Heinrich Lersch
Hammerschläge
Heinrich Lersch

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Erwachen

Meine Hand war eiskalt geworden, ich hatte die Hand auf die Mauer gepreßt, ich lag im Bett, ich hatte geträumt, zwei Männer wollten durch die Mauer auf mich zu, sie wollten mich töten, ihre schrecklichen Gesichter standen noch vor mir.

Warum lag ich hier am hellen Tag im Bett?

Mein Hals war trocken, die Zunge war glatt wie Leder, zwischen den Zähnen und der Zunge, im Rachen und am Gaumen klebten Knötchen, die ich vergebens mit der Zunge abzustoßen suchte. Ich war müde auf der Brust, mochte gar nicht mehr atmen. In ganz kleinen Zügen ging die Luft, mir war, als brauchte ich überhaupt nicht mehr zu atmen. Die Füße lagen wie Bleiklumpen da unten, sie vergrößerten sich, nun verdrehten sich die Hände, die Arme, schwollen an, es kribbelte in den Knochen; mir war, als könnte ich mich gar nicht bewegen, nicht mal das Augenlid hob sich. Ich konnte auch nichts mehr denken. Vor meinen Augen ging eine Achse quer durchs Zimmer, das Zimmer war voll Nebel, wie voll Baumwollflöckchen, die Achse drehte sich, raste immer schneller, nahm die Baumwolle mit, die wuchs zu einem furchtbaren Ballen, zu einer großen Walze, die rundlief. Es mußte wohl Nebel sein, denn sie ließ das Bett stehn und tat mir nicht weh. Ich wagte nicht zu atmen, wenn ich nur etwas denken wollte, dann kam die Achse näher, ich hatte Angst, sie würde mir weh tun. Tat ich aber gar nichts, so war mir unbeschreiblich wohl, ich wurde schön und sah mit einem Blick eine wunderbare Landschaft, blauen Himmel und wunderbare Seen, gründunkele Bäume und weite Wiesen, die sich in dem Nebel oder der Baumwolle auflösten.

Ein andermal sah ich eine braune Erde, mit einem sonderbaren, rostbraunen Berg, die rote Abendsonne schien in das Gestein, die Luft war ganz braun und rot, der himmlische Frieden eines von Menschen unbewohnten Landes erfüllte mich. Auf einmal zitterte wieder die Baumwolle und fiel wie ein Schleier hinab, da war eine weiße Wand, sie bedeckte sich mit Buchstaben, die fielen wieder herunter und dann stand auf der großen weißen Wand gedruckt wie die Zeilen in einem Buch: »Erinnerung an Schöneres als ich. Ich seh es und sterbe.«

Nun erwachte ich.

Ich seh und sterbe?

Ich muß wohl geschrien haben, denn meine Mutter kam. Sie wischte mir mit der Schürze den Mund ab und fragte, ob ich essen wollte. Auf meinen Wunsch holte sie mir Wasser.

In der Zeit, als sie fort war, dachte ich an den Spruch: Erinnerung an Schöneres als ich.

Ist denn nicht alles in der Welt schöner als ich? Gibt es etwas Häßlicheres als mich? Klein, krank, dumm. Ein Schöneres gibt es, nämlich, wenn ich vergesse, wie dumm, häßlich und klein ich bin: wenn ich einem Menschen helfen kann. Wenn ich meiner Mutter helfen kann. Meiner Mutter und Rosa. Sie ist krank. Sie freuen sich beide über mich. Du bist mir schön und groß genug! sagt Rosa, wenn ich neben ihr stehe und messe, wieviel ich noch wachsen muß, bis ich so groß bin wie sie. Du bist mir stark genug, sagt die Mutter, wenn ich arbeite. Nur für dich müßtest du stärker sein, meint sie hinterher, dann würdest du nicht so müde.

Die Mutter kam, gab mir Wasser, ich trank und wurde lustig.

»Denk nicht dran!« sagte sie, als die Hämmer in der Werkstatt anfingen zu schlagen, »denk nicht dran!«

In dem Moment spürte ich meine Brust. Sah für einen Augenblick den Brandau, wie er voll Haß nach mir schmiß; hörte die Stimme des guten Buchholz, der mich aufrichtete.

»Ich gehe mit hinunter, Mutter, wo sind meine Kleider?« sagte ich. Die Mutter reichte mir Stück um Stück. Im Anziehn, kniend auf dem Bett, sah ich auf das große Brachfeld, in die Stadt hinein und hörte die Hammerschläge vom Wald als Echo herüberschallen.

Am Rand der Kiesgrube blühte der Ginster.


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