Adolf Glaßbrenner
Neuer Reineke Fuchs
Adolf Glaßbrenner

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Fünftes Capitel.

               

Das Alles, was die Dirne that,
    War nach dem Willen accurat
Des schlauen Schelmen Reineke,
    Mit dem sie cölibatete.
Der wollt' des hohen Herrn Gewissen
    Verwunden so mit diesen Bissen;
Das gab ihm Freiheit, auf der Reise
    Zu leben ganz nach seiner Weise,
Und konnt' ihm auch in Siebenspitzen
    Beim Rath der Alten mannig nützen.

Drum schnell nun, unter Hohn und Lachen,
    Thät er sich auf die Strümpfe machen,
Und nach der nahen Schlammburg eilen –
    Nur mit dem nöthigsten Verweilen,
Zu schau'n, ob auch kein Jäger hier –
    Zum Egel hin, dem Doctor Gier.

Der lag und zählte grade Geld.
    »Ach,« rief der Reineke verstellt,
»Wie gut, daß ich zu Haus Euch finde!
    Herr Doctor, kommt mit mir geschwinde!
Ein hoher Gast aus Siebenspitzen,
    Der kann nicht gehn, nicht stehn, nicht sitzen;
Vielleicht sieht meine Magd so eben
    Den Edlen seinen Geist aufgeben;
Vielleicht helft Ihr ihm noch durch's Beißen
    Am Halse, Bauche oder Steisen!«

Der Arzt sprach barsch: »'S ist nicht die Stunde;
    Ich kam so eben von der Runde!
Die Käfer ziehen mich nicht mehr,
    Der Eine hat den Koller sehr;
Auch ging mein Kutscher, Brumme Klette,
    Vor fünf Minuten schon zu Bette.«

Ei,« sprach der Fuchs, »warum so feindlich?
    Ihr seid doch sonst so thierefreundlich,
Und von der Donau bis zum Pregel
    Heißt Ihr mit Recht der große Egel;
Denn solche ungeheure Praxis,
    Wie Ihr, hat kaum noch Thurn und Taxis;
Wem Ihr nicht helfet, der muß sterben,
    Und Geld nehmt Ihr nur stets von Erben.«

Durch diese Worte nun verlockt' er
    Blutegel Gier, den stolzen Docter,
Der beinah' hätte ausstudirt,
    Wär' ihm nicht ein Malheur passirt.
Er hatt's consilium abeundi,
    Und war kein großes lumen mundi.

»Nun,« sprach er, »werther Herr Gevatter,
    Obgleich ich selber bin noch matter
Als Pferd' und Kutscher, will ich doch
    Mit hin nach Eurem Ahnenloch,
Wenn Ihr, Herr Fuchs, Euch wollt bequemen,
    An Eurem Steis mich mitzunehmen.«

»Aha,« sprach Reineke für sich.
    »So, so! Na wart', ich werde Dich!«
Und laut: »Sehr gern, doch seid so gut,
    Und nehmt nun eiligst Stock und Hut!
Zurück geleitet Euch mein Käthchen,
    Das allerliebste Stubenmädchen.«

Sehr eilig ward nun Doctor Gier,
    Und saß dem Fuchs am Steise hier,
Daweilen Dieser ohne Maaßen
    Lief durch des Waldes dunkle Straßen,
So keuchend, als ob Seine Gnaden
    Beinahe säßen schon voll Maden.

Inzwischen, wie vorausgesehen
    Herr Reinke, daß es würd' geschehen,
Begann der Doctor Gier ganz leis
    Sich anzusaugen an dem Steis.
Der Reineke verstellte sich,
    Als merkt' er Nichts; doch dacht' er: Ich,
Ich bring' Dich bald damit zu End'!
    Und machte ein Experiment.

Und schon nach zweeen Augenblicken
    Begab Herr Gier sich auf den Rücken
Des Fuchses, wischte seine Brille,
    Und hielt hinfort sich gänzlich stille,
Bis daß sie, wo der Berg ansteigt,
    Die Feste Malpertaus erreicht.

Hier lag die falsche Ermelin
    Wohl vor dem Kranken auf den Knien,
Und thät, voll Mitleid in den Zügen,
    Als müß' Rhinozer unterliegen.
Der aber, ob so hoch und groß,
    Lag aller Scham und Schande bloß,
Wälzt' sich im Sande hin und her,
    Und wüthete und grunzte sehr,
Schlug um sich mit den dicken Tatzen
    Und schnitt die fürchterlichsten Fratzen,
Was ihn entstellte ganz und gar,
    Weil von Natur er häßlich war;
Besonders war sein Hängbauch gräuslich,
    Und auch sein Nasenhorn sehr scheuslich.

»Hier liegt der sterbende Patient!«
    Rief Reinhard, ringend seine Händ'.
Und näher tretend sprach der Egel:
    » Besoffen ist der hohe Flegel!«

Als dies nun Reineke gehört,
    Da stellt' er sich gar sehr empört
Und meint', der Doctor thät ihn schrauben,
    Und wollte es durchaus nicht glauben,
Und raufte mächtig sich im Haar, –
    Doch ließ er Alles, wie es war.

»Wenn Ihr die Krankheit nun verwechselt,«
    Sprach Fuchs, »so wird mir angedrechselt
Wohl ein Prozeß auf Tod und Leben:
    Drum müßt Ihr ein Attest mir geben,
Auf daß nach keinem Paragraphen
    Man mich, den Schuldlosen, kann strafen,
In dem geschrieben steht ganz offen,
    Daß Seine Gnaden sind besoffen.

Drauf gab der Doctor ein Attest,
    Wogegen sich nie Etwas sagen läßt:.
Und ferner dem Rhinozeros
    Camillenthee in's Maul er goß,
Und thät zu morgen früh bestellen
    Für den Patienten zwei Sardellen,
Und ging dann heim mit Fuchsens Käthchen,
    Dem allerliebsten Stubenmädchen.

Drauf ließ nun Reinhard den Hierarchen
    Bis spät am andern Morgen schnarchen,
Trat dann zu ihm ganz demuthvoll,
    Und brachte einen reichen Zoll
Von Beileid über jenes Schwanken
    Des hohen Herrn und sein Erkranken.
Doch sah man unter dem Bedauern
    Die Schadenfreude deutlich lauern.
So reichte er ihm zwei Sardellen.

    »Ich leide oft an solchen Fällen,«
Sprach das Rhinozeros sehr trist
    Und matt. »Mein lieber Reinke, wißt,
    Der ganze schlimme Zustand ist
Des vielen Nachtstudirens Frucht,
    Vorboten von der Wassersucht«

»Der Wassersucht?« sprach Reineke,
    »Ei, ei!« Er grinzte laut. »He, he!
Der Wassersucht will mir nicht scheinen,
    Denn der Herr Doctor wollte meinen,
Und ein Attest besagt es offen.
    Ihr waret gestern sehr . . .«


                                            »Getroffen!«
Erwiederte der Gast verlegen,
    Der Mägde und der Diener wegen.
»Der Doctor hat ganz Recht, mein Lieber,
    Ich lag in einem Wechselfieber!
Doch laßt uns nun nicht länger zaudern,
    Und die gemessne Zeit verplaudern;
Wir müssen ungesäumt von hinnen,
    Die weite Reise zu beginnen.«

Der Fuchs nahm zärtlich von dem Weibchen
    Abschied hierauf, umschlang ihr Leibchen
Und gab ihr einen langen Kuß,
    Was Herrn Rhinozer sehr verdruß,
Weil Jener sich als Buhle wonnte,
    Und er es nicht so haben konnte.

Magd Ermelin rief nun die Kinder,
    Die küßte Reineke nicht minder,
Und prägte ernst es ihnen ein,
    Recht tugendhaft und schlau zu sein,
Die Ställe gnau sich zu besehen,
    Und Jägern aus dem Weg zu gehen,
Und darauf warnte er noch Alle
    Vor Sünden, mehr noch vor der Falle.
Zum Gast jedoch sprach er: »Auf Ehre,
    Dies hier sind meine Pensionäre.«

Auch seinen Vetter Grimbart nahm er
    An's Herz, und einen Kuß bekam er,
Und etwas Leises in die Ohren,
    Was Herrn Rhinozer ging verloren.
Zuletzt thät er den Domestiken
    Zum Abschied auch die Hand noch drücken,
Und lispelte: »Seid nur geduldig,
    Bin ich Euch auch den Lohn noch schuldig!
Kaum blüht im Thale dort der Flieder,
    Kehr' ich von Siebenspitzen wieder.
Dann kleidet sich die Erde grün,
    Dann wird das Thier im Lieben kühn,
Dann ist der Schöpfung höchste Feier,
    Dann gibt's auch wieder frische Eier,
Ich aber, Euer langentbehrter
    Gebieter, bin dann Gottgelehrter,
Und werd' gewiß im Stande sein,
    Euch – Eure Sünden zu verzeih'n!«

Nach dieser Rede sah man weinen
    Sowohl den Andern wie den Einen;
Denn selbst der schnödeste Hallunke,
    Lebt er und redet er im Prunke,
Wird auf gemeine Sclavenseelen
    Wohl selten seinen Zweck verfehlen.


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