Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Rekommendationsschreiben für Lottos.

In unsern Tagen, wo man das Pflugrad für das einzige Reichtümer verdrehende Glücksrad hält und wo so viele Zahlenlottos eingehen, scheint es ein Verdienst zu sein, wenn man in satirischen Palingenesien wieder dartut, wie ungemein viel Lottos sowohl den Untertanen als den Fürsten eintragen.

Alles, was beide Teile davon zu fürchten haben, Stuß, ist das große Los, das oft – weil die Freude das Blut stromweise ins Gehirn aufspritzt – zugleich die Adern des Untertanen und das Lotto des Regenten sprengt. Ich stand dabei, als ein armer Schuster mir ein Paar Stiefel auseinandertreiben wollte und durch einen Kurier die Hiobspost einer gewonnenen Quaterne bekam: er fiel, von diesem ins Ohr gegossenen aurum potabile vergiftet, maustot um und war nicht mehr zu beleben. Noch mehr fiel dem Landesherrn der Verlust der Quaterne empfindlich, wenn er auch leichter den Verlust des Schusters verschmerzte. Allein hier kann man beiden Teilen aus der Mathematik dartun, daß eine gefährliche Quaterne oder gar Quinterne – wegen der besten arithmetischen Vorkehrungen – fast gar niemals, wenigstens in Vergleichung gegen die kleinern, für beide Parteien unschädlichen Gewinste, nicht so oft erscheine als ein großer Arzt, der nach Kardan alle hundert Jahre einmal geboren wird. Ich verweise hier Fürsten und Einsetzer und Ihn, Stuß, auf jenen Spaßvogel in der Schweiz, der ein Lotto errichtete, worin der Einsatz bloß in welschen Nüssen geschah – in kurzem war in der ganzen spielenden Gegend keine Nuß mehr zu haben, welches meines Bedünkens der größte Beweis ist, wie wenig man Nuß-Quaternen oder nur –Ternen zog.

Gesetzt sogar, das Unglücksrad haspelte diesen roten und weißen Arsenik hervor: so ist doch das eine Art von Trost, daß diese giftige Basis mit einem solchen corrigens von Erschwerungen und Beschneidungen versetzt und aus einem aurum potabile zu einem so unschädlichen aurum fulminans gemacht wird, daß der Verfasser und Vorleser dieses ohne Furcht vor dem Freudentod erbötig ist, das aurum zu nehmen und zu erwarten, was wird.

Jetzt will ich zeigen, was der Untertan, besonders Er, vom Lotto hat. Mit dem Verbieten der ausländischen will die Regierung kein schlimmes Licht auf innere werfen; sie gleicht nur einem Herrn, der aus guten Gründen den Hofhunden von keinem Fremden Brot anzunehmen erlaubt. – Hoffnungen sind gleichsam die menschlichen Besitzungen in der neuen Welt der Glückseligkeit, und ich glaub' es leicht, daß jener Lord seine jährlichen Hoffnungen nicht für 500 Pfund hingeben wollte. Im Lotto werden nun der ärmern Klasse des Volks – da der Staat unmöglich jedem solche teuere und große Hoffnungen wie Personen von Geburt und Verdienst anbieten kann – mancherlei und selber die ansehnlichsten Hoffnungen (Hoffnungen von 5 fl. bis zu Hoffnungen von 100 000 fl.) für wenige Groschen zugestanden. Der Fürst selber behält sich keine vor: denn was er dabei gewinnt, ist der Einsatz, aber keine Hoffnung: vielmehr hat er bei jeder Ziehung die kleine Furcht, viele Auszüge, wo nicht gar eine Ambe zu verspielen, die der Untertan als Überschuß und Zugabe seiner Hoffnung einsteckt. Dieser hingegen kann nie mehr verlieren als seinen Einsatz. Dabei bereichert Er noch, Stuß, viele sogenannte Landaussauger, die Er, sowie auch Spieler, Glücksritter und selber Rechtsgelehrte und Kaufleute einer gewissen Art, nicht eher und leichter vom Halse bringt – so daß sie aufs Land ziehen und aufhören –, als bis Er sie satt gemacht, so wie Schröpfköpfe von selber abfallen, wenn sie nur voll sind. Das hat nun die ärmere Volksklasse vom Lotto.

Aber ohne Vergleich mehr bringt es dem Regenten selber ein, lieber Mann! Das Glücksrad ist das beste Schöpfrad, das auf der einen Seite das Vermögen des Volks einschöpft und erhebt und es auf der andern vor die regierenden Füße niedergießet. Überhaupt kommen mir die Staatsbürger, die um den Thron stehen und die zu empfangen scheinen, indes sie wirklich geben, gleich den künstlichen marmornen Tieren in PalermoKleine Reis. 3. Band. vor, die aus dem Becken des Brunnens das Wasser, das sie hineingießen, auszusaufen scheinen. Gerade vom ärmern Teile des Volks, der nur Schutzgeld steuert, erhebt das Lottodirektorium eine wahre Kopfsteuer, und die fünf güldnen Mäuse der fünf Nummern, die der arme Teil von den Philistern zu fangen hofft, höhlen, in lebendige verwandelt, dessen ganzen Brotschrank und Brotsack aus. Es wäre leicht, Fürsten, die zum Lotto angefrischt sein wollen, in ganze Dörfer zu führen, die dadurch an den Bettelstab kamen und alles einbüßten; so daß also der nutzlos herumfliegende Goldstaub recht glücklich in einen einzigen Goldwürfel geschmolzen war, oder richtiger, daß der unwirksam unter tausend Häusern wie ein Dunst versplitterte Reichtum sich in der Lottokasse wie der gefallene Rhein zu einem Strome zusammengezogen hatte, der nun Maschinen treiben konnte. Aber so urteilen wenige Kameralisten.

Ich frage Ihn noch, Meister, ob wohl das Lottospiel die Neigungen weniger und kürzer festhalte als jedes andre Spiel. Oder läuft nicht vielmehr einer, den das Glücks-Spornrad sticht, wie in Rom die mit Stachel-Blechen besetzten Pferde, immer hitziger fort und verdoppelt Schritte und Stiche zugleich? – Und was kann mir hierauf ein Mann wie Schlözer entgegensetzen? – –
 

»Oder auch einer wie Er, Stuß?« beschloß ich. »Ich merke wohl,« versetzt er, »Sie blasen mit dem Bernecker Biergast in ein Horn.« Aber nun übersetzt' ich erst meine Sprache in seine.

Wir trabten lange fort, und niemand bemerkte etwas als der Bote, daß der Weg und das Bier besser werde, und als ich, daß der Schritt die Blumen und die Blätter größer mache. Mir ist nichts Schöneres bekannt, als mitten in einen elenden Nachwinter voll Blätter- und Baumskelette eingefroren zu sein und einige Poststationen von sich den reifsten Vorfrühling voll belaubter grüner Welten zu wissen und dann (wie ichs jährlich mache) auf einmal wie Grundeis aufzustehen, mitten in den ausgebreiteten Frühling hineinzuschwimmen und darin zu schmelzen, indes man doch noch immer zu Hause seinen Retour-Lenz stehen hat. Ja ich könnte einem reichen Engländer eine Marschroute angeben, worauf er von einem Frühling in den andern, durch zwölf jährliche Maimonate zu reisen vermöchte; so wie ich gegenüber dem ewigen Juden eines solchen ewigen Frühlings einen andern Pilger könnte einen ewigen Herbst bereisen lassen.

Aber noch mehr erhob ich den Wärmteller unsers erkältenden Lebens, die laue Frühlingserde, als ich unweit Benk vor einer Wiese vorbeizog, aus der ein armer, in ein großes mütterliches Wams eingeknöpfter Junge bettelnd zu mir lief, nachdem er vorher ein Wickelkind, das sich an ihn suchend und durstig nach der ersten Wässerung des Lebens an die leeren Danaiden-Milchgefäße seiner Brust andrückte, ins Gras geschoben hatte. Die Mutter machte weiter unten den Bach zur Waschwanne und den Zweig zum Trockenseil. Ich suchte mit diesem Terzett, das ein elendes Lebens-Miserere aufführte, in Verbindung zu geraten. Die junge, aber hagere welke Mutter – von deren Laiterie das Wickelkind den Kopf vielleicht ebenso durstig abwendet als von der brüderlichen – sagte vor mir aus, der Große (der, an dem das Wams als jakobinischer Rock herabhing) sei von einem Bauernsohne und das Kleine von einem Fröner – beide hätten sie geehlicht, hätte jener seinen Freischein, dieser den Konsens des Gutsbesitzers ausgewirkt –, sie bettele sich ins Hohenfließische (genauere Nachrichten von diesem Fürstentum streu' ich in meinen Titan ein), und sie verlasse sich mit ihren armen Würmern (beschloß sie mit jenen kalten Tränen, die bloß über einen so oft erzählten und wiederkäueten Jammer fließen) auf Gott und gute Leute. Nie treibt in mir das Mitleiden seine Seufzer und seinen Rausch aus innern Tränen höher als auf Reisen; und ich weiß recht gut, daß ich es aus dem Kontraste der großen Natur und des Genusses und aus der Entkräftung durch Gehen herzuleiten habe. Äußerst grimmig blickte ich, nach diesem aufgeführten Lagrimoso, auf die Weidenallee vor mir hin, weil mir einfiel, daß sonst an ihr eine Warnungstafel mit einer gemalten Hand unter einem gemalten Beile gestanden und durch dieses Terroristen-Schlachtstück Weiden-Frevlern ihre Amputation vorgemalet habe: »Wie?« (fuhr ich fort) »solche Malefiz-Hackstöcke für Weiden-Totschläger erschrecken uns mitten in der gütigen Natur; indes die Großen die wahren Eckstämme und Brotbäume des Staats, den eigentlichen Reichsforst (das Volk) ausästen, abrinden und zur Harzscharre und zu Bierzeichen verbrauchen und ihnen, wie die Gärtner den Gurken, die männlichen Blumen nehmen. Ich sollte reden dürfen.« Als ich mich ebenso gerührt als erzürnt von der Doppel-Braut geschieden hatte, fiel mir der Nutzen des Frühlings und Sommers besonders auf: »Beide geben doch«, sagt' ich, »diesen armen leeren Gläubigern des Reichtums, diesen kriechenden Krüppeln ohne Krücken eine weiche trockne Wiese, ein freies Logis am Tage, eine warme Stube, ein blumiges aufgelockertes Unterbette, einige Landschaftsgemälde und zuweilen eine Blume – nein, im Winter ists zu hart, wenn ein Mensch den andern draußen lässet.«

Sechs oder sieben Schritte davon richtete sich in einem Gebüsch ein erwachender Junge auf und hielt mir seine Hand heraus, damit ich etwas hineinwürfe. Ich stellte mir vor, er sei der dritte Teil der Buße des vorigen Weibes und verberge (nach dem Bettler-Anti-Nepotismus) seine Verwandtschaft aus dem Grunde, warum sie andere erdichten, um zu erben: »Ich habe deiner Mutter erst gegeben«, sagt' ich. Er versetzte pikiert, er gehöre nicht dort zum Bettelvolk, er sei aus Benk und spinne, nur heute und morgen trag' er Brot zusammen. Einer, der Sonntags reiset, kanns unmöglich behalten, daß es Sonntag ist: der kleine Lazarus brachte mir nur mit Mühe bei, daß wir Ostern hätten, wo die religiöse Statik seines Spinnrades die seinige aufhebe, weil er an Sonn- und Festtagen die Schuld des Lebens nicht wie an Werkeltagen spinnend abzusitzen, sondern bettelnd abzulaufen habe. Ich halte es leicht geheim, die Rührung, die ich vom leidenden verwelkten Kleeblatt mitgebracht, kam der kleinen und noch dazu ehrgeizigen und also doppelt elenden Läuferspinne neben mir sehr zustatten, die so lange Fäden aus Geduld und Baumwolle ziehen mußte, eh' sie darin ihre dünnen Viktualien zusammenfing. – Ich lockerte mich sogar durch Wortspiele weicher auf und durch Belesenheit, indem ich mich bemerken ließ, wie wenig Benk, das nach Professor LangsLang. Opuscul. hist. pontif. relig. vestig. in superior. Burggrav. Norici terr. apparent. exhibituri Particul. I. Ableitung von einer Bank an einer Quelle für Wallfahrter nach Harsdorf den Namen bekam, dem feurigen armen Teufel eine Bank oder eine Quelle gebe, höchstens eine Ruderbank und eine Hungerquelle – Und dann stellt' ich um den Jungen die ganze eingesperrte verdorrende Poularderie von armen Kindern, die mit ihrem feurigen Geäder und zuckenden Nervengewebe aufs Spinnrad geflochten werden – den ganzen Tag hungernd und mehr von den Gespielen als der Mutter erbettelnd – in die schwarze Höhle der Spinnstube geklebt – neben geißelnden Kerkermeistern und Mitarbeitern von allen Kinderspielen durch ihr Stachelrad getrennt – bleicher als ihr Garn, ohne zu erbleichen – schlaff, müde, nur durch umtreibenden Magensaft noch eingeölt, unreif und wachsend ohne Jugend – und das auf einer Erde, wo die Jugend doch die Villegiatura des Lebens ist, und wo wir uns mehr laben, indem wir uns umschauen, als indem wir vorwärts blicken – – ich will mich nicht mehr nach dem kleinen Benker pauvre honteux umsehen; aber ihr Menschen, o! macht nur wenigstens die Menschen glücklich, die es am leichtesten, am unschuldigsten, am längsten werden, die Kinder!Das frohere Kind ist überall das bessere, und die Not ist die Mutter der Künste, aber auch die Großmutter der Laster.  –

Als ich vor Baireuth kam, das so heiter wie ein Lustlager vor mir war, ging ich um dasselbe herum: bloß den Hornrichter ließ ich mit dem Furierzettel im Gasthof zur Sonne um das Zimmer anhalten, worin einmal Siebenkäs und Leibgeber (s.  3. T. der Blumenstücke) gewohnet und geliebet hatten. Ich aber zog nach Eremitage, fast bloß um wieder abends nach Hause zu gehen, wie Siebenkäs in der Biographie, und um, wie er, vorher durch das Baumdorf Johannis zu kommen: ich flicke ungemein gern die von mir geschriebnen Bocks- und Trauerspiele selber als Forcerollen in mein Leben ein und bin der Theaterdichter und die spielende Truppe zugleich.

In Eremitage saß Baireuth ohne die Häuser – gedeckte Tischchen unter Bäumen standen als Sozietätsinseln da und teilten den langen bunten Flor in Rabatten ab – ein Konzerttisch setzte die Passionsgeschichte derer, über die man sprach, in Musik von Graun – alle Ostergäste saßen in himmlischen verklärten Kleidern aus dem Heiligen Grabe erstanden da – ich allein sah' in meinen aus, als wollte man mich erst in eines senken.

Schon überhaupt brachte es der Verfasser der Palingenesien durch allen Kleider- und Schneider-Wechsel nie dahin, daß ihm sein Habit so glatt und nett gesessen hätte wie einer Statue das nasse Gewand – entweder saß er an wie ein Wappenrock, oder er war defekt wie ein Leichentalar – ja und wenn die ganze Pariser Schneider-Gilde mir einen vollständigen Anzug anmäße und sich auf den Tisch setzte und ihn in Kompagnie ausnähete und steppte, so bin ich überzeugt, ich würde doch, wenn ich ihn abbekäme, darin aussehen wie ein gekrönter Kaiser in der Dalmatica, der Alba, der Stola und dem Chormantel und Schweißtuch. So ergeht es schon meiner Parüre.

Im demi-negligé und en chenille fahr' ich noch schlechter. Eben in Eremitage trug ich einen Staub- und Pudermantel von Überrock, worin ich durch seine Außenwerke und Eckschränke voll Papiere für zweite Editionen einen solchen Abstich mit den ins reine geschriebnen Baireuthern machte, daß einer und der andere mich heimlich auslachte. Das nahm ich mir sogleich vor zu erwidern: ich setzte mich an ein leeres Trinktischchen, stellte den Stockknopf darauf, zog die Handschriften aus den Arbeitsbeuteln und arbeitete öffentlich unter den Bäumen Satiren um. Sooft ein paar Leute vor dem Schreiber im Nachtmantel mit höhnisch-verzognem Munde vorübergingen, besserte er die Papiere wilder um und flocht den persönlichen Raptus ein. Um des Himmels willen greife man literarische Passanten sanft an: sie kehren sich sonst stößig und beißend wie angeschossene Elefanten gegen die Stadt und trampeln auf den Negernhütten herum! – Die Arbeit ist zugleich mein viertes Werk vor Nürnberg und kommt jetzt herein unter dem Titel:


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