb Jahre – »und mit solchen Menschen willst du deinen ältesten Sohn groß werden lassen!«

Ich verstand im Anfang nicht, was »solche« Menschen heißen sollte; wo ich nur konnte, fragte ich nach der Bedeutung von Zuchthaus, Gefängnis, Raub, Diebstahl. Die Antworten erschütterten mich.

Jetzt wußte ich erst, daß ich die beiden Menschen liebte. Aber nicht als Helden oder Verbrecher, sondern als Freunde, die ein Fluch Dinge tun ließ, die vom Richter bestraft wurden, so daß sie jahrelang hinter Mauern und eisernen Gittern sitzen mußten. Nun wußte ich, was es war, wenn sie von Derendorf und Werden an der Ruhr sprachen. Sie erzählten von ihren Haftstrafen und Gefängnissen, wie Soldaten von der Dienstzeit und den Garnisonen.

Mein Vater hatte sie nicht entlassen, aber eines Tages gingen sie von selber fort. Als sie zurückkamen, arbeitete ich weiter mit ihnen. Obgleich ich wußte, wo sie gewesen, fragte ich sie nie.

Einmal sagte Peter, als wir am Schmiedefeuer standen und auf die Schweißhitze warteten, ohne mich anzusehen: »Das passiert mir nie wieder!«

Eines Tages kam eine Frau in die Werkstatt. Sie hatte eine rote Bluse an. Peter gab mir die Hand, sagte Adieu und ging mit ihr fort.


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