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Siebenundfünfzigstes Kapitel.
Ein Ausflug auf afghanisches Gebiet.

Jetzt geht es mit ganz anderer Geschwindigkeit als früher vorwärts. Wir stürmen nicht dahin; wir lassen unsere Dschambas nicht so schnell laufen, wie sie können, wir traben ganz gemütlich einher, denn ich will das Land sehen und meine Aufzeichnungen machen. Aber es ist dennoch etwas anderes als der gewöhnliche Karawanenschlenderschritt. Die Straße führt zwischen Geröllrücken und Hügeln aus rotem Konglomerat hin. Das Land wird flacher und senkt sich nach Norden, wohin alle kleinen Täler und Schluchten gehen; auf unserer rechten Seite erheben sich die gezähnten schwarzen Kämme des Gebirges. Wir reiten noch auf dem Schuttkegel dieses Gebirges und folgen seinem Fuß nach Südwesten. Die Straße ist gut gehalten; die Steine sind seitwärts in zwei Reihen aufgeschüttet, der von ihnen befreite Zwischenraum beträgt 4½ Meter. Unendlich weit erstreckt er sich durch das öde, einförmige Belutschistan. In unserer unmittelbaren Nähe laufen die Telegraphendrähte auf ihren grauangestrichenen, eisernen Stangen hin. Man sieht diese Stangen, soweit der Blick und die Straße reicht, in gerader Linie vor sich, bis sie spitz wie eine Nadel am Horizont verschwinden. Wir legten auf dieser ersten Tagereise 24 englische Meilen zurück; aber nach Nuschki war es noch sehr, sehr weit!

Zur Linken sieht man zwei Säulen auf der Grenze nach Afghanistan. Im Norden dehnt sich eine trostloste Wüste aus, die langsam nach dem Becken des Schela und des God-i-Sirre abfällt; noch weiter nördlich strömt der Hilmend mit seinem Überflusse an süßem Wasser zwischen seinen freundlichen Ufern. Der Führer der Eskorte muß wohl an ihn gedacht haben, denn er hielt an und brachte mir den Gummischlauch mit Wasser aus Rabat. Es war mir eine große Erquickung, denn um 1 Uhr hatten wir 29,2 Grad im Schatten, und die Höhe betrug nur 759 Meter.

Auf der rechten Seite unserer Route erhebt sich ein Gebirgsstock, der Lar heißt; denselben Namen trägt ein Tal, das von dort herabkommt und von unserer Straße gekreuzt wird; es enthält ein Rinnsal mit salzigem Wasser. Weiter landeinwärts heißt das Gebirge auf derselben Seite Kuh-i-piran.

Es ist 3 Uhr, als die Leute mir sagen, daß wir die Hälfte des Weges zurückgelegt hätten; wir können die nächste Station also nicht mehr vor Dunkelwerden erreichen und sehnen uns nach der Dämmerung, die uns von der Sonnenglut befreien wird. Die Sonne ist in diesen Gegenden gefährlich; man kann, ehe man sich dessen versieht, einen Sonnenstich davontragen. Die Engländer rieten mir zu größter Vorsicht, und ich habe mir gleich zu Anfang ein weißes Tuch um meinen weichen Filzhut gewunden.

Auf der Südseite des Weges soll es in einiger Entfernung eine Süßwasserquelle namens Leschker-i-ab geben; einer meiner Leute mußte dorthin reiten, um den Gummischlauch zu füllen. Durch ein Tal im Süden tritt der Rud-i-piran aus dem Gebirge heraus; er ist jetzt trocken, aber wir sehen, wie seine Arme sich deltaförmig über den flachen Schuttkegel erstrecken. Vor uns steigt das Terrain an, und der südöstliche Horizont ist ganz nahegerückt. Unendlich weit, anscheinend grenzenlos erstreckt sich Afghanistan nach Nordosten, und der Boden dacht sich nach seinen Ebenen hin ab, die wie ein wirrer, gelber Nebel am Horizont verschwimmen. Es ist eine Sinnestäuschung, wenn man glaubt, daß der Boden, anstatt nach dieser Seite hin abzufallen, sich dorthin hebe.

Ein weißgekleideter Mann auf einem hellfarbigen Kamel taucht der Einöde auf. Er nähert sich uns schnell, in eiligem Paßgang fliegt sein Kamel über den Schüttboden hin. Ach, das ist ja der Mann, der Wasser aus der Quelle Leschker-i-ab holen sollte! Als er die Straße erreicht hat, halten wir eine Minute Rast, um uns an frischem Wasser zu laben; dann schaukeln wir auf unserer Straße weiter.

Denselben Namen, den diese gesegnete Quelle führt, hat man auch einer besonders mächtigen Erosionsrinne gegeben, die wohl 100 Meter breit und 4 Meter tief ist. Um ½6 Uhr nähern wir uns hinter Kanduk dem Fuß des Gebirges. Die Sonne versinkt in Wolken, aber durch eine Lücke hindurch spannt sie noch ihre strahlenden Brücken nach dem fernen Osten, wo sie an den von Salz weißen Ufern des God-i-Sirre den Boden berühren.

Wir reiten über hügeliges, durchschnittenes Gelände und über löffelförmige Erhebungen, die die Fortsetzung kleiner, vorgeschobener Ausläufer des Gebirges bilden, über zahllose Erosionsrinnen, die alle kein Wasser, aber etwas reichere Steppenvegetation enthalten, und die Stunden vergehen recht langsam. Der Abend zieht herauf, der Wind hat abgeflaut, aber die Zahl der Stechmücken hat sich vergrößert. Wir passieren eine vorgeschobene Bergkulisse nach der andern, schwarze, braune, rote, violette oder grünlich schillernde; dann und wann unterbricht Gelb sehr wohltuend die dunkeln Farbentöne. Hinter dem roten Berg, den wir vor uns sehen, liegt, wie der Anführer der Reiterschar sagt, Muhamed Rizas Brunnen, unser heutiges Nachtlager. Wir reiten schneller, während die Dämmerung ihre weichen Schwingen über dieses öde Land ausbreitet, das nur gewinnen kann, wenn die Nacht seine Blöße in ihren Schleier hüllt.

Drunten im Flachland sieht man in Nordosten eine weiße Wolke längs der Erde heranrollen. Sie verfolgt dieselbe Richtung wie wir; sie rollt buchstäblich wie ein Lavastrom vorwärts und verschlingt das eben noch sichtbare, weißgelbe Flachland Stück für Stück. Wieder ergreift der Führer der Eskorte das Wort und teilt mir mit, daß es Sturm geben werde; ich zweifle nicht daran, da mir diese Erscheinung nur zu gut bekannt ist. Als der Sturm uns erreicht hat, nimmt die Dunkelheit zu, und alles wird so undeutlich wie bei Regenwetter. Stechmücken, Fliegen und Bremsen verschwinden; es wird kühl und luftig, und die Kamele freuen sich über diesen plötzlichen Umschlag der Witterung ebensosehr wie wir.

Das Abenddunkel geht in Nacht über, und die dunkleren Kuppen der Berge sind nur noch schwach zu erkennen. Jetzt geht es zwischen kleinen Hügeln bergauf und bergab, und jenseits des großen Flußbettes Maki-tscha erreichen wir das Bungalow beim Tscha-Muhamed-Niza. Man hat auf dem Hofe ein Leuchtfeuer für uns angezündet. Während wir auf die Karawane warteten, saßen wir, plaudernd und rauchend, im Kreise um das Feuer und entwarfen das Programm zu einem kleinen Abstecher nach dem Bett des Schela, das wir morgen besuchen wollten. Da ich hier nur eine Tagereise weit von ihm entfernt war, konnte ich es mir nicht versagen, dorthin zu retten; es bedeutete nur einen kleinen Umweg, und nach einer Nacht im Freien konnten wir in der Nähe des Bungalow von Kirtaka wieder auf die große Straße gelangen. Mehrere Europäer hatten schon diese eigenartige Depression besucht.

Endlich kamen die Meinen an; meine ganze Habe wurde in den Zimmern des Stationshauses untergebracht, und Riza mußte das Abendessen bereiten. Die zwölf Dromedare, die ich gemietet habe, kosten bis Nuschki nur 20 Rupien das Stück; die indische Regierung bezahlt für ihre Transporte sogar nur 16 Rupien. Ein gutes Kamel kostet 100 Rupien; wenn der Handel unter Belutschi abgeschlossen wird, nur 85. Meine großen turkmenischen Kamele waren also mindestens doppelt so teuer, aber sie waren auch bessere, stärkere Tiere.

Mit zwei Reitern und zwei Führern, sowie drei Kamelen ritt ich am 25. April nordostwärts nach dem Flachland hinunter, das um den Schela und den God-i-Sirre herum gelegen ist. Eine ganze Weile lang kann man dem Bette des Maki-tscha folgen und unter seiner 7 Meter hohen Erosionsterrasse in kühlem Schatten reiten. Bald aber nehmen die Wände des Bettes an Höhe ab, wir kommen auf den Schuttkegel hinaus und befinden uns, wie meine Führer sagen, auf afghanischem Boden. Hinter mir rollt sich das Gebirge in immer deutlicher werdender Perspektive aus; vor mir erscheint das Flachland immer mehr in unserem Niveau; gelbe Streifen kündigen Sandgürtel an.

Als wir um 11 Uhr den Rand des Schuttkegels erreicht haben, sieht das Landschaftsbild ganz verändert aus. Wir befinden uns hier sehr viel tiefer; der graue Schuttkegel ist in Verkürzung bis an den Fuß des Gebirges sichtbar, und wir selber sind unten auf der Ebene, auf der das Wasser des Maki-tscha nach Regenfällen seinen Schlamm ablagert. Beim Stationshause hatten wir uns in 1074 Meter Höhe befunden, und hier zeigte das Aneroidbarometer knapp die Hälfte, 525 Meter. Der Schuttkegel fällt sehr langsam zur Einsenkung ab.

Nach vier Stunden ununterbrochenen Marsches kamen wir an wahre Saxauldschungeln; hier baten meine Leute, ein wenig rasten zu dürfen (Abb. 263, 264). Während die Kamele weidend umhergingen (Abb. 265), wurde mein Pelz an einer schattigen Stelle unter einem dichten Saxaulstrauch im Sande ausgebreitet. Ich legte mich auf ihn und machte meine Aufzeichnungen; die Fliegen summten, ein lindes Lüftchen wehte durch die grünen Zweige: mir war, als ob ich an einem Hochsommertag irgendwo auf dem Lande im Grase liege. Es säuselt und rauscht so traumhaft schön in den Sträuchern, es klagt so wehmütig und unerklärlich. Es ist so feierlich einsam in dieser Gegend, wohin sich fast nie ein Mensch verirrt. Der Himmel ist klar, und die Flügel der Fliegen funkeln im Sonnenschein wie Diamanten.

263. Im Saxauldickicht (S. 351.)

264. Ein schöner Saxaulstrauch. (S. 351.)

265. Weidendes Dschambas. (S. 351.)

Hier hatten wir die Hälfte des Weges nach dem Leb-i-hamun, dem »Rande des Sees«, wie meine Leute sich ausdrückten, zurückgelegt. Nachdem wir uns eine halbe Stunde ausgeruht hatten, ritten wir durch Unterholz aus Saxaul weiter. Sein Grün verriet, daß die Wurzeln bis zum Grundwasser hinabreichten; aber so frisch und intensiv grün wie die Tamarisken waren diese Kinder der Steppe nicht. Der Sand wird höher; wir ritten an Dünen vorüber, die gut 6 Meter hoch waren und deren steile Leeseiten stets nach Süden abfielen. Hin und wieder reiten wir auch über mit feinen: Grus bestreute Stellen. Diese wirken wie Öl auf die Wellen; überall, wo Grus austritt, haben sich keine Dünen gebildet. Streckenweise sind die Wanderdünen sehr hübsch und regelmäßig gebaut; ihre Form läßt auf nördliche Winde schließen.

Wir reiten in schnellem Tempo. In der vorderen Vertiefung des Sattels habe ich heute einen Führer, der jedoch manchmal, wenn das Gelände schlecht ist, zu Fuß gehen muß. Als ich bei einer solchen Gelegenheit mit beiden Beinen nach links saß, um die Sonne auf dem Rücken und den leichten Wind ins Gesicht zu haben, wurde mein Kamel auf einmal unvermutet der Sache überdrüssig. Es legte sich auf einer Düne nieder, wälzte sich seitwärts und warf mich dabei rücklings ab, so daß ich hintenüber in den Sand purzelte. Mein linker Fuß steckte aber noch im Steigbügel, der sehr eng war, und als das Kamel sich eben so plötzlich wieder erhob, hätte die Situation recht ungemütlich werden können, wenn es mir nicht noch im letzten Augenblick gelungen wäre, den Fuß loszumachen.

Wir befinden uns in einem Meer von Dünen; jegliche Spur Pflanzenwuchs hat aufgehört (Abb. 266). Vor uns zeigen sich auf einer Anhöhe einige Ruinen; wir reiten dorthin und rasten eine Weile in dem längst verlassenen Dorf Sirre. Die Mauern von sechs Häusern stehen noch, während zwei andere Häuser gänzlich zerfallen sind (Abb. 267). Wir lassen hier zwei Kamele zurück, bei denen drei Männer bleiben; ich reite mit dem Führer weiter.

266. Ein Dünenmeer. (S. 352.)

267. Zerfallenes Haus in Sirre. (S. 352.)

Der Boden besteht hier aus hartem, gelbem Lehm, in dem die Pflugschar des Nordwinds tiefe Furchen hinterlassen hat; hier steht auch noch in Streifen und Gürteln fußhohes, sprödes, verdorrtes Schilf. Der Führer macht mich aufmerksam, daß wir über alten Seegrund reiten, und fügt hinzu, daß der ehemalige See wenigstens in seinen äußeren Teilen süß gewesen sei, was durch das Schilf bestätigt wird, das sonst hier nicht hätte wachsen können.

Noch ein einstündiger Ritt, und wir sind am rechten Ufer des Schela angelangt (Abb. 268). Seine Erosionsterrasse ist hier steil und 5½ Meter hoch, während die linke eine flache, durch Sträucher maskierte Böschung bildet. Der tiefste Teil des Bettes enthält salziges Wasser auf einer Unterlage kristallisierten Salzes (Abb. 269). Der Fluß ist hier nach Ostsüdosten gerichtet, soll aber nachher erst nach Osten und dann nach Ostnordosten abbiegen und sich noch eine gute Tagereise weiter hinziehen, ehe er in den God-i-Sirre, wie die Depression genannt wird, einmündet. Dieser See soll drei oder vier Tagereisen lang und wasserlos sein; da aber sein salzhaltiger Boden, wie es heißt, wenigstens stellenweise feucht ist, soll man ziemlich tief einsinken, wenn man eine Durchquerung des alten Sees versucht. Nach außergewöhnlich starken Regenfällen und hohem Wasserstand im Hilmend soll es gelegentlich vorkommen, daß sich im God-i-Sirre vorübergehend Seen bilden; die Tümpel, die noch im Bette des Schela stehen und flußabwärts immer kleiner und spärlicher werden, soll das letzte Hochwasser vor einigen Jahren zurückgelassen haben. Der God-i-Sirre ist also der äußerste, tiefstliegende Rezipient des Hilmendsystems, wenngleich das Wasser heutzutage selten so weit dringt. Daß dies vor nicht so langer Zeit noch geschehen war, schien aus der Behauptung meines Führers hervorzugehen, sein Vater habe die Hütten des Dorfes Sirre noch bewohnt gesehen; der Führer war 45 Jahre alt. Er erinnerte sich, daß der Schela noch vor etwa 20 Jahren sehr wasserreich gewesen war und sein Ufer sich bis in die Nachbarschaft der Ruinen von Sirre erstreckt hatte. Nach McMahon ist der God-i-Sirre ein großer See von klarem dunkelblauem Wasser, 25 englische Meilen lang und 5 Meilen breit, auf allen Seiten von einem breiten Ring dichten Salzes umgeben. (Vgl. Geographical Journal, IX [1897], S. 393 fg.)

268. Der Schela zwischen Steppe und niedern Sanddünen. (S. 352.) Rechts in der Ferne der God-i-Sirre.

269. Salzwasser im Bett des Schela. (S. 353.)

Am Ufer bestimmte ich die Höhe mit dem Kochthermometer, sie betrug 494 Meter; wir waren also vom Tscha-Muhamed-Riza binnen weniger Stunden 580 Meter hinabgestiegen.

Über alten Seeboden, wo das Schilf an der Steppenvegetation eine Nachfolgerin erhalten hat, reiten wir nach Südsüdosten weiter und können bequem den vom vorherrschenden Wind aufgepflügten Erosionsrinnen des Alluvialbodens folgen. Bei einem Gumbes, einem Grabmal, warteten die andern. Es wird wieder dämmerig, und alle Farbentöne trüben sich; eine neue Nacht senkt sich auf das öde Belutschistan herab. Meine Reiter spornen die Kamele zu schnellem Laufe durch die Buschsteppe an, und als die Dunkelheit undurchdringlich geworden ist, sind wir wieder mitten in einer Sandwüste. Man sieht die Dünen und ihre Form nicht, aber man fühlt sie am Gange des Kamels; unaufhörlich scheint das Tier eine Steilwand kopfüber hinabzustürzen.

Jetzt galt es nur noch, einen Platz mit Brennholz zu finden. Nachdem dies gelungen war, richteten wir unser einfaches Lager zwischen einigen Dünen ein. Ich hatte kein Zelt mitgenommen; es ist mir immer sehr angenehm, im Freien zu lagern, den Himmel als Dach und das Lagerfeuer als Beleuchtung zu haben. Doch gerade als ich mein Abendessen verzehrte, kam ein heftiger Sturm aus Nordnordwesten, und nun hieß es, sich mit dem Essen zu sputen, ehe alle Speisen mit Sand gepfeffert wurden. Am Ufer des Schela hatten wir am Nachmittag 29,9 Grad im Schatten gehabt; jetzt war die Temperatur um 9 Uhr auf 20,5 Grad gesunken, und in der Nacht ging sie auf 12,9 Grad hinunter. Nach der Tageshitze ist die Nachtkühle ein wahrer Segen. Doch in den erstickenden Flugsandwolken, die uns umwirbelten, zog man es vor, sich lieber mit dem Pelz zuzudecken, als auf ihm zu liegen, und noch ehe im Osten der Tag anbrach, waren wir zur Hälfte in Sand begraben. Es ist aber immer besser, mit Sand durchpfeffert zu werden, als sich von Mücken auffressen lassen zu müssen.

Unmittelbar hinter dem Lager geraten wir in zusammenhängende Dünen, die bis zu 10 Meter hoch sind. Daß wir uns nicht mehr in einer ganz verlassenen Gegend befanden, zeigte sich bald daran, daß wir einem alten Mann mit einem Esel begegneten und gleich darauf drei Männer mit einem Kamel überholten. Wir waren auf die Straße gekommen, die die Station Kirtaka mit Bender am Hilmend verbindet. Ein Dschambas legt diese gut 100 Kilometer lange Strecke ohne geringste Schwierigkeit an einem Tag zurück. Auf dieser Straße gibt es zwei salzige Brunnen, deren Wasser nur im Notfall zum Tränken der Tiere benutzt wird. Die drei Männer erzählten uns, daß in Bender auch Belutschi wohnten und daß sie selbst diesen »Hafen« am Tag vorher verlassen hätten.

Im Süden treten die Umrisse des Gebirges wieder deutlich, aber blaß hervor. Schon um 7 Uhr früh haben wir über 20 Grad Wärme; auf der linken Seite des Körpers fühlt man sich weniger behaglich als auf der rechten, die im Schatten ist und durch den Morgenwind erfrischt wird.

Ein gewundener Durchgang zwischen den Dünen bietet einen vorzüglichen Weg; er ist ein Andenken, das eine kräftige Flut aus dem Gebirge hinterlassen hat. An seinen Seiten steht ein Wald üppiger Saxaule mit graziös herabhängenden, herrlich grünenden Zweigen. Diese Kinder der Wüste entzücken in der großen Einsamkeit das Auge, und ihr Grün tut in dem ewigen, gelben Sandmeer, das sie umgibt, außerordentlich wohl. Im Schatten des dichtesten Gebüsches, das wir ausfindig machen konnten, hielten wir eine Weile Rast; die Kamele mußten ein wenig weiden, und wir gaben ihnen alles Wasser, das wir noch in den Schläuchen hatten.

Hier beginnt wieder der sanft ansteigende Geröllabhang, den wir in südsüdöstlicher Richtung quer überschreiten. Einförmig ist das Land; die Stunden vergehen sehr langsam, aber die Kamele laufen schnell und bewegen ihre langen Beine tüchtig. Ihr wiegender Gang ist jetzt weicher, da ich vor mir in der vorderen Sattelmulde einen Reiter habe; wenn ich allein auf meinem Kamel sitze, stößt es mehr.

Der dunkle Grus ist von der Sonne heiß geworden, und da die nördliche Brise über ihn hinstreicht, wird auch sie warm. Manchmal wird man von so heißen Windwellen umspült, daß sie aus einem Ofen zu kommen scheinen. Im Ostsüdosten tauchen ganz in der Ferne am Rande des Horizonts neue Gebirge auf.

Gegen 3 Uhr nachmittags überschreiten wir die Grenze zwischen Afghanistan und Belutschistan; sie ist durch eine nicht sehr große Steinpyramide bezeichnet. Bei der großen Marschgeschwindigkeit, die wir den ganzen Tag über beibehalten haben, legen wir weite Entfernungen zurück, und schließlich sehen wir denn auch den Erdhügel, an dessen Basis die Quelle von Kirtaka in 999 Meter Höhe aus der Erde tritt. Am Rande eines ihrer Becken steht Newenk, eifrig trinkend, und der junge Riza kommt mir munter entgegen und ruft schon von weitem sein »Salam aleikum!«

Es sind ideale Behausungen, diese Bungalows an der englischen Heerstraße durch Belutschistan (Abb. 270); es sind freundliche, schattige Freistätten für müde Wüstenwanderer, die sich nach ihrem schützenden Dach ebenso sehr sehnen, wie der Bergsteiger in den Alpen nach der Schutzhütte. Alle sind nach demselben Plan gebaut; man glaubt infolgedessen, auf dem ganzen Weg immer wieder in dasselbe Haus zu kommen. Dank einem Säulengang kann die Sonne nie die Fassade erhitzen. Im rechten Winkel zur Hauptfront geht ein Gang mitten durch das Haus. An der rechten Seite des Ganges liegt ein großes Zimmer für Diener, an der linken ein solches für Sahibs. Dieses ist mit einem Tisch, zwei Stühlen, einem bequemen Liegestuhl, wie man sie auf den Dampfern auf Deck zu benutzen pflegt, und einer Bettstelle möbliert; es hat Teppiche und Gardinen, eine Lampe, einen Leuchter mit einem kleinen Glasschirm und, für den Winter, einen offenen Kamin. Es fehlt nicht einmal das emaillierte Service und das nötige Kochgeschirr. Das Allerbeste ist jedoch das Badezimmer mit Waschtoilette und Badewanne. Wenn ich abends ankomme oder morgens aufstehe, ist es stets mein erstes, ein gründliches Bad zu nehmen, denn nur dann kann man sich des sonst so seltenen Gefühles der Kühle erfreuen.

270. Bungalow auf dem Weg nach Nuschki. (S. 356.)

Kurz, diese Stationshäuser seien gepriesen! In ihnen ist die Luft viel kühler als in einem Zelt, und im Winter gewähren sie Schutz gegen die schneidend kalten Stürme. Das einzige, was man an ihnen tadeln könnte, ist, daß die ins Badezimmer führende Tür einen Dezimeter zu niedrig ist. Man stößt sich jedesmal den Kopf an, wenn man zum Baden geht, und natürlich denkt man nicht eher daran, den Rücken zu beugen, als in dem Augenblick, da man mit der Stirn gegen den oberen Türrahmen gefahren ist. Man muß sich auch erst nach Skorpionen und Spinnen umsehen, ehe man sich in einem Bungalow häuslich niederläßt. Leider sind in dieser Jahreszeit nachts alle Türen und Fenster zu schließen, wenn man nicht von den Mücken aufgefressen werden will; man hat also keine Gelegenheit, erfrischende Zugluft zu genießen.

Man würde den Salzgehalt des Wassers der Kirtakaquelle gar nicht merken, wenn man es eiskalt trinken könnte; da man es aber lauwarm genießen muß, läßt sich nicht vermeiden, daß man den widerwärtig bittern Beigeschmack spürt. Der Stationsvorsteher sagte mir, daß alle Fremden, die im Sommer aus der Quelle tränken, krank würden, daß aber der Genuß des Wassers jetzt keine bösen Folgen habe. Der Sommer mit seiner glühenden Hitze beginne erst in vier Wochen und dauere gegen vier Monate. Die Belutschi könnten das Wasser jederzeit ohne Nachteil für ihre Gesundheit trinken. Die meisten Stationen hätten aus ähnlichen Gründen Destillierapparate erhalten.

Die große, gelbe Schlammfläche, die sich im Norden am Fuß des Schuttkegels ausdehnt, heißt Naword; sie ist fast ganz vegetationslos. Nach heftigen Regengüssen werden große Schlammassen dorthingeschwemmt. Wenn der Schlamm getrocknet ist und der »Sturm der 120 Tage« wütet, wird der Boden wieder aufgerissen. Das Wasser und die Winde streiten sich hier um die Herrschaft und arbeiten einander entgegen, und das feste Material ist ein Spielball in ihren Händen.

Auf die vernünftige Bitte der Karawanenleute änderte ich die bisherige Marschordnung dahin, daß die Karawane von nun an des Nachts marschieren durfte. Mich begleitete also nur mein Bett samt den wenigen Sachen, deren ich unterwegs bedurfte.

Am 27. April zieht sich der Weg unendlich weit ganz gerade nach Ostsüdosten. Da wir auch der Sonne gerade entgegenreiten, wird es schon am frühen Morgen recht heiß; die Uhr in der Westentasche ist so erhitzt, daß ich sie kaum anfassen kann. Um 9 Uhr nehmen wir den ersten Schluck aus dem Gummischlauch, der mit angefeuchtetem Segeltuch umhüllt ist und infolge der Verdunstung leidlich kühles Wasser enthält. Man transpiriert außerordentlich stark und muß viel trinken, um sich erfrischt zu fühlen. Ich trage einen dunkelblauen, dünnen Anzug, und die Uhr in meiner Tasche ist viel heißer als die Tasche selbst; verdecke ich aber die Tasche von außen mit einem weißen Taschentuch, so wird die Uhr nicht heiß. Auf dieselbe Weise schützt ein indischer Helm das Gehirn. In Ermangelung eines solchen habe ich mir ein Badehandtuch um den Filzhut gewunden, und wenn ein Wind geht, nehme ich die ganze Geschichte sekundenlang ab und habe dann ein angenehmes Kältegefühl.

Der Schuttkegel ist schwach durchschnitten. In den Einsenkungen rückt der Horizont näher, auf den Bodenerhebungen scheint er in der Ferne zu verschwinden. Im Ostnordosten sieht man einen kleinen, schwarzen Felshügel aus den Sandwellen des Wüstenmeeres aufragen. Man ist ganz verdutzt, als der Weg auf einmal nach Süden abbiegt, nach dem Fuß des Gebirges ansteigt und in ein Tal zwischen sterilen, verwitterten Bergen hineinführt, in dem die Hitze viel drückender ist als draußen auf der Ebene; denn dort kommt uns auch das geringste Lüftchen zugute, hier aber sind wir im Windschatten, von dunkeln, erhitzten Felswänden umgeben. Ein Postreiter kommt auf seinem Dschambas angeschaukelt, ein »Dukandar« oder Ladenbesitzer bringt auf mehreren Kamelen Waren nach Seïstan. Von einer kleinen Paßschwelle in 1085 Meter Höhe sehe ich im Sonnenbrand das Bungalow und die übrigen Gebäude von Saindek (1039 Meter Seehöhe) liegen, und wir beeilen uns, dorthin zu gelangen.

Dort gibt es eine Apotheke und einen eingeborenen Arzt, der sich erkundigt, ob zufällig einer unserer Gesellschaft die Pest mit gebracht habe. Dort gibt es auch eine Post- und Telegraphenstation und im Bungalow einen Kramladen, in dem man Reis, Kakes und Zündhölzer, weiter aber nichts, kaufen kann. Eine Gesellschaft Belutschihirten hat ihre einfachen Erd- und Steinhütten in der Nähe (Abb. 271, 272 und 281). Sie besitzen Schafe und Ziegen, sind zerlumpt und arm und ähneln ihren persischen Vettern gar sehr. Ihre Herden müssen außerordentlich genügsam sein, da sie in diesem öden, kargen Lande leben können. In der Nähe von Saindek kommt Bleiglanz vor, von dem ich mehrere Stücke mitnahm.

271. Belutschi. (S. 358.)

272. Belutschihirten. (S. 358.)

281. Belutschiknabe.
(S.358.) Zeichnung des Verfassers.

Um 1 Uhr 30,1 Grad; es wird immer besser! Im Bungalow waren es um dieselbe Stunde 7 Grad weniger. Am Tag wird man von Fliegen, nachts von Mücken verfolgt. Spät abends wurde die Karawane marschbereit gemacht, und still, ohne Glockenklang, verschwand sie im Dunkel der Nacht. Ich war mit dem Leuchter draußen, um ihrem Abmarsch zuzuschauen. Dabei kam eine jener behaarten giftigen Spinnen mitten in unsere Gruppe hineingelaufen und erregte dort ein Gelaufe, ein Geschrei und eine Aufregung, als ob Feuer ausgebrochen sei. Schließlich gelang es einem Mann der Eskorte, das Tier totzutreten.

Am 29. April brechen wir um 7 Uhr mit drei Kamelen und Wasser für zwei Tage auf. Der Weg führt zwischen kleinen, verwitterten Bergen und Kämmen, dem Kuh-i-Saindek, dem Kuh-i-Amelaf und dem Malan-kuh. Ein kleiner Paß liegt 1121 Meter hoch. Bei dem kleinen »Tana« oder Militärposten Amelaf, einem viereckigen Gemäuer mit Türmen an den Ecken, soll es sehr gute Weide geben, auch Wasser gibt es, das aber nicht ganz gut ist.

Stundenlang ziehen wir in einem breiten, flachen Längental zwischen zwei Kämmen hin, die immer niedriger werden, je weiter es nach Südosten geht. Es beginnt aus Süden zu wehen. Der Wind wird nach Mittag stärker und treibt gelbe Staubsäulen vor sich her, die Rauchwolken gleichen; aber dieser Wind ist so glühend heiß wie ein Backofen, er bringt uns keine Kühlung wie der herrliche Nordwind in Seïstan, er kommt aus erhitzten Wüstengegenden, während der Nordwind frühlingskühlen Regionen entstammt. Um 1 Uhr zeigt das Thermometer 35,5 Grad im Schatten! Es war von dem letzten Maximum ein großer Sprung um ganze 5 Grad, aber ich merke, daß ich sehr gut noch eine Steigerung um einige Grade ertragen kann, ohne daß es mir schwarz vor den Augen wird. Das Schlimmste ist, daß wir der Sonne gerade entgegenreiten und ihrer direkten Glut ausgesetzt sind. Ich steige ab und gehe eine Strecke, aber dabei ist es noch ärger. Der Boden ist so heiß, daß man sich die Hand daran verbrennt; da ist es immer noch besser, sich ein paar Meter über ihm zu befinden. Einige leichte Wölkchen verschleiern die Sonne und dämpfen ihre Glut; ich ziehe vor ihnen den Hut und lasse mir den Südwind durch das Haar wehen.

Wieder gelangen wir zwischen kleinen Bergen aus Porphyrit auf kupiertes Terrain. Im Norden der Straße, der wir folgen, verbindet die alte Straße Saindek mit Tscha-sindan; dort gelangen wir vier Tage später wieder auf die alte Straße. Diese Strecke der alten Straße ist aufgegeben worden, weil sie immer mehr versandet und weil man auf ihr Gefahr läuft, zu verdursten, da man dort drei Tagereisen weit kein Wasser findet; erst kürzlich sind zwei Männer vor Durst umgekommen. Auf der neuen Straße, die seit vier Jahren benutzt wird, gibt es bei jeder Station Wasser, nur nicht in Burgar, unserem heutigen Ziel, das in 968 Meter Höhe liegt.

Burgar ist der Name eines Berges auf der Nordseite des Platzes, wo mein Zelt aufgeschlagen worden ist. Drinnen im Zelt war es grauenhaft heiß, und noch um 7 Uhr abends zeigte das Thermometer 31,1 Grad. Als die Karawane sich bald darauf zum Abendmarsch rüstete und mein Zelt einpackte, wurde mein Feldbett unter freiem Himmel aufgestellt, und bald erhob sich auch die nächtliche Brise, die die Mücken fernhielt. Der Mond schien klar, und die Sterne funkelten in der linden Wüstenluft. Leider aber legte sich der Wind schon gegen 2 Uhr wieder, und als ich am Morgen erwachte, hatten mich die blutdürstigen Insekten gründlich gebrandschatzt.


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