Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Jean Pauls
Fata und Werke
vor und in Nürnberg

Erstes Bändchen

Offener Brief an Leibgeber anstatt der VorredeDas Publikum sehe mir die kleine Freiheit nach, daß es hier an meinem Privatbrief mitlesen und mitbezahlen muß (sowohl Porto als Schreibmaterialien): leider ist der ewige Strandläufer Leibgeber, dessen Leben ein musikalischer Läufer über alle Tasten und Brücken ist und der auf der Erde zirkuliert wie eine Maxd'or, der die Reichsintegrität hat, fast nirgends anders zu erwischen als in Buchladen. Dabei laufen im Briefe viele Dinge mit unter, die ich dem Publikum ohnehin in der Vorrede sagen würde, wenn ich eine machte.

Ich könnte, lieber Europas-Bürger, ebensogut, wie Petrarca, an Cicero und Augustin und Varro schreiben als an dich, weil du unaufhörlich wie eine Krankheitsmaterie oder wie eine verschluckte Stecknadel in der Jungfer Europa herumziehest und man nicht weiß, hältst du dich in ihrem Magen oder in ihrem Herzbeutel oder im Ärmel oder Stiefel auf. Da aber ein Buch leicht die ganze Welt antrifft, und also auch dich: so geb' ich diesem meine Epistel offen mit. Einige Geheimschreibereien darin, die unter uns bleiben müssen, hab' ich schon mit so viel Klugheit behandelt, daß weiter niemand daraus klug werden kann als ich und du.

Eh' ich dir deinen Brief – vom längsten Tage datiert, aber am kürzesten eingegangen – beantworte, muß ich dir sagen, was ich eigentlich mit dem Couvert oder der Brieftasche des meinigen, nämlich mit diesem Buche haben will. Der gelehrten Welt, das ist dir bekannt, hab' ich in der Biographie unsers geliebten Siebenkäs es aufgedeckt, daß und unter welchen Lagen er das anonyme Buch die Auswahl aus des Teufels Papieren geschrieben habe. Seit dieser Schöpfungsgeschichte wurde auf einmal dem Werklein, das vorher kein Mensch ansah, geschweige gelehrt anzeigte, von allen neun Reichskreisen nachgesagt und nachgestellt; besonders waren Hof, Kuhschnappel, Baireuth, Schraplau unglaublich aufs Buch erpicht, nicht sowohl in der Hoffnung, daß es einige satirische Streiflichter auf Blaise, Lenette, den Venner Rosa etc. werfe, als deswegen, weil der Mensch, wenn er den Vater kennt, ungemein gern auch dessen geist- und leibliche Findel-, Mantel- und echte Kinder kennenlernen will. Und ich selber, ich berg' es nicht, wäre imstande, aus unsäglicher Achtung für Shakespeare seinen Töchtern nachzuweisen, ja erotisch nachzugehen, wenn noch genug von ihnen da wäre. Allein das Opus war wie diese beiden Mädchen und wie jeder Mensch gerade vor der Unsterblichkeit, die es jetzt genießet, verstorben, und der Teufel hatte seine eignen Papiere geholt: ich meine, den Goldbarren oder Warenballen seiner Papiere hatte man zu Blättchengold zerlegt und damit Eßwaren und Locken übergoldet. Ich selber hätte ohne die Güte des Verfassers kein Exemplar zur zweiten Auflage aufgetrieben, die er mir aus Gründen, welche dir das erste Kapitel in diesen Palingenesien seiner Papiere erzählt, auszuarbeiten überließ. Tut dirs nicht auch weh, Heinrich, daß ich sein Leben nicht schon damals – er hatt' es doch schon bis zum zweiten Bande gebracht – ans Licht stellte und damit dem Absatze seiner Satiren nachhalf? – Wie würde die selige Lenette, welche seine chemischen Prozesse der Satire nur für kostspielige Vakanzen seiner juristischen hielt, durch die Goldkochkunst und durch die Eßwaren, die der Teufel samt seinen Papieren in den Rauchfang hätte fallen lassen, widerlegt und beruhigt worden sein, wie die Ungarn, die sonst über die Galläpfel an den Eichen wegen verdorbner Eichelmast jammerten, sich jetzt darüber erfreuen, weil sie die Knoppern besser zu Dintenpulver verhandeln! – Ach wenn man doch damals, Heinrich, gerade über die staubende Blütezeit der Ehe, über ihre Flitterwochen ein solches Wetterdach hätte bauen können gegen den Schlagregen des Unglücks, ehe den Blumen der Freude der Samenstaub ersoffen war! Es quält mich oft, wenn ich überlege, welche Environs und Gegenden des Lebens der gepeinigten Lenette entgingen, o wie vor ihrem entzündeten trüben Auge nur schwarze Flecken niederfuhren und wie ihr optische Spinnen und Mücken über das Buch ihres Lebens liefen – und jetzt, da das Auge zu heilen wäre, fällt es auf immer zu! –

Ich wollte, ich hätte gegenwärtigen Satyr-Kopf von Meerschaum in dieser zweiten Auflage – um so mehr, da man jeden Pfeifenkopf einmal in der Türkei und einmal bei uns schneidet – unbeschreiblich schön geschnitten und geraucht. Vieles hab' ich wohl getan: ich habe in diesen zwei Bändchen erst vier oder fünf Bogen aus der alten Auflage verbauet, ich habe allemal zwischen zwei satirische Oncle Tobys-Regimentsmärsche, die Siebenkäs im Orchester am Vorhang pfeift, einen historischen Aufzug aus meinem Nürnberger Reisejournal eingeschoben und so unter seinen satirischen Fugen von argumentis fistulatoriis ganze Szenen vom lyrischen Drama meines Lebens deklamiert. – Aber das kann eben mein Unglück sein, Freund: Du schreibst in deinem vorletzten: »Die Hypathier baueten dem Lachen einen Tempel, aber die Deutschen haben noch nicht einmal das Modell zu einer Filialkirche fertig. Da sie und ihre Schwert- und Spillmagen, die Belgier, mehr nach den Eicheln greifen als nach den Blättern derselben (ungleich dem Rousseau, der jene pries, aber diese aufsetzte): so haben sie unter dem Brotstudium wenig Lust zu ästhetischen Spielen und Studien; ebenso hat man von einem der nützlichsten Haustiere bemerkt, daß es nie, auch nicht als Ferkel, scherze und spiele, sondern daß sein männlicher Ernst nie auf etwas Schlechteres ausgehe als Eicheln.« Das sieht bedenklich aus. Denn besitzt einer ein Konvolut Satiren und durchschießet sie aus Liebe, wie ich im Jubelsenior, mit historischen Episoden: so fängt jeder, der in den Episoden seelenvergnügt wird, Händel an und sagt: »Ist das recht, sich, wenn ich dasitze und begierig auf den Verfolg der Geschichte harre, vor mich hinzustellen und mich auszulachen? Könnt' er das nicht in einem besondern Tage und Buche tun?« – Ist man dazu willfährig und findet man sich mit einem Folianten bloßer platter Satiren ein, wie Siebenkäs tat: so ist man ein gelieferter Mann: »Der Foliant« (wird gesagt) »würde sich besser lesen, spannte derselbe einen durch kleine ernste Ruhepunkte, durch historische Erfrischungen zuweilen ab – Salz kann wohl Zukost sein, aber keine Kost, und ein schimmerndes Steinsalzbergwerk voll weißer Pfeiler und Altäre aus Salz ist eine verdrüßliche Wohnung und Nahrung.«

Letzteres ist aus meiner Seele gesprochen. Nirgends erquickten mich ernste Stellen mehr als unter komischen, wie die grünen Flecken an den Schweizerfelsen das Auge sanft unter dem blendenden Schnee und Eise streicheln; daher ist der auf die Saftröhren und das Mark des hohen Ernstes geimpfte Humor des Engländers so hoch über den Humor aller Völker gewachsen. Eine Satire über alles ist gar keine, sondern Unsinn, weil jede Verachtung etwas Geachtetes als Maßstab, jedes Tal einen Berg voraussetzt. Die Persiflage der Franzosen und der Weltleute, welche die Ausnahmen verhöhnt und züchtigt und doch die Regel verkennt und ableugnet, gleicht der hölzernen Ente Vaucansons, welche künstlich einen Unrat in den letzten Wegen bereitet, ohne vorher in die ersten Futter genommen zu haben – kennst du eine giftigere geistige Consomption und Asphyxie als dieses Aussterben aller Achtung? –

Ich habe die Teufels-Papiere, darf ich sagen, wohl so oft gelesen wie den Werther, ja ich habe sie exzerpiert und auswendig gelernt, um bald einen Gedanken aus dem Bogen A, bald einen aus dem Bogen Ff anzubringen und einzupassen – und ein neues Schöpfungswerk wäre mir leichter von Händen gegangen als dieses Memorienwerk –: gleichwohl schmeichle ich mir, ich werde – ganz ungleich den Dichtern, denen man die Schwangerschaft mit einer besondern Moral im Schwunge anmerkt, wie Vögeln im Fluge, wenn sie ein Ei im Leibe tragen – mein Zusammenschweißen so fein verlötet haben, wie die Natur die Scherben unserer Hirnschale, so daß Siebenkäs selber die Kopfnaht und Suturen vergeblich suchen soll. Hier wäre aber für einen guten Kritiker, der seine Zeit und Kraft gut anlegen will, Arbeit und ein weites Feld, wenn er meinen Rezensenten vorarbeiten wollte und in einem kurzen Traktate zwischen den Teufels-Papieren und den Palingenesien eine feste Parallele zöge, überall als vergleichender Anatom verführe, jede Abweichung und Variante treu aufsummierte, niemals rastete, bis er heraushätte, warum ich jedesmal abgewichen, und dann die Welt mit der Ausbeute seines Nachgrabens und seiner Silbergruben bereicherte; und warum machen sich denn pädagogische Einladungskarten, die gymnastischen Programmen – diese nicht fliegenden, sondern kriechenden Blätter –, nie über Materien von solchem Belange her? –

Du, Lieber, hoff' ich, urteilest nicht nur unparteiisch für mich, sondern auch parteiisch – schnauz also, ich flehe dich, die rezensierende Judenschaft an, die sich aus denselben Gründen zu unsern Schutzgöttern und Kammerrichtern aufwirft, warum die heilige Cäcilia die Schutzgöttin der Tonkunst geworden – nämlich weil sie in ihrem heiligen Leben keine ausstehen konnte.

Nimms nicht übel, Alter, daß der Brief nicht mit Schreibelettern gesetzt worden, sondern mit Drucklettern. Es sind aber neue, denen mein Titel Palingenesien auch gebührt. Ich bin recht froh, daß ich mich bei dieser Gelegenheit recht ärgern kann über unser Übersetzen der deutschen Typen in lateinische und über mehr. Wenn man nicht die deutsche Handschrift und alle Archive und alle Ratsbibliotheken und das Cansteinische Bibelwerk umdruckt: so muß der fortdauernde Umgang mit der alten Form das Auge immer bei der neuen um das Vergnügen der summarischen Fassung bringen, die auf den Gründen beruht, aus welchen wir das Griechische schwer in lateinischen Lettern, oder warum wir oft eine schlechte Handschrift, aber nicht deren einzelne Buchstaben lesen können. Sobald wir der gotischen Schrift die Halskrausen, die Troddeln, das Spitzenwerk, die Knickse und Bruchbänder verbieten: so steht sie ungemein schön mit zwei Bestandteilen da, erstlich mit einer geraden Linie wie die römische, und dann, statt des Zirkels der Letztern, mit einer halben Ellipse (zugleich das Sinnbild unsers Geschmacks!). In der Reinigung und Wiederbringung der ersten schönern Form haben nun die Herren Breitkopf und Härtel hier in meinen Palingenesien und in diesem Briefe die ersten glücklichen, obwohl das Auge der Gewohnheit noch schonenden Versuche gemacht, von denen sie zu weitern und ihrem Ideale nähern übergehen wollen, wenn du und das Publikum sie so aufmuntern wie ich.

Durch dieses Abglätten der typographischen Runzeln und Falten, welche unsern Druck wie (nach Lavater) die physiognomischen das deutsche Gesicht auszeichnen, wächset mir glücklicherweise ein neues Publikum von 350 Mann zu, wovon der größere Teil bisher, samt seinen Miet-Rezensenten zur Rechten und zur Linken, außer Titel und Rezensionen wenig las – es sind die Buchhändler, die nun, weil der Titel sie nicht befriedigt, in meinem Opus blättern und nachsehen, ob etwas daran sei, am Druck. –

Die lateinischen Lettern druckten mir vorhin eine Stelle deines Briefes vor, worin du unrecht hast und tust, Leibgeber. Sollen wir denn ewig vor andern Nationen unter Scharrfüßen und Knicksen unsere Bravourarien absingen? – Denken wir nicht sämtlich so kleinlich als Voltaire, wenn wir, vom Kopf bis zum Fuß ebenso wie er von Lorbeerkränzen wie von Faßreifen zusammengehalten, doch ebenso wie er bei der Aufführung seiner Irene bei jedem Akte unsers Spektakelstückes einen Kurierwechsel zwischen uns und dem Komödienhause unterhalten, um zu erfahren, ob man klatsche oder pfeife? – Du mußt, Leibgeber, wahrlich oft grün und gelb vor Grimm geworden sein über den Jammer, wenn, sooft einmal ein Engländer oder Pariser einen Bogen von uns verzierte oder kanonisierte (spät genug ist die Retorsion), nun in allen Journalen dreitägige Freudenfeste angestellt wurden, und die Literatores darin wie unsinnig gegeneinander rannten und sich umhalsten und schrien: wir sind vertiert, Bruder, und ich fetiert! – Haben wir, wenn wir doch einmal gelobt, ehrlich, selig und heilig gesprochen sein müssen, nicht unsere inländischen Herolds- und Reichskanzeleien, die uns zu den größten Laureaten, zu Patriziern, zu Nobilis mit einem und zwei Helmen, ja zu Kreatoren von Nobilis kreieren können – haben wir nicht unsere Fakultisten, die uns zu literarischen Granden, und zwar auch durch Hutaufsetzen erheben können – und im moralischen Fach statt der Päpste unsere Oberhofleichenprediger – und im Notfall eine Schiffsmannschaft von 25 Millionen Parentatores, wogegen Heinrich IV. etwas abfällt, ders nach Bayle zu funfzig Lobrednern brachte? Und kann denn nicht überhaupt jeder Narr so gescheut sein und sich selber loben, womit ich mir schon längst geholfen? –


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