Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Personalien vom Bedienten- und MaschinenmannTeufels-Papiere S. 509.

Ich werde sie nie auf der Erde referieren – jeder Hund kennt da den Maschinenmann –; aber auf dem Saturn teil' ich sie mit Vergnügen mit. Ich habe einige Hoffnung, nach dem Tode mein neues Jerusalem auf dem Saturn zu finden, da kein anderer Planet solche Lichtanstalten, einen siebenarmigen Leuchter von Monden und eine leuchtende Nachtschlange von einem Doppelring, aufzeigt. Auch kann ich nicht eher selig werden, als bis ich vom verdammten Maschinenmann wenigstens 130 Millionen Meilen absitze – und das tu' ich auf dem Saturn in der Erdferne.

Saturnianer! – werd' ich anfangen, noch eh' ich drunten eingesargt bin – das Neueste und Tollste auf der Erde ist der Maschinenmann auf der Insel Barataria, aus der ich vor wenigen Stunden abstieß.

Da er mich oft besucht hatte – durch eine Visitenkarte, wie er denn die Reise um die Welt durch bloßes Herumschicken unzähliger Visitenblätter getan –, so macht' ich ihm die Gegenvisite in natura. Der Maschinenkönig war, als ich landete, schon geweckt, seine Bette- und Fenstervorhänge schon aufgezogen, Licht und Feuer schon gemacht – alles von Morgues Wecker.Pater Morgues erfand wirklich einen Wecker, der alle diese Dinge verrichtet. Er und seine Dienerschaft hatten eben die Kinne in die BartroßmühleIn Krünitz' Enzyklopädie B. 3. wird eine Bartroßmühle vorgeschlagen, die in einem runden Gebäude mit Kopflöchern besteht, in welche man den Bart einsteckt, den die Schermesser eines horizontalen, von einem Pferd getriebnen Rades abnehmen; und sogar den Boden dieses Unkrauts mit, das Kinn. gesteckt und wurden von dem darin trabenden Gaule durch ein Mühlenrad in corpore balbiert. Als er glatt war, mußte sein Arm- oder Deltamuskel – so hieß ein Leibpage, der sein dritter Arm war und der das Schnupftuch an ihm handhabte, wenn er niesete, und der ihm Schnupftabak in die Nase eingab wie einem Pferde Arzenei – sogleich laufen und die Sprachmaschine holen und sie seinem Bauche verbinden. Der Maschinenmann griff auf der Tastatur die ersten Akkorde der Ouvertüre, welche hießen: »Ihr ganz Gehorsamster! guten Morgen !« –

Ihr Saturnianer hättet ihn oft hören sollen, wenn er als Bruder Redner vor Mutterlogen die feurigsten Mauerreden spielte oder vor dem Beichtstuhl orgelte oder als Professor der Eloquenz ein Stilistikum abfingerte. Weil er nie eignen Wind zum Reden brauchte, sondern fremden: so hätt' er als König von England ganze sieben Jahre fort im Parlamente reden können. Nur Gebete spielte er nicht auf seiner Maschine: sondern der russische Resident mußt' ihm das Beträdlein der KalmückenEs heißet Kürüdu und sieht wie eine Kinderklapper aus: die Betformeln sind in einer Kapsel an einem beweglichen Stiele aufgerollet – und sie drehen heißet beten. An Orten, wo noch das Tischgebet Gesichter und Hände in Verlegenheit setzt, sollte man zum Betrad greifen und so das Dankgebet vom Bratenwender zugleich mit dem Braten drehen lassen. verschreiben; und daher kam es, daß die Kirchenvorsteher ihm nachsagten, er habe nie für seinen reisenden Landesherrn oder die schwangere Landesherrin ein Schuß-, Stoß- oder anderes Gebet getan, sondern vielmehr im Kirchenstuhl lustig etwas geschwenkt: aber das war ja eben seine Betmaschine und sein Gebrauch davon, und es wurde nachher höhern Orts schön erkannt.

Jetzt ließ er sich von seinen Leuten wie einen Kegel aufstellen, um mit mir zu lustwandeln und mir sein Schiff und Geschirr zu zeigen. Sogleich kamen alle seine Träger gelaufen: wenn Fürsten nichts haben als Schleppenträger – Infulträger – Gebetpolsterträger – oder wie der Mogul Betel- und Säbelträger: so hat der Maschinenkönig Uhrträger, Hutträger, Dosenträger, Lorgnettenträger und einen Lektor mit einem Buch unter dem Arm, dessen Velinblätter bei Gelegenheit nach der Pagina – ausgerissen werden. Gleichwohl hab' ichs aus – seinem Munde nicht sowohl als aus – seiner eignen Hand, die mir alles aufrichtig vorspielte: »er sei zum Lastträger verdammt: wer trag' ihm seine Krawatte, seine Stiefel, Strümpfe, Sommer- und Beinkleider und alles? Und wer geb' ihm denn eine Maschine, die ihn in Bewegung setze, ein Gehwerk?«

Ich sehe voraus, die Saturnianer, die rings um mich auf den beiden Ringen des Planeten sitzen und mir zuhören, ärgern sich über den Mann; aber ich komme noch besser.

Saturnianer, fahr' ich fort, der Maschinenkönig führte mich jetzt in seine Appartements, erstlich ins Schreib- und Studierzimmer. Es ist unbedeutend, daß er nirgends da ein Federmesser hatte, weil er bloß an eine federschneidende Maschine gewöhnet war; aber es ist wichtig, daß es der Mann bereuete, daß er, da er auf der Marterbank des Harmes saß, den Tod seiner Frau an die Freunde herumgeschrieben hatte mit einer Schreibmaschine des Kaiser Josephs, die jeden Brief, den man mit der eignen Hand hinschreibt, sogleich verdoppelt und kopiert. »Ich hätte nichts schicken sollen«, sagt' er, »als einen leeren Bogen Papier, der schwarz gerändert gewesen wäre.« Er hatte ein Buch Trauerpapier zu Trauerfällen für die Zukunft liegen – ferner grüngerändertes, um Ehescheidung zu melden – gelbgerändertes, um seine Hochzeiten anzusagen, und ventre de Biche-gerändertes für Beerbungen. Ich kann aber die Zuhörer auf beiden Ringen verständigen, daß diese bunten Farbensäume schon längst als Semiotik und Signatur der Pariser Notifikationsschreiben bekannt gewesen.

Er führte mich darauf in seine Bibliothek zur großen Enzyklopädie von d'Alembert, die in weiter nichts bestand als in einem alten – Franzosen, der sie auswendig konnte und der ihm alles sagte, was er daraus wissen wollte: wie ein Römer (nach Seneka) Sklaven hatte, die an seiner Statt den Homer hersagten, wenn er ihn zitierte, so wünschte sich der Mann herzlich noch einen chemischen Pagen, einen astronomischen, einen heraldischen, einen kantianischen, damit, wenn er etwas schriebe, er bloß die Pagen wie Bücher um sich stellen und in ihnen nachschlagen könnte, ohne selber alles zu wissen. –

Das Rechnen, das er fertig konnte – aber nicht das Einmaleins –, betrieb er nicht wie eine Maschine, sondern durch eine Maschine. Er drehte nämlich die Rechenmaschine des Herrn Hahn ein paarmal um, so hatt' er sein Fazit und Spaß dazu. – Warum stellte man nicht längst auf der Erde die Hahnische Maschine, da sie Gewissen hat, als Rechnungsrevisor an? – Der Maschinenkönig schwur, höhere Wesen müßten eine Algeber-Maschine erdenken können: »Seid ihr mit einer versehen, Saturnianer?« fragt' ich.

Die Gelehrtenbank auf dem einen Ring und die Ritterbank auf dem andern bat mich fortzufahren, da die Tage auf dem Planeten so äußerst kurz seien, obwohl die Jahre äußerst lang wie meine Erzählung. – Im Erdenleben sind gerade die Jahre kurz, die Lebensalter noch kürzer und das Leben am kürzesten, aber die Tage sind lang, die Stunden noch länger und die Minuten oft Ewigkeiten.

Sooft er zum Fenster hinaussah und die Himmel und das weite Meer beschauete, so mußte sein netter, wie ein Almanach gekleideter Page hinter ihn treten und ihm die Schönheiten rührend vorschildern, damit sie ihn stark bewegten.

In der Rührung führt' er mich in den Konzertsaal und sagte, er sei der Musik-Direktor und das Orchester: »Nichts ist dabei lebendig: Komponist,« sagt' er, »Notist, Harfenist, Flötenist, Taktschläger, alle sind Maschinen; nur der Zuhörer nicht.« – »Bei unsern Winterkonzerten«, sagt' ich, »ists oft gerade umgekehrt.« Der Komponist bestand aus einem Paar Würfeln, womit der Bedientenkönig nach den im Modejournal gelehrten Regeln des reinen Satzes einige musikalische Fidibus erwürfelte – der Notist war nicht Rousseau, sondern ein sogenanntes SetzinstrumentEs ist ein in Berlin erfundenes Klavier, das alles auf ein Papier aufzeichnet, was man darauf spielet., worauf der Mann die erwürfelten Tonstücke spielte, damit sie aufgeschrieben würden – der von Renaudin in Paris erfundne Chronometre schlug den Takt – Vaucansons Flötenist blies, eine hölzerne Mamsell, von Jaquet Droz geschnitzt, spielte auf einer Orgel mit kartenpapiernen Pfeifen – eine Äolsharfe harfnete am offnen Fenster – der Maschinenkönig war im Himmel – ich in der Hölle.

Nun gingen wir zur Tafel, nämlich zur Maschinentafel. Für den Maschinenmann stieg ein kleiner stummer Knecht herauf, der aussah wie eine große Hanfmühle. »Ich käue nie«, sagte der Mann, »und schneide mit den Zähnen niemals etwas Härteres entzwei als die Dentalbuchstaben. Aber meine Käumaschine tut alles.« – Da die Käumaschine aus mehrerem Nußknackern bestand und ihre Weisheits-, Hunds- und Schneidezähne hatte und unten durch Kommunikation zugleich mit dem Bratenwender umlief: so wurde jede Faser seines Gebratenen wie von einem Lumpenhacker fein darin zerstoßen, und nach sechzig Umläufen kam ein fertiger Löffel heraus und reichte dem Manne zu essen. »Sie sehen,« sagte der Maschinenkönig, »ich brauche bloß dabeizusitzen und den nötigen Speichel dareinzutun und dann zu schlucken. Ich hab' es noch nicht erlebt, daß solche Prosektoren nur einen Bissen ganz und zu groß gelassen hätten, welches für einen hysterischen Magen ein verdammtes CamnephezDie Mitlauter dieses Wortes bedeuten diejenigen, die man im Hebräischen am Ende eines Wortes größer als die andern schreibt. wäre.« –

Der Mann kann den Tag nur einmal selber reden, und das ist, wenn er sich über dem Essen betrunken hat: auf der ganzen Insel heißet man die Rede die Chrie des Maschinenkönigs. Hört sie an, ihr Saturnianer!

»Allerdings ist und tut der Mensch in meinen Tagen schon etwas durch Maschinen: sonst schneuzte er das Licht mit den Fingern – dann mit einer allgemeinen Schere – dann mit einer Lichtschere – darauf mit einer elastischen – dann mit einer neuen englischen – endlich schneuzte sich das Licht selber mit einer an den Leuchter gemachten. Ich will so viel sagen: ich dresche, säe, spinne, kartätsche allerdings durch Dresch-, Säe-, Spinn- und Kartätschmaschinen – ich kann mich, wenn ich muß, mit jedem Edelmann schlagen durch eine eiserne Jungfer, wie Fürsten sich mit Fürsten schießen durch die große eiserne Jungfer einer Armee – ich leugne auch nicht, daß ich gute Claude Lorrains mit meiner camera obscura mache, welche auslöschen, sobald die Sonne weg ist – ich würde undankbar handeln, wenn ich nicht bekennte, daß ich allerdings meine Zeit nicht mehr nach meinen Ideen und Kalendern zu messen brauche, sondern daß sie die Jahres-Uhr und der Datumszeiger nachrechnet, wiewohl noch immer Uhren fehlen, die so lange gehen als ein Mensch, nämlich achtzig Jahre – und niemand weiß besser als ich, daß das kombinatorische RadDie rotae combinatoriae, die arca artium Kircheriana und dergleichen sind Künste von Kircher, Kuhlmann, Lullius, wodurch einer von einer Sache, die er nicht versteht, bloß vermittelst mechanischen Kombinationen tagelang gut soll reden und schreiben können. Morhof. Polyhist. II. 5. mein geistiges Stirnrad ist, wodurch meine Chrien gehen. Wie gesagt, das alles ist allerdings etwas und schon ein Grad der Maschinenhaftigkeit und wenigstens der Anfang. Aber man verstatte mir einmal über dem Essen, den Menschen zu idealisieren und ihn auf die höchste Stufe der Maschinenhaftigkeit zu heben, so daß er nicht bloß wie eine katholische Heiligenstatue hölzerne Arme und Beine und gläserne Augen und elfenbeinerne Ohren trüge und um sich hängen hätte, sondern auch wie diese einen ähnlichen Rumpf – ich will mir nur einen Augenblick vorstellen, er hätte dann einen papinianischen Topf statt des Magens und handhabte mit Wasserkünsten den getrunknen Wein hydraulisch – es wäre nicht einmal die Zoologie mehr lebendig, sondern ausgebälgt und voll künstlichen Gehwerks, es gäbe Entenställe von Vaucanson, Hundeställe von Vulkan, Taubenhäuser von Archytas, und ganze von Droz, Vater und Sohn, gemachte Menagerien würden aufgesperrt und fräßen nichts – nicht bloß alle Fräuleinstifte und Harems würden zu Lothinnen einmariniert, sondern die Pygmalione versteinerten sich selber zu Statuen – es gäbe dann ohnehin keine schlechtern Ichs als feine, von Materialisten gearbeitete, mit Gehirnfibern und deren Longitudinal- und Transversalschwingungen bezogne Ichs – ja die Sache wäre übermenschlich herrlich, und die natura naturans wäre verraucht, und nur die natura naturata wäre auf dem Boden geblieben, und die Maschinenmeister würden selber zu Maschinen: – – wenn das wäre, frag' ich, mit welchen namentlichen Vorzügen würde dann die Erde angeputzet sein, die jetzt so voll Löcher und Lumpen dasteht? Ich meine nämlich, wenn dann ein guter Kopf sich auf eine Anhöhe begäbe und ihre Vorzüge überzählte, schon aber vorher wüßte, daß ein Wesen desto vollkommner ist, je mehr es mit Maschinen wirkt und je weniger es eigne Arme, Beine, Ideen, Erinnerungen erst mit sich zu schleppen braucht, und daß eben darum das von allen Maschinen entblößte Tier auf der untersten schmutzigen Stufe liege, daß der Bauer, der einige handhabt, schon auf einer höhern sitze, der Handwerker mit mehrerem auf einer noch höhern, und daß die große Welt, welcher die meisten ansitzen, auf der höchsten stelle, mit welchen Vorzügen würde dann wohl der überzählende Kopf die Erde übersäet finden? – Beim Himmel! ganz gewiß mit Quietismus, Fohismus, Apathie, Asphyxie, Rentierer- und Hofdamen-Leben, Nichtssein voll Alleskönnen – woran aber wirklich vor Deutschlands neunzehntem Jahrhundert kaum zu denken ist....

Ganz natürlich fragen mich dann die Saturnianer auf ihren Ringen: »Welches war denn das Lebens-Jahrhundert deines Maschinenkönigs?«

»Das achtzehnte!« sag' ich.

»Aber wie schreibt er sich denn eigentlich?« fragen sie weiter.

»Ebenso« – (sag' ich) – »nämlich das achtzehnte Jahrhundert.«

»Und das ist der Grund, Saturnianer,« fahr' ich fort, »warum ich drunten nie dem Leser den Maschinenkönig schildern wollen: denn das merkt ihr doch beim Henker alle, daß er der – König selber ist.« – –


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