Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Besonders nimmt dein Tadeln der Deutschen (weniger das in deinem Briefe als das, welches du in meinem Titan vorbringst) mich wunder, da du doch in Italien und Frankreich warest, wo jeder Fremde den Rest von Treuherzigkeit und Keuschheit achten lernt, den beide unserem Deutschland noch übrig gelassen. Unser Pindus, ein monte nuovo, der in zwei Dezennien so weit reifte wie ein Mensch, kann zwar nicht mit dem gallischen verglichen werden, der ewig die Terrasse und der Schneckenberg der Thronen und Weltleute bleiben wird – denn er darf einem Messias die voltairische Borussias entgegenstellen – dessen Held sogar im Leben so groß ist wie im Epos, wenn nicht größer – und den Schauspielen Goethes wenigstens ein kühnes shakespearisches bürgerliches Trauerspiel von fünf Jahren, woran halb Frankreich, und zwar ohne die gewöhnliche Blutwasserscheu, geschrieben hat, und ohne den tragischen Mord, wie sonst, hinter die Szene zu verlegen – allein, mein Freund, das setzet darum uns nicht unter ein Volk, dessen politische Rechtssache wir nur – wie unsere, aber leider mit umgekehrtem Effekt – mit den Sachwaltern verwechseln. –

Ich will jetzt auf einige Stellen deines Briefes etwas versetzen.

Dein Verzeichnis von historischen Druckfehlern, die ich in deiner und Siebenkäsens Geschichte begangen, soll, wie deine Zusätze, wider dein Verhoffen bei einer neuen Auflage bestens genützet werden.

»Die Menschen stellen sich jetzt auf den Kopf«; aber, Teuerster, das ist unsere natürlichste und früheste Stellung, die wir schon als Fötusse vier Monate vor der Geburt annehmen. Ja manche Völker lassen sich in derselben beerdigen, um auf die Füße zu kommen, wenn sich die auferstehende Erde umschlägt.

»Ist es recht, Leuten, die nur noch die Hälfte der Freiheit haben, zur Strafe den Rest zu nehmen?« Du meinst die Franzosen: ebenso recht, sag' ich, als wenn die alten Römer einen Selbstmörder, dem die Tat verunglückte, mit dem ganzen Tode züchtigten. Ohnehin ist ein reformierendes Volk, Guter, ein alter Lappen, der sich selber durch Blankscheuern des Silberservices ungemein schwarz macht.

In dem politischen Gemeinwesen handelt zwar die Kommunität oder der esprit de corps (es sei auf dem Schlachtfelde, oder im paziszierenden Kabinett oder in der Rentei) auffallend unmoralischer als das Individuum: allein dafür taugt in der gelehrten Republik oft das Individuum (der Autor als Mensch) den Henker nicht, sondern nur das schriftstellerische Gemeinwesen ist öffentlich verhandelnd trefflich, in welchem von einem Journal zum andern sehr auf echte Tugend gedrungen und gesehen wird. Wir Gelehrten haben hier etwas von den Athenern, die sonst in ihrem geistigen Flore – denn DemosthenesDemosth. in Aristocrat. klagt über das Abwelken desselben – die öffentlichen Gebäude, z. B. den Hafen, die Propyläa, herrlich ausstatteten und bereicherten, indes die Bürger, z. B. Themistokles, Miltiades, sich gern mit wahren Privat-Hundshütten behalfen.

Ach freilich wohl werden die Gesetze der Zukunft zu oft auf GrabhügelnAuf der Insel Man müssen sie stets auf einem alten Grabe (Tynwald-Hille) publizieret werden, nach Robertson. promulgiert, oder auf einem Sinai voll Kartätschen, und die sausende Wasserhose der Revolution rückt aufgetürmt, innen voll Donner, mit Blitzen überzogen und Staatsschiffe und Menschen und Tränen aufschlingend, über die weite Erde, und niemand kann die steilrechte Gewitterwolke halten oder sie in niedrige tragende Wellen zerlegen – ausgenommen mit dem Evangelium Johannis.Physische Wasserhosen bekämpfte sonst der Aberglaube damit; moralische der Glaube. O nie konnte Liebe und Schonung und Mäßigung und das Sonnen-System der überirdischen Hoffnungen jedem Autor notwendiger und heiliger sein als in dieser brausenden Zeit voll unmoralischer Niederlagen und – Siege, wo man den Höllenstein zum Stein der Weisen, und den tarpejischen Felsen zum Ararat jedes Staates macht. Unter so vielen Menschen oder Heklas voll egoistischer Eisschollen und leidenschaftlicher Krater wird jedes gedruckte heftige Wort, das gegen die Kälte der Weisheit und gegen die Wärme der Liebe sündigt, jede unmoralische Zeile, und hätten alle neun Musen in sie wie in einen Antikensaal ihre Insignien niedergelegt, jedes unvorsichtige Betasten oder gar Abblatten der SinnpflanzeZwei Revolutionen, die gallische, welche der Idee oder dem Staate die Individuen und im Notfall diesen selber opfert, und die kantisch-moralische, welche den Affekt der Menschenliebe liegen lässet, weil er so wenig wie Verdienste geboten werden kann, diese ziehen und stellen uns verlassene Menschen immer weiter und einsamer auseinander, jeden nur auf ein frostiges unbewohntes Eiland; ja die gallische, die nur Gefühle gegen Gefühle bewaffnet und aufhetzt, tut es weniger als die kritische, die sie entwaffnen und entbehren lehrt, und die weder die Liebe als Quelle der Tugend noch diese als Quelle von jener gelten lassen kann. Da hierin viele moralische Professionisten sich dem strengen Ideal, das sie aufstellen, auch in ihrem Leben nähern, das sie in Kathedern und Streitschriften führen: so bitt' ich sie, mich meiner Behauptung wegen nicht eher anzufallen, bis ich sie ausführlich angefallen, wozu ich Hoffnung mache. liebender zärtlicher Affekten, jede solche Sünde wird durch die Nachbarschaft der Zeit blutiger Hochverrat an der Nachwelt; und es ist ohnehin unvorsichtig, daß jetzt so viele in ein Gerüste gefügte ebene Spiegel von Autoren eine Brennspiegelhitze auf eine Stelle richten und werfen, auf welcher ebensogut Schießpulver als gutes Gesäme liegen kann, und die auch im letztern Falle ihre Wintersaat schöner unter der schonenden und gleich verteilten Sonnenwärme treiben würde.

Ich nannte noch das Sonnen-System der überirdischen Hoffnungen, nämlich die Religion (worunter ich das Leben für die Unsterblichkeit und die Gottheit meine), die in sehr tatenvollen arbeitenden Zeiten, unter dem Treiben der Plane, unter dem Stürmen aller Kräfte sich wie am Tage der gestirnte Himmel am ersten verhüllt: nur im Frieden und in der Stille öffnet diese leise Göttin ihre Lippe und ihr Herz. O diese Trösterin und Schutzheilige der Leidenden sucht jetzt selber bei Leidenden Schutz, – an deinem so oft von ihr erquickten und geheilten Herzen, du sanftes stilles Geschlecht, liegt sie nun angeschmiegt, und wenn vor deiner Einsamkeit die gezückten Schwerter der Männer und blitzende Parzen-Augen und Hände voll Blut und bleiche aufgerissene Menschen und der ganze lange Sturm der Zeit vorüberziehen, so weint und blutet und tröstet die Unsterbliche mit dir, und ihr umfasset euch dann fester.

Ich bin sehr ernsthaft geworden, nicht wahr, Heinrich? – Aber über folgende Stelle deines Briefes bleib' ichs doch noch: »Wenigstens tut der allgemeine europäische frohe Anteil an jedem Bilde der Freiheit ihr Dasein im Busen, wenn auch nicht im Lande dar: ist nur einmal das, so brütet sich der Adler schon mit seiner heißen Brust durch den hohen SchneeNach Chardin schmilzt der Geierfalke in Persien mit seinem auf den Schnee gebaueten Horst oft eine Klafter tief bis auf die Erde herab. auf den festen Boden hinab.« Ich leugne nicht dieses, sondern jenes. Die von irgendeiner typographischen und chalkographischen Gesellschaft verkauften Gemälde vom häuslichen, Idyllen- und Landlebenglück entzücken nicht den Landmann oder Bürger, der es hat, sondern den Hofmann, der es entbehrt und ders auf jenen genießet; und wohl einen Fürsten, aber nicht seine Schnitter können Gesänge von frohen Schnittern laben. Ebenso würden die Altarblätter des Freiheitsaltars einen freien Kanadier oder alten Deutschen wenig rühren, weil der Schritt vom wirklichen Besitz zur poetischen Anschauung noch genialischer ist als der von dieser zu jenem, und unsere poetischen Kinder werden, wie die physischen, gerade der Sache ähnlich, wornach man sich in den neun Monaten vergeblich sehnte. Indes wenn der Traum, daß man trinke, wenigstens beweiset, daß man wirklich dürste: so kommt der Mensch auf dem dichterischen Umwege durch die bestechenden Gemälde einer verschmähten Wirklichkeit wieder zu ihr zurück, und auf ewig und reiner, und sie geben dann der Natur, der Freiheit, dem häuslichen Glück, der Wirklichkeit einen treuern Freund zurück, als sie ihnen entführet haben.

Nun lebe wohl! Siebenkäs und seine Frau grüßen dich herzlich. – Grüße, wenn du etwan hinkommst (wir verstehen uns, denk' ich), den guten Duodezimus Fixlein in Z-ch, ferner Herrn W-ss-k in M-rf, weiter meinen lieben Schütz in B., denen ich allen Briefe für ihre guten schuldig bin, und endlich auch seinen wohlwollenden Bruder, dem du zu sagen hast, er habe in allen seinen historischen Vermutungen im Februar des Deutschen Magazins ganz recht. Stößest du nicht auf sie, so lesen sie es hier ohnehin selber. Mir tut diese leichte Manier, auf Briefe in brieflichen Vorreden zu antworten, jetzt unter dem Antworten so wohl, daß ich künftig öfters zu ihr greifen werde, besonders da die Sache das Publikum nichts angeht, das froh sein muß, wenn ich ihm keine bogenlange, nur mir ersprießliche Dedikation in den Weg und unter die Füße werfe. – Kommst du nach Nürnberg, so schwöre, wie ich allda schon selber tat, daß ich im ganzen Buche auf kein Individuum satirisch gezielet: ich kann und mag keinem Menschen auf seiner fliegenden Flucht durch das Leben den Giftpfeil der persönlichen Satire vorn ins Herz oder auf das Schulterblatt nachwerfen, die, ungleich der allgemeinen, keine heilenden Schmerzen macht, sondern nur eiternde. – Couvertiere deine Briefe nicht mehr nach Hof, sondern nach Leipzig, wohin mich das Schicksal kurz vor Empfang deines Briefes selber couvertieret hat: ich stehe noch an, ob ich mich da habilitiere als Bakkalaureand. Ach trätest du einmal da zu Meßzeiten auf! Wahrlich ich würde dich kennen! – Lebe denn wohl! Das Verhängnis reiche dir (um deine Allegorie zu brauchen) »recht viel aufgelöseten Grünspan und viel LöschpapierAnspielung auf eine Erfindung von Hooke, der (1670) den blauen Himmel durch Löschpapier voll filtrierten Grünspan und die Wolken durch obiges Oleum nachmachte und diese wieder durch Vitriolöl vertrieb. zu deinem Himmel und gebe dir kein oleum tartari per deliquium zu Wolken darin, oder doch sogleich das Vitriolöl eines nassen Auges«. Ach, Heinrich! Doch noch ein Wort! Sagen denn eben diese deine sehnsüchtigen Ausdehnungen, die den seufzenden Busen mitten in allen blauen und goldnen Himmeln des tiefen Lebens drücken, dir nicht, du Ungläubiger, daß dein Firmian recht hat, wenn er glaubt, daß wir, gleich Menschen in polnischen Steinsalzbergwerken, unter und in der Erde leben – daß wir in dem auf ihr liegenden Himmel oben nie gegangen sind – daß aber doch an der Ein- und Ausfahrt eine blaue Stelle, ein Blitz des überirdischen Tages zu uns niederkomme, vor welchem das elende Flimmern des Salinen-Souterrains erlischt – und daß wir eben darum, bis wir oben ins Freie hinauf sind, uns so unendlich sehnen, Heinrich?

Leipzig, den 23. März 1798.

Jean Paul Fr. Richter.


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