Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Herrn von Kökeritz fand ich auf dem Dutzendteich, nämlich im Wirtshaus darneben: alle Welt war da, besonders die gelehrte, die schöne, die große, und stand freundlich in Konjunktion oder doch im Gedritterschein und tanzte recht. Kökeritz tanzte um jede, aber mit keiner. Unter der Wärme der Freude wurden bald die steifen Sitten biegsam, und sogar zwei Käppleinmacher und drei Peitschleinmacher hatten das Herz glücklich zu sein; aber Kökeritz war zu verdorben, um eine andere Freude zu achten als die scheinbare. Er tat vor zwei Weisheiten die Arme ineinander und die Beine auseinander und packte die Reichsstadt an, ihren Mangel an Welt, ihren Überfluß an Zeremonien usw. Das litt ich nicht, ob ich ihn gleich über die Weste zu fragen hatte. Ich reise zwar nie durch eine Universität, ohne mich am üppigen Stolze der kräftigen Jünglinge zu ergötzen und sie mit der Baumwolle zu vergleichen, bei welcher ebenfalls das Auflaufen unter dem Auspacken das Zeichen einer jungen frischen ist; aber ungemein komm' ich in Harnisch, wenn ich den vornehmen Voyageurs und ihrem Aufblähen einer welken schlaffen Jugend begegne, und wenn ich sehen muß, wie der böse Feind diese Ritterpferde – wie Zigeuner andere dürre – vorher, eh' er sie zu Markte reitet, durch Aufblasen in beleibte umsetzet, als wäre Wind Luder. – Ich erklärte daher, ich wäre zwar selber aus Paris, fänd' aber den Charakter Nürnbergs moralischen als den des Jahrhunderts; ich pries besonders drei Dinge: den Zimmer-Purismus der Leute – weil Reinlichkeit, Fleiß und Eingezogenheit und Möbeln-Ordnung Ordnung der Triebe ansagt, wie wir an Briten, Holländern und Deutschen im Gegensatz der Franzosen sehen –, ferner ihre frohe Emsigkeit – und endlich sogar ihre Höflichkeit, die freilich bei wohlwollenden Menschen furchtsam und bei eingezognen (wegen ihres seltenen Gebrauchs) etwas steifschettern ist, indes Weltleute sich einander vielleicht bloß darum so leicht und frei behandeln, weil sie einander wenig lieben und achten. Niemals, setzt' ich dazu, tut man der Reinlichkeit, der Emsigkeit und dem Zeremoniell mehr Unrecht als in der Jugend. Kökeritz meinte, ich persifliere, und wollte parlieren: aber ich parlierte nicht, weil ich glaubte, da die Deutschen aus Höflichkeit in Paris unsere Sprache reden, so müsse ein Franzos in Nürnberg ihre sprechen.

Noch immer bin ich nicht bei der Weste; aber der Leser sieht, daß der Patrizier unter die Menschen gehört, die sich wie Mausgift mit jedem Metalle vermischen, und die wie gewisse Bilder (z. B. die Affen im Plafond des japanischen Tempels zu Sanssouci) jeden anzublicken scheinen, der sie anblickt: solche Leute, die aus Schwäche leichter die Freunde ihrer Feinde als ihrer Freunde sind, gewinnt man durch Versäumen am besten, und man fällt ihnen in den Rücken, wenn man ihnen seinen kehrt. Wenn er etwas logisch festsetzte, stieß ich es um. Ich sucht' ihm zu nahe zu treten durch die wahre Behauptung, daß man sogar in Paris, wenn man die höchsten und die tiefsten Stände auf beiden Seiten wegnehme, einen mittlern voll häuslicher arbeitender Eingezogenheit übrig behalte. Endlich focht er die Göttlichkeit der weiblichen Apokalypsis an und sagte, die Französinnen schienen, was die Deutschen wären, und nur die deutsche Wange, nicht die Seele erröte (wie der rote Wein sich nicht durch die Traubenfülle, sondern durch die gepreßte Hülse färbt). Ich sagte mit mehr Mäßigung, als ich von mir erwartet hätte: eine Deutsche müsse nicht bloß die Tugend, auch den Schein derselben haben – wie ein Kurfürst nach Frankfurt, gesetzt er wäre selber da, doch seinen Repräsentanten vom ersten Rang zur Wahl abschickt –, aber eine Französin sei, wie Bolingbroke den Swift nennt, oft eine umgewandte Heuchlerin und sei tugendhaft, ohne es zu scheinen! Er replizierte seufzend: umgekehrt wär's ihm lieber.

Bloß aus meinem Zorn über den eingerunzelten Gecken, der im Wirtshaus zum glatten Elegant, wie ein eingeschrumpfter Apfel im luftleeren Raum zu einem glatten, aufrief, haben die Kunstrichter es herzuleiten – und sonst aus nichts –, daß ich mich an den Ort, wo Semler die elendesten Werke durchlas, begab, um, wie ich pflege, da die besten zu machen. Der satirische Ableger und Absenker jenes Zorns und dieses Orts – es war ein syrisches Schreiben über den Wanderungstrieb der Edelleute – wird den Leser am Ende des Kapitels als das zweite Werk in Nürnberg erwarten.

Allein als ich wieder hineinkam, war der Patrizier gegangen, aber nur zu Schiff. Lesern, die nie auf dem Dutzendteich herumfuhren, ist vielleicht die Nachricht lieb, daß man das kann, und daß Gondeln am Ufer hängen, mit denen man als mit Brust- und Schwanzflossen unter andere Leute schwimmt. Kökeritz bestieg eben eine und ließ nicht sogleich abstoßen, da er mich kommen sah: ich war ihm eben durch meine Kriege zu merkwürdig geworden, als daß er nicht über mich eine Ovation – wobei er das Schaf machte – hätte erhalten wollen. Wir bestanden das Fahrzeug. Ich hielt mich lange neben dem gestickten Tierkreis seines Rumpfes still und schielte die Weste nur an, bis ich sah, daß ers auch tue im Wasser...

Damit die Kunstrichter nicht glauben, sie gewöhnen mir meine Extrablätter ab, so will ich auf der Stelle folgende Bemerkung und dadurch ein kleines machen:

Die Mädchen und gewisse Herren finden in jeder Sache einen Spiegel, gleichsam ein aus Folie und Glas bestehendes Bewußtsein des äußern Ichs, in jeder Fenstertafel, vor der sie vorübergehen, im Kaffee ohne Sahne, im Dutzendteich, in allem, was poliert und geschliffen ist, ja sie küssen oft ein Auge, um sich darin zu spiegeln. Mädchen tun es, weil sie sich für verfinsterte Sonnen ansehen, die man am besten in Spiegeln observiert; Herren setzen sich wie Fliegen gern auf Spiegel, weil sie, wenn sie reden, daran denken, wie es Lavater macht. Der Zürcher sieht nämlich unter seiner Kinderlehre unaufhörlich das schwächste Gesicht an, das er in der Kirche auftreibt, bloß um sich darnach den andern faßlich zu machen. Der Spiegelseher glaubt ebenfalls für die Gesellschaft verständlich zu sein, wenn er sich nach dem mattesten Gesicht, das er darin kennt, nach seinem eignen im Spiegel richtet und einzieht. Hat er keinen, so betrachtet er mit Pfauenaugen seine Füße. Überhaupt nimmt in unsern Tagen die Kurzsichtigkeit so zu, daß die feinsten Leute nur die nächsten Gegenstände, welches sie selber sind, erkennen und sich in Zimmern voll glänzender Wesen bloß auf das nahe Gebiet ihres Ichs, auf ihre Glieder und Kleider einzuschränken genötigt sehen. So weit mein Nebenblatt. –

Endlich war es Zeit, daß ich mich der astronomischen Weste ernsthaft näherte und über sie die Bemerkung machte, daß ein solcher Doppelmayerscher Stern-Atlas (ein gutes Wortspiel, denn die Weste war Atlas) jungen Mädchen mehr als der Sternenhimmel das astronomische Studium erleichtere, weil ers mehr ins Enge ziehe; »ich wollt',« setzt' ich dazu, »ich wär' auch ein seidner Sternenkegel!« – »Die Weste ist nicht ganz übel«, sagte der Patrizier. – »Allerdings ist sie übel,« (fuhr ich fort und zielte auf die getuschten Zwillinge und Tiere) »wenn die Sonne durch solche Frühlingszeichen geht und warm macht: wo ist nachher der echte Adonis vernalis, hier oder hier?« (Ich zeigte auf unsere beiden Zwerchfelle.) Und nun mußt' ich im gleichgültigsten Ton, der zu haben war – er sollte die fortlaufende Signatur des vorigen bekommen –, schnell fragen: woher er das Ding habe. »Von der Gräfin Georgette«, sagt' er zweideutig und hoffte, ich verwechselte sie mit einer deutschen. Es kam mir sehr zustatten, daß ich kalt fortfragte, als wollt' ich seine Antwort ergänzen –: »von der beim Metzger –?«... In der Überrumpelung sollt' er den Namen des Metzgers anschienen; aber nun sehe der Leser mein jetziges Glück und meine vorige Einfalt: Georgettens Mietsherr hieß nur Metzger und war keiner. »Ja, eben die beim Drechsler Metzger«, sagte der Zodiakusträger verdrüßlich. Ich war gleichsam ahnend von jeher allen Geschlechtsnamen, die etwas bedeuten, feind, z. B. Hofmann, Edelmann, Zimmermann, Seiler, Richter: wie schön hingegen ist einer von gar keiner Bedeutung, z. B. Goethe, Herder, Leibniz, Jakobi, Kant!

Nun war ich durch das ganze krumme Souterrain meines Labyrinths hindurch, und der blaue Himmel stand vorn an der Öffnung: denn wenn ich am Montag den Boten unter seiner ganzen Gewerkschaft herumfragen ließ, war mir da nicht die Kleine beschert? – Mit einem um 120 Pfund leichterem Herzen – ebensoviel wiegt auch mein ganzer Körper, welches meine künftigen Biographen wissen müssen – stieg ich aus der Gondel und vertauschte die Sternbilder des Patriziers gegen die, welche am Himmel entglommen. – Aber wie glücklich-langsam schritt ich fort! Wie ähnlich der schweren Biene, deren Meilenzeiger Blütenbäume sind, und deren Fracht aus Blumenstaub und Blütengeist mit der Länge des Flugs aufschwillt! Denn es war Sonntag, und halb Nürnberg war zum Tore hinausgefahren, und die andere Hälfte zum Fenster, um jener nachzuschauen – hier zog ein Leiterwagen mit einer geputzten lachenden Völkerschaft, dort ein dergleichen Elias-Wagen, der nicht gen Himmel fuhr, sondern davon kam – Schutzverwandte hatten zu EinsgennachtbürgernEins gen Nacht heißet die Stunde vor dem Tags- und Torschluß; Einsgennachtbürger heißen aus Scherz die Handwerker, die sich vor der Sperre noch ein wenig außer den Mauern belustigen. die Naturalisationsakte bekommen – über die Hallerwiese, den Judenbühel, die Johannisfelder müssen mehrere Menschen geflattert sein als Abendschmetterlinge – und jede Frau, die ein Kind im Hause und ein Gemüs-Beet im Stadtgraben hatte, ging mit jenem um dieses und besah den Segen Gottes.... Ich begebe mich mit meinen Träumen zwar gern in jedes freudig-klopfende Herz und zähle die schnellern Schläge, womit es wie eine Sekundenuhr den chaldäischen Skrupel des Lebens, der1/ 1080 Stunde beträgt, genauer und länger teilt – ja ich würde mich in ein frohes einquartieren, und stände ein metallenes Ordenskreuz als Drehkreuz davor –: aber noch tausendmal lieber eil' ich in eines hinter Sackleinwand; erfreulicher und inniger ist nichts als die ehrenvoll errungne Lustbarkeit eines emsigen gutmütigen Volks – ohne Argwohn und Arglist sind jubelnde Plebejer mit aufgeschlossenem Herzen so künstlich wie die Blätter der Pflanzen nebeneinander gestellt, daß sie Licht und Tau des Himmels vereint auffangen und sich einander nichts verbauen – und ungleich der bewölkten Jugend der Großen ist die gemeine heiter und warm, gleich dem Frühling des Wetters, der unter allen Jahrszeiten die trockenste ist – –

Nie setzt die Lethe alle Gedächtnissäulen tiefer unter Wasser als in folgenden drei Träumen: im Dichten – im Freuen – und im Träumen. Ich lag, glaub' ich, in allen dreien auf einmal, denn ich vergaß und überhörte den Garaus, dann die blasenden Hörner auf den Toren, welche die Sperre verkündigten – und mit Mühe vernahm ich die Feierglocke um neun Uhr.

Unter dem Läuten kroch ich zum Hallertürlein in die Stadt gegen drei Kreuzer Einlaß- oder Inseratgebühren. Aber welche Höllenfahrt nach dieser Himmelfahrt! Ich wußte nicht, wo die Mausfalle war. Ich hatte zwar das Seuttersche Sbozzo und Katastrum von der Stadt bei mir, aber ich konnte nichts darauf sehen. Es waren keine Laternen angezündet, erstlich weil man den Frühling – zweitens das erste Viertel hatte – drittens weil auch im Winter und Neumond keine angezündet werden, ausgenommen in den wenigen Gassen, worüber einige hängen – und viertens weil es nicht nötig ist, sondern überflüssig. Denn die eigentliche Straßenbeleuchtung geschieht von innen aus den Häusern heraus: die Gassen sind enge gebauet, und noch dazu ist an jedes Haus außen ein Reverberier-Spiegel befestigt und in jedes innen ein Talglicht, so daß alle Straßen, zumal enge und dunkle, durch die Lichter entgegenstehender Häuser (wenn die Fensterladen offen sind) nicht nur eine ganz gute Erleuchtung erhalten, sondern eine wohlfeile dazu, da die Einwohner noch nebenbei damit ihre Stuben erhellen und die Zimmerbeleuchtung ersparen, wie in manchen welschen Städten die brennenden Kerzen auf Altären zugleich statt der Laternen und den Heiligen dienen. Und bei einer solchen gemeinschaftlichen Illumination durch fünftausend Häuser oder Stuben-Reverberen würd' ich, das bekenn' ich, die etwanigen Gassen-Reverberen, so wenig ihrer sind, als Überfluß und Luxus (zumal unter dem alles kalzinierenden Kriegsfeuer) wieder ausblasen und ausschneuzen, wenn ich hinaufkönnte.


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