Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Alte Vorrede von Siebenkäs selber

Der heilige Ambrosius sagte, der Müßiggang sei das Kopfkissen des Teufels. Da ich nun glaubte, der Satan verdiene keines: so hab' ichs ihm, wie einem Sterbenden, vor einigen Vierteljahren unter dem Kopfe weggezogen und mich selber darauf gesetzt und meine Zeit nicht unedel mit dem Zusammenschreiben einiger ganz munterer Pasquille verbracht.

Meine besten setzt' ich freilich vor meiner Geburt schon auf, und es sollen nachher die Personen ohne Scheu spezifizieret werden, die mir solche gestohlen: die schlechtern, die ich bloß auf hiesiger Erde ausheckte, leg' ich hier der gelehrten Welt mit Achtung vor. Mein Jammer ist nämlich der, daß wir alle – welches jeder aus seinem Plato sich erinnern muß, wenn nicht aus seinen dunkelsten Erinnerungen – vor diesem Leben und Nationalbankerutt der Geisterwelt auf einem trefflichen KometenNach Lambert wohnen auf Kometen feinere höhere Wesen als auf Planeten. (wenns nicht gar Whistons seiner war) ganz vergnügt zusammenlebten, bis wir sämtlich einiger Spitzbübereien oder Todsünden wegen auf diese Pönitenzpfarre des Universums durch die Geburt heruntergetrieben wurden, so daß dieses Leben nur die Narbe eines vorigen ist. Der Whistonsche Schwanzstern scheint mich und Meusels Deutschland und alle Seelen in Gestalt seines Schwanzes, wie ein reifer Frosch den seinigen, abgeworfen zu haben auf die grüne Erde herein.

Eh' nun das geschah, bracht' ich droben auf dem Bartstern meine besten Stunden und Jahrhunderte damit zu, daß ich den ganzen Tag statt auf dem Musen- oder Stecken- oder irgendeinem Schaukelpferde bloß auf einem festen Lese-Esel saß und darauf Werke am Schreibpult ausspann und aufsetzte, wie zu wünschen wäre, daß sie jeder schreiben könnte. Die Werke waren zwar spaß- und ernsthaft, aber himmlisch: ich vereinigte darin alle Schulen, die niederländische, die welsche, die gallische, und alle Manieren, die trockne, die fette, die warme, die kalte, und alle Kunstrichter und wahre Unmöglichkeiten – und die Flügel, die ich darin der Dichtkunst und der deutschen Sprache ansetzte, waren von Holz und Windmühlenflügel, damit die kursächsischen Kunstrichter nichts dazu zu machen brauchten als den Wind. Meisterstücke sind im Himmel leicht: man hat da keine Eßlust, kein Brotstudium und weder Kind noch Kegel und schreibt ohne Unterleib und mit transparenten Fingern ganze Ewigkeiten a parte ante am ersten besten Opus fort. Ich war da mit schönen Geistern bekannt, die, bevor sie hienieden alles vergaßen, droben wenigstens so viel wußten als ein hiesiges Titularmitglied einer Akademie, wenn nicht so viel wie ein wirkliches.

Schwer ists mit einem solchen supralunarischen Scharfsinn zu paaren, daß ich droben mich dermaßen vergaß, daß ich in einigen von meinen Manuskripten andere Leute blättern und studieren ließ. So viel ist wenigstens ausgemacht, Swift und Sterne und Butler hatten weiter keinen Schaden davon, daß ich ihnen solche Werke wie das Märchen von der Tonne und Tristrams Leben und Hudibras – welche ich für die drei besten Satiren und unerbittlichen Parzen gegen Toren halte, die ich je gemacht – nicht nur vorlas, sondern auch wochenlang vorstreckte im Manuskript. Die Folgen weiß jeder: ich setzte dadurch die Briten instand, es wie jener alte Poet zu machen, der (nach Seneka) die Gedichte, die ein anderer Poet öffentlich herlas, augenblicklich in seinem Fang-Gedächtnis behielt und sie für seine erklärte, weil ihr echter Verfasser sie nicht wie er vermochte herzusagen. – Trugen die drei Engländer nicht meine drei Werke, jeder sein Stück satirisches Polen, in ihrem weiten Gedächtnis und Gewissen wider die gemeine Moral auf die Erde herab und nahmen daselbst weiter nichts – um den Ruhm großer Autoren zu erringen – vor, als daß sie mir, der ich in der andern Welt noch passen mußte und es auf keine Weise zur Geburt bringen konnte, den meinigen stahlen und für meine zum hiesigen Fortkommen hingeworfnen Gedanken das Honorar einzogen? – Ich merkte das den Augenblick, da ich geboren war, und wollte vor Erbosung wieder in den alten Bartstern hinauf, sitz' aber noch hienieden.

Gleichwohl würd' ich darüber hinweg sein, weil ich den Trost hätte, daß die Welt, wenn sie jenes stechende Klee- und Nesselblatt in die Hände nimmt, sich eigentlich bloß um mich verkettet stelle, gleichsam um einen frischen Zitteraal, und daß mich das erste Glied bei den Schwanzflossen, das letzte beim Kopfe angreife, damit ich elektrisch in den verknüpften Zirkel dreinschlage – ich würde das tragen, sag' ich, daß man meinen bessern und überirdischen Satiren ihren Geburtsort nicht anmerkt, da sie so trefflich die irdischen Toren (die ja aber auch droben hausten) abschatten – ich würde über alles dieses wenig Umstände machen: müßt' ich nicht erleben, daß meine ernsthaften Werke, diese ausländischen Gewächse eines höhern ätherischen Vaterlandes, diebisch vor meiner Geburt gedruckt, als inländische umlaufen. Es ist ein trauriges Los, daß gerade meine Ideen zur Geschichte der Menschheit und meine zerstreueten Blätter von meinem Plagiarius Herder für seine Werke und für Autochthonen von Weimar ausgerufen werden, so daß solche Erzeugnisse eines schönern Klimas – bei allem ihren höhern Erd- oder vielmehr Himmelsgeschmack, ungeachtet ihrer Sonnensysteme und Sternschichten strahlender Ideen und ungeachtet eines zugleich Blüte und Früchte tragenden Stils – nun in allen deutschen Kreisen als Werke kursieren, die auf dem Planeten geschrieben worden. Freilich wenn Cicero sagt, er glaube, wenn er seinen Kato vom Alter lese, den Kato selber zu lesen, so glaub' ich oft, wenn ich meine Herderschen opuscula lese, ihn selber zu hören, da ich ihn kenne; aber es tut doch nicht gut.

Jetzt da ich nun endlich nach langem Harren auf das Theater des Lebens hereingesprungen bin und zwölf der besten Köpfe unter dem großen breiten Lorbeerkranz stehen sehe, den ich allein aufhaben wollte, jetzt wird mirs niemand verdenken, daß ich in einer Vorrede meinen Kranz bescheiden, aber durchaus wiederhaben und allein aufsetzen will, wiewohl er nicht viel leichter ist als Davids Hundertunddreizehn-Pfünder von Krone. Sollte man mir denn härter mitfahren wollen als den Benediktinern des dreizehnten Jahrhunderts, die endlich doch im siebenzehnten eine ehrliche Seele fanden, welche ihre Werke, die man so lange einem Virgil, Cicero und Livius zuschrieb, ihnen wieder zustellte, nämlich den Pater Hardouin? –

Anlangend gegenwärtiges Buch, so ist es dumm genug; denn nun, da ich auf der Erde sitze, kann ich so wenig zeugen wie sie selber. Was wird überhaupt ein Wesen in einem hypochondrischen Körper (diesem innen mit Nägeln bedornten Regulus-Faß) und im Frondienste des Magens und des Pfortadersystems wohl Sonderliches für seinen Verleger und Vor- und Nachdrucker in die Presse schicken? Weit muß alles unter die blühenden Abkömmlinge seines freiern wärmern Lebens fallen, und er muß sich selber welkend im Spätjahr des Daseins bücken. Hält man mein antediluvianisches Märchen von der Tonne oder Tristram zusammen mit gegenwärtigem Posthumus, den ich bloß auf dem Planeten gemacht: so erstaunt man über den Unterschied und begreift nicht, wie derselbe Kopf vor seinem Leben so gut schrieb und nachher so schlecht. – Keine Zeile hätte ich machen sollen. – Es kann wenig Leser haben – wenigstens nicht zwei.

Denn es ist überhaupt, kantisch davon zu sprechen, nicht mehr als einer möglich, und der bin ich selber. Ich kam erst heute vormittag mit einem Grade des Schreckens darhinter, den ich einmal an andern observieren möchte. Ich war nämlich vergnügt über einen Traum voll Potentaten aufgestanden und hatte unter dem Anlegen der Montierungsstücke die Städte zusammengezählt, die mich lesen würden: als der Teufel einen kritischen Philosophen in die Stube führte, der – vielleicht neidisch über die Saat meiner Lorbeerwälder – mir sein System wie ätzendes Sublimat eingab und mich auf der Stelle schwächte. Er tat mir dar, der Raum und die Zeit und die Kategorien wären an und für sich oder für andere Wesen ganz und gar nichts, aber für Menschen alles, und wir erschüfen uns durch diese Denkformen die ganze Sinnenwelt (so daß wir sie sogleich darauf oder darunter empfänden) – Inzwischen bezögen sich alle diese innen von uns gemachten äußern Erscheinungen unverhofft auf wahre echte Dinge an sich, auf wirkliche, ihm ganz unbekannte X's (wiewohl nicht auszumitteln sei, wie und warum), und er selber, als sein eigner optischer Betrug, bezöge sich auf ein solches in ihm angesessenes X, welches eben der eigentliche Granitkern und das Ich seines Ichs sei. – Aber da er von diesem ganzen Inkognito-Universum nie, auch nicht nach dem Tode, etwas oder nur so viel zu sehen bekomme, als Hogarth auf seinen Nagel zeichnen könne, so seh' er nicht ab, warum er sich um ein ewig gleich dem Nichts verstecktes Etwas, um eine ewig unsichtbare Spiegelfolie sichtbarer Gestalten im geringsten so viel wie um gute hübsche Erscheinungen scheren solle, die er doch wenigstens als solche kenne. – Gelte nun das, so behalte er keine Welt übrig als die in seinen plastischen (Denk-)Formen gebackne, nämlich die von ihm ins durchsichtige verborgne weite X gewürkten und gestickten Figuren oder Erscheinungen, worunter er mich zu stellen sich die Freiheit nehme. Ich kehrte aber auf dem Platze den Spieß um und versetzte ihn selber unter die nur in meinem Kopfe seßhaften Phänomena, die ich aus Gefälligkeit mit den Grund-, Vor- und Passerformen meiner Sinnlichkeit und meines Verstandes gestalte. Wir kamen hart hintereinander, jeder wollte der Idealist sein und den andern in seinen Sprößling und Nestling verkehren und ihn nicht außer dem Kopfe leiden – bis ich den Philosophen außer der Stube hatte, wodurch ich ihn so denken konnte, wie ich wollte.

Inzwischen hatt' er mir darin in seinem idealistischen System einen häßlichen Stoßvogel des ganzen Universums dagelassen, der alles erwürgte und abrupfte – mein kritisches Basiliskenauge brachte alles in Kuhschnappel um, die Patrizier, den Venner, meinen Mietsherren, die gute Lenette, und vor einem Spiegel hätt' es mir selber zusetzen können – durch den giftigen Samielwind des Philosophen waren alle Weltteile, sogar die unentdeckten, und die regierenden Häupter in den genealogischen Verzeichnissen und ihre Hofkalkanten und alle Pupillenkollegien und die vier Fakultäten und die vier großen Monarchien und der ewige Jude samt der ewigen Judenschaft wie weggeblasen – und es blieben kaum so viele Wesen stehen, als man mit einer Nachtmütze bedecken kann, welches nur ein einziges, nämlich ich unter meiner war. Durch diesen giftigen Hüttenrauch starb auch die ganze Lesewelt bis auf einen Leser aus – sogar dem kritischen Philosophen war nicht zu helfen, und es mangelte ihm an Existenz, mich durchzugehen. – – Wahrlich dem Philosophen kanns nimmermehr wohlgehen, daß er in der tödlichen Arsenikhütte seines Lehrgebäudes mich in wenig Stunden so weit gebracht, daß ich jetzt der kurze Inbegriff und Extrakt oder das Phlegma aller verflüchtigten Leser sein muß und der Repräsentant des verdampften corpus. So sitz' ich hier und schreibe unmäßig und bin von niemand gelesen: denn ich selber habe dazu wenig Zeit und kaum genug zum Schreiben.

Was mich erhält und beruhigt, sind die Rezensenten, denen zwar als unbekannten X's oder als Sachen an sich Organe zum Lesen nicht zugesprochen werden können, die aber auch keine brauchen: es ist genug, wenn sie mich öffentlich preisen und dann erst (falls sie genugsam außer mir existieren) lesen. Ich baue mich gegen ihre kleinen Dragonaden – obgleich unter allen Dingen, selber unter den schlimmen, keines so leicht ist, als sich selber verteidigen, oder so komisch oder so süß – in folgenden Verhack aus Gründen ein.

Kein humoristisches Werk kann – seinen zweiten, dritten, vierten, xten Teil ausgenommen – das erstemal gefallen, sondern erst, wenn man es zum zweiten, dritten, vierten, xten Male lieset: muß nicht Swift dreimal, Hudibras neunmal, Tristram einundachtzigmal durchgelaufen werden, ehe man etwas davon goutiert? – Wenigstens einmal muß jedes launige Werk gelesen werden, wenn es affizieren soll; und ich postuliere nicht weniger.

Ferner. Wenn auch die Satire viel seltener die Laster als die Narrheiten wegjagt, und beide mehr vom Markt als aus der Stube: so wirft sie doch den Lastern die zerbrochnen beschmutzten Wappenschilde vor die Füße und hängt sie in effigie und tut ihnen überhaupt so viel Schimpf und Schande an, daß ein ehrlicher Mann mit ihnen, außer im Notfall, nichts zu verkehren haben mag und sie ganz verachtet, indem er sie gebraucht. In allen Jahrhunderten hatten die Laster ihre Lehnleute, ihre Lehnlakaien, ihre Rudersklaven und Schwarzen; aber nur in den verdorbensten hatten sie ihre Parentatores, ihre Laureaten, ihre chevaliers d'honneur und Kammermohren; und es ist kein gleichgültiges Zeichen unsers jetzigen moralischen Wohlstandes, daß wir in unsern Tagen noch die Unkeuschheit z. B. völlig ebenso kühn und so oft als die Keuschheit persiflieren. Daher hat noch jeder eine sittliche und eine unsittliche Sprache, wie die Juden außer dem Christendeutsch noch ihr Judendeutsch. –

Sooft ich an anatomischen Theatern der Sektion von Kinnen beiwohnte, so sah ich, daß uns der Prosektor an zwei Arten von Kinnen keine Lachmuskeln, die etwan ein Butler, Steele, Addison hätte fassen können, auszuschälen und zu zeigen vermochte, an den Kinnbacken ohne alles Barthaar und an den zu langbärtigen. Da nun an Jünglingen jene und an akademischen Lehrern diese sitzen, und da gerade beide mich rezensieren werden: so muß ich ihnen hier zugleich drohen und versprechen, um sie zum Loben wider eigne Überzeugung zu zwingen. Ich sage das: die Juden erzählen: wenn der Prophet Samuel aus einem guten Traum erwacht war, so fragt' er verneinungsweise: »Reden wohl die Träume Eitelkeiten?« – Hatt' er einen schlimmen gehabt, so sagte er und behauptete es: »Es reden wohl die Träume Eitelkeiten.« – So will ichs machen. Werd' ich von den kritischen Blättern hinlänglich gepriesen: so steck' ich sie ein und gehe zu einigen guten Freunden und frage: »Sollte denn an allen gelehrten Anzeigen nichts sein? Unmöglich: viele haben ihre Meriten; nur ziehen schlechte Autoren aus ganz begreiflichen Gründen gegen sie los und zu Feld, indes bessere sie immer achten und scheuen, so wie die Schönen, aber nicht die Fliegen vor den Spinnen wie vor Siegern laufen und ihre Gewebe schonen, da doch nur die Fliegen von ihnen gefressen werden.« – Wagt man es aber, mich in kritischen Schatten zu setzen: so geh' ich herum und sage es frei: »Ich kenn' ein wenig das Rezensiten-Wesen, und jeder danke Gott, den sie nicht loben. Wer gern für die Nachwelt einmariniert sein will, der muß den Mumien gleichen, denen man vorher das Gehirn ausnahm, und die man mit beizenden Mitteln ausrieb, eh' man sie mit wohlriechenden Spezereien die für Ewigkeit in Rauch aufhing.«

So, glaub' ich, hab' ich meinen Lorbeerbaum gegen kritische Setzhasen genug bedornet und kann nun meines Weges gehen.

Der Verfasser ist ein neuangehender Ehemann, und das Werk, das er hier in die Welt setzt, ist die erste rechtmäßige Frucht seiner Ehe. Und so schütt' ich denn diese gezahnten Sennesblätter in den fliehenden breiten Strom des dunkeln Lebens, bis er mein Ufer und mich selber unterwühlt und mit seinen Wellen wegzieht, und ich den Blättern und den ältesten Lesern nachschwimme.

Übrigens wünsch' ich von Herzen, daß dieses eine Vorrede ist, und empfehle mich Unzähligen, will aber durch Stillschweigen nichts eingeräumt haben, sondern setze Freunden und Feinden generalia juris entgegen, reserviere mir quaevis competentia und protestiere gegen Reprotestationen. Kuhschnappel, im August 1785.

Firmian Siebenkäs,
zeitiger Armenadvokat.


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