Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Nun wars Zeit, den künftigen Zar des Nebelflecken mit dem kleinen Reich von Aachen, mit der Erde, und mit den Städten, die auf diesem Erddörfchen liegen, doch ein wenig in geographische Bekanntschaft zu bringen: denn so winzig dieser hüpfende Punkt von Globus auch ist, ein Regent hat so gut über die entfernteste Fischer- und Köhlerhütte zu regieren als über die Königsstadt. Einer, der auf dem Erdglobus selber während der geographischen Stunde steht, kann die Kugel nicht selber auf den Schultisch stellen und sie drehen und daran den Kindern alles weisen – sondern mit einem viel kleinern Globus aus Pappe muß er auskommen –; allein ein Instruktor auf dem Sirius, von Welten-Größe wie ich und im Besitze eines Eleven, der, wenn er nur einen halben Kopf länger ist wie sein Hofmeister, dieser kann es kommoder haben und die Erdkugel selber – ob sie gleich ihres Gießhalses, des Chimborasso, wegen nicht so glatt wie eine messingene ist – unter der Schulstunde aufstellen und umwenden. Freilich waren so kleine Partien wie Städte mit bloßen Augen nicht vollkommen zu sehen – denn die KugeltiereSechzehn Kügelchen oder Tierchen bewegen sich im Wasser unaufhörlich, und zwar immer in einem Quadrat. oder Erden formierten ihr Kugelquadrat oder Planetensystem mit so unmerklichen Bewegungen neben uns, daß der Erbprinz dachte, sie ständen –; aber wir hatten ein neues Hofmannisches Sonnenmikroskop, in welches ich den Erdball mit der europäischen Façade bloß auf den Objektenträger zu stellen brauchte, und worunter dann meinem Scholaren alle Städte meiner Reiseroute mit dem Zahnstocher, den ich leicht darauf herumführte, gut zu zeigen waren. Ein Kronprinz kann kein System ausstehen außer das der Attraktion, keinen andern Wahrheitsmaler als den Gewändermaler und nirgends eine casa santa als in einer vergoldeten Lorettokirche: daher hob ich nur eine und die andere Stadt aus meinem Reisejournale aus, ging aber – um doch einigermaßen systematisch zu verfahren – die Städte alphabetisch durch, wie Foote seine Gläubiger (oder die parisische Regierung sonst die Rentisten) nach dem Abc bezahlte.

»Ich lege,« fing ich an, »gnädigster Herr, bei meiner europäischen Städtebeschreibung das Abc und meine große Tour zum Grunde und flechte dabei so viele Videnda oder Merkwürdigkeiten ein, als ein Zürcher gereiseter Kandidat in dem lateinischen Reisebericht aufstellt, den er dem Zürcher Konsistorium übergeben muß.

Aachen, das hier liegt (ich setzte den Zahnstocher darauf), hebt, außer andern Reichs-Palladien die Reichsperücke Karls des Großen auf, die der Magistrat jährlich für zehn Taler frisieren lässet. Mein Weg führte mich darauf nach

Bern, dessen kleiner Rat den großenDieser von Grosse beschriebene und von Rousseau und mir gebilligte kleine Rat besteht aus Jünglingen, die durch eine scherzende und übende Nachahmung des großen sich auf eine künftige wahre rösten. spielt und daher 120 Vexier-Landvogteien vergeben darf. Diese Vogteien bestehen nicht in Ländern im Mond oder in der neuen Welt, sondern in wirklichen eingefallenen Schlössern, wovon noch etwas steht. Einen ähnlichen kleinen Rat haben die Fürsten fast in den meisten Städten unter dem Namen Stadtmagistrat unter sich, dem man so gut wie den Landständen Vexier-Verordnungen, Vexier-Sessionen und Vexier-Inhäsiv-Reprotestationen verstattet, damit der Magistrat sich exerziere. – Der Gasthof zum heiligen Geist, auf welchem Sie jetzt den Zahnstocher erblicken, liegt in

Köln, worin eine solche kanonische Osteologie ohne Beinfraß aufgehoben wird, als z. B. die Gebeine der heiligen drei Könige, des heiligen Engelbert, der 11 000 Jungfern, der Makkabäer – tausend Heiligen-Schädel gar nicht gerechnet –, daß es ein Jammer ist, daß aus allen diesen Knochen nicht ein lebendiger Mann zu machen ist, oder daß sie in keinem stecken, wie denn ich selber, als ich durchpassierte, kein heiliges Bein an mir hatte als das Heiligenbein (os sacrum). – Mit diesem Bein reisete ich nach

Dresden, wo ich mir den berühmten Kirschkern mit seinen eingekratzten fünfundachtzig Gesichtern notierte. So klein Ihnen, gnädigster Prinz, ohne das Hofmannsche Mikroskop der Erdball vorkommt, und Dresden wieder kleiner als Europa, so ist gleichwohl der Kern kleiner als alle, beherbergt aber doch in seiner Bilderblende die gedachte Gesichter-Suite. – Es wurde mir erlaubt, in der Galerie einen vollständigen Rahmen zu kopieren. Es war gerade der fünfte März und die zeitige Ausstellung der Gemälde so wie der Wangen-Blumenstücke auf einigen weiblichen Zuschauerinnen, mit denen ich Bilderdienst trieb. – Aus der Festung Ehrenbreitstein fuhr, da ich vorbeiging, statt der berühmten, Vogel Greif genannten und bis nach Andernach gehenden Kanone bloß ein Löffel heraus, in den ich ein don gratuit für die Gefangnen legen mußte. – Ich will jetzt eine Magnetnadel nehmen und damit über Europa gehen: so werden Sie wie der Kaiser Joseph

Ferney finden, worin an der Taube des heiligen Geistes, die der Rittergutsherr an die Kanzeldecke nageln lassen, wirklich ein Flügel fehlt. Der Abgang kann den Abgang von Voltairens Fluge oder von dessen Milde bedeuten, oder gar nichts; der selige Mann war eine alte Lerche, woran, wenn sie auch nicht hoch mehr sang und stieg, doch die satirischen Sporen immer länger und schärfer wurden. – Sind Voltaire und die Lerche Bilder der europäischen Kultur: so frag' ich, obs nicht die Sammlung gezeichneter Münzen noch mehr ist, die im Münzkabinette zu

Gotha liegt und 27 000 wirkliche Taler kostete. – Merkwürdig ist mein numismatisches Projekt, das ich als Plus- und Plurimummacher bei der Reichsversammlung eingab, daß das Reich dem Mangel an Kammerzielern und andern Reichs-Intraden steuern würde, wenn dasselbe – da die Franzosen jedes Pfund ihrer abgetragnen Bastille so teuer wie ein Pfund Rindfleisch absetzten – ebenso statt anderer Güter die Staatsgefängnisse zerschlagen und die Kerker pfundweise (eine unermeßliche Stein- und Silbergrube!) an Steinschneider und in Stufensammlungen und in die Ringe (statt daß vorher die Ringe in den Kerkern eingemacht waren) käuflich abstehen wollten. – Noch stimmt man, ob über das Stimmen zu stimmen. – Drehen Sie die Erdkugel mehr rechts gegen den Fokus, so sehen Sie leicht

Hof im Voigtland, wo Ihr Hofmeister auf einem Felsen seinem besten Freunde seinen Namen, seine Freude und den Abschied gab und sagte: lasse mich gehen, ohne mir nachzusehen! – Gnädigster Herr, warum soll eine Freundschaft, die nie verbittert, und ein Abschied, der nie versüßet wurde, nicht unter die Videnda und Visa einer Stadt gehören, ich bitte Sie sehr? –

Jena lässet wöchentlich den Leutrabach durch seine Gassen und den Nilstrom der Literaturzeitung durch die übrigen deutschen laufen, um das Auskehricht wegzuspülen; der Leutrabach führt das Jenaer fort, der andere das andere. Aber leider hier im Sirius erhält man nicht ein Blatt, und die Reichspost verweigert, wie es scheint, die Spedition. Alphabetisch ist mit Jena zu verknüpfen

Königsberg oder Kant, den ich an der table d'hote befragte, ob er ein Kantianer sei und Kanten recht verstehe, weil mich so viele tausende versichert hatten, nur sie (und noch einige wenige) begriffen ihn. Aber noch glaubt der Greis, was er will.

Leipnitz, gnädigster Erbprinz, müssen Sie nie mit Leibniz vermengen: jenes ist ein Rittergut und liegt im Kurkreis; und dieser ist ein Rittergutsbesitzer und liegt in oder unter Hannover. – Das Schloß, auf das ich jetzt mit dem Zahnstocher stoße, gehört auf den Marktplatz zu

München. – Es ist mir nichts aus der Stadt erinnerlich als der usus epanorthoticus eines Pater Provinzial, der damit einen sterbenden Bettelmönch dem Teufel aus den Krallen ziehen wollte. Der Pater Provinzial hatte nämlich mit Vergnügen nach einer alten Sitte einen SchweinskopfIn der Vorrede zu Wolf. lect. memorab. wird aus dem Goropius Bekanus erzählt, daß sonst die Mönche dem Sterbenden einen Schweinskopf als Devise und redendes Wappen seines epikuräischen Lebens samt der mündlichen versio interlinearis vorgehalten haben. am Mönche als Bußwecker gebraucht; aber es war keiner zu kriegen, und bis man ein Schwein tot machte, war der Mönch selber tot gemacht. Der Pater Provinzial wußte am Ende nichts zu tun, als sich auf seinen Kopf zu verlassen – der ebenso feist und fettäugig war als der begehrte – und auf die Augen des Bettelmönchs, die schon nichts mehr unterschieden; keck faßte er seinen eignen Kopf mit beiden Händen an und begann so: 'Fatales Sündenkind! siehst du den Saukopf, den ich in Händen habe? – So warst du selber: wie dieses Vieh hast du dich gewälzet und überfressen und gemästet und dabei doch sehr gegrunzet. Bekehre dich, so hurtig du kannst; du hast ja schon keine Vernunft mehr, und bedenke, daß diese Sau einmal wider dich zeugt! Amen!' –

Nürnberg hier«, sagt' ich wieder zum Prinzen, »treibt berühmten Handel mit Puppen für Kinder.« – Obgleich der Prinz gern einige sehen wollte und ich mein Bestes tat mit meinem Zahnstocher: so war doch der Dauphin unvermögend, sie (weil das Mikroskop nicht genug vergrößerte) klar von Menschen abzutrennen: das Frankfurter und Regensburger Auffahren mit Kutschen und Zuschauern sah der Blinde aus topographischer Ignoranz für den Nürnberger Kindleinsmarkt mit Kinderkutschen an. – »In

Osnabrück« (fuhr ich fort) »müssen Sie vorzüglich meinem Zahnstocher nachgehen, den ich in einen kupfernen Kessel auf dem Markte stecke. Ein Falschmünzer wurde darin vor Zeiten in Öl gesotten; woraus Sie abziehen können,« (setzt' ich als Prinzenhofrneister dazu und wollte ihm pragmatische Winke geben, weil er doch einmal Geld auf seinen Sonnen schlagen lässet) »wie sehr die Erden-Fürsten auf Rechtmünzerei ausgehen. Silbermünzen versetzen sie mit so viel Gold, daß man das Silber kaum innen wird und die Münzen daher wirklich überall Goldmünzen nennt; und Kupfermünzen lassen sie mit so vielem Silber legieren, daß sie allgemein als Silbermünzen kursieren. Ebenso steht die Venus (das Kupfer) immer in Konjunktion mit der Sonne (Gold) und hat ihren Durchgang dadurch. –

Wir müssen eilen mit unserer geographischen Stunde, gnädigster Herr, drei Viertel ist schon vorbei und das erste Viertel schon halb hinunter, und noch sind wir erst am P: bei künftigen Lettern und Städten schränk' ich mich bloß auf eigentliche Wunder der Welt und Sehenswürdigkeiten ein. – Das Feuer, worin Sie jetzt meinen hölzernen Städtezeiger sehen, brennt in

Petersburg auf dem MarktIm Winter werden da große Feuer auf öffentlichen Plätzen für Vorübergehende unterhalten. Reichardts Handbuch für Reisende, 2te Aufl. S. 428., wovon der Weg nach Peterhof vielleicht darum für jeden Fremden merkwürdig ist, weil er darauf das rote Wirtshaus oder Krasnüi Kaback antrifft, in welchem Waffeln von solcher Güte gebacken werden, daß oft die Kaiserin selber anbiß. In

Querbach und Querfurt fragt man umsonst nach Waffeln; wiewohl die Örter als alphabetische fortlaufende Signatur, Quergasse und Brücke nach

Rom schwer zu entraten sind.« – Der Infant sollte mir diese Haupt- und Patentstadt der Welt auf dem Erddorf selber suchen: »Sie kennen sie gleich«, sagt' ich, »an den sieben Bergen und der durchströmenden Tiber.« Aber er zeigte zu meinem Erstaunen auf Bristol, das auch siebenbergig und um den durchpassierenden Avon liegt. Überhaupt machte jetzt die Erdkugel, die sich durch ihre tägliche Bewegung um sich und die Sonne schon merklich aus dem schärfsten Fokus des Hofmannschen Mikroskops verschoben hatte, leichte Städtesuchung schwer. – »Es wäre vergeblich, Prinz, wenn ich Sie oben in das Loch der Rotunda hineinzusehen bäte nach Raffaels Grab herab: Sie werden (da sie nicht erleuchtetRom hat so wenig eine nächtliche Gassenbeleuchtung als Nürnberg, das doch auf fünf Hügeln mehr liegt. ist) die Stadt selber kaum sehen; aber hätten wir hier im Sirius ein vollkommenes Hörrohr, so könnten wirs an Rom anlegen und vielleicht das päpstliche Miserere vernehmen und die welschen Städte, da sie zu klein für das Auge sind, an ihren Kehlen und Saiten mit den Ohren fassen.« – –


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