Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Auszüge aus Briefen

An Herrn Lavater in Zürch.

»Ein großer Kopf leuchtet für die Nachwelt sanfter und wohltätiger als für seine Mitwelt: Menschen, die an dem Vesuv der Freiheit und des Lichts schnell auf dem zurückrollenden Boden auflaufen, stoßen denen die losen Steine auf den Kopf, die hinter ihnen klettern. – Ich glaube, von diesem brieflichen Gedanken mach' ich einmal gedruckten Gebrauch; wie ich denn wünschte, daß mehrere Sie nachahmten und frappante Gedanken, die sie in Briefe verstreuen, daraus sammelten und dann publik machten etc.»

An Madame **.

»Aber oft, wenn ich ein so junges liebes Herz, das auf dem Avers voll religiöser Wünsche, voll zweiter Welten und Gottheit ist, umwende, so find' ich auf dem Revers einen hübschen jungen Menschen eingeätzt, so wie etwan gewisse geschnittene Steine (die sogenannten Skarabeis) auf der vertieften Seite eine Gottheit eingeschnitten zeigen und auf der erhabenen einen wohlgetroffenen - Käfer. Sehen Sie doch bei den Herzen Ihrer Demoiselles Töchter nach!« –

An den Kammerherrn **.

»Sein Sie ohne Angst und hoffen Sie mit mir, daß es nur Spaß ist. Wie die Sparter zwar der Furcht Anbetung und Tempel weihten, sie aber selber nie im Krieg und Frieden hatten: so dürfen wir beide uns damit beruhigen, daß Ihr Hof die Religion gewiß nur mit Hofkirchen und Hofpredigern und Kirchenmusiken versorge, ohne sie selber im geringsten zu haben.« –

An den vornehmen Handelsherrn in B.

»Jetzt, mein Teuerster, kosten die Weiber den Ehemännern fast nichts; aber sonst, in der Universalhistorie, waren sie schlimm. Welche Frau will, wie sonst die persische Königin vom persischen König, eine besondere Provinz zur Anschaffung ihres Halsschmuckes, eine andere für den Gürtel haben usw.? Beim Himmel! der vollständige Anzug einer Frau mit allen ihr inkorporierten Pretiosen kostet jetzt weniger, und mit dem ganzen Vermögen, das etwan ein mittelmäßiger Handelsherr besitzt, getrau' ich mir sämtliche Schulden seines Weibes abzustoßen; das sah ich am besten, sooft einer der Frau wegen fallierte. Überhaupt leidet ein ordentlicher Mann nicht sowohl unter dem Schuldenmachen als unter dem Schuldentilgen. Denn jenes ist nichts als eine stille Vergrößerung seines Kredits, dieses merkantilischen Elementargeistes, und wer eine halbe Million schuldig ist, der hatte offenbar eine halbe Million Kredit; und Schuldbriefe sind bloß akzeptierte Kreditbriefe. Das Rad der Fortuna fährt den Stehenden und rädert den Liegenden. Inzwischen etc.«

An Herrn von – – in – im –.

»Von großen Menschen sollte eine gewisse Milde, Bescheidenheit und eine auf Geringfügigkeiten merkende Menschenliebe – und dieses ist eigentlich die Höflichkeit – noch seltener geschieden sein als von mittelmäßigen, wie Leuten von langer Statur durch ihre abgebrochnern, eckigern und mißfälligern Bewegungen das Tanzen nötiger wird als Zwergen. Jene Menschenfreundlichkeit ist die Mosisdecke über dem strahlenden Angesicht; eine Art Menschwerdung, die uns an ihnen so erquickend tut als mir in meiner Jugend an der Sonne das ihr eingemalte Menschenangesicht im Kalender.«

An einen Administrator der preußischen Witwenkasse.

»Wir verabscheuen unsere Fehler nicht eher oder stärker, als wenn wir sie verabschiedet haben, wie uns unsere körperlichen Absonderungen nicht eher zuwider sind, als bis sie keine Teile unsers Leibes mehr vorstellen.«

An J. P.

»Am Ende sind witzige Ähnlichkeiten so wahr als scharfsinnige. Witz ist vom Scharfsinn nicht durch den kleinern Grad der entdeckten Ähnlichkeit verschieden – denn Ähnlichkeit als solche ist bloß Gleichheit von weniger Teilen, mithin ohne Grade –, sondern durch die kleinere Zahl derselben, die sich meistens noch auf unbedeutende Zufälligkeiten beziehen. Daher gewährt oft beim ersten Anblick eine scharfsinnige Erfindung das Vergnügen einer witzigen, weil man an ihr noch nicht aller der Ähnlichkeiten ansichtig geworden, die sie zu einer scharfsichtigen erheben. Daher sehen vielleicht höhere Wesen das bunte glatte dünne Band, das der Witz spielend um schöne Formen wirft, mit beiden Enden um die Schöpfung laufen; daher mag ihnen unser Witz oft Scharfsinn dünken, und unser Scharfsinn Witz, z. B. dieser.« –

An den Redakteur und Schulrat Stiefel in K.Teufels-Papiere S. 330.

»Die ganze gelehrte Welt sei langsam, nur kein Rezensent. Es ist schändlich, das Urtel über einen gedruckten Inkulpaten so lange aufzuschieben, bis er im Gefängnis verschieden ist, und, wie Moses, nur toten Sündern Ehrenstrafen anzutun; noch häßlicher ists, einem Werke wie dem Dichter Tasso erst ein paar Tage nach dem Tode einen Triumphwagen zu geben und so das Wesen mit dem Weihrauch mehr einzubalsamieren als zu parfümieren. Der Bücherrichter, der auf diese Art das Urteil nur bestätigt und wiederholt, welches das Publikum längst gesprochen hat, gleicht dem Jüngsten Gericht, das uns alle erst in die Hölle wirft oder in den Himmel, nachdem wir schon mehrere Jahrtausende in beiden gesessen. Bedenkt man noch die zeitige Hinfälligkeit der Novitäten, deren größte Anzahl an ihrer Anzahl sterben, deren viele an ihrem Geburtstage und andere an ihrem Verleger den Geist aufgeben, deren einige durch ein frühes Alter und wenige durch Würmer hingerafft werden: so ärgert man sich grün und gelb, daß die Rezensenten mit ihren Fliegenwedeln und Fliegenklappen und Fliegengiften ein paar Stunden nach Sonnenuntergang anlangen, wenn die Eintagsfliegen schon lange maustot sind. Besonders können die Romanenschreiber darauf bestehen, das das Gesetz Karls des GroßenCarol. M. LL. §. 58. in Mösers patr. Phantasien., das an Gerichtstagen die Armen zuerst anzuhören und abzufertigen anbefiehlt, ihnen ganz zustatten komme, es sei nun, daß man es von Gehirnkammern oder von Speisekammern auslege. Bloß zweierlei Werke brauchen gar keinen schnellen Tadel: die Musenkalender, die das Publikum von den Autoren, wie die Sineser andere Kalender von dem Kaiser, nehmen muß, und die als bunte Schaugerichte auf den Toiletten aufgesetzet stehen müssen ohne Hinsicht auf Eßbarkeit – und die Lust- und Qualspiele, welche kein Mensch lieset, aber jeder (sie mögen verurteilet sein, wie sie wollen) besucht und aufführt und die stets den Gerichtsweg vom Buchladen zum Kramladen, vom Gefängnis zum Richtplatze mit Ehre und Ruhm unter der Begleitung von vielen tausend gerührten Zuschauern und des lachenden Pöbels zurücklegen. – –

Überhaupt kann man in unsern Tagen nichts zeitig genug loben, und man hat keine Minute zu passen. Z. B. An einem Fürsten würd' ich die vielen Regententugenden, von welchen die Reisenden abreisen und erzählen, nach meiner Art erheben, wenn er noch Kronprinz wäre; ja ich setzte – weil er da um so weniger durch Reden verdorben wäre je weniger er es selber noch könnte – ihm schon, wenn er als zartes Kind das Ordensband umbekömmt, meinen Lorbeerkranz für alle undenkliche Zeiten auf. – Wer einer jungen Residenzstädterin für die unbefangenste Unschuld, für die gänzliche Unkunde aller Eroberungskünste und Prätensionen das gehörige Lob zu zollen wünscht, der lasse Butter am Feuer stehen und zoll' es, ehe sie öffentlich auftritt und ihren ersten Walzer austanzt. Ist das Mädchen von höherem Stand, so geb' er ihr den Preis mit der Milch, wenn er Amme ist. – Ein jüdischer Proselyt, der gleich den Metallen oft zwei Sakramente bekommt, indem er nämlich wie Gold von Juden beschnitten und wie Glocken von Christen getauft wird, muß wegen seines echten Christentums schon beim ersten erhoben werden, wenn der Prophet EliasBei der Beschneidung stellen die Juden immer einen Stuhl für ihn hin, damit er darin dem Sakramente zusehe. dabeisitzt und die Sache bezeugen kann. – Die Jakobiner, die wie die elf Apostel lebten und wie der zwölfte verschieden, haben wir alle zu ihrer rechten Zeit hinlänglich verherrlicht; hingegen bei dem Teufel war nie der rechte Zeitpunkt zu erwischen: denn schon mitten unter seiner Schöpfung hätte man ihn bekränzen müssen, weil er sogleich im zweiten AugenblickDie Scholastiker fochten untereinander, wenn der Teufel – ob im ersten oder zweiten oder dritten Momente seines Daseins – das erstemal sündigte. Damen, die nicht bis zur Quelle, nämlich ad 2. dist. 5. et 1. Thom. q. 63. art. 6. steigen können, verweis' ich bloß auf Voetii Sel. disput. P. I. p. 919. darauf – ja Steuchus Eugubinus meint gar, es war der erste – sich in Sünd' und Schande wälzte und sein eigner Versucher gewesen war. –

Mein Wunsch ist nur der, daß Bücher wenigstens so früh gelobt werden wie der Teufel, so daß sie nicht mit der selbstrezensierenden Vorrede, sondern mit der Rezension selber anfingen, wiewohl es immer besser wäre, wenn die Literatur- und jede andere Zeitung von 1798 nichts rezensierte als Werke von 99, und wenn alle Autoren sich untereinander verschwören, nichts herauszugeben, als was vorher mit Beifall öffentlich angezeigt und aufgenommen worden wäre. – Falls Sie das erwägen, mein Stiefel, usw.« –


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