Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Es war an einem schönem Herbsttag

ich hatte die Schürze voll Roßkastanien gesammelt, sie in Mutters Küche getragen und war dann wieder hinunter zum Spielen gegangen.

Die sonnenbeschienene Straße war in der Mitte weiß von Staub, an den Rändern grün und dunkel von den Chausseebäumen und in der Mitte zogen Karren und Wagen. Ab und zu kam auch die Pferdebahn.

An diesem Tag aber mußten die Fuhrwerke ganz auf die Seite fahren, denn eine große Schar Arbeiter hatte die Straße, von unserer Hausseite an, aufgeschlagen. Wenn die Pferdebahn kam, hielten die andern Wagen. Oft saßen die Räder in der Gosse fest, da gingen manchmal alle Arbeiter an die Räder, schrien und hoben den Wagen wieder auf die Straße. Der Kutscher schlug mit der Peitsche und die Pferde sprangen wild im Geschirr.

Um die Bäume herum wurden Rinnen gehackt, unter den grauen Steinen kam gelber Lehm heraus, der auf eine Schiebkarre geladen und weggefahren wurde. Zuerst haben wir in dem gelben Lehm gespielt, dann sahen wir, wie die Männer ein dünnes, breites Messer nahmen und an dem Baum vorbeizogen. Ein anderer Mann stellte eine Leiter an den Stamm und machte ein Seil in den Ästen fest. Als ich sagte: »Jetzt kriegt der Baum eine Schleife in die Haare!« lachten die Männer über mich.

Der Heinrichs Heini nannte das Messer Säge, sein Vater war Schreiner und hatte viele solcher Sägen. Ich sah diese merkwürdige Arbeit, die gar nicht voranging, neugierig an.

Da kam ein Mann mit einem großen Hammer und einem blanken Stück Eisen. Dieses Eisen setzte er in den Schnitt und hob den großen Hammer hoch. Ein anderer Mann klopfte ihm plötzlich auf die Schulter. Da ließ er den Hammer sinken, er wartete, bis wir Kinder von den andern Männern fortgetrieben waren. Nun standen wir in der Haustür, viele andere Leute standen im großen Kreis um den Baum, einige hielten das Seil fest, sie drohten uns mit der Faust, wenn wir nur den Kopf aus der Haustür steckten.

Als der Mann am Baum den großen Hammer nahm und ihn aufhob, da dachte ich gleich an den Mann, der das Pferd vor den Kopf schlug, daß es umfiel, ich sprang aus der Haustür und lief auf den Mann zu, ich ließ mich von hinten auf seine Schultern ins Loch fallen und hielt seinen Arm fest. »Du sollst den Baum nicht totschlagen, du darfst den Baum nicht totmachen, es ist mein Baum, der gibt mir seine Kastanien, das ist mein guter Baum!«

Ich biß dem Mann in die nackten Arme, ich kratzte ihn ins Gesicht, der Mann lachte und drehte sich nach mir um, ein anderer kam und packte mich an, da trat ich und spuckte, bis die Hände mich so fest um den Leib packten, daß ich nicht mehr schreien konnte. Ich wurde aus dem Loch getragen, da stand jemand da und wickelte mich mit dem Gesicht in die Schürze. Ich roch es, daß es Mutter war, sie trug mich die Treppe hinauf, ich wollte ans Fenster, schrie so lange, bis die Mutter mich hinsetzte. Da hob der Mann den Hammer und schlug zu, schlug immerzu, die andern Männer rissen an den Seilen; nun schrien die Leute auf, rannten weg und der Baum sank um. Es fing an zu krachen, die Zweige flogen am Fenster vorbei und wollten sich an dem Haus festhalten, es nützte nichts, die Männer rissen immer mehr, da lag der Baum auf der Erde.

Mir tat der Leib vom Schreien weh, ich hatte die Arme immer ausgestreckt gehalten, nun fielen sie mir ab, ich war müde und schlief bei Mutter ein. Am andern Tag sah ich zum Fenster hinaus, die Straße war nackt und zerrissen, keine Karren durften mehr fahren, in langen Reihen schlugen die Arbeiter die spitzen Picken in die Erde, die Schaufeln steckten ihre platten Hände heraus, streuten den Lehm auf den langen gelben Haufen, die Männer verschwanden in der Erde. Nun wurden weiße Röhren gerollt und in die Gruben hineingelassen. Auf einmal war ein Schienenweg gelegt, neue kleine Wagen kamen, darauf lagen große Eisenbahnschienen. Da bin ich wieder hinuntergelaufen. Wenn ich an den Eisenschienen leckte, schmeckte mir das viel leckerer, als wenn ich an den Kastanien biß. Nachher waren die Schienen überall rostig.


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