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Einundfünfzigstes Kapitel.
Abschied von meinen Kamelen.

Gerade als ich mich anschickte, aus Neh aufzubrechen, erreichten mich ernste Gerüchte aus Seïstan, wo die »Nakoschi«, die Beulenpest, in der letzten Zeit unheimlich um sich gegriffen hatte und die Menschen wie die Fliegen starben. Die Behörden und die dort lebenden Europäer waren in irgendein »Kuhistan«, in ein Bergland, geflüchtet, und die Leute in Neh bedauerten mich, daß ich jetzt direkt in diesen schaudervollen Pestherd hineinziehe. Ich wollte nach Nasretabad, der Hauptstadt von Seïstan, telegraphieren, um sichere Kunde zu erhalten, aber der Telegraph arbeitete nicht mehr. In Neh war ich mit der Linie in Berührung gekommen, die von Seïstan über Birdschan und Haidari nach Mesched und Teheran geht. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, ob ich in Seïstan durch noch kritischere Ereignisse als in Batum aufgehalten werden würde. Am Morgen des 1. April machte ich mich auf den Weg und hatte schon eine Stunde weit hinter Neh das Vorgefühl, daß wirklich etwas los sei, denn dort stand ein einsames Quarantänezelt, worin Reisende es sich gefallen lassen mußten, 5 Tage lang beobachtet zu werden. Mit den 5 Tagen in Beudan waren es also in Wirklichkeit 10 Tage Quarantäne auf dem Weg nach Neh. Indessen wurde diese schützende Bewachung äußerst mangelhaft und nachlässig betrieben, und es war die leichteste Sache auf der Welt, allen Quarantänen dadurch zu entgehen, daß man die bewachten Straßen vermied.

Ich hatte zwei Leute aus Neh in meinen Dienst genommen und ihnen 5 Kamele abgemietet; eines dieser Tiere war ein entsetzlicher Querkopf, streitsüchtig und ganz wild, und mußte mit einer eisernen Kette gebändigt werden. Die beiden Männer waren mit langen, primitiven Flinten, die sie über der Schulter trugen, bewaffnet. Aber bald wurden sie des Tragens überdrüssig; sie hängten ihre Waffen an den Lasten der Kamele auf und sahen dann weniger kriegerisch aus.

Von Bettlern verfolgt, zogen wir aus Neh ab, an den Mühlen und der Festung mit ihren baufälligen Lehmmauern und ihrem sumpfigen, mit Wasser gefüllten Graben vorüber. Zwei kleinere Dörfer, einige Wasser enthaltende offene Kanäle und ausgedehnte frischgrünende Gerstenfelder bleiben bald hinter uns zurück. Links erhebt sich ein isolierter Bergstock, der Kuh-i-schah-dost, und hinter ihm zieht sich die kleine Kette Kuh-i-germ hin. Im Westsüdwesten zeigt sich ein Dünenfeld, das Rig-i-Neh genannt wird und aus ziemlich hohen, sterilen Dünen zu bestehen scheint. Wir passieren Chuneh, ein langweiliges, ödes Dorf mit den ewigen, graugelben Lehmmauern, grünen Feldern, einer Festungsruine und elf aneinandergebauten Mühlen. Dort sitzt auf einem Hofe eine alte Frau in philosophischer Ruhe, und ein zerlumpter Junge läuft uns eine Strecke weit nach, sonst keine lebende Seele. Und dann sind wir wieder draußen in der stillen Wüste.

Der Tag hat einen Anlauf genommen, warm zu werden, und um 1 Uhr mittags sind es 23,5 Grad; aber die Wolken ziehen sich wieder zu einer dichten Decke zusammen, und es weht recht tüchtig aus Südosten, aus dem verpesteten Lande. Ich sitze träumend auf meinem hohen Kamel. Wir nähern uns Seïstan mit einer gewissen Spannung, meine Leute sind durch die eben erhaltenen Nachrichten sehr besorgt geworden. Sie sind bis nach Seïstan, von wo aus sie wieder heimziehen sollen, gemietet worden, aber jetzt fragen sie mich, ob ich glaube, daß es für sie gefährlich sei, dorthin zu reisen, und ich antworte ihnen, daß sie vollkommen ruhig sein könnten. Wie sonderbar, daß der schwarze Tod seinen Weg hierher, in diese stillen, friedlichen Einöden finden kann! Die Gegend ist ja so spärlich bevölkert, daß man hofft, der Todesengel könne sie verschonen. Und doch trifft er auch hier seine Opfer, den Bauer auf dem Felde, die Frau, die vergeblich ihr Antlitz verschleiert, den Tagelöhner, der bei all seiner schweren Arbeit darbt. Unwillkürlich gerät man in ernste Stimmung, wenn man sich einem Lande nähert, das die Pest verheert. Jede Telegraphenstange, die hinter uns zurückbleibt, jeder Klöppelschlag der Karawanenglocken führt der Antwort auf die Fragen, die uns alle beschäftigen, um einen Schritt näher.

Der Weg führt in Gebirgsruinen hinein, und wir übersteigen ein paar Schwellen. Das Gestein ist dunkelgrüner Porphyrit und ein dichter dolomitartiger Kalkstein rötlicher Farbe, sowie rotgrauer feinkörniger Sandstein. Der erste Paß liegt 1176 Meter hoch. Von dem zweiten Paß aus hat man eine weite, orientierende Aussicht nach Osten; aber man hat keine Lust, sich ihrer lange zu erfreuen, denn gerade diese Stelle umschwebten ganze Wolken kleiner ekliger Stechmücken, die mir um die Ohren summten und mich durch ihre unangenehmen Stiche peinigten. Im Laufe des Nachmittags wurde die Luft merkwürdig dick, und ich sah die Berge nur wie verschiedenfarbige Dunstschichten. So sieht es aus, wenn der Seenebel vom Meere hereinkommt und sich über die Schären legt.

Wir lagerten im Lager Nr. 61 an dem Brunnen Tscha-i-kurges (971 Meter), wo bereits eine aus Pferden und Eseln bestehende Karawane weilte. Die Männer hatten aus ihren Warenballen, die Tee und Tabak enthielten, eine Ringmauer gegen den Wind errichtet. Daß sich auch noch andere Menschen in der Nähe befanden, hörte man an dem aus der Ferne ertönenden Hundegebell. Als am Abend der Wind abflaute, wurden wir durch Stechmücken, Käfer, Nachtschmetterlinge und ähnliches fliegendes Getier sehr belästigt. Es ist zu warm, um das Zelt zu schließen; um 9 Uhr haben wir noch 18,8 Grad; aber wir sind heute auch in tieferliegende Gegenden hinabgestiegen und nähern uns dem stickigheißen Lande der Pest.

Am 2. April waren es schon morgens um 7 Uhr 19,6 Grad; dies kündigte einen heißen Tag an. Um 1 Uhr waren es denn auch 28,6 Grad im Schatten. Die Luft war schwerer und dicker als je, und man erhielt nur einen sehr unklaren Begriff von dem umliegenden Lande. Doch dort ist auch nicht viel zu sehen; öde und einförmig wechseln Steppen, Wüstengürtel, Gebirgsruinen und Abflußrinnen wie bisher miteinander ab. In einem reich mit üppigen Tamarisken bestandenen Tal war der lehmige Boden sehr sumpfig, und wir mußten alle zu Fuß durch den gelben Morast patschen. Die Tamarisken standen auf Kegeln, und nur in ihrer Nähe, d. h. an den Stellen, wo ihre Wurzeln dem Boden einige Festigkeit gaben, konnte man gehen. Es war aber mit Schwierigkeiten verknüpft, von einer Tamariske nach der andern zu gelangen, und die Kamele waren nahe daran, im Schlamm zu ertrinken.

Eine Strecke weiter saßen zwei Männer nachdenklich an einem Abhang, während ihre Pferde grasten. Beide waren bis an die Zähne bewaffnet; sie erklärten uns, daß man in dieser Gegend vor Belutschiräubern nicht sicher sei. Wir waren weit genug marschiert, konnten also neben ihnen unser Lager Nr. 62 in 1102 Meter Höhe schlagen und wurden mit drastischen Beschreibungen von dem Wüten der Pest in Nasretabad unterhalten. Der Tag war so drückend heiß gewesen, daß er kaum ohne irgendwelchen Aufruhr in der Atmosphäre enden konnte. Um 4 Uhr kam denn auch ein sehr heftiger Südweststurm, der Sand- und Staubwolken aufwirbelte, pfiff und stöhnte und einen kurzen, aber erfrischenden Regenguß brachte.

Am 3. April erwachten wir zu unserm letzten Marschtag mit den alten Kamelen. Der Morgen war kühl, nur 15,6 Grad, und Abbas Kuli Bek überraschte mich mit einem Kohlenbecken, einem Luxus, der sonst abgeschafft worden war. Auf einem Felsenhügel in der Nähe des Lagers hatten meine Leute in einer Mulde im Gestein ein »Sengab«, einen Regenwassertümpel, entdeckt und füllten um so lieber zwei Schläuche mit dem süßen, herrlich schmeckenden Wasser, als man uns gesagt hatte, daß das Wasser in Bendan salzhaltig sei.

So setzte ich mich denn wieder auf mein treues Reitkamel, und weiter ging es nach Osten zwischen zu Zähnen und Zacken zerrissenen Bergen aus Sandstein und später aus Kalkstein. Der Himmel ist klar, kein Lüftchen regt sich; die Rauchwolken der Zigarette bleiben wie kleine, himmelblaue Ballons regungslos hinter mir schweben; es wird wohl ein heißer Tag! Um 1 Uhr haben wir 27 Grad, die sich infolge der Windstille sehr fühlbar machen. Die feuchte Wärme liegt wie Dampf über der Erde und erzeugt im Verein mit dem vom Regen noch nassen Boden und der oft recht üppigen Steppenvegetation einen Duft, der an den Geruch in einem Treibhause erinnert.

Durch Wolken dreister Fliegen und Stechmücken schwenken wir nach Nordosten ab und ziehen in ein pittoreskes, gewundenes Tal hinein, in dessen grusigem Boden sich ein Bächlein versteckt. Alle Augenblick ändert sich die Richtung, und ich muß den Kompaß beständig in der Hand haben. Da meine Hände auch noch mit der Karte beschäftigt sind, kann ich sie nicht zu meiner Verteidigung gegen die Mücken benutzen. An den Stellen, wo die dicht stehenden Tamarisken Dickichte bilden, ist es am ärgsten; dort scheinen diese giftigen Insekten sich in Milliarden zu entwickeln. Manchmal halte ich unter ihnen Razzia; sie sitzen zu Hunderten unter der Krempe meines Filzhutes. Es nützt allerdings wenig, eine zu beseitigen, es bleiben noch Tausende, aber Rache ist süß. Sowohl die Hitze als die Pest vergißt man über diesen eklen kleinen Quälgeistern, die einem mit großen Flügeln um die Ohren summen, und man glaubt, es könne nichts Ärgeres geben als das unerträgliche Jucken, das durch diese zahllosen Nadelstiche verursacht wird. Heute ist es gleichsam eine Feuertaufe, eine Impfung mit dem Gift, später wird man wohl unempfindlicher dagegen werden.

Das Land wird wieder offen, und wir ziehen über schwach mit Schutt bedeckte Steppe hin nach Osten. Wir sehen mehrere kleine Dörfer; die ganze Gegend trägt den Namen Dehene-i-Bendan. Rechter Hand ist ein Ausläufer des Gebirges, und als wir um einen seiner vorspringenden Berge biegen, erblicken wir mitten im Taleingang das Dorf Bendan mit seinen entzückenden, träumerischen Palmen. Etwas Schöneres als diesen Anblick kann es nicht geben. Es ist so lange her, seit ich Palmen gesehen, und daher freue ich mich jetzt doppelt an ihrem dunkeln, vornehmen Grün. Unter herabhängenden Palmenzweigen hindurch bewegt sich unser Zug in der gewöhnlichen Ordnung vorwärts; seine Glocken läuten feierlich und dumpf. Diesmal aber wandelten wir nicht ungestraft unter Palmen, denn als wir jenseits der kleinen Festung und der stillen Friedhofsgräber haltmachten und Meschedi Abbas mein altes Reitkamel niederknien ließ, wußte ich noch nicht, daß dies das letztemal war und daß das treue Tier mich nie wieder durch Wüsten und über Berge tragen würde.

Wir lagerten im Lager Nr. 63 am Ufer des Bendanflusses, dessen schwach salzhaltiges Wasser so freundlich an unsern Zelten vorüberfloß (Abb. 233, 234). Die Höhe betrug hier 784 Meter, wir waren also im Verlauf des Tages über 300 Meter herabgestiegen, und es ist nicht zu verwundern, daß sich die Wärme fühlbar machte. In der Nähe war eine größere Hütte Reisenden aus Seïstan eingeräumt, die sich dort fünf Tage hindurch beobachten lassen mußten. Neben uns hatte der indische Arzt Abbas Ali Chan sein Empfangszelt, in dem alle von Osten her kommenden Reisenden untersucht wurden. Er empfing uns sehr liebenswürdig, lud mich zu Mittag ein und erzählte mir, daß in Nasretabad, als die Pest dort am ärgsten gewütet habe, täglich 20 Todesfälle vorgekommen seien, daß die Seuche jetzt aber im Abnehmen begriffen zu sein scheine. Die daran Gestorbenen seien meistens arme Leute gewesen, die der Hunger schon geschwächt habe. In der Baracke in Bendan habe er jetzt keine verdächtigen Fälle, aber er rate uns auf alle Fälle zu großer Vorsicht; Reinlichkeit sei eines der zuverlässigsten Vorbeugungsmittel gegen die Krankheit.


233. 234. Landschaft am Bendanfluß. (S. 273.)

Ich ermahnte daher meine Leute, sie sollten sich täglich waschen, und ich war kaum mit meiner Rede fertig, als auch schon ein allgemeines Baden erfolgte. Zuerst sah man Abbas Kuli Bek splitterfasennackt im Flußbett stehen und sich mit einem Eimer eine Dusche nach der andern über den Kopf gießen. Dann kam Mirza in sehr leichtem Kostüm angetrippelt, und nach einigen Minuten plätscherte die ganze Gesellschaft im Wasser. Nur Meschedi Abbas, der seine eigenen hygienischen Grundsätze hatte, fand die neue Verordnung übertrieben und begnügte sich damit, vom Ufer aus zuzuschauen, wie die anderen badeten. Nach der Körperwäsche kam die Reihe an die Kleider, die ausgewaschen, mit dem Waschholze geklopft und am Ufer ausgerungen wurden, und am Abend flaggten meine Leute mit ihren an den Zeltstricken aufgehängten Lumpen.

In der Dämmerung begab ich mich nach dem Zelte des Abbas Ali Chan, wo sich die Honoratioren von Bendan bereits versammelt hatten. Dort traf ich den Telegraphenvorsteher Mirza Ali Chan, den »Kafile-baschi« oder Oberaufseher der Karawanen des Gouverneurs, Agha Muhamed, den Inspektor des Quarantänehauses, und einen Armenier, der in Seïstan beim Zoll angestellt und nun auf der Reise dorthin war. Das Essen bestand aus ganz vorzüglichem persischem Pilau, Eiern, Brot und Tee, und ich entbehrte mein ewiges altes Huhn durchaus nicht.

Der indische Arzt erzählte, daß Seïstan an und für sich ein reiches, fruchtbares, gut bewässertes Land sei, jedoch arme, unterdrückte Bewohner habe, weil der Gouverneur von Mesched das Volk aussauge. In Persien würden nämlich die Gouverneurstellen an den Meistbietenden verpachtet. Der Gouverneur von Mesched bezahle der Regierung für seine Stelle jährlich 150 000 Toman; um diese Summe aufzubringen und noch ebensoviel in seine eigene Tasche zu stecken, sauge die Exzellenz ihre Provinz aufs schamloseste aus. Ein solcher Gouverneur befördere das Umsichgreifen der Pest; durch die Armut, in die er das Volk bringe, werde es in hohem Grad für die Krankheit empfänglich gemacht. Wenn es auf dieser Erde, auf der alles verkehrt zugehe, Gerechtigkeit gäbe, hätte der Kerl längst gehängt werden müssen. Aber er könne tun und treiben, was er wolle, die Regierung müsse ja ihre 150 000 Toman haben. Das Schlimmste sei jedoch, daß alle andern führenden Männer in Persien eigentlich auch gehängt werden müßten, denn so, wie das Land jetzt verwaltet werde, müsse es seiner vollständigen Auflösung und seinem sichern Untergang mit großen Schritten entgegengehen.

Dann kam die Rede auf das Schicksal meiner Kamele, und da ich mich jetzt inmitten der vornehmsten Leute des Ortes befand, erbat ich mir ihren Rat in dieser Sache.

»Ja,« war die Antwort, »wollen Sie um diese Jahreszeit ihre Kamele mit heiler Haut durch Seïstan bringen, dann müssen Sie sich sehr beeilen, sonst werden sie Ihnen von Bremsen aufgefressen; schon hier bei Bendan haben wir diese Sorte, aber in Seïstan ist es noch viel ärger.«

»Es ist also schon zu spät im Jahre, um mit Kamelen durch Seïstan zu ziehen?«

»Wenn sie das Land schnell durchziehen, ohne in Nasretabad haltzumachen, werden Sie sie unversehrt nach der Grenze am Kuh-i-Malek-Siah führen können; halten Sie sich aber auch bloß zwei Tage in Nasretabad auf, so werden die Bremsen ihnen den Garaus machen.«

»Das Schlimmste ist,« rief ein anderer aus, »daß Ihre Kamele aus dem Norden sind; sie können die in Seïstan herrschende Hitze nicht ertragen; Sie werden sie unter allen Umständen verkaufen müssen, bevor sie Ihre Reise durch Belutschistan antreten.«

»Wie wollen Sie Ihre Kamele über den Hamun bringen?« fragte der Doktor. »Es gibt keine Möglichkeit, sie ohne zeitraubende Umwege über das Wasser zu führen.«

Nun erhob der Kafile-baschi seine Stimme und sprach: »Wenn es Ihnen recht ist, werde ich dafür sorgen, daß sie Ihre zwölf Kamele verkaufen können; verkaufen müssen Sie sie ja unter allen Umständen, und Bendan ist der letzte Ort, wo dies geschehen kann.«

»Gibt es denn hier in Bendan jemand, der sie kaufen möchte und auch die Mittel dazu hat?« fragte ich.

»Ich werde sie Ihnen abnehmen«, antwortete der Kafile-baschi.

»Wieviel bieten Sie mir?«

»Ich kann bis zu 450 Toman für die ganze Karawane gehen.«

Sollte ich mich wirklich auf diesen gemeinen Sklavenhandel einlassen? »600 Toman?« schlug ich aufs Geratewohl vor. Das Geld war mir hierbei ja nicht die Hauptsache, ich dachte mehr daran, wie bitter es mir sein werde, mich von den Tieren trennen zu müssen. Doch nach der Beschreibung der Bremsen blieb mir keine Wahl, ich kannte diese Höllengeister vom Lop-nor her nur zu gut. Der einzige Dienst, den ich meinen treuen Kamelen würde leisten können, war, daß ich ihnen Seïstan und eine Hitze ersparte, die sie noch nicht kennengelernt hatten. Sie waren gewöhnt, nur nachts und in kälteren Gegenden zu arbeiten, keines von ihnen war auch nur bis Buschehr hinunter gekommen. Es wäre barbarisch gewesen, wenn ich sie gezwungen hätte, durch ein »Germsir« mit Wolken von Bremsen zu ziehen.

Nach vielem Feilschen einigten wir uns auf 500 Toman, und der Kafile-baschi erklärte sich bereit, mir 400 in Silbergeld auszuzahlen und mir für den Rest ein Pferd zu geben, das 100 Toman wert sei. Aber ich habe stets vor Roßtäuschern Angst gehabt und sagte daher, daß ich für das Tier gar keine Verwendung habe. Nun ging er darauf ein, mir die ganze Summe in Silber zu geben. So war die Schandtat denn abgemachte Sache, aber mir hätten den ganzen Abend die Tränen kommen mögen.

Ehe der Kauf endgültig abgeschlossen war, ging ich erst noch einmal nach meinem Lager und sprach mit Meschedi Abbas, Gulam Hussein und Abbas Kuli Bek. Sie rieten mir aufs dringendste zu dem Handel, was ein hübscher Zug ihrer Uneigennützigkeit war und meinen Argwohn, daß sie je auf ein Kamel als Geschenk gerechnet, völlig zerstreute. Sie glaubten, daß ich für die Tiere selbst dann, wenn es gelänge, sie gesund durch Seïstan zu bringen, nicht mehr als 300 Toman erhalten würde, und, wenn die Bremsen sie krank gemacht hätten, nicht einmal das; sie meinten ferner, daß gerade die stärksten und größten zuerst unter dieser Plage erliegen würden. Es wurde beschlossen, daß wir den nächsten Tag in Bendan bleiben wollten, um den Handel vor sich gehen zu lassen, und der Kafile-baschi erbot sich, mir sechs Mietskamele zu besorgen, die mich nach dem See bringen sollten. Einer größeren Anzahl bedurfte ich nicht, da ich jetzt nicht mehr daran zu denken brauchte, Futter für die Kamele mitzunehmen.

Spät abends machte ich meinen Abschiedsbesuch bei den Kamelen, die, nichts Böses ahnend, in zwei Kreisen um ihre Häcksel- und Baumwollsaathaufen herumlagen. Ich streichelte und liebkoste meinen alten Träger immer wieder, und er rieb seinen zottigen Kopf an mir und sah mich mit seinen großen, braunen Augen an. Er war sieben Jahre alt, und Meschedi Abbas sagte, daß er noch zehn Jahre arbeitsfähig sein werde; ich fragte mich, wie viele Arbeitsjahre mir selbst wohl noch beschieden sein werden! Ich wagte kaum zu sprechen, um mich nicht durch das Beben meiner Stimme zu verraten, als alle meine Leute in wehmütigem Schweigen um mich herumstanden. Das Licht der Stallaterne fiel mit bleichem gelbem Schein auf diese Menschen- und Tiergruppe. Drei Monate hindurch hatte ich diesen großen Kopf (Abb. 235) vor mir gehabt; es erschien mir unendlich lange her zu sein, daß wir Teheran verlassen hatten. Gulam Hussein sagte, das Kamel verstehe, daß es verkauft sei und in andere Hände übergehen werde; es erkenne seine hilflose Lage und sein Wunsch, wenn es nur reden könnte, sei, uns zu bitten, trotz aller Bremsen auf der Welt doch bei uns bleiben zu dürfen. Meschedi Abbas war anderer Meinung; das Kamel wisse noch nichts von dem ihm bevorstehenden Schicksal; erst morgen, wenn der neue Besitzer mit seinen Leuten komme und es mit seinen zwölf Gefährten wegführen lasse, ohne daß einer der unseren mitgehe, werde das Tier sich sagen, daß alle Hoffnung verloren sei und unsere Wege für immer auseinandergingen. Und dann umarmte der redliche Abbas das Kamel und küßte es mitten auf das Maul.

235. Mein Reitkamel beim Abschied.
(S. 277.) Zeichnung des Verfassers.

Die Kamele waren alle in sehr gutem Zustand und hätten ohne Schwierigkeit auf demselben Weg nach Teheran zurückkehren können. Nur eines hatte eine kleine Scheuerwunde auf dem Rücken, die im Sommer aber bald ganz geheilt sein würde. Hauptsächlich Abbas hatte sich um ihre vorzügliche Pflege verdient gemacht. Nun sollten sie gleich morgen nach den Bergen von Kain, wo es gute Weide gab, gebracht werden und dort vier Monate lang in Frieden grasen dürfen. Wenn sie wieder neue Winterwolle erhalten hatten, sollten sie auf den Karawanenstraßen zwischen Birdschan und Mesched in Tätigkeit treten; sie würden nach Jezd und Teheran gehen, nach der Küste des Kaspischen Meeres und zu den glänzenden Minarets von Isfahan. Ja, manch ermüdender, anstrengender Marsch stand ihnen noch bevor! Bei mir hatten sie es gut gehabt, aber nun würden sie mich bald über neuen Eindrücken vergessen. Die Trennung von diesen großartigen, schweigenden Wüsten, ihren Palmen, Dörfern und Burgen wird mir nicht schwer, habe ich sie doch in Wort und Bild in meinen Büchern. Der Abschied von meinen Leuten geht auch noch ziemlich leicht; wenn man einen Einblick in ihr Leben getan hat und sie gründlich kennt und sie ihren Lohn erhalten haben, sagt man ihnen einfach Lebewohl, und sie gehen neuen Geschicken entgegen. Aber von den Kamelen und ihrer grenzenlosen Treue Abschied nehmen zu müssen, wird mir unendlich schwer! Es tut mir leid, sie ins Ungewisse fortzugeben; ich komme mir dabei so undankbar und treulos vor, und das Herz tut mir weh, wenn ich nur daran denke.

Alles Brot, das sich in Bendan für Geld erstehen ließ, wurde aufgekauft, und am späten Abend gab ich meinen Kamelen einen ordentlichen Schmaus und teilte ihnen selbst die Fladen der Reihe nach aus, soweit der Vorrat reichte. Sie freuten sich der üppigen Bewirtung und fragten sich wohl in ihrem stillen Sinn, was denn eigentlich los sei, daß sie armen Arbeitskamele ohne alle Veranlassung mit Brot gefüttert würden.

»Nun, wohin gedenkt Ihr von Seïstan aus zu ziehen?« fragte ich meine Leute, obwohl mir ihre Pläne nicht unbekannt waren, da ich ja ihre Gespräche abends im Zelt oder auf dem Marsche notgedrungen hatte mit anhören müssen.

»Wir beabsichtigen, in 30 Tagen nach Mesched zu gehen, und von dort aus in 25 Tagen Teheran zu erreichen«, antwortete Abbas Kuli Bek für sich und die anderen.

»Will mich denn keiner nach Nuschki begleiten?« fragte ich weiter.

»Wenn der Sa'ab es uns befiehlt, gehen wir mit; aber wir fürchten uns vor der Hitze und der Pest und möchten am liebsten beisammenbleiben.«

Keiner machte Miene, von Bendan aus zurückzukehren, obgleich ich für die paar Tagereisen, die mich noch von Nasretabad trennten, recht gut neue Leute hätte erhalten können. Ihre Furcht vor der Pest war also nicht so groß, und sie waren keine Feiglinge. Die Kosaken hatten Befehl, unter allen Umständen von Seïstan aus zurückzukehren, und wenn auch die andern Männer mir nach Nuschki hätten folgen wollen, würde ich sie doch nicht behalten haben. Ich näherte mich einem neuen Lande und wollte lieber neue Leute um mich haben, die die Verhältnisse des Landes kannten.

Wir verließen die Kamele und suchten die Zelte auf, während die Schakale melancholischer als je heulten. Die Nacht war still und klar, ich hörte Insekten und ähnliches Getier in der Luft summen und lauschte mit Behagen dem Rauschen des großen Baches. Im Osten erwartete mich der Hamun mit seinen wasserdurchtränkten Sümpfen; dort warteten meiner glühende Hitze, Bremsen, Skorpione und giftige Spinnen, dort lauerte die schwarze Pest, die umherging und sich unter den Menschenkindern Opfer erwählte. Hier in Bendan lagerten wir zum letzten Male mit den verkauften Kamelen, und das klagende, höhnische Bellen der Schakale durchschnitt die nächtliche Stille. Von einer frohen Stimmung konnte in Bendan, dieser herrlichen, kleinen Oase mit ihren königlichen Dattelpalmen und rieselnden Wasserbächen, keine Rede sein.

Ich erwachte von einer so unerträglichen Hitze im Zelte, daß ich mich ganz auszog, nach kaltem Wasser rief, eine gründliche Abreibung vornahm und mich dünner als sonst kleidete. Um Mittag änderte sich plötzlich das Wetter. Es erhob sich ein heftiger Sturm aus Südwesten, Staub- und Sandwolken fegten längs der Erde hin und in das Zelt hinein, und selbst die Palmen, die ganz in unserer Nähe standen, entschwanden unsern Blicken.

Agha Muhamed erschien mit Silbergeld und Banknoten und bezahlte den Betrag genau wie vereinbart. Meine Leute waren sehr dafür, daß er auch die Packsättel, die Halftern und die Glocken bezahlen solle, aber ich ließ ihm alles dieses Zubehör umsonst. Nachher tat es mir leid, daß ich nicht die größte Glocke als Andenken an die langen Wüstenwege behalten hatte.

Erst um 5 Uhr war alles erledigt, und nun kamen Agha Muhameds Leute, um die Kamele abzuholen. Wir gingen hinaus und streichelten sie noch einmal zum Abschied, und tränenden Auges sahen wir sie unter den Palmen verschwinden. Sie gingen ruhig und stolz ihres Weges, wandten aber den Kopf, um sich nach uns umzusehen, und Meschedi Abbas sagte, jetzt wüßten sie genau, daß sie uns nicht wiedersehen würden. Bald war der Glockenklang hinter dem kleinen Bergvorsprung verhallt, und unser Lager sah jetzt, da die Kamele an ihren gewöhnlichen Plätzen fehlten, sehr klein, leer und verödet aus.


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