Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Avertissement meiner Rettungsanstalten auf dem Buchbinderblatte, für romantische ScheintoteTeufels-Papiere S. 161.

Ohne dichterische Unglücksfälle kann man bekanntlich keinen guten Roman und keinen guten Bankerutt machen; daher übersteigt die Sterblichkeit in Romanen bei weitem die in Batavia, und beinahe jeden Tag seh' ich ansehnliche Leserinnen mit dem Schnupftuch in der Hand als Klageweiber junge Leseleichen oder andere vom Autor justifizierte zu Grabe begleiten. Ich fasse mich und gehe niemals mit, sondern wecke in meinem Exemplar lieber den Lazarus auf. Ich ringe nämlich – wenn ich ans Ende des Buchs gelange, wo der Autor seinen scharfen Ameisenpflug über seine kleinen Weltgloben und deren Völkerschaften zieht und wie ein halber Unsinniger alles niederfährt und abschneidet – nie untätig darüber die Hände oder laufe lamentierend auf und ab, sondern ich ziehe ganz gesetzt meine Handpresse hervor und drucke damit in fortlaufender Seitenzahl das weiße Buchbinderblatt mit nichts Geringerem als mit einem kurzen Supplement-Adviso voll, daß mehrere Scheintote der vorhergehenden Seiten zur allgemeinen Freude wieder zum Leben und auf die Beine gebracht worden. So wehr' ich in meinen Exemplaren dem romantischen Landsterb. Das Buchbinderblatt wird durch dieses Rückendekret der Steinbock, worein die Sonnenwende des lebendigen Aufsteigens fällt, oder das Tal Josaphat, wo die Toten auferstehen.

Es ist bekannt – und die lebendigen Beweise davon gehen herum –, daß ich oft mit einigen Lettern, Abteilungszeichen und Spatiis ausreiche und mit solchen Sanitätsanstalten manchen armen hingedruckten Narren wieder aufstelle. Das Buchbinderblatt ist noch vorhanden, worauf ich den guten eingefrornen Siegwart legte und den Schelm so lange rieb mit Druckerballen statt mit Flanell, bis er seine natürliche Wärme wiederbekam und seine Sprache: gegenwärtig sitzt der ehrliche Schlag, so gesund als ein Hecht im Wasser, bei mir selber zur Miete und zeugt seine jährlichen Kinder und will mit eignen Händen die Supplementbände seiner Lebenshistorie nachstoßen. Der gute Mensch kann – nach Druck und Papier zu urteilen – noch länger leben als ich und Methusalem. –

Mädchen voll Liebe werden so leicht scheintot als die Pferde englischer Bereiter oder als betastete Raupen, die sogleich erharten: das frischte mich am meisten an, daß ich neulich an einer gewissen Mariane in einem Roman – von Siegwarts lange verweseter die Namensbase – meinen Teichmeyerschen Lebensbalsam, die Druckerschwärze, versuchte und ihr das antisepticum auf dem letzten Blatte eingab: es gelang wider die Erwartung aller Leser, und in der Ehe, worein sie mit ihrem Wilhelm trat, blieb ich mehr als einmal der ordinäre Gevatter. – Und so müssen mehrere von den Froschschneppern tragischer Federn erspießete Leute und Werthersche Selbstschützen noch am Leben sein, welche es bezeugen können, daß ich stundenlang am Letternkasten gestanden und weder Bleilettern – da Blei ein so gutes Schußwasser gibt – noch Druckerfirnis – das beste Brandmittel – gesparet habe, um ihnen auf einem Blatte das Lebenslicht anzuzünden, das ihnen alle vorhergehenden auszublasen unternommen. –

Totgemacht hab' ich noch wenige auf dem Blatt hinter dem Finalstock; nur selten hab' ich einen und den andern elenden, von französischen Romanen mit Wonnemonaten und ägyptischen Fleischtöpfen überhäuften Filou durch ein wenig Öl und Ruß vergiftet oder einen Finanz- und Akzispächter mit der Handpresse erquetschet oder Minister wie Terray mit Druckerahlen erstochen.

Ich biete demnach meine Toten-Wecker dem leidtragenden Deutschland in Pleureusen an. Ich mache mich anheischig, Tote jeder Art – sie mögen am Nerven-Pips oder am Gries oder an Hiobskrankheiten oder, wie Großpolen, am verworrenen polnischen Zopf gestorben sein – und nach jeder Zeit – sie mögen schon drei Tage oder drei Jahre unter der Erde gelegen, ja sie mögen schon aus Folio in den kleinsten Format gebrochen sein – – falls nur das Buchbinderblatt, dieses nötige Lüz- und HeiligenbeinNach den Rabbinen stehet der Mensch aus einem unzerstörlichen harten Knöchelchen, das Bein Lüz genannt, von Toten auf. , noch ganz ist, so erbiet' ich mich, alle Tote – nur die in Plutarchs Biographien ausgenommen, zu deren Herstellung mir griechische Matrizen und Patrizen fehlen – wieder so gut zu restaurieren und aufzustellen, daß sie so lange leben als jeder im Buch, nämlich so lange als das Buch. Man schickt mir bloß sein Exemplar ins Haus nebst dem Avis des angeplätzten Helden, der erhalten werden soll, und bekommt dann den signierten Menschen lebendig und genesen zurück.


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