Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die allgewaltige Natur schloß mich in ein immer engeres und einsameres Tempe von Sternen, Blüten, Tönen und Bildern ein und trennte durch Schatten meine Träume wie Frühlingsblumen von dem stechenden Strahle der Gegenwart. Jedes Blatt und jedes Wellchen schlug mit dem andern in der stillern Nacht lauter zusammen. Mir war, als hört' ich den Tritt der Sterne, die in die Erde hereinstiegen. Aber in einer solchen magisch verdunkelten Stunde, wo die Irrlichter der Träume uns glänzend nachfliegen und spielend entrinnen – in dieser beredten heiligen Einsamkeit, wo der Geist geflügelt durch die Täler, über die Berge, von einer großen Wolke zur andern und von den sichtbaren Sonnen zu den tiefsten geht und zwischen den Zeiten umher: da geht er nie allein, sondern ewig führt er eine Seele an der Seite, die er innig liebt und der er alles zeigt und mit der er auf den Höhen betet und die er in den Frühlingstälern umarmet unter dem Abendrot. So ging Hermine mit mir durch alle meine kleinen Himmel, und ich sah sie zuerst an, wenn wir in einen neuen traten, ob sie darin glücklich sei. Allein da jetzt in Morgen, wo sie wohnt, die Leier und der Schwan aufgingen und mich anlächelten, gleichsam wie freundliche Gedanken ihrer Seele, und da ich daran dachte, daß sie gerade in dieser späten Stunde die Feier ihres Lebens-Sonntagstages einsamer und vielleicht schreibend nachhole, und daß sie vielleicht nach den westlichen Sternbildern, von welchen der glühende Mars und das Regengestirn erst im Untergehen waren, blicke wie ich nach Osten: so war es mir, als hört' ich sie fragen: »Warum schweigest du gegen deine Einsame? Bringst du mir keinen Wunsch für dieses nur von Wünschen geschmückte Leben? – Ach die Menschen haben einander nicht viel mehr zu geben als Worte, und doch versagen sie diese; – und in diesem kurzen Leben haben sie eine noch kürzere Liebe.«

»Nein, gute Seele, ich will dir es sagen, wie ich heute an dich dachte«, sagt' ich und ging von der freien betäubenden Molukke in meine verengte Stube zurück, aber nur, um Papier und eine Laterne zu holen und damit in den Irrhain hinaus zu fliehen. Ich wollte da alle meine befreieten Träume in eine große Äthernacht hinausfliegen lassen und in diesem einsiedlerischen Himmel meinen Brief an Herminen schreiben. Auf dem Wege sah ich das Regengestirn und den Mars aus unserm Himmel gehen. Da ich im Garten ankam: sah ich nichts vor mir als die Ruhe und den Himmel, und im Mondlicht lagen nur stille kurze Schatten, gleichsam die Fußtritte der umherschleichenden Nacht – das große Kleid des Frühlings lag ohne Rauschen auf der Erde – nur in den Laubengängen lispelte es, als wenn murmelnde Träume in ihnen gingen, und die hohen einzelnen Bäume nickten zuweilen wie betäubt vom Schlaftrunk des Taues – in den mit Laube leicht bekleideten Gesellschaftshütten wohnte hinter der lichten Schwelle nur ein oder ein Paar zerrissene Schatten, wie Reste von uns Schattenrissen, und ein grausilberner dicker Nachtschmetterling kroch darin auf seinen Flügeln – die Nacht lag in Gestalt der Ewigkeitsschlange zusammengeringelt im finstern Hain zwischen den Bäumen. –

Dieses stumme blasse Reich des Mondes und des Schlummers, worin nur die laute Seele, die Nachtigall, Träume austeilte, die enge flatternde Hütte, worein ich nun trat, der Licht-Wirrwarr und Blätterglanz, das Geräusch, das ich allein machte, das Tischchen, worauf eine welke, von Kindern zurückgelassene Kette von offnen schlaflosen Dotterblumen lag, und mein abgesondertes Arbeiten, diese hebenden sichtbaren und unsichtbaren Hände zogen mir gleichsam die ganze Erde und Wirklichkeit unter den Füßen weg, und ich hing spielend gewiegt über den entblößtem Sonnen unter mir, die mich alle liebkosend anschienen, und ein dunkler elastischer Äther hielt mich und das Sonnen-Glanzgold und die bleichen Perlen von Monden schwimmend, und wir sanken nicht unter.

Ich fing den Brief an Hermine an:

»Die Au verblüht,
Das Herz verglüht,
Der Mensch entflieht –
Hermina, liebe mich!

Du kennst diesen Wunsch, aber ich sag' ihn dir jetzt, da ich in der Mitternacht einsam in einer grünen Hütte des Irrgartens das Fest deines Daseins feiere. Ja das Zifferblatt mit diesem ewigen Wunsche soll hier in und an der Laube bleiben, damit ich sie zur Stiftshütte und Sakristei am Tempel der Liebe einweihe: und sooft ich wiederkomme, werd' ich diese Stunde wiederfinden.

Glaube nicht, daß ich nicht weiß, daß du jetzt weinend gen Himmel siehst und den dunkeln Traum des Lebens mühsam zurückrufest und auslegst – und wie du daran denkest, daß nur die erste Hälfte des irdischen Seins – ach nur ihre Hälfte – gleich der halben Sonne auf BergenAuf dem Brocken und Montblanc geht die Sonnenscheibe zur Hälfte langsam unter, dann versinket sie schnell. langsam untersinken und daß die zweite so eilig verschwinde – und wie du einige Schmerzen von neuem beweinest und an dem vorübergeflognen, am Horizonte wie überstiegene Berge liegenden Gewölke deiner beschatteten Tage hinauf- und hinabschauest – und wie das Grab eine Alpe wird und seinen breiten Schatten wirft, und wie dann deine Seele sich erhebt und auf der Höhe die Gewitter nur um sich und keine über sich findet, und wie du dich geheiligt unter die hohen Sterne schwingst und in deine Unsterblichkeit hineinblickest – und wie dir darin der Allgütige wie ein sanfter Vater lächelnd entgegengeht und du sprachlos vor ihm weinen mußt und nur mit stammelndem Herzen schwören kannst: ich will dich künftig noch mehr lieben, guter Gott! – –

Ach wenn du dieses liesest oder wenn ich dich wiedersehe, so ist ja die herrliche Stunde vorüber; und du wirst es nicht sagen, aber ich werd' es wissen, daß ich dir darin nur schmerzhaft gewesen war. O du Sanfte und Stille! warum konnt' ich dich denn je quälen? – Warum will denn die wärmste Liebe noch heißer werden durch Unterbrechen und Versöhnen, und warum richten nur unsere innern Gewitter den höchsten Regenbogen des Friedens auf? – Ach darum ist es, weil alle Leidenschaften ihren Gegenstand für so ewig halten wie sich, und weil keine Liebe glauben kann, daß ein geliebtes Wesen sterbe; – und in diesem Wahn der Unvergänglichkeit stoßen wir harte scharfe Eisfelder so knirschend zusammen, indes wir uns so eilig, von achtzig Sonnenblicken von Jahren, auflösen und erweichen...

Ich hörte hier auf zu schreiben, weil ein eiserner Gedanke gleich einer eisernen JungfrauJene bekannte verborgne Richtmaschine, die den Menschen durch die Umarmung entleibt. mit ausgebreiteten Armen voll scharfer geschliffener Messer auf mich losging und mich umfassen und zerschneiden wollte. Ich floh vor ihm aus der Laube in den freien Garten, aber er ging mit mir und sagte immer wieder: 'Hermine ist gestorben.' – Ich drückte laufend die Augen fest vor dem nur mit Trauerlampen gefüllten Tempel des gewölbten Himmels zu, und ich fürchtete mich zitternd, daß irgendein seltsam gegliederter oder getürmter Schatte oder irgendein fliegender Widerschein mir mit einem Beweise und Bilde des mörderischen Gedankens begegne. Ach aber in dem tiefen weiten Abgrunde hinter dem Augenlide sah ich dich sterben und sah deine lichten Augen den schwarzen Star des Todes geduldig-anblickend aufnehmen, dem nur wenige hüpfende Funken und Farbenkreise heller Tage vorgeflattert waren – und deine Gestalt lag in ihrem Grabe, zu einem weißen versteinerten Engel erkaltet, aber sie lächelte noch fort, als wolle sie sagen: ich habe dir vergeben und dich bis in meinen Tod geliebt, aber ich konnte dir es nicht mehr sagen... O das ist die tiefste Totentrauer in einem Menschen – und sein Leben ist ein ewiges Leichenbegängnis –, wenn er sich nach einem gekränkten verwundeten Wesen trostlos sehnen muß, womit der geflügelte Tod in die Erde entfloh, eh' er bitten konnte: vergib mir! und eh' er sagen konnte: ich habe dir wehe getan, aber ich habe dich doch geliebt. –

Auf einmal, als ich mich aus einem Schatten wieder in das Mondlicht umwandte und als mir in der dämmernden grauen Tiefe hinter den geschlossenen Augen deine Seele gleich einem Heiligen wie eine glänzende Taube aus dem dampfenden Scheiterhaufen des Lebens aufzufliegen schien: so rauscht' es plötzlich durch den ganzen Garten – ich blickte erschrocken auf – da schauete mich der ganze Himmel mit allen seinen tausend ewigen stillen Augen freundlich an – der halbe Mond stand wie ein glänzendes Stirnblatt in seiner MitteMeistens wenn der Mond gerade über oder unter uns wegrückt, regen sich Winde. – der Stern der gesichelten Zeit, der Saturn, war versenkt – ein Flug Zugvögel sank aus dem Blau in unsern Frühling mit freudigen Lauten nieder – die Geisterstunde schlug in den Türmen aus, und die ersten Minuten des Morgens und der Hoffnung kamen an – der bewaffnete Komet der Angst zerging an den ewigen Sonnen in Nebel, und ich hielt es für Sünde, von der Vorsehung so leicht zu erwarten, daß sie den höchsten Schmerz über ein wundes Herz verhänge – – – O warum befürchten wir vom Allgütigen viel leichtsinniger die tiefsten, uns gänzlich auflösenden Wunden als von jedem irdischen Freund? Ach darum, weil wir die Gegenwart ohne die Zukunft so schlecht lesen – weil wir so wenig darauf merken, daß die mit Tränen gemachten Farben unsers Schicksals, die gleich den Farben auf nassem Kalk anfangs zerflossen, unkenntlich und verworren sind, endlich zu schönen Bildern trocknen....

Hermine! Zuversicht auf Menschen und auf Gott ist die letzte und schwerste Tugend – die lichter- und blumenvolle Natur gibt uns nichts als Verheißungen, und nirgends stehen in ihr die grinsenden Gorgonen-Larven unserer Fieber. – So fasse du meine Hand und laß uns nicht nur gut sein, sondern auch froh. Die Freude ist der Sommer, der die innern Früchte färbt und schmilzt. Die Blüte trägt und gibt nicht nur künftige Früchte, sondern auch gegenwärtigen Honigsaft, und man darf ihr diesen nehmen und schadet jenen nicht. Die zur rechten Tagszeit abgenommenen Blumen der Freude bleiben, wie die gepflückten neben mir, ewig in der Erinnerung offen und wach, indes die grünenden sich bald schließen, bald öffnen. Und obgleich wir Menschen wie SchiffeDie Schiffe gehen nachts zur See, weil dann Landwinde, und kommen ein Tage an, weil dann Seewinde blasen. nur blind und in einer Nacht und weinend in die See des Lebens gehen: so laufen wir doch am hellen Tage heiter und besonnen im Hafen der seligen Peters-Insel ein, worauf die Toten wohnen. –

Aber, Hermine, nun stille bald meinen Wunsch und meine Furcht und hebe aus deinem Geburtstage eine Minute für mich heraus, worin du mir sagst: 'Mein neues Jahr ist schön – es bringt mir Freude und Liebe, und ich teile beide wieder aus.'

J. P.«


 << zurück weiter >>