Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Siebenter Reise-Anzeiger

Fata: die epistolarische Expektantenbank – der Geburtstag und die Versöhnung
Werke: Habermanns logischer und geographischer Kursus durch Europa, von ihm selber ganz summarisch dem Erbprinzen der Milchstraße vorgetragen

Es ist wahr, die Nebelflecken unsers Schicksals, die als Wölkchen in unserem Himmel stehen, teilen sich, wenn wir näherkommen, in Sonnen auseinander; aber am neuen Orte erblicken wir wieder neue Nebelflecken – ich meine, wenn ein Mensch immerhin Georgetten gefunden, besitzt er denn darum Briefe von seiner Frau oder von Siebenkäs in Wetzlar? – Ja die Entwickelungen im Leben sind nur feinere Verwickelungen: Kökeritz, der in den Frühlingszeichen des Stiers und Widders stand, konnte mir nun durch seine Nachforschungen eine gerichtliche zuziehen, ob ich wirklich Georgettens Vater sei. Meinen Paß hatte sie, und um den wahren hatt' ich erst nach Hof geschrieben. Die Patrizier lassen ohnehin gleich den Fürsten – und ungleich dem Kaligula – die Gesetze so tief annageln, daß zwar sie oben auf ihren hohen Thronen solche unmöglich – denn Kapitalbuchstaben erscheinen ihnen nicht größer wie Perlschrift – lesen und mithin auch nicht halten können; aber das Volk unten muß sie befolgen, weil es die Lettern vor der Nase hat. Unchristlich konnten, wenn sie wollten, die Patrizier mit mir wegen des Passes umspringen.

Ich komme nun zu dem Teil meiner Historie, der den ersten Mai enthält – welches der Montag nach dem letzten Aprilsonntag und nach dem ersten Courtag bei Georgetten ist. – Ich muß gleich anfangs berichten, daß ich den ersten Mai ans dem Bette stieg und daraus einen Kopf voll halbseitigem Kopfweh und eine Brust voll heißer, schon von Träumen angefangner Sehnsucht nach Herminen mitbrachte. Der erste Mai war ihr Geburtstag. Stuß mußte sogleich in die Zehische Buchhandlung nach Briefen laufen.

Eh' ich vor den Lesern das aufmache, was der Hornrichter aus der Buchhandlung brachte, will ich ihnen beschreiben, wie ich mich acht Posttage vorher achtmal in die Höhe richtete und mein eigner Tröster wurde: denn jetzt war Stuß das neuntemal geschickt.

An den zwei ersten Posttagen hätt' ich gar nicht schicken sollen; ich sagte zwar vorher: »Man kann nicht wissen«, – und nachher, als Stuß ledig kam: »Ich konnte mirs vorstellen«; aber dieses voreilige Schicken säete meine Ungeduld zwei Tage zu früh, die am dritten Posttage, wo sie erst hätte in die Erde kommen sollen, schon aus ihr aufging.

Dennoch sagte ich das drittemal vorher bloß: »Heute ists doch eine Möglichkeit«, und nachher: »Möglich ist darum nicht wirklich.« – Am vierten Posttag sagt' ich freilich, als der Bote wiederkam. »Lang' Er den Brief her«, und da er keinen hatte, sucht' ichs nicht zu glauben. – Am fünften Post- und Fasttage nahm ich zum Troste an: »Sie kann den Brief bloß eine halbe Stunde zu spät auf die Reichspost gegeben haben.« – Am sechsten schnitt ich schon im voraus mein Inneres für beide Möglichkeiten zu – wie eine Schwangere die Kinderhemden für beide Geschlechter – und hielt mir als Beruhigung vor: »Natalie wollte vielleicht eine Zeile mit beischließen und wurde freilich nicht zeitig fertig.« Aber ein Trost, den man sich vor dem Unfall zubereitet, wirkt dann in demselben nicht so viel, als hätte man ihn darnach ersonnen. Die philosophischen Trostgründe sind überhaupt nie von größerem Nutzen als in großem – Glück, weil sie durch das Versprechen der leichten Erduldung künftiger Leiden die Hoffnung seiner Dauer und einen Genuß ohne Sorgen gewähren.

Am siebenten kritischen Tage erwartete ich absichtlich keinen Brief, in der Hoffnung, der Erfolg werde mich angenehm widerlegen. Die Welt sieht, wie ich mich in die Welt einzufügen weiß, und wie ich gleich Tasso sogar funkelnde Katzenaugen zu Nachtlichtern meines Kerkers verwende. Aber da mir der Zitterfisch, Stuß, mit seinem leeren Gesicht den elektrischen Stoß des Schmerzes gab: so machten sich jetzt die herzudringenden Sorgen die wehrlose Stellung meines Herzens zunutze und brachten ihm schwere Stichwunden bei: »Meine Hermine«, sagt' ich, »ist gewiß krank – ich darf ja nur ihre Umstände bedenken und ihre Qualen durch mich dazu – ich kann wohl durch meine letzte dumme Schreiberei alles wieder umgestoßen haben, was in ihrer vergebenden Seele aufgebauet war.« – Die siebenundzwanzigköpfige Binde, die ich um diese Wunden legte, bestand aus dem Gedanken, daß in der Nacht schon wieder das Felleisen ankomme, und daß ich morgen selber in der Zehischen Buchhandlung nach dem Briefe fragen wolle. – Es war mir, als hätt' ich ihn schon. Ich hofft' ihn dadurch gewisser noch zu erpressen, daß ich die contenta meiner Antwort im voraus leicht hinwarf und wie in der Baumschule im Herbste die Löcher für die Bäume grub, die im Frühling hineinkommen sollen.

Aber ob ich gleich in Person bei Herrn Zeh nachfragte, es war doch heute nichts gekommen – ja Stuß gestern nicht: der Mensch hatte das katechetische Ringrennen satt bekommen. Eben das nähete meine Wunde und Hasenscharte wieder zusammen: ich konnte mich erstlich an den Boten halten und ihn zum Frostableiter meines Fieberfrosts gebrauchen, zweitens konnt' ich diesen achten Posttag, da gestern nicht gefraget worden, ohne Unbilligkeit für den siebenten anrechnen. Wahrlich etwas oft erwarten ist ärger als es einmal verlieren: zumal da diese Bewegung der Seele, ungleich andern geistigen und körperlichen Oszillationen, welche durch die Zeit zur Ruhe kommen, gerade durch diese in Schwung gerät.

Endlich erleb' ich hier mit allen Lesern den neunten oder kritischen Tag (den ersten Mai), wo ich den Hornrichter mit der ausdrücklichen Drohung fortschickte, er sollte etwas mitbringen, sonst glaubt' ich, er sei wieder hinter die Schule gegangen. – Wahrhaftig er brachte etwas. Siebenkäsens Hand und Siegel war auf dem Paket, das doch mit der Baireuther Post gekommen war; er hatte bloß das Blättlein beigelegt: »Nächstens mehr und alles. – Ich gewinne. – Sieh einmal meinen ewigen Leibgeber!« –

Leibgeber hatte nämlich in der Literaturzeitung etwas von der zweiten Auflage der teuflischen Papiere gelesen; er ging daher in seine Münzstätte und schmolz seinen » logischen und geographischen Kursus durch die Welt« – an welchen ich mich so oft machen wollte – selber ein und um und schickte dem Inspektor diese zweite Auflage, worin fast kein Wort von der ersten steht. In drei Minuten soll der Leser den Kursus haben: man lasse mich nur vorher bemerken, daß ich nicht wußte, was ich vor Freude über den Kursus und den bärtigen markigen Wildenmann, den ich auf so viele biographische Harzgulden prägte und noch präge, anfangen sollte. Über die Ährenlese für mein Buch verschmerzt' ich ein wenig das Mißjahr an Briefen; ja ich fing an zu prophezeien, Hermine gedenke mich mit etwas Sonderlichem zu überraschen; und sah nun den Vorhang der Zukunft für keinen eisernen mehr an, der in Drurylane die Zuschauer von dem Schadenfeuer der Bühne absondert, sondern für einen schön bemalten, der einige Minuten das Zusammenschieben der schimmernden Dekoration verdeckt. So stell' ich meinen Himmel stets voll glänzender Meteore, und selten, wie andere, voll wässeriger. Ist denn nicht in unser Leben, wie in den Zitz, nur der Umriß durch feste Formen gedruckt, und sind nicht die Blumen erst vom Menschen selber in die leeren Räume einzumalen? –

Hier ist Habermanns Kursus, denn so nennt sich Leibgeber in den Teufels-Papieren.


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