Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Das Schadenfeuer des Zorns – und das Freudenfeuer der Liebe – gleichen dem Feuer in einer Stube, das heller ausbricht, wenn ihm einer in der Angst Tür und Fenster aufreißet: ich redete und dachte mich – zumal da Stuß mich an mein unbelohntes Wohlwollen erinnerte – immer tiefer in die Erbosung hinein. »Was ist denn der Begehr?« fragte der Kubus gelassen. »Gar nichts«, sagt' ich: »nur drucken will ichs lassen, daß ich heute den ganzen Tag im Freien so sanft war wie ein Lamm, daß aber gerade in Städten der moralische Morast wie der physische hoch liegt, wenn es in Dörfern stäubt. Verdammt! Ich hätt' es der alexandrinischen Universität zu Gefallen getan und mich einige Tage auf ihr aufgehalten – ich hätte bei vielen hospitiert – ich hätte Herrn Hofrat Meusel besucht, der mich in seinem gelehrten Deutschland ganz anders einquartierte – ich hätte die ganze Universitätsbibliothek und die Hauptmann-Kotzebuische Hölzersammlung beschauet – aber jetzt soll mich der Teufel holen, wenn ich nur einen Riemen hiesiges Erlanger Leder ansehe... Komm' Er, mein guter Stuß, wir brechen noch heute nach Nürnberg auf und marschieren die halbe Nacht... Herr Wirt,« fing ich noch einmal an und wollte einen rechten Mordanten und Endetriller schlagen.... »Der Wirt wird oben bei den Herrschaften sein«, sagte kalt der Pückenpückenraucher. Nun hatt' ich satt und schied.

Der Hornrichter mochte an der Rache des nächtlichen Auszugs aus einem Ägypten voll gebratener Osterlämmer und Osterschöpse nichts Sonderliches finden und ließ also seine Ärgernis über den Auszug an dem Pagenkorps der Kellner aus: es lüftete und erquickte mich ungemein, daß er die Pagen mehrere Male Grobiane nennte; denn überhaupt ein einziger Restant aus der zurückgelassenen Wohnstadt macht uns in einer Wüste aus Fremdlingen zu Schutzverwandten und Insassen.

Eh' ich weiter reise und zanke, will ich in Erlangen die Gründe zurücklassen, warum ich auf einem Gassenzimmer so heftig bestand. Ich wollte aus ihm heraussehen und mich so – denn ich weiß, wie ich bin – mit den Erlangern auf der Gasse anquicken: ein solcher Stand am Gasthofsfenster stiftet eine Einkindschaft einer jeden drunten spielenden Stadtjugend, die Gütergemeinschaft mit jedem Hering, mit jeder Freude, die ich holen sehe, mit jeder Frage einer Schleifkannen-Trägerin an die andere: wo nimmst du deines (das Bier)? Was ist aber hinten im Rücksitz eines vermauerten Fleets oder Korrektionszimmer zu verquicken und zu anastomosieren? – Und soll besonders ein Passagier wie ich nicht auf den Vordersitz aus sein, ders ebensosehr weiß als seltener, daß man durch Reisen – wie Gastwirte und Lehnlakaien durch die Reisenden – so leicht zum Schneemann oder zur Eisfigur in einem Gletscherathos ausgehauen werde, indes ein Dorfinsasse sich so an jede Menschenbrust anhängt, als wenn er mit ihr bei einem Pfarrer beichtete? Denn eben weil das Reisen zwingt, durch ganze Städte, vor Kirmessen, vor Leichenzügen kalt vorbeizufahren, so gewöhnt man sich daran, vor Menschen auf der Lebenswallfahrt überhaupt gleichgültig vorüberzuziehen; und eben weil man auf dem Weltmeer und am Hofe ein Seegewächs mit schwimmenden Zweigen ohne Wurzel und ohne Boden ist, so wächset im Reisewagen und am Hofe derselbe kosmopolitische Indifferentismus, derselbe nachgiebige tolerierende horror naturalis, der alle Menschen für Verwandte hält. Daher kommt jener Dezember in vornehmen, durch seidne Ordensbänder isolierten Herzen, denen die übrigen Herzens-Inhaber nur als bessere Kartesianische Tiermaschinen und Teufelchen oder als Mumien, die man gliedweise zum Malen und Medizinieren zerschaben kann, erscheinen. – Herzen, die sich einen andern Menschen nicht gut lebendig denken können, ohne die kühne Figur der Personifikation zu brauchen – und die einen Untertan nur lieben, wenn ihn der Komödiant repräsentiert und reflektiert. Daher spielen manche Fürsten den Fürsten besser auf der Bühne als auf dem Throne, gleich Boileau, der keinen Tanz, aber leicht einen Tänzer nachmachte. – –

Ich kehre nach Erlangen zurück. Sobald die Ideen, die im Bienenkorbe unsers Kopfes Honig machen, einen fremden Körper, eine verreckte Maus etc. nicht über das Flugbrett werfen können, so überziehen sie solche wenigstens mit Wachs, damit sie nicht stinke: ich sagte nämlich dem Boten, wir könnten uns in den ersten Gasthof (in die blaue Glocke), dessen Kellner uns ja noch immer die abschlägliche Antwort schuldig wäre, zu einem ungemein glänzenden Nachtmahl machen, und erst dann auf den Weg. »Es muß sie krepieren,« sagt' er fein, »wenn sie sehen, was Sie brav aufgehen lassen.« – Ich und der Bote ärgerten uns jetzt über das mit dem Schlichthobel planierte Getäfel der Häuserfronte so stark als Baggesen über dieselbe Karten-Gleichheit in Mannheim: wir vergriffen uns – da nichts zu unterscheiden war als die Eckhäuser durch ein drittes Stockwerk – lange in Gassen und Häusern und wünschten von Herzen einige Fischerhütten oder Saukoben oder Ruinen als Kompasse und Hände in margine dazwischen.

Die kategorischen Imperatoren werden mit mir darüber reden und Händel suchen, daß ich in der blauen Glocke ein wahres Fürsten-Pickenick – Dinte und Wein waren nur die erste Foderung – von der Sagosuppe an bis zur Schweizerbäckerei für mich und den Meister aufsetzen ließ, bloß um der Universität zu zeigen, was wir verzehret hätten bei längerem Bleiben. Stuß mußte Petitknaster rauchen und Fidibus fodern und den Span wegwerfen. Ach die passabelsten Menschen – das beweiset mein Zorn-, nicht Liebes-Mahl – gleichen den breitesten reinsten Parisergassen: die dunkelsten häßlichsten Quergäßchen durchschneiden sie oft. Menschen und Bücher müssen in mehr als eine Korrektur gelangen, um die Errata zu verlieren.

Ich hatte mir, wie man weiß, bei Streitberg vorgesetzt, Leibgebers Inserat abends neu aufzulegen; aber dazu war ich heute verdorben. Ich schlug lieber die Teufels-Papiere auf, um eine Satire, die etwan auf Christian-Erlangen zu applizieren wäre, in der Hitze umzubessern: es fand sich wenig, was nicht ebenso knapp Hof, Leipzig oder einer Hansestadt anlag. Endlich kam mir der Anhang S. 158 in den Wurf oder vor den Schuß: »von Philosophen, denen es sauer gemacht wird, sich selber zu verstehen«, welchen ich für eine mehr kantianische Universität aufgespart hatte. »Ganz ohne Kantianer wird doch der Ort nicht sein«, sagt' ich freudig – und nun fing ich an.

Aber Himmel! wie erhitzt wurd' ich – durch ein sonderbares metaphorisches Hysteronproteron – gegen die unschuldigen Kantianer samt und sonders, als wären sie die Kellner, die den Menschen aus den gegen die Gasse und Menschenliebe gerichteten Zimmern in eine dunkle Kammer und Oubliette hatten sperren wollen – welches doch nur metaphorisch richtig war! – Wie wenig erwiderte ich die humane bescheidne Polemik fast aller Kantianer, gerade als wär' ich ein Jenenser und Hallenser zugleich (wie man sonst die Renommisten nannte)! – Ich kann es nur aus dem Mute, den der Wein einflößet, begreiflich machen, daß ich in der blauen Glocke viele Zeltschneider des Königsberger Quartiermeisters bei dem philosophischen Barte, den an ihnen wie an dem Bienenvater Wildau ein aufs Kinn angeflogner Immenschwarm von Unterzeltschneidern formiert, anfassete, ohne zu bedenken, wie mich der Bart steche. Jetzt wo ich den Mut ausgeschlafen habe, bin ich nicht keck genug, es herzuschreiben, daß manche den Papageien gleichen, die im verdunkelten Bauer, worin bloß ein Spiegel für das Ich des Sittichs steht, in der Schaukel eines Ringes, deutlich nachsprechen lernen. Noch dazu macht' ich keinen Unterschied: ich mengte untereinander (das war mir alles einerlei, und ich schäme mich) die Prinzipien- oder Wurzelmänner, die jeden Monat neuen Krötenlaich der Schildkröte, worauf die Erde ruht, zum Träger ausbrüten – und die kritischen Ästhetiker, die wie Kuchenbäckerinnen das Eiweiß, wovon sich die Küchlein des Genies ernähren, zu abstraktem Schaume klatschen, um daraus Opferkuchen für die Priester irgendeines Jupiter Xenius zu machen – die figürlichen Kopfabschneider, die ihren Bacchantenzahn für den Weisheitszahn ansehen, und alle vorige Wahrheiten und Tugenden für peccata splendida – und alle die architektonischen Tiere, die der Baudirektor des kritischen Lehrgebäudes in seine Arche einfing, namentlich die Wespen, die Schwalben, die Biber, die nun alle im Kasten anstatt im freien Universum ihre Nesterbauten aus Spänen, Kot und Bäumen anlegen – und jeden, der ein Buch macht, um darzutun, er habe so viele Ähnlichkeiten von Kant, als der heilige FranzPedro d'Alva Astorga bewies es. S. Maclaines Note 121 in Mosheims Kirchengesch. 1. Säk. von Christo, nämlich viertausend.

Ich hätte klug sein sollen, schon weil eine Satire, eine signierende Schelle, die man einem Weltweisen anhängt, ihm nicht halb so viel tut als einem Welttoren oder Weltmenschen; denn bei jenem ist das Lächerliche nicht der Probierstein, sondern gar das Merkmal der Wahrheit. So ist das gewöhnliche Mittel der Ökonomen, Ratten dadurch zu vertreiben, daß man einer eine schreckende Schelle anhängt, nach meiner eignen Erfahrung grundfalsch, da sich die andern an die läutende Bestie gewöhnen und mit ihr laufen. Das beste Mittel, sie – ich rede wieder von den Philosophen – zu vertilgen, sind sie selber, da sie einander aus Mangel an Kost gegenseitig verzehren. Für Ökonomen, denen gerade daran gelegen sein kann, merk' ich, da ich einmal von Ratten gesprochen, im Vorübergehen an, daß die Methode einiger Landwirte – die mehrere Ratten in einem Topfe fangen und einander vor Hunger zu fressen zwängen – nach meiner Erfahrung die beste ist, weil stets eine und zwar die stärkste übrig bleibt, die man als eine Rattenfresserin freigeben und unter die andern als ein lebendiges Rattenpulver schicken kann.

Sooft ich in Bellarmin das katholische System und in Gerhard das orthodoxe las und bewunderte und darin auf alle meine Einwürfe die Antworten fand: so wiederholt' ich meine Bemerkung, daß ein System nicht sowohl durch Angriffe umzuwerfen sei als nur durch ein – neues, das sich kühn danebenstellt.

Jetzt werf' ich alle diese vulkanische Produkte meines Zornes aus mir heraus und weg und halte die Leser lieber durch eine mit Bescheidenheit verfaßte Schutzschrift für die Kantianer schadlos und gebe ihnen damit zugleich mein siebentes und letztes Werkchen vor Nürnberg.


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