Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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»Liebe Tochter!

Der Prior kam gestern von Jerusalem zurückgeritten, ich fragte ihn aber nicht gern um das dictum vexatum, weil er so müde war, daß er nicht mehr sitzen konnte, wie sein Esel auch. Die zwei italienischen Spitzbuben sind eingefangen: der eine hatte die TürschlösserIn Haleb sind nach Russel die Schlösser hölzern und die Türen eisern. in Brand gesteckt, um einzubrechen, und der andere hatte, als seine Braut mit zugeleimten Augen vor ihm saß, ihre Habseligkeiten unter seine verpackt und damit fortgewollt. – So giftig sind die Menschen, wohlriechende Palme meines Lebens! Aber ich und du sitzen im Schatten der Ruhe und unter dem Himmel der Frömmigkeit und schauen das Antlitz der Erde an, aus dem ihr Schöpfer wie eine freundliche Seele hervorsieht; besonders sind viele Zitronenbäume an meinem Zellenfenster schön. Wir müssen aber in unsrer Naturgeschichte heute fortfahren.

Wir habens schon gestern geliebt, daß Gott in die Vögel den Trieb der jährlichen Wanderung eingesenkt, hernach in die vierfüßigen Tiere und auch in die Heringe – heute kommen wir auf die Edelleute und die Reichen. Der Trieb zur Wanderung offenbaret sich bei ihnen erst in ihrem dritten Jahrzehend und hält sich an keine Zeit, wie auch Feldmäuse und Heuschrecken oft zu ziehen anfangen, ohne daß ein Mensch weiß warum. Ein alter Prinzenhofmeister sagte mir, wenn man im dritten Jahrzehend einen Edelmann einsperrte – z. B. in eine ritterschaftliche Bibliothek, wo es warm genug wäre, oder in ein Burgverlies –, so würd' er seine Zeit wissen und traurig werden und hinauswollen; und ließ' man ihn dann doch nicht nach Frankreich und Italien ab: so würd' er wie jeder Zugvogel sich unbeschreiblich alterieren. Denn gleich den Vögeln müssen die Strich- und Zug-Menschen der Wärme wegen aus dem kalten Eng- und Deutschland in die warmen Städte in Süden gehen, weil sie schon in den Zwanzigern wissen, wie wehe das Alter tut. Ich muß dir sagen, Orangenblüte des Herzens, daß man sonst mit Mühe kaum im siebzigsten Jahre alt wurde, daher wenige ihr Alter erlebten: jetzt aber erleben die meisten ein schönes hohes und ehrwürdiges Alter, weil es früher kommt, bei sehr vornehmen Leuten schon in der Jugend, und Prinzen wird es angeboren; daher sie gleich nach der Geburt schon Ordensbänder und andere Würden des Alters gern bekommen. Ungemein gesund ists, sagt Haller, die Jugend zwar in einem kältern Klima zu verbringen, das Alter aber in einem wärmern.

Gottesfürchtige Naturforscher gebens auch noch für eine besondere Wohltat für notdürftige Länder aus, daß – so wie die Heringe vom Nordpol oder doch von dem Meersboden zu den Hamen der Holländer und Franzosen heraufreisen müssen, um von selbigen teils eingesalzen, teils geräuchert zu werden, weil sie Holland jedes Jahr mit einem Gewinst von einer Million Taler absetzt – daß gleicherweise vornehme und reiche Söhne durch einen besondern Naturtrieb gezwungen werden, nach Paris, Marseille, Neapel und die umliegenden kleinen Häuser zu gehen, um dort von tausend armen Menschen gefangen und aufgezehrt zu werden. Und wie an den blitzenden Schuppen der Heringsfischer nachts leicht abmerkt, wohin er seine Netze zu werfen habe: so sind die Geldstücke solche silberne Schuppen des Zug-Menschen, die man nachher abschuppt wie an Spiegelkarpfen, und durch die man sehen kann, wo man Fischreusen und Hamen hinzuhalten habe.

Du mußt es noch von gestern wissen, daß die Zugvögel in warmen Ländern nicht brüten, erstlich weil wirs hier in Syrien sehen müßten, zweitens weil sie sonst in Europa mit abgemausten und abgenutzten Federn und mit Jungen zurückkämen, welches doch nicht ist. – Aber die Zug-Junker und Zug-Kapitalisten brüten in den fremden Ländern stets; sie bringen zwar keine Jungen nach HauseDer französische Adel, der uns jetzt die Gegenvisite macht, kann – so wie er eigentlich seinen ersten Ursprung von den Franken hat – auch seinen neuesten von seinen jetzigen Wirten haben, die sonst seine Gäste waren; und das gallische Freudenland, durch welches so viele deutsche Lehne offen wurden, kann uns jetzt vielleicht mit Lehnsvettern nachhelfen., aber an der Mause ihrer Haut ists zu sehen. Daher sind die wiederkehrenden Lerchen fett, Strich-Menschen aber fallen bei ihrem Wiederstrich so mager aus wie die verdorrte Hand, die der Mann im vorigen Evangelio am Arme hatte.

Einige Naturforscher berichten, daß viele streichende Patrizier ein giftiges Herz mitbringen, in welchem viel Unkeuschheit und GottesleugnungIch halte diese Verleugnung bloß für eine Verehrung: in den höhern Ständen ist die Achtung für den Namen des Unendlichen so groß, daß niemand ihn – wie die Juden den Namen Jehova – unter Leuten und außer dem Kirchenstuhl zu nennen wagt; und wie die Juden dafür lieber Adonai, Elohim usw. sagten, so weicht man jenem Namen (auch in Schriften) durch Natur, Schicksal, Materie, Himmel, Götter aus. Ja wie die Hebräer den Jehova nur in der heiligen Stadt, in Jerusalem, aber nicht in den Provinzen aussprechen durften: so lässet man umgekehrt in einer Residenzstadt – der unheiligen Stadt – den göttlichen Namen nicht gern über die Zunge gehen, sondern lieber in feinen Landstädten; und nach dem Abdruck dieses Buchs kann der Name gar schon auf die Dörfer verlegt sein. sein soll; aber Ferber bezeuget ja gleichfalls, daß auch die Wachteln in Neapel nach ihrer Ankunft acht Tage lang giftig sind, daß aber die Wachtel von jeder Wöchnerin zu essen ist, wenn sie mit Korn gefüttert worden. Wahrscheinlich schwitzen auch die Streichmenschen ihren Gift auf einem gesunden Boden aus.

Es wird zu wenig bemerkt, daß der Wanderungstrieb nicht bloß den norwegischen Bergmäusen eingepflanzet worden – damit sie durch ihr hartnäckiges Fortsetzen des geraden Weges ihren Untergang finden –, sondern auch vielen Wanderungsmenschen, die vielleicht, ohne ihre Neigung zu krummen Wegen, der Erde lang beschwerlich wären: so aber reiben sie sich bequem selber auf, und die Lungensucht, die oft auf Schiffen verloren geht, wird in Reisewagen leicht gewonnen.

Das sonderbare Phänomen, warum – da doch bei Mäusen, Heringen, Vögeln die Weibchen mitgehen – nur die Normänner und nicht die Norweiber nach Paris durch Instinkt getrieben werden, wie man etwan nach Europa nur Papageienmännchen und keine Weibchen einbringt, erklär' ich so:...«

 
Die Konklusion hatte der Inspektor zerschossen.

Die meinige besteht in den Fragen: wenn die vornehmen Weiber sich ohne die große Tour ausbilden, warum ists den Männern unmöglich? – Kann die Rückfracht zweideutiger Kenntnisse wohl die Stationsgelder, die Diäten, die Spesen, den Schwindel und das Ekeln von der Bewegung und die Gefahr des Halsbrechens bezahlen? – Sollte man nicht wenigstens mehr reisen, um vernünftiger, als um vernünftig zu werden, und früher in die Bücher – und in die Jahre dazu – als in die Länder kommen und sich wie die Bienen auf dem Flugbrett, vor dem Ausflug nach Honig, erst die Augen säubern? – Könnte man nicht Leuten von Stande, die ihr Geld außer Landes verspielen, vertrinken, verh... und verfressen, und die ohne einen Heller Abzugsgeld in die Invalidenkasse sich in das Invalidenhaus hineinleben, es zur Pflicht machen, im Lande zu spielen, zu h..., zu blasphemieren und zu verschwenden? – Und gilt mein Ausfall auf die Reisen, die nur sonst durch die Schwierigkeit und Entlegenheit der Kultur gerechtfertigt wurden, nicht auch mit allen seinen Gründen gegen die Universitäten? –


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