Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Der Reisehofmeister – ich darf mich so nennen – begleitete darauf seine kleine einmännige Fürstenschule auf ihren und seinen Reisen durch

Straßburg, wo er des RegimentsfriseursStorch erzählt es auch. nicht unrühmlich gedachte, der ihn da einmal – und zwar weniger seine Haare als deren wüste Region – eingepudert hatte: denn die Garnison hält den Menschen deshalb und will wie der spartische Krieger voll Staub sein oder wie der ringende Athlet. Nicht darum, weil Sachsen sich auch mit S anfängt, führt' ich dann meinen Sirius-Koadjutor dozierend durch solches, sondern weil ich selber einmal mit einem FreundeMit Siebenkäs ging er, wie die Menschen aus dem vierten Teil der Blumenstücke wissen, nach dessen Tod aus Kuhschnappel nach Hof und Töpen. dadurch gereiset war, und weil mir noch im Hundsstern der Spaß erinnerlich blieb, daß ich und mein Freund – nach saldierter verdammter herrlicher Kreidenzeichnung mit der Wirtskreide – aus Scherz und Grimm zugleich den Schultheiß von Sachsen über den Flor der sächsischen Preßfreiheit und Staatswirtschaft, ferner der Chausseen (im Morast zogen wir die Ferse gleichsam aus einem Stiefelknechte nach dem andern) – und über die inländischen Repräsentanten im Parlament ausgefraget hatten; – welches ungemein komisch klang, da das Nest, ein winziges Pfarrdorf, zum nürnbergischen Pflegamt LichtenauFabri in seiner Geographie für alle Stände (S. 173. 3. B.) zitiert das erbärmliche Dorf, das nun wohl kein Mensch ansehen und nennen würde, wenn es nicht so spaßhaft an ein Kurfürstentum erinnerte, das gerade so viele große Städte aufzeigt als jenes Hütten. gehörig, kaum siebzehn mäßige Bauerhäuser zählt. – »Sachsen«, fuhr ich in meinen Hofmannschen mikroskopischen Belustigungen fort, »wird aber nicht genug vergrößert (durch Hofmanns Schuld), und ebenso werden Sie vor dem Zahnstocher kaum

Töpen im Voigtland sehen können, wo die gebürgige Wetterscheide des hohen Schicksals mich und meinen Freund auseinandertrieb, so daß ich nach

Utrecht als die eine nasse Wolke flog, wo ich mit Vergnügen fand, daß dem Utrechter Frieden in seiner Mause doch die FederBekanntlich zeigt man Reisenden den Kiel. nicht ausgefallen ist (denn ich nahm sie in die Hand und spitzte sie), womit ihn der diplomatische Körper unterschrieben hatte – und er nach

Vaduz als die andere Hälfte des Gewitters, wo er als Inspektor jetzt donnert, hagelt und tröpfelt.

Wien, Prinz, suchen Sie allein!« – Nun borgt' er meinen Zahnstocher und tappte oder tippte ganz blind auf dem Erdkörper herum. Ich entschuldige den jungen Menschen, da der Mond schon tief über Europa stand und mehr Schatten als Strahlen hineinwarf. Um ihm zu helfen, erbot ich mich – die Idee ist aus einem bekannten Gesellschaftsspiele –, immer stärker zu pfeifen, je mehr sein Zahnstocher Wien sich näherte; und dabei wollt' ich, wenn er an alphabetische, d. h. mit einem W getaufte Städte stocherte, solche namhaft machen. –

Er fing an. » Ein Reichsgericht ist da« (sagt' ich und pfiff mäßig; denn er stach auf Wetzlar herum, als alterniere dieses mit Wien, auch außer dem Appellieren) »und das Vaduzer Inspektorat ebenfalls!« Nämlich du, du!Er meint seinen Siebenkäs. –

Ich konnte jetzt im höchsten Grade pfeifen: sein hölzerner Griffel zeigte schon auf Wienerisch-Neustadt.

Aber wie wenig war zu pfeifen, da er wieder auf Weimar stieß. »Ein Gasthof da heißet wie Sie«, sagt' ich, nämlich Erbprinz.

»Der Wandsbecker Bote ist da«, sagt' ich bei Wandsbeck.

»Liefert Wurzener Bier«, sagt' ich bei Wurzen.

»Liefert BiographenEr sagt es, weil ich da das Gesellschaftsspiel des Erdenlebens mit seinen achtzig Fragen und Antworten anfing.«, sagt' ich bei Wonsiedel und konnte wieder etwas pfeifen.

Aber ich mußt' es sogleich gar einstellen. »Es ist die Stadt Wien,« (sagt' ich verdrüßlich) »wo ich einmal mit drei Wienern zugleich logierte, und worin wir nichts taten als essen und trinken.« Letzteres fügt' ich nur bei, um den Ort – denn er hatte in den Gasthof zur Stadt Wien in Petersburg eingestochen – besser von der Kaiserstadt abzusondern.

Aber nun wurde der hitzige Thronfolger so verlegen und verdutzt, daß er X und Y gänzlich übersprang – obwohl freilich X als Ks schon unter Königsberg und Y als j schon unter Jena, gleichfalls in alphabetischem Nexus dagewesen war –, und er schlug so weit als möglich von Petersburg – denn ich sollte wieder pfeifen – ungeduldig ein, nämlich in

Zorndorf, wo die Petersburger und Wiener bekanntlich vor dem königlichen König auf das Knie gefallen waren, nicht um zu schießen, sondern um zu bitten und weil sie geschossen waren.

»Hier beim Z« – sagt' ich zum Sirius-Koadjutor, da ich gerade bei Zorndorf, ungleich den Berlinern, nicht mehr pfeifen wollte – »höret ohnehin unsere große Tour und die Erdbeschreibung auf.«

Jetzt lagen mir als Prinzen-Mentor nichts ob als die corrigenda oder die nötigen Invektiven gegen den Erdglobus oder Erd-Schusser, die ich recht zu Silberflittern an den Präservationspillen für den minorennen Dynasten brauchen konnte.

Ich nahm nun den Erdball aus dem Vergrößerungsglase heraus und überschauete – so weit es zu machen war, da das Mondsviertel schon unter der Erde stand – das dunkle Narrenschiff, die finstern, wie Gassen aneinander gebaueten Städte und das infusorische Chaos der Geisterwelt, die Menschheit. Ich sah die unzähligen Galgen und Galeeren und die nächtlichen Patrouillen der Diebe, die umfallenden Säufer und die einsteigenden Jungfernräuber; und vor mir waren die Arlequiniana der Erde aufgeblättert. Die Hühnerfaute, die Mautbedienten, die Hofstäbe, wenige Rezensenten, die Exjesuitengenerale, die Hofbeichtväter, die Libertins und Roués standen, wiewohl sie lagen und schnarchten, munter vor mir – ich konnte die unzähligen SpeelhuizenMusikhäuser, d. i. die Kontumazgebäude der Wollust. in Europa, weil noch Licht darin brannte, recht gut zählen und auch einige darin seßhafte moralische Denker und Dichter, gleichsam hetrurische Götterstatuen, an deren Füßen und Achillesfersen man den hölzernen Zapfen findet, mit welchem man sie auf den Altar einfugt – ich konnte in die erleuchteten Spielsäle der Großen gucken, die ihr Herz wie ihre Schüsseln des haut gout wegen mit Teufelsdreck ausreiben lassen – ich sah von der Kirche in St. Cloud, worin man das von Clement durchstochne Herz Heinrichs III. aufbewahrt, auf die in Gallien liegenden Gräber hin, worin unzählige von Zeptern durchstochne Herzen liegen – ich sah die Freudenfeuer der Sieger neben Vulkanen und unter dem weiten langen Kriegsfeuer brennen – das ganze besudelte, sich in die Erde nach Gold und Schmutz eingrabende Jahrhundert sah ich, gleichsam Gözens Kabinett von Eingeweidewürmern der Erde – ja sogar den Teufel sah meine Phantasie rot auf dem Vesuvius stehen, da eine dunkelpurpurne Rauchsäule sich auf dem Krater wiegte, und da eine düstere, aus Norden herfliegende lange Wolke wie ein breites stahlblaues Kriegsschwert an den glühenden Riesen zog, der es über Europa ausstreckte. – – –

Das sah ich alles. Meine Augen funkelten empört; aber als ich auf einmal einen armen erfrierenden Astronomen drunten knien sah, der nach meinen lichten Augen mit dem Sternrohr visierte, um sie als Fixsterntrabanten in den Doppelmayerschen Atlas einzutragen: so wurd' ich dadurch so gerührt und belustigt, daß ich in der folgenden Anrede an den Prinzen meine Bewegung in etwas mäßigte:

»Prinz, nicht bloß in der Nürnberger Mauerer-Loge zu den drei Pfeilen – und in der Breslauer zu den drei Totengerippen – und in der Berliner zu den drei Seraphin – und in der Réunion des Elus zu Montpellier hab' ichs, da ich mit den Brüdern arbeitete, zu verstehen gegeben, daß die Menschen eigentlich nicht wüßten, was sie haben wollten, sondern in den größten Gasthöfen Europas, in den drei Hechten zu Potsdam – im wilden Schweinsrüssel zu Rotterdam – in der goldnen Gans zu Breslau – in der Stadt Rom zu Berlin – in der Stadt Berlin zu Leipzig – und im Brandenburgischen Hause zu Hof im Voigtland, hab' ich an den Wirtstafeln die Sache ganz frei herausgesagt, welches mir die sämtlichen Wirte und Kellner attestieren würden, wenn sie heraufzubringen wären. – – Welche Menschen haben außer den Stunden-, Wochen-, Jahrs-, Amtsplanen noch einen Lebensplan, oder hinter wechselnden Interimsplanen einen Normalplan? Die Gier, der Zufall, der Hang, die Not stechen ihnen das Spornrad ins Herz, und sie rennen blutend dahin – unterwegs begegnet ihnen ein Ziel, und es wird der Meilenzeiger oder die Schwelle einer neuen Rennbahn – und so müssen diese ewigen Juden nur laufen, nie ankommen. Alle ihre Mittel sind klüger, dauerhafter und angenehmer als ihre Zwecke, wie die ungarischen Vorstädte bevölkerter sind oder die Wiener moderner als die Stadt selber. Diese finstere Dumpfheit der menschlichen Wünsche ist nicht größer als dieselbe Dumpfheit ihrer Meinungen, die sie jahrzehendelang in ihren Kopfe frei und ohne Pestkordon aus- und einfliegen lassen können, bis sie Not und Zufall zum Beschauen drängen.Ach Leibgeber hat recht. Nach denselben zufälligen Anstößen, die uns zum Wählen einer Fakultät und eines Handwerks treiben, ergreifen und prüfen wir Meinungen; die größten Schriftsteller, z. B. Lessing, ließen sich durch polemische und andere Zufälle die wissenschaftlichen Felder anweisen, die anzusäen und abzuernten waren. Wer kann von euch schlafenden Toren die Finger aufheben, und wenn ich frage: was glaubst und was willst du? keck beschwören: das! das! das? Ich konnt' es nicht, da ich noch drunten war. –

Freilich stand, da ich drunten auf der Erde herumging, die Sonne der Aufklärung schon mit der ganzen Scheibe über ihr, und ich sah in meine astronomischen Tabellen und schwur, es sei unmöglich, die Tabellen könnten nicht lügen und die Sonne noch nicht herauf sein. Aber als ich die Refraktionstabellen zu Hülfe nahm, sah ich, daß durch die Strahlenbrechung das Bild der Sonne ein Säkulum eher – freilich ohne sonderliche Wärme – aufgehe als der Körper selber, so wie in Nova Zembla nach der langen Nacht das Bild der Sonne sechzehn Tage früher scheint als sie. –

Man denkt, die Erde sei ein Teller voll Devisen mit Fragen, und die zweite Welt sei der Teller mit den Antworten darauf; und bricht nun kaum die Fragen auf. Der Unglaube und der Aberglaube des Jahrhunderts ist eine bloße sinnliche Ermattung des Kopfes; und die Ruchlosigkeit desselben ist eine des Herzens; und bloß weil sie sich als NeunundneunzigerDa nach den englischen Gesetzen jedes Schiff mit hundert Seelen einen Schiffsprediger haben muß, so laden die Ostindienfahrer, um ihn zu ersparen, nur neunundneunzig. kennen, vozieren sie keinen Schiffsprediger.«


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