Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Sechster Reise-Anzeiger

Fata: die Monatswesten – das Haussuchen nach Georgetten – der Elegant und roué von Nürnberg – der schöne Sonntag auf dem Dutzendteich – Nürnbergs Beleuchtung – der Meistersänger – und seine Werkstatt – meine Not mit meiner Tochter
Werke: syrisches Schreiben über den Wanderungstrieb der Edelleute

»Der Teufel oder der heilige Sebaldus klaube und suche aus 219 Gassen« – sagt' ich und rechnete nicht einmal die Gäßchen und die »Reyhlein« mit – »ein Emigranten-Mädchen heraus, aber ich nicht! Sie kann ja in der Zistelgasse wohnen – oder auf dem Hübnersplätzlein – oder auf dem Gräslein – oder im Würzelein – oder im Albrechtsgäßchen – oder im Pfeifergäßchen oder in gar keinem mehr, sondern im Himmel schon.« – Wenn ich ein Federmesser, oder einen Gedanken, oder irgend etwas Verlornes nicht sogleich finden kann, so überlass' ichs dem besten Leit- und Trüffelhunde, den es gibt, dem Zufall. Da ich noch dazu der Reichsstadt als Comte Sebaud de Bataillon vorgestellet war: so konnte ja wohl Georgette durch Zufall von ihrem Herrn Vater hören oder er von ihr. – –

»Der ehrlichste Finder ist der Zufall«, sagt' ich auf einmal ganz froh: sein Fund war aber nicht die Comtesse, sondern ein Mittel, sie zu finden; ich besann mich nämlich, daß sie Westen stickte. Nun hatt' ich weiter nichts nötig – um das verhehlte Kind zu finden in seiner Anziehstube –, als aus meiner auszurücken und die drei Kaffeehäuser und den Schießgraben und andere öffentliche Plätze zu bereisen und mit meinen Augen eine Fackeljagd oder ein Krebsleuchten nach allen in Seide eingesponnenen Torsos anzustellen und jeden gestickten Rumpf zu loben und zu fragen: woher er die nette Weste habe.

Um der Sache Anstrich zu geben, legt' ich selber eine gestickte Aprilweste an. Ich trage nämlich nicht, wie andere oder die zwei Pole, bloße Winter- und Sommerwesten, sondern Märzwesten, Maiwesten usw., indem ich auf jede (und warum ists in Gedichten anders?) gerade die blühenden Blumen des Monats nähen lasse. Im März z. B. hab' ich Schneeglocken, Leberblümchen und Krokus am Leibe, im Mai trag' ich amaryllis formosissima, viola matronalis und einige Kaiserkronen. Die Aprilweste zieh' ich am liebsten an, weil einige Rabatten von Ranunkeln, Baldrian und adonis vernalis darauf in Blüte stehen.

Ich handelte die fünf topographischen Blätter Matthias Seutters an mich und wollte darnach in der Stadt den Weg einschlagen: ich ließ deswegen den Hornrichter zu Hause; desto ungelegner kam es mir, daß ich bloß wie ein Müller dem Pegnitzstrome nachzufolgen und dann durch das Wassertor einzubeugen brauchte, um ins Wöhrder Kaffeehaus, wohin ich gedachte, zu kommen. Ich weiß nicht, ob der Leser mit solcher Lust wie ich seine Marschrouten in Gassen nach solchen perspektivischen Aufrissen macht: genug ich fand mit dem unnötigen Furierzettel in der Hand zu meinem Verdruß das Haus.

Es war nichts da – Westen wohl, aber keine gestickten. In den andern Kaffee-Laiterien waren zwar fünf gestickte Westen da, aber aus Frankfurt. Ich machte mich nun auf kostspielige Entdeckungsreisen in die Weinschenken – in den Schießgraben – in die Hallerwiese – in den Judenbühl. Ich verlor die Zeit und beinahe den Verstand. Hab' ich mich nicht einmal mit einem magern Schreiber in ein einfältiges Gespräch über die preußische Justizverfassung und über die Wünschelruten und Rutengänger eingelassen, bloß weil er eine mit Wurmsamen, Hungerblümchen, Bauchblume (Lisianthus), Wassernabel (hydrocotyle), Purgierflachs (linum catharticum) und Blasenmoos (splachnum) gestickte Weste trug und ich erfahren wollte, woher er sie hatte? Und hab' ich nicht einen Losungsherren (wenns nicht ein Landpfleger war), der Teufelsabbiß, unserer lieben Frauen Bettstroh (Galium verum), Tripmadam (Sedum reflexum), Feldkatzengesicht (Galeopsis Ladanum), fette Henne (Sed. telephium) und Hundswürger (cynanchum) anhatte, unmäßig erhoben und hab' am Ende auf mich gezeigt und gefragt, was sei dieser adonis vernalis gegen ihn? Und tat ichs nicht der Comtesse wegen – und wurde zwar nicht in den 1sten April geschickt, aber doch in den 22sten, 23sten, 24sten, 25sten, 26sten, 27sten und 28sten? –

Denn den 29sten oder vorletzten ging es ganz anders, und vollends den letzten oder den Sonntag.

Die Hölle Klopstocks wurde wie (nach einigen) Herkules in drei Nächten geschaffen, aber meine in allen jenen sieben Apriltagen: der Leser höre! Ein dreifaches banges Abarbeiten, wie das unter dem Alpdrücken ist, wenn man sich aus dem Schlafe aufringen will, trieb mich auseinander, es betraf außer Georgetten noch Herminen und Leibgebers logischen Kursus. Letztern anlangend, so waren meiner satirischen Säe- und Eggemaschine die Pferde abgespannt, und ich konnte damit bloß ein paar elende kleine Beete bestellen, vor welche man den Leser in diesem Kapitel führen wird. – Jede blasende Post setzte ferner meine stille Pfennigs-Post, den Boten, in Bewegung, und er hielt in der Zehischen Buchhandlung um Herminens Briefe an und kriegte nichts: über dieses folternde Verstummen hatt' ich mich bisher zu oft ruhig gemacht, um es länger zu bleiben, besonders je näher der erste Mai anrückte, über dessen Gewicht dem Leser künftig mehr Licht zu geben ist. –

Und endlich die Gräfin dazu! – Denn als ich an öffentlichen Orten immer die Rede auf die Westen lenkte und das Examinatorium über ihre Offizin anfing: so merkten es endlich die Leute und stutzten über den Westen-Genealogisten und waren zweifelhaft, ob eine fixe Idee oder nur eine böse Absicht aus mir rede; ja zuletzt wurde, wenn ich hineinkam, mit Fremden gewettet oder ihnen geweissagt, der Herr mit dem adonis vernalis und Baldrian werde sich ihnen nähern und ihnen Fragen über die Pflanzstadt ihrer blühenden Westen stellen. So hat mich von jeher eine uneigennützige schuldlose Liebesdienerei gegen alle Menschen tiefer in verdammtes bedorntes Dickicht geführt als alle meine übrigen Fehler und Tugenden zusammengenommen. – Ich saß so fruchtlos mitten in Nürnberg und sah nichts von der Stadt als den Seutterschen Riß – ich war noch keinem einzigen Nürnberger bekannt als bloß dem, den ich mitgebracht, dem Boten – ich wollte in die neue Hospitalkirche zum heiligen Kreuze gehen und die Reichskleinodien besehen und den Reichszepter nachmessen und den Reichsapfel nachwägenIch hab' es später getan und den Zepter zwei Schuh lang und innen hohl gefunden, und den goldnen Apfel drei Mark, drei Lot und drei Quentchen schwer, das Pech innen mitgewogen: Fabri in seiner trefflichen Geographie für alle Stände (1sten T. z. B. S. 127) hat genau dasselbe Fazit, jedoch ohne es mir zu verdanken. und mit Kaiser Karls Schwert zur Klingenprobe in die Luft schlagen – ich wollte als Kunstliebhaber die sieben Leidensstationen, die Ketzel vom berühmten Adam Krafft so trefflich in Stein abformen ließ, durchlaufen und recht ausgenießen, und ich kam zu nichts, weil meine eignen Leidensstationen von sieben Tagen, die ich hier wie Adam Krafft darstelle, mein Beisein foderten....

Aber nach der siebenten Station am Freitag, wo ich auf der Schädelstätte öffentlicher Plätze stand, folgte, wie gesagt, der Sonnabend; wo ich, wie es schien, vom Kalvarienberg herunter sollte.

Ich stand nämlich Sonnabends auf dem »Säumarkt« und sah eine »Dreierleiche« ziehen, bei der alles mitging, was in der Stadt predigen, singen und dozieren konnte, und vor der nicht patres purpurati, wie vor einer päpstlichen, aber doch rotgekleidete Waisenknaben oder porphyrogenitiDa das Zimmer im kaiserlichen Palast zu Konstantinopel, worin die Kaiserin Wochen hielt, mit Purpur überzogen war: so hießen die Infanten – in Purpur Geborne. vorausliefen: als hinter mir einer sagte: »La Comtesse Georgette.« Ich sah mich eilig um: ein junger Patrizier (namens Kökeritz, wie ich nachher erfuhr) stand hinter mir, vom Zylinder-Hute bis auf den Sokkus-Schuhschwarz verkohlt – das Mondviertel eines Kamms in den Scheitel-Wimpern oder Brahmen – das aufgestülpte Kinn in den Bretter-Vorsprung und Wall einer Krawatte eingestoßen – mit einem kurzen Schinkenknochen von Badine – mit dünnen, wie Pfähle schwarz angelaufnen Beinen... Beiläufig, gibt es denn etwas Geschmackloseres als die jetzigen männlichen Köhlerbälge, da Schwarz unsere magern Pfauenbeine noch jämmerlicher verdünnt? – Ganz anders wirkt diese Farbe auf dem wogenden Kleide der Damen, die wie Diamanten durch eine dunkle Fassung gewinnen, wozu oft zwei männliche Arme hinreichen.

Der junge Mensch, auf dessen weißen Gesicht der Kalk der Jugend schon gelöscht war, schwur es seinem Zuhörer, ihn dupiere keine. Er nickte bloß in sein Krawatten-Halseisen hinein, wenn ihn Bürger, mit deren Schweiß er dem Reisewagen wie mit zerquetschten Waldschnecken die Gelenkschmiere gegeben, demütig gebogen grüßten und tief den Hut abnahmen: er dankte wenig, weil er aus dem ältern Plinius (H. N. XXVIII. 6.) wußte, daß man den Kopf vor Hohen entblöße, nicht um ihren zu ehren, sondern um den eignen abzuhärten und zu stärken. Mit Vergnügen seh' ich, wie Patrizier und Große mehr für das Kühlen und Stählen gemeiner Köpfe, die es auch mehr brauchen, sorgen als für das der ihrigen. – »Morgen«, sagte Kökeritz noch zum Nebenmann, »wird Sturm gelaufen; aber vorher geh' ich noch, wie ihr Nürnberger sagt, aufs Ländlein, auf den Dutzendteich.« –

»Der weiß wahrlich um die Gräfin!« ruft der erfreuete Leser aus; aber wie sehr wird es ihn erst erquicken und bestärken, wenn ich ihn benachrichtige, daß der Patrizier eine gestickte Weste umhatte! – Nie sah ich eine schönere: auf einen schwarzen Grund der Nacht waren graue Sternbilder getuscht, deren zertragne Sternchen silbern eingesteckt aus ihnen flimmerten. Die drei Frühlingszeichen, der Widder, der Stier und die Zwillinge, saßen auf dem Vorlegewerk seines innern peristaltischen Gehwerks umher.

Es war zwar nichts zu machen, weil er fortlief; aber ich hatte den Sonntag: mein Vorsatz war, den Dutzendteich und ihn aufzusuchen und als Westen-Mouchard meine alten Fragen über sein steilrechtes äußeres Zwerchfell an ihn zu erlassen.

Der Leser nehme doch die Kette von Mitteln ins Auge: – erstlich vom Teiche kam ich auf den Patrizier – dann auf das Treibhaus der Weste – dann auf den Fleischer – endlich auf das liebe Kind.

Ich tat Sonntags früh wie Jupiter mir selber einen Schwur, daß ich Montags, wenn ich einmal Georgetten hätte, mich eifriger über die zweite Auflage und über Leibgebers logischen Kursus hermachen wollte. Der feine Schießpulverstaub solcher Kleinigkeiten treibet uns mit mehr Gewalt als das körnige Pulver großer Triebe; und wie reißende Tiere leichter zu bezwingen sind als Insektenschwärme, so ist der Sieg über diese kleinen (und stündlichen) Versucher schwerer und besser als der Sieg über die großen und jährlichen.

Nach dem Essen knöpft' ich mich am letzten April in die Aprilweste und ging zum Tor hinaus nach dem Dutzendteich mit einer Brust voll Hoffnungen. Stuß tat noch ein paar dazu, indem er bei seinem vorigen Meister nach der Emigrantin zu fragen verhieß, weil er dadurch einem neuen Hausieren nach ihrer Wohnung zu entgehen dachte.


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