Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Elftes Kapitel

Vor der Dämonentreppe

Edmund warf sich auf eine der Marmorbänke.

Hier war er nun also – unmittelbar vor dem Ziel. Er hatte nur abzuwarten, bis das Aufleuchten des Parkes die Stunde verkündete, und dann nur noch diese und ein paar, von ähnlichen steinernen Ungeheuern nicht sehr wirkungsvoll behütete Treppen zu ersteigen. Wenn er oben angekommen war, gab sich der Rest von selber. Eine ziemlich leichte Aufgabe.

Eine zu leichte Aufgabe schien es ihm jetzt. Er hätte etwas darum gegeben, daß sich hier Schwierigkeiten vor ihm aufgetürmt hätten, daß gerade die letzte Stufe zum Raja-Thron nur durch eine ungeheure Anstrengung, nur durch Aufgebot höchsten persönlichen Wagemuts zu erklimmen gewesen wäre.

Und angesichts der Widerstandslosigkeit überfiel ihn ein lähmendes Gefühl innerer Leere. Diese ganze Raja-Herrlichkeit, nach der er die Hand ausstreckte, schien ihm plötzlich hohl und nichtig. Nur durch ihre scheinbare abenteuerliche Unerreichbarkeit hatte sie im Abstand mit märchenhaftem Glanz den Abenteurer gelockt. Und nun? Wenn sie so zu ergreifen war, war sie dann auch wert ergriffen zu werden?

Er dachte zwar nicht diese Frage, aber er fühlte sie in seiner plötzlichen Gleichgültigkeit, seiner unmutigen Erschlaffung.

Er dachte nicht jene Frage, – aber er dachte an Kala Rama, an jene große Seele, die auf dem Wege der höchsten Wandergänse davon schwebte.

Ein Gerücht sagte so. Er aber wußte, daß das Gerücht nicht log. Deshalb hatte ja Kala Rama ihm und Amanda die beiden Edelsteine – jeder ein Vermögen – geschenkt. Er verschenkte eben alles – er machte sich frei. Das war ja der Sinn seiner Worte vorher im Theater: Edmund würde wohl bald einsehen, daß er ihm den Stein nicht zurückgeben könne. Es war auch der Sinn seiner gestrigen Worte: er – Kala Rama – sei zwar reich, würde aber bald so reich werden, wie Edmund sich wohl kaum vorstellen könne. Dieser Überreichtum, den er meinte, das war ja die freiwillige Besitzlosigkeit!

Wie müsse doch dieser Mann auf ihn herabschauen – von der Höhe jenes Fluges aus mit Recht auf ihn herabschauen! Denn er beschmutzte seine Hände, um nach dem zu haschen, was jener verschmähte, ja wegwarf, als etwas gar zu Lästiges. O wie gemein: dieses gierige Ergreifenwollen! – wie vornehm: dieses »Laßfahrendahin!«

Aber, ob gemein oder nicht – eines war noch schlimmer: sich durch die Handlung eines anderen imponieren zu lassen, sich von einem anderen irre machen lassen. Was ging denn ihn Kala Rama, der Sannyasin, an? Der Minister Kala Rama hätte ihn noch etwas angehen können, wäre ihm gefährlich gewesen; der Sannyasin, der Paramahansa, existierte für ihn nicht.

Ja, das Werk des Ministers Kala Rama ging ihn noch etwas an: – er sollte es ja fortsetzen. Freilich, mehr als fortsetzen! Denn Kala Rama hatte zwar Großes geleistet; er aber mußte als Raja noch viel Größeres vollbringen. Sollte nicht dieser kleine › Native State‹ unter seiner Führung der Ausgangspunkt einer Regeneration Indiens werden?

In diesen Gedanken, der am vorhergehenden Abend, gerade vor dem Erscheinen des Yogi, ihn so mächtig hingerissen hatte, vertiefte er sich nun mit aller Gewalt, um jene Unlust an seiner Usurpatorrolle loszuwerden. Er berauschte sich geflissentlich in diesen Zukunftsvisionen, um sich den Glauben beizubringen, daß er nur um des Zieles willen den letzten hundertsten Schritt tue, anstatt – wie die Menschen so oft – lediglich, weil er die vorhergehenden neunundneunzig Schritte schon getan hatte.

Es gelang ihm. Aber es kostete ihn eine nicht geringe Anstrengung. Und kaum hatte er unbewußt aufgehört, diese Gewalt über die Gedanken auszuüben, so schnellten sie von selber zurück und entschwanden ihm – bis er sich selber mitten in der Bestrebung vorfand, eine Melodie, die ihn neckisch umflatterte, einzufangen. Und als ihm dies so weit gelungen war, daß er sie einigermaßen vor sich hinsummen konnte, da fingen seine Gedanken an emsig nachzuspüren, woher er denn wohl diese Weise habe, und verirrten sich bei dieser Suche bis in die Kinder- und Jugendjahre zurück, in cornwallische Bauernstuben und in entlegene griechische Gebirgsnester, um dann plötzlich zu finden, daß es einfach das Lied sei, das Punna gesungen hatte.

Aber das fanden sie nicht heraus, woher denn diese Punnaweise eine solche Macht über sein Gemüt besäße. Denn auch jetzt, als er sie leise vor sich hinsummte, fühlte er dasselbe unsagbar wehmütige Bangen sein Herz beklemmen. Auch jetzt zuckte es im Augenwinkel, als er das liebliche Gesicht Amandas vor sich sah, wie sie zu ihm hinüberblickte, ob er es wohl ähnlich wie sie empfände, und sah, wie ihre Augen, den seinigen begegnend, glänzten und überglänzten, bis eine Träne die Wange hinunterglitt ...

Und dann? fluchte er ein herzhaftes › damn her eyes!‹ Welches Recht hatte denn dies Mädchen, einen weinerlichen Kerl aus ihm zu machen? Und das gerade jetzt, wo er doch wahrlich Besseres zu tun hatte, als einer alten Weise nachzupfeifen und einem jungen Mädchen nachzuweinen! Hatte er nicht Möglichkeiten vor sich, wie sie nicht einem unter Millionen in den Schoß fielen? Die höchste Gewalt bleibt die höchste Gewalt, und der Glanz des Rajatums ist kein Rauschgold!

Edmund hatte während des Grübelns und Träumens den Kopf in die Hand sinken lassen. Als er ihn emporhob und sich umblickte, war er in der Tat von Glanz umgeben.

Man hätte glauben können, daß der orientalische Himmel, dessen Gestirne juwelengleich über den Baumwipfeln funkelten, in seinem Überreichtum Sterne in diesen Palastgarten hatte niederregnen lassen, damit sie hier in den Alleen, auf den Terrassen, zwischen den Gebüschen, in den Lotusteichen ihre Konstellationen fortsetzen sollten. Überall, wo er hinblickte: unter ihm, über ihm, vor und hinter ihm, rechts und links leuchteten zwischen Baumstämmen und durch Laub unzählige Lichter. Lange gerade Linien, die parallel miteinander liefen oder sich kreuzten, Kurven über Kurven, Bogen an Bogen sich reihend, Zickzackpaare, die aufwärts stiegen, wo die Terrassen in immer vollerem Glanz erstrahlten, bis hoch oben Türme, Kuppeln, Zinnen, Erker, Balkons, Arkaden und Kioske sich mit goldenen Punkten zeichneten – die reichsten aller irdischen und himmlischen Konstellationen, die sich gerade hier begegneten.

Sterne des Himmels, Sterne der Erde – aber ein Unterschied: die des Himmels funkelten und blitzten, die der Erde leuchteten still und unbeweglich. Vor ihm, wo die Ballustrade der ersten Terrasse sein mußte, hätte man glauben können, daß eine Trabantenreihe Wache hielte, von der man nur die goldenen Lanzenspitzen sähe, Palmblätter, die sich mit jedem ihrer seinen Stilletten dunkel gegen einen Lichtsee abhoben, schienen aus starrer Bronze zu sein, und das zierliche Akazienlaub, das zu seiner Rechten fast weiß gegen den schwarzvioletten Himmelsgrund stand, hätte eine jener durchbrochenen Marmorarbeiten sein können, die nur indischer Fleiß zur Zeit der Moguls fertig brachte.

Zu seinen Füßen, im niedersten Teil des Gartens, wo auch vom Amphitheater ein paar Lichtkurven rechts sich zeichneten, leuchtete eine Ecke des großen Lotusteiches. Die Blumen brannten wie Lämpchen, einige entzündeten sich noch, während er hinblickte, ein Lotus nach dem andern, in einer langen Reihe. Die breiten Blätter erglänzten wie Scheinwerfer. Nun wurde auch ein Netzwerk von Marmorfliesen sichtbar; schmale, weiße Stege, nur gerade breit genug für die nackten Mädchenfüße, die darüber hinhüpften und deren Spangen klirrten – eine melodische Begleitung der scherzenden Worte und Neckrufe, die hin- und herflogen. Aber Mädchenstimmen und Spangenklirren entfernten sich schnell. Jeder Lotus, der zu erreichen war, hatte ein Lämpchen erhalten – nur noch ein leises Klirren und ein halb ersticktes Lachen, und alles war still.

Eine lautlose, leuchtende Stille. Eine Ruhe ringsum, die in ihrer Feierlichkeit beunruhigend wirkte. Alles wartete.

Worauf?

Auf ihn.

Also aufwärts! Die Dämonentreppe hinan, die jetzt lichtstarrend seiner harrte. Denn jedes der sechs Ungeheuer erhob mehrere Fackeln, je nach der Zahl der Arme, welche die Zeit ihm übrig gelassen von den acht, mit denen es die freigebige Künstlerphantasie ursprünglich ausgestattet hatte. Aber diese Flammen standen so still in den Pechpfannen, als wären sie in einem harten Material ausgehauen, und beleuchteten in feierlicher Ruhe die Regungslosigkeit dieser Riesenglieder und das starre zähnefletschende Grinsen der Unholdfratzen.

So blendend war der Glanz der Treppe, daß Edmund fast die Stufen erreicht hatte, bevor er zwei Gestalten bemerkte, die, was Unbeweglichkeit betraf, allerdings Teile der Treppenskulptur hätten sein können. Ein Schwarzer kauerte, einen Korb im Schoße, auf der untersten Stufe, am Fuße des linken Dämonensockels. Am rechten lehnte die Gestalt des Yogi.

Edmund trat einen Schritt zurück. Diesen Yogi hatte er ganz vergessen! War hier vielleicht doch ein Hindernis? ein mächtigerer Hüter der Treppe als jene fackeltragenden Steindämonen? Arthurs Wort klang ihm im Ohr: »Du fühlst es gar wohl, daß du den Gegner gesehen hast.«

Gegner oder Freund – der Yogi verbeugte sich und grüßte mit der ihm schon vertrauten, vollen klaren Stimme:

– Salem, Sahib!

– Salem, Yogi! Ihr sucht mich?

– Ich erwartete Euch. Habe ich doch versprochen, Euch meine Kunst zu zeigen.

– Jetzt? rief Edmund verwundert.

– Die Stunde ist da.

– Hat Euch der Finger der Vorsehung sie angezeigt?

Der Yogi nickte.

– Dann ist er ein schlechter Stundenzeiger, meinte Edmund spöttisch. Wißt Ihr denn nicht, daß mich jetzt der Fürst oben erwartet?

– Niemand wird Euch hindern hinaufzugehen, Sahib.

– Hm, ich bin dessen nicht so sicher, wenn ich mich zu diesem Experiment hergäbe. Aber ist es Euch denn nicht eingefallen, daß ich gerade jetzt dazu keine Zeit habe?

– Ich brauche keine.

– Keine Zeit, um mich ein ganzes Leben wieder erleben zu lassen?

– Die letzte Stunde jenes Lebens genügt.

– Als ob ich jetzt eine Stunde übrig hätte?

– Ich brauche keine – einige Minuten zu den Vorbereitungen, weiter nichts, Sahib. In dem schlechten Buch, daß viele meiner Landsleute leider als heilig betrachten, im Koran, steht eine weise Legende: wie der Erzengel Gabriel den Propheten von seinem Lager abholt und ihn durch alle Himmel leitet, wo er tagelang Gespräche mit den Erzengeln führt; und als er wieder auf sein Lager niedergesetzt wird, ist das Wasser noch nicht ganz aus dem Kruge herausgeflossen, den er beim Verlassen des Lagers mit seinem Fuß umgestoßen hatte. So ist das Zeitmaß auf jener Bewußtseinsebene, wo Euch das vergangene Leben wieder lebendig wird.

Mit zusammengebissenen Zähnen und gerunzelter Stirn starrte Edmund unschlüssig vor sich nieder. Wenn dieser sonderbare Gast wirklich sein Gegner wäre und ihn durchschaute – und daß er letzteres tat, glaubte er zu fühlen – dann würde er freilich, wenn er diesen gewähren ließe; sich mit gebundenen Händen ausliefern. Der Yogi würde ihn mesmerisieren, und er wäre so einfältig in diese offene Falle gegangen, wie man es nur wünschen könnte. Aber sonderbar genug, er fühlte mit vollkommen überzeugender Sicherheit, daß die Sache doch nicht so läge. Was auch hinter diesem ganzen Auftreten des Fremden mit dem faszinierenden Blick läge, das war es nicht. Und schon wußte er in seinem Innersten, daß er keine Wahl mehr hatte, denn er wollte in dieses Mysterium hineindringen. Dieser übermenschliche Fremde prahlte nicht. Sollte er denn eine solche Gelegenheit, um hinter den großen Vorhang, den »bemalten Schleier, den die Menschen Leben nennen«, zu sehen,» Den bemalten Schleier usw.«; ein Lieblingsbild Shelleys. sich entschlüpfen lassen? Lieber zehn Rajatümer verlieren, als diese verlieren.

– Ich bin bereit, Yogi, sagte er, und nahm auf der nächsten Marmorbank Platz.

Der Yogi winkte. Der schwarze, am Sockel kauernde Mann sprang auf, kauerte wieder einige Schritte von Edmund entfernt nieder, setzte den Korb von sich, schlug den Deckel zurück, führte eine kleine Pfeife aus Kürbis und Rohr, die er in der Hand gehalten hatte, an die Lippen – – –

– Was tut Ihr? rief Edmund aufspringend. Freilich, Ihr könnt nicht wissen, daß ich keinen Schlangenzähmer sehen kann. Ich versuchte es noch vor wenigen Tagen, weil mein Vetter darüber spöttelte, aber ich merkte gleich, daß es nicht ginge; mir wurde übel. Mir wird auch jetzt übel.

– Bezwingt Euch, Sahib! diesmal wird es Euch gelingen. Nehmt auch den Schlangenstein, der in Eurem Turban sitzt, zur Hand.

– Was sollen denn diese Äußerlichkeiten, diese unnötigen Possen? rief Edmund ungeduldig.

Zu seiner Enttäuschung konnte er sich nicht gegen den Eindruck von etwas Charlatanartigem wehren.

Der Yogi lachte ruhig.

– Freilich, sie sind nicht nötig, wenn ihr ein Yogi seid. Könnt Ihr Euch selbst von der Sinnlichkeit loslösen, mittels des erkenntnisblanken Messers des Willens das Auge mit den sichtbaren Dingen, das Ohr mit den hörbaren Dingen abschneiden, und so den ganzen Organismus, Glied für Glied – –

Edmund schüttelte unmutig den Kopf, riß den Turban ab, und den weichen, grünen Stoff in seiner linken Hand zusammenknüllend, betrachtete er den darin gebetteten gelben Stein.

– Laßt es gut sein, Yogi, ich blicke ja schon den Stein an.

– Der Stein hat mit dir zugleich vor mehr als zwanzighundert Jahren die Strahlen der Sonne Indiens eingesogen, er lasse sie dir wieder leuchten! sprach der Yogi.

Der Schlangenzähmer fing an zu spielen – eine eigenartige chromatisch kriechende, länglich sich hinschlängelnde, gekrümmt sich aufbäumende, sich aufblasende, und schließlich in sich selbst zurückringelnde Melodie.

Edmund lauschte. Ein Gefühl von etwas Unheimlichem, unsagbar Furchtbarem kroch über ihn, schlängelte und wand sich um sein innerstes Herz, so daß er den geringeren Schreck beim Anblick des Schlangenkörpers, der aus den Blättern des Korbes hervorglitt, kaum spürte.

– Hört Ihr, Sahib? Kennt Ihr diese Töne?

– Ja – ich glaube wohl ... Ist es – ja! das Lied Punnas? ... Doch nein! aber es ähnelt ihm – wie die Raupe dem Schmetterling.

Er irrte sich nicht. Es war jene Urweise, die einst das schwarze Blut in seinen wildesten Zuckungen vor Dämonenfurcht und scheuer Naturanbetung geboren hatte – ein wahrer Troglodyt von einer Melodei.

Beim Schlangenkult der Wilden hatte sie in liturgischem Dienst jahrhundertelang ein lichtscheues Dasein gefristet, ehe sie vor Ajatasattus Ohren zum ersten Male in der Ebene ertönte. Seitdem hatte sie in der Kaste der Schlangenzähmer aus dem Gebirge sich treu erhalten, sich selber so ähnlich bleibend, wie etwa der schwarze Kerl, der jetzt vor Edmund kauerte, jenem Chranquinchru ähnlich sah. Aber ihre Absenker in dem halbarischen Boden des Tieflandes hatten dort verschiedene Variationen getrieben, von denen das Lied Punnas und das Nachsummen zur Juggurt-Ballade die hervorragendsten waren; und auf diesen Umwegen hatte sie schon Amanda und Edmund erreicht, so daß sie, als sie jetzt beiden erklang, ihnen bekannt und fremd zugleich schien.

– Nein, ich kenne die Weise ... ich habe sie gehört, murmelte Edmund, – aber das muß lange her sein – – lange, lange her! –

– Ja, Sahib! Ihr habt die Weise gehört, und es ist gewißlich lange her ... Aber vergeßt nur den Stein nicht – den Schlangenstein! Leuchtet er?

Ob der Stein leuchtete! Ein unheimliches grünes Lichtleben schien sich in seinem Goldgrund zu rühren, aus ihm mit strahlendem Blick zu starren – mit Strahlen, die in Edmund hineinleuchteten, als ob sie das am tiefsten Verborgene auffinden wollten. – –

Die Kobra hatte sich erhoben – sie blähte die Haube auf – wiegte sich hin und her. – –

– Seht Ihr die Kobra, Sahib?

– Ja, ja, ich sehe sie.

– Noch immer?

– Nein, jetzt nicht ... ich kann den Blick vom Stein nicht wegwenden ... er blendet mich ... er schießt tausende von bunten Strahlen aus, sie kreuzen sich, weben sich ineinander ... einen mannigfaltigen lebendigen Schleier weben sie – – –

– Den Schleier Mayas, klang die ruhige Stimme des Yogi – ich lüfte ihn dir.

Edmund fühlte die Hand des Yogi an seiner Stirn.

Eine purpurne Finsternis senkte sich langsam über das lebendige Strahlennetz des Steines – senkte sich langsam und erhob sich langsam wieder, wie das Blinzeln eines Riesenauges.

Und Edmund sah wieder die Kobra und den Schlangenzähmer, dessen Pfeifentöne keinen Augenblick aufgehört hatten, sein Ohr zu füllen – – –

Er stand gerade vor der seitwärts sich wiegenden Kobra, beugte sich vor, streckte die Hand aus, schnalzte mit den Fingern, spürte die Kälte des schuppigen Kopfes, der im spielenden Vorstoßen seine Hand streifte – – spürte sie und fühlte keine Angst, kein unwillkürliches Schaudern – – –

Er war der Prinz Ajatasattu.


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