Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Zweiter Reise-Anzeiger

Fata: der Hornrichter Stuß – Mr. le Comte Sebaud de Baraillon – warme Kälte des Herzens – die Lust auf Lustreisen – der Lazarus an der Mutterbrust – Baireuther billet doux und poetische Episteln aus Blech
Werke: mens sana in corpore insano – Rekommendationsschreiben für Lottos – Statuten der historischen Gesellschaften in Baireuth, Hof, Erlangen etc. – Sponsalien in einem Federmuff

Ich habe jetzt die allgemeine Erwartung auf den ersten Ostertag gespannt, und die Welt versammlet sich immer mehr an Fenstern und Türen, um mich und meinen Boten ausreisen zu sehen. Aber eh' ein Mensch aufbricht, hat er da wohl weniger zu tun als ein preußischer Steuerrat, der in einem Jahre 3000 Sachen von den Unterinstanzen und 2000 Verordnungen erhält, 200 ausstellt und 80 Excitatoria dazu samt 1600 Relationen, wobei es ihm freilich an Zeit nicht fehlen kann, noch 24 Kommissionen abzutun und 12 Städte als 12 himmlische Häuser seines Tierkreises zu bereisen? Oder hat ein Passagier nicht vorher Lippenpomade zu kaufen (weil er mit heiler Lippenhaut ankommen will) – Locken und Knöpfe zu papillotieren – Pässe und Marschrouten einzustecken – Gold und Wäsche zu wechseln – einen Mantelsackträger und für diesen wieder einen Mantelsack mietsweise zu bestehen – und das Haushalten mit der Verlassenschaft von Reichsabschieden, Generalreglements, 50 Dezisionen und Agenden zu verproviantieren? Und wenn ers nicht selber tut: wird es nicht wenigstens von seiner Frau gefodert? –

Schon am heiligen Karfreitage ließ ich einen armen Teufel, namens Florian Stuß, zu mir holen, um ihm ein paar Pfennige, nämlich die Charge meines grand-maitre de garderobe oder meines Mantelsackträgers zuzuwenden. Der Mensch war in Nürnberg zu Hause: denn er hatte als Horndrechsler da gearbeitet und contra sextum pekziert und lange als sogenannter Hornrichter und Weibergeselle, weil er nun nicht mehr Meister werden konnte, Klauen für die Kammacher zugerichtet. Er empfing die Vokation des Tragamtes mit Jubel: die Feiertage mehrten sein Konsumo, aber nicht seine Konsumptibilien, besonders da er auch an Wochentagen wenig erschwang. Sooft er nach Böheim Boten lief, steckt' er einen kleinen, von ihm selber fabrizierten Warenballen und Auerbachischen Hof von weiten Kämmen, Stock- und Westenknöpfen, Würfeln und Wildrufen und Kruzifixen ein und trieb auf dem Franzenbad bis nach Eger einen Kontrebande-Handel, der ihm oft noch einmal so viel abwarf als das Botenlohn. – »Laufen ist mein Vergnügen«, sagt' er; und ich wünschte daher, daß Siebenkäs jetzt dem Drechsler, da er noch bei Kräften ist, in Wetzlar etwa die Expektanz zu einem lutherischen Reichskammergerichts-Supranumerar-Akzessist-Boten auswirkte; es wäre Stussen dann ein Leichtes, mit der Zeit Supranumerarakzessist, dann Akzessist und in seinen alten Tagen gar Bote zu werden.

Ich erlaubt' es ihm, noch einen blinden Passagier (d. h. einen Brief, ein Paket etc.) im Mantelsack zu seinem Vorteil einsitzen zu lassen und darnach überall in der Stadt und auf dem Postamt herumzufragen. – Ja, bei einer frohern Seele hätt' ich mir nichts daraus gemacht, dieses Inserat in das Höfer Intelligenzblatt einzusenden:

»Ein homme de lettres hiesiger Stadt, der nach Nürnberg reiset und noch einen Platz im Mantelsack leer hat, wünschet, daß Personen, welche gesonnen, den Platz mit zu bestehen, sich noch vor Sonntags im Intelligenzkomtoir angeben, wo ein Mehreres zu erfragen.«

Entweder der Hornrichter Stuß oder die Höfer Landeshauptmannschaft, bei der ich um einen Krankheitspaß nachsuchte, ließ dem Grafen Mr. Sebaud de Bataillon etwas davon merken, daß ich nach Nürnberg gedachte: der Graf – ein armer Emigrant und Gefangner im deutschen Babylon oder Freier in der Botany-Bay – kam am heiligen Abende zu mir, lobte in der Kürze Mann und Frau, exkusierte sich siebenundsiebenzigmal, ging endlich damit heraus, daß er eine Tochter in Nürnberg und hier einiges an sie habe. Nähm' ichs freilich mit – er exkusierte sich hier bloß 770 mal –, so unterständ' er sich und händigte es ein. Ich bewies durch Haupt-Juramente und ad hominem meine freudige Willigkeit. Endlich legt' er eine Büchse mit Patentpomade auf den Tisch, seinen Reisepaß und einen Fächer mit einem Miniaturporträt: das war die Überfracht des Mantelsacks und gehörte an die Comtesse Georgette, seine Tochter. Er hielt es für Höflichkeit, mich wenigstens über die Exportation des Passes aufzuklären: seine Tochter hatte nämlich liaisons mit einem vornehmen refugié (d. h. er war ihr Liebhaber und wahrscheinlich das Fächer-Porträt das seinige), und dieser konnte jetzt vielleicht mehr Gebrauch vom Passe machen als der Comte selber (d. h. der refugié gab sich für diesen aus). Der Paß-Plagiarius und Ableiher hatte einem Hofe (nach der Versicherung seines Schwiegervaters) so große Dienste getan, daß ihn der Hof zu stürzen und zu entfernen suchte; ebenso wie man, sagt' ich, auf dem Schiffe jedes Wasserfaß, sobald es ausgeleert worden, zerschlagen muß, weil kein Platz da ist. – Die Seele des Comte war – wie bei allen Menschen, die ein gedrücktes Leben führen und jeden Fußbreit vom Paradies dem Verhängnis erst mit sauerem Kampfe abgewinnen –, obwohl nicht kriechend, doch immer gebückt, wie Menschen, die in bergigen Ländern wohnen, immer mit gebognem Rücken gehen. Inzwischen fügt' er doch flüchtig bei, hätt' er Zeit (er stickte und dozierte), so nähm' er Extrapost. Du armer überladner Sebaud de Baraillon! prahl immer, denn du hast nichts! Nicht den Stolz des Unglücks, sondern des Glücks verarg' ich, weil ich ja unmöglich so hart sein kann, daß ich unter dem zerschlagnen geschwollnen Rücken das letzte Unterbette wegzöge, nämlich das Windbette der Eitelkeit, das sich allzeit selber bettet! –

Eh' ich fortreise, will ich mich nur entschuldigen, daß ich bei der Höfer Landeshauptmannschaft, wiewohl vergeblich, auf einem Krankheitspasse bestand. Einen Gesundheitspaß haben Libertins in Ordensbändern nötig, und wenn sie auch nicht weiter reiseten als aus ihrer Stube in die nachbarliche; aber ein homme de lettres ist gerade wie ein Krebs nicht eher zu genießen als in der unpäßlichen Mause. Was sagt Siebenkäs S. 139 etc. in den teuflischen Papieren hierüber in der ersten Edition? Folgendes in der zweiten:


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