Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Zehntes Kapitel

Der Schlangenstein

Als dieser Bau, dessen ehrwürdige Überreste uns jetzt umgeben, gerade vollendet war – hub Kala Rama zu erzählen an – veranstaltete der Prinz Ajatasattu ein Gastmahl zur Weihe des Hauses, wozu er alle seine Freunde, vor allem aber den Hof eingeladen hatte. Unter den eingeladenen Gästen befand sich natürlich auch, als Bruder des Baumeisters, der Feldherr Mahimsasa.

Dieser stand noch immer zwischen dem Prinzen und seinen ehrgeizigen Plänen. Ajatasattu hatte letztere keineswegs aufgegeben, obwohl er bisweilen zu verzweifeln anfing und immer mehr der Meinung zuneigte, er müsse geduldig darauf warten, daß der Tod selbst als sein Verbündeter auftrete und mit seiner Schlinge den Greis aus dem Wege räume. Dies war jedoch eine etwas trostlose Aussicht. Immer begnügsam, ja hart gegen sich selber hatte Mahimsasa seit Jahrzehnten völlig wie ein Asket gelebt; er bot dem Siechtum keine Schwäche dar und schien wohl das vedische Normalalter von hundert Lebensjahren erreichen zu sollen. Wäre der Feldherr nicht gewesen, welch günstige Gelegenheit zur Ausführung seines Vorhabens hätte ihm dann nicht dies Fest gegeben!

Nach der schlaflosen Nacht, die ihm solche Gedanken bereitet hatten, trat Ajatasattu am Festtage auf diese Stufen hinaus, um zu sehen, ob am Himmel sich irgendeine Wolke zeige, die seinen Vorbereitungen Gefahr drohen könnte. Da bemerkte er drüben an der Ecke der Stupa ein seltsames Geschöpf, das geduckt und mit scheuen Bewegungen gleichsam spähend umherschlich. Es war ein fast gänzlich schwarzer Mann, nackt bis auf das rote Lendentuch. Sein Kopf war vor den Strahlen der Sonne hinlänglich durch das struppige Haar geschützt, das ihm fast bis über die kleinen stechenden Augen herunterhing, so daß er keine Stirn zu haben schien. Die Nase war eingedrückt, der untere Teil des Gesichtes hervorstehend, mit sparsamem Bart und geschwollenen Lippen. In dem einen Nasenflügel steckte ein großer, eiserner Ring, als ob er mit einem Strick auf den Markt gezogen werden sollte, um verkauft zu werden. »Ich würde nicht viel für ihn geben«, lachte Ajatasattu bei diesem Gedanken. »Und doch, wer weiß?« fügte er hinzu, indem er auf den Vorplatz hinuntertrat und sich ihm näherte. Irgend etwas an dieser sonderbaren Erscheinung weckte seine Neugier, ja zog ihn an. Dem schwarzen Mann schien es ähnlich zu gehen. Er schlich in einem Bogen um den Prinzen herum, wie ein Raubtier, das nicht weiß, ob es die Flucht ergreifen oder losspringen soll.

Gebieterisch winkte der Prinz ihn näher.

– Was suchst du hier, schwarzer Hund?

Der so Angeredete grinste halb schlau, halb furchtsam, so daß seine weißen, spitzen Wolfszähne sich zeigten, und den Korb streichelnd, den er unter dem Arme trug, sagte er mit einer kriechenden Verbeugung:

– Rajanaga ... Kobra ... tanzen, Herr! –

Ajatasattu forderte ihn mit einer Handbewegung auf, seine Künste zu zeigen.

Sofort setzte der Schwarze sich in kauernder Stellung auf die Erde nieder, schlug den Deckel des Korbes zurück, in welchem man nur große, grüne Blätter gewahrte, und begann, auf einer kleinen, aus Rohr und Kürbis verfertigten Pfeife eine schaurige, einförmige Weise anzustimmen, die bisweilen durch schrille Flötentöne unterbrochen wurde. Die Blätter fingen an sich zu bewegen: erst der Kopf und dann der ganze Körper einer Schlange glitt über den Rand des Korbes hinaus, ringelte sich auf dem Boden, richtete sich in die Höhe und blähte die Haube auf.

Ajatasattu trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Nie hatte er eine Kobra von solcher Größe gesehen. Sie war vorzüglich abgerichtet. Manchmal nahm der Schwarze die rechte Hand von der Flöte und schnalzte mit den Fingern nach dem Schlangenkopf hin, der mit der geklüfteten Zunge spielte und bisweilen nach den Fingern schnappte, so daß die großen Giftfangen sichtbar wurden. Und der Schwarze grinste: »Nur Spiel... gute Naga ... zärtlich wie ein Hündchen.«

Der Prinz stampfte ungeduldig auf.

– Genug der Possen, Kerl! Laß dein Getute und höre mich an.

Der Schlangenzähmer legte sofort die Flöte beiseite, hieß die gehorsame Schlange in den Korb kriechen und drückte behutsam den Deckel zu.

– Du bist nicht, was du scheinen möchtest. Du bist kein Gaukler, sagte der Prinz mit einem strengen Blick. – Wo kommst du her?

Der Schlangenzähmer streckte die Hand gegen Westen aus:

– Weit, weit her, o Herr! von dort, vom Sonnenuntergang.

– Du lügst! Dort gegen Westen sitzen Arier, edle Stämme, weißhäutige Männer echtesten Geblüts, götterentstammt. Du aber, schwarzer Hund, gehörst den Affensprossen im Norden an.

Der Schlangenzähmer schüttelte den Kopf.

– Nein, nein! dort, wo die Sonne –

– Schweig! unterbrach ihn der Prinz. Du bist den Schlangenanbetern in den Gebirgshöhlen entstammt! Leugne nicht! Ich kenne die rauhen Kehlenlaute deiner Stimme. Auch weiß ich wohl, warum du hier umherschleichst.

– Rajanaga vorzeigen, Herr, sagte der Schwarze. Ich spiele, sie tanzt. Uns beiden schafft sie Nahrung, mir und sich selbst, die kluge Schlange Rajanaga.

– Zittere, Schelm! rief der Prinz. Du bist des Todes, wenn du noch einmal lügst!

– Ich zittere, Herr! Sieh, wie ich zittere! flüsterte der Schlangenzähmer. Und in der Tat schüttelte die Angst seinen ganzen Körper wie Fieberfrost.

– Du hast Grund dazu, sagte Ajatasattu kalt.

– Weiß, weiß ... Bist stark, bin schwach, stöhnte der Elende.

– Der Stolz unseres ganzen Landes, der greise Held, der in hundert Schlachten siegreich unser Heer geführt hat, und wenn Feinde nahen, noch führen wird, der edle Mahimsasa – –

Als ob dieser Name ein Stück hingeworfener Lockspeise gewesen wäre, machte der Schwarze eine unwillkürliche, raubtierartige Bewegung.

– Du kennst den Namen? fragte Ajatasattu plötzlich und scharf. Aber der Schlangenzähmer kauerte schon wieder schlaff vor ihm, mit blöder Stirn vor sich hinblickend.

– Ich? O, nein! Memsasa? Niemals nicht gehört.

– So höre ihn denn und merke ihn dir! denn der Name Mahimsasa sollte keinem deines Stammes fremd sein. Mahimsasa war es ja, der vor zehn Jahren die schwarze Haut, die höhlenbewohnenden Schlangenanbeter besiegte und uns völlig unterwarf. In ihr Heiligtum drang er hinein und schlug den Schlangengott, der täglich ein Kinderhirn als Opferschmauß fraß. Aus seinem Schuppenkopf aber nahm er den Edelstein, der eure Tempelgrotte erleuchtete, und trägt seitdem an seinem Stirnband diesen wundermächtigen Stein, der gegen Pfeil und Schwert und Speer ihn feit, auch gegen Schlangenbiß – –

– Nicht gegen Rajanagas, rief der Schwarze mit zischender Wut.

Ajatasattu lachte laut auf: –

– Aha, dacht' ich mir's doch!

Aber der Wilde war schon wieder in seine schlaffe Blödigkeit zurückgesunken und murmelte mit weggewandtem Blick:

– Meine nur, nicht glauben ... Rajanaga scharf Gift ... Gift der Gifte ... Glaube nicht ... niemand nicht gefeit ... – Schweig, feiger Hund! herrschte Ajatasattu ihn an. Du hast dich verschnappt! O, jetzt kommst du zu spät mit deinen Ausreden. Wie? du » glaubst« nicht? O, du weißt es nur zu gut, der du hier mit deiner Rajanaga nach dem Schlangenstein fahndest. Den zu gewinnen bist du hergekommen.

Diese Worte übten eine vernichtende Wirkung auf den schwarzen Schlangenzähmer aus. Er richtete sich in den Knieen auf, hob die Hände gegen den Himmel, und platt vor ihm niederfallend, schlug er die Stirn gegen den Boden.

– O, Herr, schone mein Leben! Gnade, Herr, du weißt alles. Schone nur mein Leben .. Chranquinchru nicht arm, o! unter den Seinen nicht eisernen Ring in Nase – Goldring in Nase ... Chranquinchru zeigt dir, wo Schätze ruhen, unermeßlich große Schätze, von Schlangen bewacht ... Edelsteine wie Eier.

Mit einer gebieterischen Bewegung unterbrach ihn der Prinz.

– Ich schenke dir das Leben, ja, wenn du mir alles eingestehst. Aber versuche nicht, mich zu hintergehen.

Der Schlangenzähmer fing an, den Prinzen anzureden, erst mit unterwürfiger, von kriechenden Bewegungen unterstützter Stimme, nach und nach aber mit wachsender, bis zum dämonischen Triumph sich steigernder Leidenschaft, die, fortgerissen durch Wut und Hoffnung, nunmehr die vorhin so sparsam und zerstreut kommenden Worte schnell fand und verband – zumal seine stotternde Sprachschwierigkeit mehr verstellt denn wirklich gewesen war: –

– Dich hintergehen? Wie könnt ich, Herr? Wer könnte? ... Weißt alles! ... O, Herr, du sahst: Rajanaga zahm – zärtlich wie ein Hündchen ... Ein Kind kann mit ihr spielen, wenn ich flöte. Doch sieht die Kluge den Stein im Dunklen leuchten, den Stein, den einst ihr Vater, der Schlangengott, als Auge in die Stirn gefügt, besaß; in der dunklen Tempelgrotte thronend: den Mann, der den Stein trägt, ihn beißt die Naga, und alle Kräuter Indiens, aller Zauber, selbst der götterstarke Garuda-Spruch, den eure Priester kennen, sie retten nicht den Mann, den Rajanaga beißt.

Nach diesem Ausbruch sank der Wilde sofort in sein kriechendes, tierisches Wesen zurück.

Ajatasattu betrachtete ihn eine kleine Weile mit einem durchbohrenden Blick.

– Du hast wahr geredet. Diene mir getreu, und du sollst den Schlangenstein haben.

Ein gellender Schrei aus der Kehle des Wilden dankte ihm.

– Ja, du kriegst den Stein, du hast mein Wort. Doch solltest du dich unterwinden, auch nur das Geringste auf eigene Faust zu tun – ich sage dir, es wäre dir besser – –

Der Wilde erhob die Hände wie abbittend. Dann, als Ajatasattu schwieg, ergriff er dessen rechten Fuß, und seinen Kopf an den Boden drückend, setzte er den Fuß auf seinen Nacken.

– Chranquinchru, großer Häuptling seines Stammes, Chranquinchru ist dein Sklave.

– Sei es mit Haut und Haar, antwortete Ajatasattu, und du wirst es nicht bereuen. Jetzt aber verbirg dich, wie du selber willst, denn das verstehst du wohl nach Schlangenart. Schlüpfe in ein Loch, verschwinde, als hätte dich die Erde verschlungen; doch wenn hier drei Reiherrufe ertönen, dann sei zur Stelle.

Der Schwarze kreuzte die Arme über die Brust und berührte die Erde mit der Stirn als Zeichen des Gehorsams.

In diesem Augenblick sah Ajatasattu, daß von dem Mangohaine der Nonnen her, der hinter der Stupakuppel seine blühenden Wipfel erhob, eine Schwester mit langsamen Schritten sich näherte.

– Die Nonne, murmelte er. Gut, auch die kann ich gebrauchen. Wer auf verschiedenes Wild ausgeht, braucht verschiedene Hunde: Doggen für den Eber, Windspiele für Gazellen.

Mit einer herrischen Handbewegung wandte er sich an den Schlangenzähmer: –

– Fort, schwarzer Hund!

Der Schlangenzähmer ergriff schnell seinen Korb und lief mit tierischer Schnelligkeit davon.

– Und nun die gelbe Hündin angeködert, murmelte der Prinz, sich an die Nonne wendend.

Diese hatte sich still und unauffällig, niedergeschlagenen Blickes, an diesen Stufen hingestellt – eine schlanke Gestalt, vom Scheitel bis zu den Füßen in einen lachsfarbenen Mantel gehüllt, der mit seinen geraden Falten das edle Gesicht streng umrahmte. In der rechten Hand hielt sie eine irdene Almosenschale.

Mit einem verbindlichen und ehrfurchtsvollen Lächeln um die Lippen trat der Prinz auf sie zu und verbeugte sich tief.

– Gepriesen seien deine Schritte, ehrwürdigste Isidasi, die dich heute mit leerer Schale zuerst an meine Schwelle führten! hoch gepriesen seien sie! Nicht weiter wolle wallen, fromme Schwester! Erlaube mir mit eigener Hand deine Schale bis zum Rande zu füllen und so das leichte Mittel zu deiner heutigen Lebensführung zu schaffen, gleichzeitig mir selbst Verdienst von ihrer Heiligkeit erwerbend.

Isidasi beugte dankend den Kopf.

Schnell stieg Ajatasattu die Stufen zur Halle hinan und rief den Dienern, daß sie eiligst die besten Speisen aus der Küche herschaffen sollten. Dann wandte er sich wieder an Isidasi.

– Ein Fest, Ehrwürdigste, wird heute in meinem Hause vorbereitet, dessen Bau gerade jetzt vollendet worden ist, um diese geringe Behausung einzuweihen und dadurch, daß ihr Dach eine hohe und würdige Gesellschaft überschattet, bleibenden Segen für seine Hallen zu gewinnen. Mein erlauchter Bruder, der Fürst, und sein erhabenes Gemahl tun mir heute die Ehre an, bei mir zu speisen. Auch der Feldherr kommt, der greise Mahimsasa, der eurem Orden herzlich zugetan ist. Baku, der Meister, der mir diese Wohnung errichtet und dessen hoher Sinn dieses wunderherrliche Heiligtum – (dabei zeigte er auf die Stupa) – erschaut und erbaut hat, hat freundlich zugesagt, und mit ihm dein Liebling – aller Liebling in der Tat – die holde Amara, seine Tochter. Würdest du, Ehrwürdigste, bei diesem Feste anwesend sein, so wäre das ja schon ein Segen für mein Haus, es würde uns allen die höchste Freude bereiten und nicht am wenigsten Amara, die dich wahrlich als eine Mutter ehrt, und die sich wohl sonst etwas fremd fühlen dürfte, wo keine Hausfrau waltet, wie leider bei mir. Doch darf ich auf eine solche Gunst hoffen?

Durch eine Neigung des Kopfes gab Isidasi schweigend ihre Zustimmung. Dankend verbeugte der Prinz sich, die Hände über die Brust gekreuzt.

– Dank dir, Ehrwürdigste! Durch diese Gunst ermutigt, bitte ich jetzt um Erlaubnis, für die Halle der Schwestern in dem Mango-Haine, die jetzt, wie ich höre, vollendet steht, die Matten stiften zu dürfen. Ein geringes Weihgeschenk freilich, doch bei euch gibt ja die Gesinnung des Gebers erst der Gabe den wahren Wert – und könntest du in meinem Herzen lesen – –

Der Blick Isidasis, der sich plötzlich vom Boden erhob und dem seinigen mit seltsamem Leuchten begegnete, unterbrach seine Rede: –

– Ich lese darin.

Die unerwartete Unterbrechung hatte den Prinzen offenbar verblüfft, und er schien durch ihren Blick seltsam beunruhigt zu sein. Doch antwortete er sofort mit einem etwas erzwungenen Lächeln:

– Das hoffe ich, zweifle auch nicht daran, denn du bist ja weise.

– Denn also sagt der Buddha, der Erhabene –: »Ich habe meinen Jüngern auch jene Pfade gewiesen, auf denen sie das innerste Herz der anderen Wesen durchschauen: das edle Herz als edel, das gemeine als gemein, das haßerfüllte Herz als haßerfüllt, das freigemachte Herz als frei erkennen.« So gewahre ich Herz und Herzensart. Soll ich dir deine deuten?

– Deute sie, Herzenskundige! antwortete der Prinz. Ich danke dir, denn sein eigenes Innerstes kennt ja der Mensch nicht.

– Du denkst: die Nonne, die hier so sittsam vor mir steht, ist eine Gleißnerin, denn heiligen Wandel, Keuschheit und Seelenreinheit gibt es nicht. Das alles ist nur heuchlerisches Wesen. Wie, wenn ich sie mir jetzt mit klugen Schmeichelworten und mit reichen Gaben ködern könnte, daß sie meine Liebessache bei Amara betriebe und durch falsche Rede das fromme Kind in meine Arme jagte. Als Kupplerin fürwahr taugt Isidasi.

Erschrocken trat der Prinz zurück:

– Was sagst du, Heilige? Willst du mich auf die Probe stellen?

– Soll ich dir noch mehr sagen? Wie? Soll ich etwa von der Fürstin sprechen, bei der du keine Kupplerin brauchst?

– Schweig! rief der Prinz. Selbst für einen Scherz geht dies zu weit.

– O, deine Scherze, Prinz, antwortete die Nonne, die gehen weit – zumal beim Fest.

Als diese Worte mit bedeutungsvoller Betonung, von einem durchbohrenden Blick begleitet, ihm gleichsam entgegengeschleudert wurden, zuckte Ajatasattu sichtbar zusammen.

– Muß ich auch von dem Feste dir sprechen? fuhr die Nonne näher tretend und mit erhobener Stimme fort.

Ajatasattu erblaßte.

»Was kann sie von meinem Vorhaben beim Feste wissen?« dachte er, »von dem ich noch niemand etwas gesagt, ja das kaum noch in meinen eigenen Gedanken reif ist? O – sie denkt gewiß an jenes Fest beim Hofe im Pendschab, wo mein Anschlag mißlang! Diese Bettelnonnen hören ja durch wandernde Brüder und Schwestern, was in dem entferntesten Winkel vorgeht – möge sie die Pest holen, die faulen Schwätzer!«

Aber ihre nächsten Worte belehrten ihn eines besseren.

– Muß ich dir vom Feste sprechen und von dem, was du dort vorhast?

– Ich? stammelte der Prinz. Was habe ich vor? Du träumst –!

– Nein, du träumst, Prinz, und böse Träume. Doch sprich nicht mehr vom Feste mit Erwachten, lade sie nicht ein, damit nicht deine Stimme, der süßen Worte spottend, dich verrate – dich, der du, Verrat im Sinne, Schüsseln füllst.

Gerade als sie diese Worte mit drohender Stimme und gebieterischen Geberden an den blaß und verwirrt dastehenden Prinzen richtete, erschienen auf den Stufen mehrere Diener mit goldenen Schüsseln.

Ajatasattu winkte sie heran und begann die Almosenschale Isidasis zu füllen.

– Wie sagtest du doch, Ehrwürdigste, daß ich, Verrat im Sinne, Schüsseln fülle? Bei deiner Schüssel wahrlich trifft dies nicht zu. Denn was die anderen angeht, daß ich's gestehe, die möchte ich allerdings heute Abend gerne verraten an die schnöde Sinnenlust. Doch darüber bist du ja erhaben, dir haftet nichts an, wie das Wasser nicht am Lotusblatt. Und so wähle ich denn ohne Furcht für dich die feinsten Leckerbissen aus. – Was für andere ein süßes Gift ist, das nur des Lebens Fieber noch tödlicher schürt, – dir kann ich ja damit doch nicht schaden.

Isidasi blickte ihn ernst an.

– Niemand kannst du schaden, Tor, als einem nur: dir selber; und helfen kann dir niemand als du selbst.

Als sie diese bedeutungsvollen Worte gesagt hatte, wandte sie sich und ging langsam nach dem Mangohaine der Nonnen zurück.

Ajatasattu stand noch an demselben Ort, finster vor sich niederblickend, als sein Hauspriester Bharadvaja, mit allen Zeichen der höchsten Erregung, aus der Vorhalle seines Palastes trat und die Stufen hinunterschritt.

– Prinz, hast du's schon gehört? rief er, noch bevor er an der Seite Ajatasattus war.

Dieser blickte fast zerstreut in die Höhe: –

– Nun, was gibt's denn neues, was dich so aufregt, edler Bharadvaja? Ich denke, einem Priester ziemt es, seine Würde zu wahren, was auch die Wandelwelt treibt.

– Wenn gegen die Götter gefrevelt wird, dann ziemt es dem Priester, sich selbst zu vergessen.

Ajatasattu lachte spöttisch:

– Dann müssen wohl die Götter unangefrevelt leben, denn meines Wissens geschah es noch nie, daß ein Priester sich selbst vergaß. Doch sprich, was ist es?

– Dein Bruder –

– Narada? Was ist's mit ihm? fragte Ajatasattu mit plötzlicher Aufmerksamkeit.

– Man sagt – ich kann es freilich kaum glauben – zwar haben ja diese kahlen und fahlen gottlosen Buddhamönche unseren Fürsten schon zu manchem Streich verleitet, der den Zorn der Götter sichtbar herniederrief, worunter das Land noch blutend stöhnt – doch sollte dies Gerücht sich bestätigen –

– Welches Gerücht? tausend Dämonen! rief Ajatasattu, vor Ungeduld stampfend.

In diesem Augenblick ertönten dumpfe Trommelschläge aus nächster Nähe. Kinder und junge Männer – Leute aus niederer Kaste – Handwerker, Tagelöhner strömten herein und drängten sich um die Stupa zusammen.

– Nun wir werden jetzt erfahren, ob es erlogen oder übertrieben ist, antwortete Bharadvaja. Und hoffentlich bleiben meine Lippen verschont, mit Unrecht deinen Bruder eines Frevels zu zeihen, der bis zum Throne des Indra schreit.

Er stieg wieder die Stufen hinan, um den Volksauflauf besser übersehen zu können, während der Prinz regungslos stehen blieb.

Ein öffentlicher Ausrufer, von einem Trommelschläger und zwei Hornbläsern begleitet, trat jetzt heran und stellte sich vor der Stupa auf. Die große Trommel schwieg, und ein Hörnerruf ertönte, worauf der Ausrufer mit lauter Stimme folgendes verkündete: »Merkt auf! Der Fürst Narada tut kund: Mitleid mit allem, was lebt und leidet, lehrt der Erhabene, der Meisterherr, der Buddha. Und so verbiete ich fürderhin in meinem Reiche das Schlachten der Haustiere. Auch am Altar gilt dies Verbot: Unblutig ehrt die Götter!«

Die Hörner erschollen, die Trommel wurde gerührt, und der Ausrufer entfernte sich, von seinem jauchzenden Gefolge begleitet, um die Botschaft des Fürsten in den nächsten Dörfern zu verkünden.

Bharadvaja trat wieder auf den Prinzen zu.

– Hast du gehört, mein Sohn? fragte er mit erkünstelter Ruhe.

– Noch habe ich Ohren.

– Doch kein Herz, wahrlich, sprach der Brahmane heftig, da du ruhig hier stehen kannst und zuhören, wie unser heiliger Opferdienst von deinem Bruder verboten wird.

– Und das zur größten Lust des Volkes, wie es scheint, bemerkte Ajatasattu mit aufstachelndem Spott, der auch am Priester nicht verloren ging.

– Daß Pest dieses Pöbelpack vernichte! rief er und spuckte verächtlich aus. O ja, das glaub' ich, das ist ihnen lieb zu hören: »Unblutig ehrt die Götter!« Freilich, dann braucht ja niemand mehr sein gutes Geld für einen Opferwidder oder einen Stier herzugeben. Und die paar Blumen, die dem Ketzergötzen hingelegt werden, hat man ja für ein gutes Wort. Was man nachher verliert, wenn Hungersnot, Viehseuche, Pest und Überschwemmungen auf Indras Zorngebot das Land verheeren – ja, daran denkt niemand jetzt.

– Man muß das Volk darüber aufklären, Priester.

– Prinz, man wird es aufklären.

– Und zwar sofort, drängte Ajatasattu. Denn dieses Verbot ist gar wohl dazu geeignet, unseren Anhang anzuspornen und uns neue Kräfte zuzuführen. Laßt nur diese Hungerleider Beifall schreien, die ja doch kein Fleisch zu kauen kriegen – ihr Brahmanen, die ihr von Opferfett trieft, die Krieger, die gewohnt sind, ihre Kraft durch Rindermark zu stärken, ihnen wird diese Botschaft zeigen, wo sie hingehören.

– O, das wissen sie schon; daran fehlt es nicht, antwortete der Priester. Das Mißvergnügen wächst schon breit und hoch. Allein, was hilft uns das, solange der greise Feldherr noch neben dem Thron als eine treue Stütze steht? Du weißt ja, daß ohne ihn, und gar gegen ihn kein Krieger seinen Arm erhebt. Längst schon hast du gesagt, du würdest durch List ihn von hier entfernen; dein Witz aber scheint zu kurz zu sein.

– So ist denn Mahimsasa deine einzige Sorge? fragte Ajatasattu.

– Nun, wer sonst?

– Dann sei getrost, Brahmane.

– Was sinnst du, Prinz, bedenke doch: er ist gefeit – der Schlangenstein – –

– Schützt ihn zwar gegen Männer, nicht aber gegen Tiere und tote Sachen.

– Ach, die vermögen wir nicht zu lenken, seufzte der Priester. Diese Kraft besaßen zwar unsere Altvordern: da leitete der Zauberspruch den Blitz, der Blick des zornigen Asketen sandte tödliche Krankheit aus, seine emporgestreckte Hand ließ einen Felsensturz den Schuldigen begraben. Das war einst. Doch in diesen Zeiten verfallenen Glaubens kommt selbst dem Frömmsten solche Kraft abhanden. – Also selbst dir? fragte Ajatasattu mit schneidendem Spott, der aber an der Dickhäutigkeit des Priesterstolzes völlig abglitt. Denn diese Frage mißverstehend, blickte der Hauspriester den Prinzen ernst und kopfschüttelnd an.

– Mir auch! rief er. O, Prinz, hoffe nichts von Priestersprüchen noch von der Magiegewalt der Brahamen! Die Götter trauen uns nicht mehr. Wir müssen uns ihrer Hilfe erst würdig zeigen.

Ajatasattu zuckte die Achsel.

– Nun, ich bin nicht selber der Frömmsten einer, doch du wirst erfahren, was ich zu lenken vermag. Hast du nun auch mein Haus geweiht, wie es sich gebührt, so daß es zum festlichen Empfang des Fürstenpaares bereit ist?

– Es ist geweiht, antwortete der Priester, und möge sein Gebälk einstürzen, wenn Mahimsasa jetzt seine Schwelle betritt! Es scheint ja, daß die Gäste schon nahen, fügte er mit einem über die Schulter geworfenen Blick hinzu.

– Wie? so früh! rief der Prinz.

Sie hatten in ihrer Erregung nicht bemerkt, daß auf dem Wege vom nächsten Tor des Palastparkes ein stattlicher Zug von Elefanten daherschritt, lauter Prachttiere, deren perlenglitzernder Kopfputz und goldige Schabracken blendend strahlten und blitzten, während die großen Sonnenschirme sich über ihren Rücken wie ungeheure Blumen leise schaukelten.

– Der ganze Hof, meldete Bharadvaja dem Prinzen, der aus irgendeinem Grunde selbst nicht hinblickte, sondern näher vor die Stupa hintrat. »Donnerwolke«, der alte Kriegsilf Mahimsasas, ist der dritte. In seinem Howdah sehe ich neben dem Feldherrn Meister Baku.

– Ist nicht auch seine Tochter Amara da? fragte der Prinz über die Schulter zurück. Die schätze ich am meisten von seinen Werken.

– O ja, jetzt seh' ich sie.

– Blicke nicht mehr hin, riet der Prinz ihm. Und indem er in der Stellung eines Anbetenden vor dem Buddhabild der Stupa sich beugte, sagte er: – Diesem seinem Werke will ich mich jetzt beugen. Das möge ihr gefallen und alle täuschen. Sie haben uns schon gesehen und dürfen keinen Argwohn schöpfen. Stelle dich deshalb jetzt an, als ob du mich wütend schältest – aber höre mich an.

– Ich höre, Prinz, antwortete der Brahmane.

Ajatasattu erhob die Hand, als ob er ein Gebet an den Buddha richtete, und sagte mit klarer, ruhiger Stimme:

– Heute Nacht beim Fest stirbt Mahimsasa.

– Prinz! rief der Brahmane entsetzt, einen Schritt zurückweichend.

– Recht so, Bharadvaja, sagte Ajatasattu, nur heftiger!

Die Mahnung war überflüssig. Jene unerwartete Verkündigung hatte den Priester in großen Schrecken gestürzt. Mußte er doch befürchten, daß der Prinz, durch seine Vorwürfe angespornt, alle Vorsicht beiseite schiebe und irgendeinen verzweifelten Schritt vorhabe, der sie alle vernichten würde. Flehend streckte er die Hand nach Ajatasattu aus.

– Aber bedenke, mein Prinz, ich beschwöre dich, keine Gewalt – – –

– Zufall, reiner Zufall, antwortete der Prinz mit milder Stimme. Niemand wird uns beschuldigen, kein Verdacht wird sich regen. Du aber sorge dafür, daß alle, die es mit uns halten, zu meinem Fest zusammenströmen und bereit sind.

– Ich werde dafür sorgen, Prinz, antwortete der Brahmane ein wenig beruhigt, aber –

– Vergiß vor allem das Schelten nicht! mahnte Ajatasattu. Doch merke dir, ich will nicht, daß mein Bruder getötet wird. Frei ziehe er seines Weges; wird er uns doch nie mit Waffen bedrohen.

Mit einem rohen Lachen antwortete der Brahmane:

– Sein Gewand sei der gelbe Mantel eines Buddhamönches, und die Heimatlosigkeit sein Reich!

– Zu seinem Seelenheil, setzte der Prinz fort. Wie dankbar muß er mir sein! dem kann er ja jetzt ganz leben. Ich nehme ihm die Last der Krone ab und eine ungetreue Frau dazu. Den ich dir jetzt schicke, erhabener Buddha, o nimm ihn gnädig auf und rechne es mir günstig an, daß ich ihn so befreie!

– Nimm ihn, du Götterfeind, rief der Brahmane mit heftigen Gebärden, und möge er die letzte Gabe von diesem Lande sein! Während nun, die beiden, scheinbar sich zankend, so sich unterhielten, waren die Elefanten schon in eine Frontlinie geschwenkt und auf einen Ruf der Lenker alle gleichzeitig niedergekniet, worauf die Insassen der Howdahs herunterstiegen.

Schon wollte Amara, die ihren Blick von dem Prinzen und seinem Hauptpriester nicht wegwandte, näher an die Stupa herantreten, als sie sich an einem Zipfel ihres Kleides zurückgehalten fühlte. Es war »das Tier mit der Hand«, wie unsere vedischen Altvordern so sinnig den Elefanten genannt haben, das sie nicht gehen ließ. Mahimsasa, der sich soeben mit der Behendigkeit eines Jünglings heruntergeschwungen hatte, sagte lachend:

– Ei, was hat denn unsere liebe Amara so in Anspruch nehmen können, daß sie vergißt, Donnerwolke den gewohnten Bissen zu reichen?

Errötend und verwirrt fand Amara in einer Falte ihres Kleides ein paar große Bananen, die sie für den Elefanten mitgenommen hatte, und kaufte sich durch die Gabe los.

Deutlich konnte man jetzt die Worte vernehmen, die der sichtbar auf das höchste erbitterte Brahmane mit wahrer Donnerstimme dem ihm den Rücken zukehrenden Prinzen nachschleuderte:

– Ich aber, – Bharadvaja, der Priester – ich schüttle jetzt den Staub von meinen Füßen, Prinz, nimmermehr die Schwelle hier zu überschreiten. Nein, Abtrünniger, der du dich hier dem Ketzergotte beugst, suche dir einen anderen Priester für deine Hallen, deine weiten Höfe, wo von jetzt ab kahle, gelbgekleidete Asketen ein- und ausgehen. Bharadvaja flucht dir und deinem Hause.

– O, Erhabener, rief der Prinz, seine zusammengelegten Hände gegen das Buddhabild ausstreckend: Lehre du mich solche Worte in Demut tragen!

Amara wandte sich zum Feldherrn und zeigte mit der Hand nach den beiden.

– Sieh doch, Oheim! O Vater, wandte sie sich dann an Meister Baku, der sich jetzt ihnen zugesellt hatte, siehe, wie der stolze Prinz so fromm vor dem Werk deiner Hände dasteht und so böse Worte demütig über sich ergehen läßt. – Freilich ein wunderlicher Anblick, meinte Mahimsasa.

Der Brahmane, der, im Begriff wegzugehen, sich ihnen einige Schritte genähert hatte, wandte sich noch einmal gegen den Prinzen und rief ihm mit drohenden Geberden nach:

– Fluch dir und deinem Hause! Und dich – wandte er sich nun an den Fürsten, dem er gerade gegenüberstand, – dich, der du den Opferdienst verbietest, Fürst, dich treffe der Zorn der Götter!

– Er treffe mich, antwortete der Fürst mit milder Ruhe, wenn sie blutdürstige Dämonen sind. Sind sie aber wirklich Götter, dann werden sie mich lieben, und euch werden sie nicht länger hassen – euch Brahmanen, weil ihr nun nicht mehr in ihren Tempeln unschuldige Geschöpfe hinschlachtet: jenen zur Schande und euch selber zum Verderben.

Dann eilte Narada, ohne der Drohungen des abgehenden Brahmanen zu achten, auf seinen Bruder zu und umarmte ihn herzlich.

– Gesegnet sei die Stunde, mein lieber Bruder, da ich dich vor dem Bilde des Erhabenen Andacht übend finde!

– Mein Herr und Bruder, antwortete Ajatasattu, du wurdest wahrlich vom Geiste der Weisheit geleitet, als du hier so nahe an meinem Hause diese Stupa bauen ließest, die Bakus kunstreiche Meisterhand gar herrlich schuf; denn vor den Zügen dieses hehren Bildes mußte mein Herz wie Eis in der Sonnenglut zerschmelzen, und Sehnsucht nach dem Frieden, dessen Abglanz uns aus diesen Zügen entgegenstrahlt, ergriff mich.

Lächelnd wandte der Fürst sich an Baku: –

– Habe ich nicht immer gesagt, es sei ein Wunderwerk, und ein Wunder hat es auch schon bewirkt.

– Vielleicht machte das die Andacht, Herr, die meine Hand geführt hat, antwortete der Künstler.

Mahamaya betrachtete das Buddhabild mit jenem oberflächlichen Blick, den große Herren und Frauen, die als Gönner auftreten, allemal für solche Werke übrig haben. In einem Ton, der nicht frei von Übermut war, und mit einem huldreichen herablassenden Lächeln, das der Meister in seiner durch Bewunderung für die schöne Frau gesteigerten Künstlereitelkeit für bare Münze hinnahm, sagte sie: – Das Bild ist gut, und ich bereue es jetzt auch nicht, daß ich mein Badegeld für dieses Jahr – den ganzen Zins zweier Dörfer – auf Vergoldung und Edelsteine daran verwendet habe.

Ajatasattu ergriff ihre Hand, und über diese sich beugend, flüsterte er leise, mit schmeichelnder Stimme: «Daher der Zauber«. Darauf wandte er sich an Baku:

– Verehrter Meister, ich bitte, erkläre nun meiner neubekehrten Unwissenheit, wie du uns hier den Buddha dargestellt hast.

– Mein Prinz, antwortete Baku, als ich vor dieser Aufgabe stand, da habe ich mir gedacht: »Was kann ich wohl Besseres tun, als meine fromme Tochter zu fragen, wie sie am liebsten ihren Herrn und Heiland abgebildet sähe.«

– Das hast du wahrlich wohl bedacht, sagte Ajatasattu und wandte sich sofort an Amara: –

– So möge uns also des Meisters Tochter berichten, was sie zur Antwort gab.

Tief errötend und verlegen stand das liebliche Mädchen da. Mahimsasa aber streichelte ihr leise den Kopf und ermunterte sie, dem Verlangen des Prinzen nachzukommen.

– Der Prinz hat ja recht, von deinen Lippen klingt es am lieblichsten.

– Du weißt ja, Oheim, fing Amara schüchtern an, indem sie dadurch Mut schöpfte, daß sie es nur dem guten Greis erzählte – du weißt ja, wie froh ich immer war, wenn ein Jataka-Erzähler kam und uns aus den früheren Geburten Buddhas so manches wissen ließ. Sind es auch nur Märchen für das Volk, wie die weisen Nonnen behaupten, mir war alles heilig-wahr, und manche Träne habe ich vor Rührung geweint, wenn er, als Tier im wilden Forst geboren, voll Treue und Liebe fröhlich sein Leben hingab, um seine Gefährten zu retten. Und so bat ich also den Vater, den Vollendeten unter dem Bobaum sitzend darzustellen, in jener Schreckensnacht, als er gegen Mara, den Bösen, die Erde als Zeugin seiner guten Taten in vergangenen Leben anrief.

– So ist denn, flüsterte Ajatasattu, der goldene Mantel zwar die Gabe der Fürstin, die Seele des Bildes aber die deine.

– Prinz, sagte Amara erschrocken und verwirrt, ach, rede doch nicht so – – die Seele eines sündigen Geschöpfes!

– Gewiß nicht sündig, aber schwach, scheint es mir. Du zitterst – deine Hand ist kalt – dein Auge brennt –

Baku trat bei diesen Worten näher heran und betrachtete seine Tochter mit einem tiefbekümmerten Blick.

– Ja, ich weiß nicht, was in diesen Tagen dem Kinde fehlt. Ein schleichendes Fieber scheint ihr zu drohen.

– Ja, das Mädchen siecht so hin, seufzte Mahimsasa kopfschüttelnd, es macht mir rechten Kummer.

– O, es ist nichts, antwortete Amara ausweichend.

Aber der Fürst erklärte, so etwas dürfe nicht leicht genommen werden. Ihr Wohlsein sei ihnen allen gar zu teuer, und er würde noch heute seinen eigenen Leibarzt zu ihr schicken.

– Mich nimmt es wahrlich nicht Wunder, sagte die Fürstin, wenn diese zarte Pflanze in einer Luft schmachtet, die jetzt so schwer, ja gewitterschwanger ist, daß selbst meine kräftig blühende Statur auch darin krankt. – Und indem sie sich zum Prinzen wandte und diesen mit einem festen, bedeutungsvollen Blick ansah, fügte sie hinzu: – Wie meinst du, lieber Schwager? ob nicht Indra bald diesen schwülen Dunst zu Wolken ballen wird und mit Blitzen und Gewitterluft die Erde erquicken?

Ihren Blick mit einem ähnlichen erwidernd, sagte der Prinz: – Die Priester, die solche Wetterzeichen wohl zu deuten wissen, sagen mir, sie seien gerade jetzt eines solchen Umschlags gewärtig.

Dann verbeugte er sich vor dem Fürsten und lud ihn ein, in den Palast einzutreten.

– Nicht jetzt, lieber Bruder, antwortete Narada. Noch ist es zu früh. Wir beabsichtigen, uns nach dem Haine der Nonnen zu begeben, um uns dort die Versammlungshalle zu besehen, die unser Meister Baku sehr kunstvoll gebaut hat. Benutzen wir die Zeit.

– Ach, mir ist es wirklich gar nicht wohl, sagte die Fürstin. Der Tag ist mir zu heiß, und ich kehre lieber nach der Gartenhalle zurück, wo kühle Brunnen Labung spenden, um dort die Abendstunde abzuwarten. Ein anderes Mal, mein lieber Meister, wandte sie sich huldvoll an Baku, werde ich dein neues Kunstwerk bewundern.

– Bis diese ersehnte Abendstunde meine lieben Gäste nach meiner Halle ruft, sagte der Prinz, darf auch ich nicht müßig sein, damit sie nichts vermissen, was ihren Sinn festlich erfreuen kann.

Und nachdem er sich höflich verabschiedet hatte, trat er in seinen Palast hinein, wo die Vorhänge der Halle jetzt von den Dienern vorgezogen wurden, damit nicht die Hitze der Mittagsstunde zu sehr hineindringe. Der Fürst aber, von dem Feldherrn, dem Meister und seiner Tochter, wie auch von seinem allernächsten Gefolge begleitet, begab sich zu Fuß nach dem Mangohain der Nonnen.

Die Elefanten wurden zurückgeschickt, da für sie kein Gebrauch mehr war, denn der Fürst beabsichtigte im Haine zu weilen, bis die Abendkühle eintrat.

Mahamaya blieb mit Nimbavati und ihren Frauen zurück, schickte sie aber bald fort unter dem Vorwande, daß sie dort am heiligen Bilde in Einsamkeit um Heilung stehen möchte, denn ihr käme es vor, als ob ein schleichendes Fieber ihr in den Gliedern läge.

Was das nun für ein Fieber war, verstand Nimbavati nur zu gut, und sie bat dringend bei ihr bleiben zu dürfen; denn sie fürchtete, daß die Sehnsucht und die Ungeduld, die in der Fürstin rasten, sie zu einem unüberlegten Schritt von gar zu großer Unvorsichtigkeit treiben könnten. Aber vergebens; Mahamaya wollte auf keine Vorstellung hören, und die Milchschwester mußte ihrem ausdrücklichen Befehl gehorchen.

Kaum war die Fürstin allein, als ihr Ausdruck und ganzes Gebaren die innere Unruhe, die sie fast aufreiben wollte, deutlich verrieten. Mit hastigen, gehetzten Blicken schaute sie hin und her, ob irgendwo ein Späherauge sie belauere, sprang dann von der marmornen Bank auf, worauf sie sich im Schatten eines blühenden Salabaumes niedergelassen hatte – ging mit eiligen Schritten auf den Palast zu – blieb stehen, um mit der Hand das schmerzliche Pochen ihres Herzens zu hemmen – näherte sich wieder den Stufen – lauschte – sah sich nach allen Seiten um – trat näher – wich zurück und stieß einen Freudenschrei aus, als, Ajatasattu nun zwischen den Falten der Vorhänge herausschlüpfte und eilig zu ihr trat, indem er mit ängstlichen Bewegungen sie zu beschwichtigen suchte.

– Was wagst du, Mahamaya? Bedenke –

– O der Kranke muß es wagen, den Arzt zu suchen. Siehst du denn nicht, du Kalter, wie mir die Glieder zittern? brennt dir nicht die Fieberglut der ausgeweinten Augen tief ins Gewissen, weil du mich so lange hast schmachten lassen? Zwei volle Tage – nein drei – ich weiß nicht mehr – nicht einmal von fern dein Gesicht gesehen – nicht ein einziges Mal – und ich sollte noch gesund sein!

Mit solchen ungestümen Worten und leidenschaftlichen Gebärden schmiegte sie sich an ihn.

– Glaubst du denn, Liebste, daß ich mich weniger gesehnt habe? versuchte er sie zu trösten. Aber diese Worte gössen nur Öl ins Feuer.

– Ist es wahr? Du hast dich gesehnt, wie ich? Sind das nicht nur leere Worte, mit denen du mich beschwichtigen willst, oder hast du, wie ich, dich schlaflos mit schlaffen Gliedern auf dem Lager gewälzt und mit verweinten Augen das Zeichen betrachtet, das ich mit spitzen Nägeln dir in den Arm ritzte – in der letzten Nacht, als ob mir ahnte, daß uns Trennung droht? Sag, du Liebster, hast du das getan?

– Nein, Mahamaya, antwortete Ajatasattu kühl. Ich bin ein Mann, ich träume nicht über Narben; ich schlage Wunden – denen, die uns beiden im Wege stehen. Und wenn ich dich auch gemieden habe – –

– So hast du mich gemieden, rief das vor Leidenschaft mißtrauische Weib, – du gestehst es selbst – und ich glaubte – ich hoffte noch – weh mir!

– Ich habe dich gemieden, ja – weil jede Stunde, doch am meisten jede der verschwiegenen Nacht mir nötig war – nötig im Dienste unserer Liebe, um ihr den Palast zu bauen, wo sie fürstlich und sicher leben soll, statt obdachlos und scheu nach Diebesart umherzuschleichen. Hast du denn nicht verstanden, was ich vorhin von den Wetterzeichen sagte? Du fragtest doch selber danach.

Mahamaya strich verwirrt mit der Hand über die Stirn.

– Von Wetterzeichen? O doch – das hatte ich schon vergessen.

Ach, ich kann nichts mehr behalten, und meine Sinne schwinden mir – sag schnell: habe ich dich recht verstanden? so steht es bevor? Du reißest meinem frömmelnden Gemahl das Diadem vom Kopfe?

– Ich tu es noch heute Nacht.

– Doch Mahimsasa?

– O für ihn ist schon gesorgt.

– Es ist ein hohes Spiel, murmelte Mahamaya zitternd.

– Und eines, das ich gewinnen muß und werde. Darum nur wenige Stunden noch im Zwange gelebt und Vorsicht geübt: dann wirft unsere Liebe stolz den Schleier von sich, und wir gehören uns vor den Augen aller Welt: der Fürst und die Fürstin des Landes.

Mahamaya sank wie überwältigt auf die Bank nieder.

– Noch heute Nacht – in wenigen Stunden nur, flüsterte sie vor sich hin – ganz dein! Ich kann es kaum fassen. Der Gedanke benimmt mir den Atem.

– Fasse dich, sei stark, beschwor der Prinz sie. Aber sie starrte wie traumverloren vor sich hin und murmelte halblaut mit blassen, zuckenden Lippen:

– Im hellen Tageslicht – im Glanz der Sonne – was bis jetzt sich nur bei Sternenschimmer scheu hervorwagte – wie ein Traum lautlos im Dunklen lebte, selbst sein eigenes Licht – – Und wird es dasselbe werden? – – Werde ich dieselbe dir bleiben, angetraut und erlaubt?... Das Lager, hoch auf goldenen Stufen errichtet, elfenbeingeschnitzt und purpurgedeckt, nach Sandelholz duftend, sanft von Silberlampen erleuchtet und weich umflutet von klingenden Harfentönen, – – ach, wird das dich auch so unwiderstehlich zu sich ziehen, wie jene traute Laube, duftgesättigt vom Hauche des Jasmins, geheimnisvoll vom unsicheren Sternenlicht durchwoben, das silbern zwischen tauigen Blättern glänzt, – jenes verborgene Nest gestohlener Liebeswonne, wo noch ein Echo lebt von seligem Flüstern, von heißen Küssen, von Seufzern tiefsten Sehnens – – – ach, nur daran zu denken – –

Der Kopf sank ihr zurück auf die Lehne der Marmorbank, Schweißtropfen erglänzten zwischen den Perlen des Stirnschmuckes, ihre Brust flog, ihre Augen schlossen sich, und sie schien einer Ohnmacht nahe zu sein.

Ajatasattu beugte sich über sie, und mit zärtlicher Stimme und vorsichtigen Liebkosungen versuchte er sie zu beruhigen: –

– Wenn ich nur dich habe, was kümmert mich dann Jasmin, was Sandelholz und Purpur? wenn ich nur deinen göttergleichen Leib umfange – –

Mahamaya ergriff seinen Arm, wie ein Ertrinkender sich an den Retter festklammert.

– Wirklich? – Ist es wahr? Meinst du das?

– Wie kannst du fragen, Liebste?

Das Wort sollte versichernd sein, klang aber in ihrem argwöhnischen Ohr fast ausweichend.

– Du flüstertest Amara so schmeichelnd zu, stammelte sie.

– Aus reiner Vorsicht. Es kann leicht Verdacht erregen, wenn ich einem schönen Mädchen zu kühl begegne.

Wie von einer Wespe gestochen, fuhr die Fürstin auf. –

– » Schön« nennst du das Püppchen?

– O nein, nicht ich. Wie könnte ich, wenn ich sie mit dir vergleiche, – aber – –

Mahamaya unterbrach ihn heftig:

– Sie erblaßte, – sie zitterte bei der Berührung. – Wenn das Mädchen wagt – wenn du – –

– Was fällt dir ein? rief der Prinz. Was ist dir?

Mit einem wilden Aufschrei warf sich ihm die Fürstin um den Hals.

– Ach, Ajatasattu, lieber töte mich sofort!

– Komm zu dir selber, Mahamaya, sei doch nicht so – –

Die Worte erstarben auf den Lippen des Prinzen. An der Ecke des Palastes stand Amara. Sie mußte sich mit sichtbarer Anstrengung am Pfeiler aufrecht erhalten und hatte nicht vermocht einen leisen Aufschrei zu unterdrücken, als sie so plötzlich das Paar gewahrte. Denn um der Sonnenglut des Platzes zu entgehen, war sie im schmalen Schatten des Hauses hergeschlichen und hatte die beiden bisher ebenso wenig sehen, wie sie von ihnen hatte bemerkt werden können.

Ajatasattu faßte sich schnell und winkte sie mit eifriger Handbewegung heran.

– Komm Amara, hilf mir! Sieh, der Fürstin schwindelt, eine Ohnmacht befiel sie.

Aber Mahamaya raffte sich mit furchtbarer Anstrengung auf.

– Nur ein leichter Anfall, sagte sie mit kaltem Lächeln. Die Ärmste dort wird mir nicht viel helfen können. Und in spitzigem, anzüglichem Tone fügte sie hinzu: Sie scheint ja noch kränker zu sein als ich selber, und zwar wohl an demselben Siechtum.

Zu ihrer größten Verwunderung warf sich Amara ihr jetzt zu Füßen:

– O Fürstin, du kannst mir helfen, du kannst mir Heilung verschaffen.

– Heilung? Ich dir

– Ja, wenn du bei meinem Vater Fürbitte tun willst, daß er mir die ersehnte Erlaubnis gebe, in den heiligen Orden des Buddha einzutreten.

– In den Orden! rief Ajatasattu erschrocken.

Mahamaya betrachtete mißtrauich und finster das kniende Mädchen, dessen Blick am Boden haftete; dann lachte sie verächtlich.

– Ist es möglich? Danach also steht dein Herzenswunsch? und dein Vater will es nicht erlauben?

– Ach, ich konnte es ja nicht über das Herz bringen, ihn zu bitten, denn es würde ihm bitteren Schmerz bereiten. Doch ich kann nicht mehr in dieser Welt der Sünde und des Todes leben. Du hörtest ja selbst, Fürstin, wie mein Vater befürchtete – und auch der Oheim, – daß ein schleichendes Fieber an meinen Lebenskräften zehre.

– Wie? Dieses Fieber sollte Sehnsucht nach dem gelben Nonnenmantel sein? lachte die Fürstin spöttisch.

– Es ist die Sehnsucht nach dem Heil, nach einem Herzensfrieden, der nicht in der Weltlichkeit zu finden ist. Die frommen Worte der heiligen Isidasi haben mein Herz aus dem trüben Sinnentraum erweckt. Sie zeigten mir den Weg nach dem zeitlosen, höchsten Ziel: nach der Wahnerlöschung. Und gleich einem, der himmlische Musik vernahm und dem Mißtöne aller Art seitdem das Ohr zerschneiden, also schmachte ich, o Fürstin!

– Du sollst nicht länger schmachten, sagte Mahamaya und streichelte ihr herablassend die Wange. Sei getrost, mein Kind, ich und der Fürst mit mir, wir wollen beide deinen Vater bitten – heute bei dem Feste –

– O nein – sofort –

– Sofort? fragte die Fürstin verwundert.

– Ja, jetzt ist die Zeit und auch der Ort dazu, denn der Fürst hat mich ja hergeschickt. Er läßt dich sehr bitten, wenn es dir irgend möglich ist, zu ihm zu kommen, um dir die neue Halle zu besehen und ihm einen guten Rat zu geben. Denn wie dort den lieben Schwestern zuliebe alles am besten eingerichtet werde, das, meinte er, kann ihm nur ein Frauenblick sagen. So bat ich um Erlaubnis, dir diese Botschaft zu bringen, und der Fürst hat seine eigene Sänfte geschickt, damit der Weg dich nicht ermüde.

– Dann muß man freilich sich dazu bequemen, sagte Mahamaya.

Auf einen Wink Amaras trugen die reichgezierten Diener eine goldglänzende Sänfte heran.

– Auf Wiedersehen beim Feste, mein Prinz! sagte Mahamaya und fügte leise hinzu: Ich tat doch der schwärmerischen Närrin unrecht. Mit den Worten: «Sei unbesorgt, mein Kind, ich werde deine Sache nicht vergessen« – setzte sie sich in der Sänfte zurecht, mit der sich die Diener sofort entfernten.

Amara wollte ihr folgen, aber Ajatasattu vertrat ihr mit halb beschwörender, halb drohender Geberde den Weg, so daß sie in sichtbarer Verwirrung unentschlossen stehen blieb.

– Kaum konnte ich mich bezwingen, rief der Prinz. Ich vermag es nicht zu fassen – du eine Nonne?

– Wenn der Vater es erlaubt, stammelte Amara schüchtern.

– Ich aber nicht, rief Ajatasattu, fast außer sich.

– Du nicht?

– Ich sollte dich geschorenen Kopfes sehen, in der groben Hülle des fahlen Fetzenmantels, dessen plumpe Falten kaum die Knospenhülle deines jugendlich zarten Körpers ahnen lassen? An meiner Schwelle, hier an diesen Pfeiler gelehnt, sollte ich dich warten sehen, den Blick traurig zu Boden senkend, deinen Napf um Bettlerbrocken blöde vor dich hinhaltend?

Amara lächelte mild:

– Du würdest mich dann sicher nicht mit leerer Schale von dannen wandern lassen, und so würde mein Bettlergang dir selbst zum Verdienst gereichen.

Ajatasattu lachte wild auf: –

– Ich sollte dir gar die Schale füllen, wie ich es vorhin mit Isidasis tat!

– Warum nicht?

– Warum nicht! Bei dem blumenpfeiligen Gott! warum nicht deine Schale schaumbekränzt vom feurigen Wein an deine Lippen pressen, bis sie vom Rausche lachten, und deine Fetzen von deinen Schultern zerren und deine goldlichte Schönheit auf das Lager werfen – eine Opfergabe für Kama, den Weltenherrn ... ?

Zitternd, aber mit einem Ausdruck von großer Würde, trat Amara zurück. Und ihr verweisender Ausruf »Mein Prinz!« unterbrach schneidend den wilden Wortstrom des Erregten.

– Mein Prinz! – ja dein! – verstehst du, was du sagst? Bist du denn blind gewesen oder ist dir meine Liebe so – – –

Mit strenger Stimme fiel ihm Amara ins Wort:

– Schweig! Es nimmt mich wahrlich Wunder, wo du nur den Mut hernimmst, mir von deiner Liebe zu sprechen. Mir – –

– Der sie allein gegolten hat und gilt, rief der Prinz.

– Mir, vor deren Augen du hier soeben eine Frau umfingst. Und welche Frau! Die Gemahlin deines Bruders. O wähne nicht, daß ich so töricht sei, an ihre Ohnmacht zu glauben.

– Nicht? Aber töricht genug, antwortete der Prinz mit leisem Spott, um selbst der Ohnmacht nahe zu sein, weil du die Fürstin in meinen Armen sahst.

– Ja, das nennst du mit Recht töricht. Du hast meine letzte Schwäche gesehen, Ajatasattu, als die eitlen Mädchenträume, die sündhaft aufgeregten Herzenswünsche mich auf immer verließen, und ich, erschüttert vom Flügelschlag der wilden Dämonenschar, bebte und schwankte – zu schwanken nimmermehr!

– Höre mich, Amara, sagte der Prinz und trat näher an sie heran, mit einem flehenden Blick sie betrachtend, dem sie nicht widerstehen konnte: – Mich hat Mahamaya mit ihrer Liebessucht verfolgt. Mit würzig-starkem, giftig-süßem Trank der Lust, aus vollen Schalen gegossen, hat sie mich zauberhaft berauscht – ja, ich gestehe es; die Sinne schwelgten, doch das Herz blieb leer; – und mehr und mehr verödet wachte es auf zur schmerzlich-seligen, sehnsuchtsgeborenen Erkenntnis der höchsten Weiblichkeit, die aus deinen reinen Zügen mir verheißungsvoll entgegenstrahlt. Ach Geliebte, kehr dich nicht ab von mir, sei du mein Heil!

– Ich werde es sein, antwortete Amara, wenn ich dir den Weg zeige, indem ich ihn selbst betrete, der da führt zum Frieden und jedem Sinnenwahn ein Ende macht.

– Mein Fuß ist zu jung, um den Weg zu betreten, und auch deiner ist es.

– Nicht doch, mein Prinz. Drei Dinge soll man nicht gering schätzen, sagt der Meister: ein junges Feuer, eine junge Schlange und einen jungen Asketen. Nie ist es zu früh, den Heilpfad zu betreten.

– Nie zu früh? Und wie entsagst du denn, wenn du das, dem du entsagst, nicht kennst, du lotusäugige Maid? Laß diese goldnen Locken erst welken, ehe sie der Schere verfallen. Zur Buße ist es noch immer Zeit, doch jetzt zeitigt dein blumenhafter Leib die Lust des Lebens und der süßen Liebe.

– Ein Labsal der Toren ist der Leib, ein aufgeputztes Grab, sagt der Meister. Die Liebeslust, von der du sprichst, haben Weise eine Lockspeise des Todes genannt.

– O lerne sie erst kennen, rief der Prinz mit einem sieghaften Aufleuchten seines Blicks, – lerne sie kennen, diese Speise, welche die Götter mit Unsterblichkeit sättigt! Mich lerne kennen, Mädchen, was ich liebend vermag, um die Heißersehnte zu beglücken. Das Gold deines Haares soll von Diamanten aufblitzen wie ein Ährenfeld nach Gewitterregen. Mit Musselin von Benares und mit seidenen Stoffen vom fernen Katumbara sollst du deine Gliederpracht verhüllen. In duftiger Wolke des roten Sandelstaubes sollst du ruhen. Nichts sei zu kostbar für dich, nichts zu selten! Ist dir der Boden zu rauh, ich lasse ihn schleifen; zu hart: mit weichen Teppichen decke ich ihn dir; brennt dir die Sonne zu heiß: den gelben Schirm des Königtums, den will ich dir gewinnen – ob deinem teuren Haupte soll er schweben ..!Der gelbe Sonnenschirm: das indische Wahlzeichen des Königtums.

Mit einer gebieterischen Bewegung streckte Amara die Hand aus: –

– Genug! Halt ein! Schon schwindet dein Verstand, von deinem wilden Wunscheswillen berauscht.

– Sei mein! flehte der Prinz. Was auch immer du begehren magst –

– Und könntest du dir auch alles erschwingen, mich selbst, Versucher, erschwingst du dir nicht. Betreten willst du, was unbetretbar ist; kindisch begehrst du dir den Mond als Spielzeug; du wähnst über den Himalaya fliegen zu können, der du des Meisters Tochter minnen willst.

Und ohne sich durch seinen schmerzlichen Ruf und durch den Versuch seiner zitternden Hände, sie am Gewande zurückzuhalten, hindern zu lassen, ging sie eilig von dannen.

Wie betäubt starrte der Prinz ihr nach. Dann kräuselte ein immer freudiger aufleuchtendes Lächeln seine Lippen.

»Wie stolz, wie kalt und wie begehrenswert«, dachte er. »Habe ich sie schon geliebt, wie soll ich denn nun die Flamme nennen, die sie durch solches Gebaren in mir entfacht? Einem Wanderer gleich, der laues, staubig trübes Trinkwasser stehen läßt und die steile Bergwand kühn hinanklettert, um den kristallklaren, eisigkühlen Sprudel der Felsenquelle zu trinken: also Mahamaya! lasse ich ab von dir, Amara zu gewinnen!«

Mit solchen Gedanken starrte er ihrer weißen Gestalt nach, die noch lange sichtbar blieb als ein leuchtender Punkt im Dunkel eines Baumganges, der nach dem Hause Mahimsasas führte, wo auch sie mit ihrem Vater lebte. Da ertönte aus dem Mangohain der Nonnen ein mehrstimmiger Chorgesang, womit die Schwestern den Meister lobten und den seligen Frieden eines beschaulichen, allen wilden Leidenschaften der Welt entronnenen Lebens priesen – in Tönen und Klängen priesen, die ebenso rein waren wie die Gefühle, denen sie entströmten.

Aber weit davon entfernt Frieden in das Gemüt Ajatasattus hineinzusingen, erweckten sie vielmehr seine Leidenschaft zum wildesten dämonischen Trotz.

»Ja, singt nur, ihr frommen Schwestern! nehmet sie in euren Orden auf! Nonne muß sie werden – o wie richtig hat sie das gesehen! Ein Nonnenraub – der größten Sünden eine, und mir als die höchste Lust erkoren. Wer will mich hindern, wenn ich erst Herr im Lande bin? Schon bin ich es fast! – Sie zu besitzen – wahrlich, das ist mehr wert, als selbst das Königreich!«

Und mit eiligen Schritten begab er sich in seinen Palast, um weitere Vorbereitungen für sein verräterisches Fest zu treffen.

Still und öde lag nun der Platz da, und nur der bronzene Buddha in der Stupanische schien zu leben, indem er mit seinem unbeschreiblich milden, überirdischen Lächeln gleichsam dem ab und zu von dem Haine hertönenden Gesange lauschte, bis es sich endlich, als der Schatten des Kuppelbaues sich schon merkbar zu verlängern anfing, drinnen im Dämmerdunkel zwischen den Mangostämmen leuchtend rührte, als ob eine goldene Märchenschlange sich heranbuchtete.

Es war der Zug der Nonnen, der sich näherte. – –

Eine nach der anderen schritten die Schwestern niedergeschlagenen Blickes daher, jede ein Blumengewinde oder einen Kranz oder einen Strauß tragend, mit welchem sie, die Stupa umwandelnd, die Stufen des lieblichen Bauwerkes schmückten, während sie ihr frommes Lied sangen:

Die Lüfte sollen meinem Sange lauschen,
Mein Lied tu ich den Lüften kund,
Der Liebe Lob aus Herzensgrund.

O neigt euch nieder und mit leisem Rauschen,
Tragt fort das Liedlein, wie das Boot der Fluß,
Den Weisen, die da Wahrheit suchen, zum wonnevollen Liebesgruß.

Dann stieg Isidasi mit zwei Schwestern zur Buddhanische empor und legte um das hervorragende Ornament eine wahre Prachtgirlande von roten, blauen und weißen Lotusrosen. Tief sich verneigend sang oder rezitierte Isidasi: Preis sei dir, Meister, Allerbarmer, Wehüberwinder, höchster Held! Der du den Pfad gezeigt, geöffnet die Pforte aus der Wandelwelt.

»Die Pforte aus der Wandelwelt«, wiederholten leise murmelnd die jetzt im Kreise die Stufen umstehenden Schwestern. Und Isidasi sang:

Wie Flechtengras, wie Waldlianen – so wuchert Lust und Leidenschaft. In solcher Wildnis wandeln Toren, Geburten wechselnd, affenhaft.

Doch wie der Aar im reinen Äther, dem unermeßlichen, sich wiegt, So ist der Geist der Freigewordnen, der Wahnerlöschung sich ersiegt.

So Furcht wie Hoffnung sind zerstoben, ein selig Wissen blieb allein: Den letzten Leib leb' ich zu Ende, und nimmer gibt es Wiedersein.

»Und nimmer gibt es Wiedersein!« jubelte in immer sich übersteigenden Tonreihen der Chor der Schwestern.

Noch war dieser nicht ganz verhallt, als Amara in ihren Kreis trat, gänzlich schmucklos und in einen gelben Mantel gehüllt, der allerdings von Seide war, da sie keinen geringeren Stoff hatte finden können. In den Händen trug sie eine herrliche Blumengirlande. Sie schritt die Stufen hinan und breitete ihre Opfergabe auf dem hervorspringenden Sims zu Füßen des bronzenen Buddha aus. Dann hob sie die zusammengelegten Hände empor und sprach:

Auch meine Lippen mögen lernen der seligen Töne Weihegruß! Auch meine Füße mögen finden den Pfad, gezeigt durch deinen Fuß!

Eine Laienschwester schmück ich heute dein liebes Bild zum letztenmal; Getreue Nonne laß mich weilen, entwurzelt, ledig aller Qual!

Als Amara so ihre fromme Anrede beendet hatte, ergriff Isidasi ihre Hand und sah ihr mit bewegter Miene tief in die Augen.

– Willst du denn wirklich, Amara, in unseren Orden eintreten? willst du die Häuslichkeit verlassen und das weiße Kleid mit dem gelben vertauschen? –

– Ja, Isidasi, das will ich, anwortete das Mädchen gefaßt und ruhig.

– Was hat denn dir das Auge jetzt so hell geöffnet? Eigenes Elend oder das Elend, das du rings um dich erblickst? – Mir wurde eigenes Weh zur Arzenei. Mein Herz entbrannte in hellem Liebeslohen. Aber jenen Mann, der mir wie ein Gott war, sah ich, umgarnt durch Buhlkunst eines schlechten Weibes sich gänzlich verbrecherischer Leidenschaft hingeben, ohne Scham und Scheu. Da habe ich die Lust als Elend erkannt, die Wahrheit wurde mir im tiefen Leid, und fest im Busen wuchs mir der Entschluß.

– Und hat dein Vater ihm schon zugestimmt?

– Die Fürstin und der Fürst verwenden sich dafür bei ihm in dieser selben Stunde, und er wird mir's sicherlich nicht verweigern.

– Dann sollst du uns als Schwester willkommen sein.

»Willkommen, willkommen!« murmelte es aus dem Kreis der Schwestern.

– Nun will ich hier warten, sagte Amara, bis der Vater aus eurem Haine zurückkommt, wo er jetzt dem Fürsten die Halle zeigt, die er für euch gebaut hat, damit ihr euch dort allabendlich nach beendigter Einsamkeit und Gedenkenruhe zu belehrenden Gesprächen versammeln könnt. O möge auch ich bald ihrer teilhaft werden!

– Ja, bleibe hier, mein Kind, sagte Isidasi. Setze dich vor dem Bilde des Meisters in der Lotusstellung nieder, und, die Gedanken sammelnd, die Sinne zügelnd, erwäge die Vergänglichkeit aller Dinge, eingedenk des großen Meisterwortes:

Es löst sich auf, was sich zusammenfand.
Vergehen muß einmal, was je erstand;
O wohl dem, der den Wahn verwehen sieht,
Wo selig endet aller Unterschied.

Isidasi schritt die Stufen hinunter, und langsam entfernten sich die Nonnen in einer langen Reihe, wie sie gekommen waren, und ihr Lied singend:

Weht lieblich, Lüfte, um den Auferweckten,
Neigt her euch, tragt die Wahrheit fort,
Die Kunde von dem stillen Ort,
Wo Stürme nie die Seligen erschreckten.
Jenseits vom trüben Todesmeer,
Vom ewig heiteren Gestade, da stammen diese Töne her.

Allein zurückgeblieben, setzte sich Amara auf der obersten der breiten Stufen nieder mit untergeschlagenen Beinen, die Hände in dem Schoße ruhend, wie sie es bei den Nonnen gesehen hatte, wenn diese sich vorbereiteten, sich in Schauung zu vertiefen. Kaum hatte sie sich aber zurecht gesetzt, als sie den Schrei eines Reihers vernahm, dem bald noch ein anderer folgte.

»Hier tönen Reiherrufe durch die Luft«, dachte sie. »Ich sehe so gern die schönbeschopften, bunthalsigen Vögel!«

Und indem sie umherspähte, erfolgte noch ein dritter Schrei.

Sie sah sich noch eifriger um. Da erblickte sie eine schreckliche schwarze Gestalt – wie die eines Dämonen, schien ihr, – die aus einem Gebüsch hervorkroch, mit struppigem Haar, grinsenden, spitzen Wolfszähnen und einer aufgestülpten Nase, in der ein großer eiserner Ring steckte.

Von furchtbarem Schrecken ergriffen, sprang sie auf und wollte in der entgegengesetzten Richtung entfliehen, als sie von dieser Seite den Prinzen Ajatasattu kommen sah. – Sie stand wie festgewurzelt: »Wenn er mich sähe, mich verfolgte –!«

Täte sie einen Schritt weiter vorwärts, würde er sie gewiß erblicken. Schaudernd sah sie sich nach irgendeinem Ausweg, irgendeinem Schlupfwinkel um.

Nun war, wie wir gesehen haben, die Stupa ringsum mit Nischen versehen, die dazu bestimmt waren, Bildnisse der Heiligen zu beherbergen; aber nicht alle von ihnen hatten schon ihren Bewohner aufgenommen, und die, welche sich gerade über ihr befand, war noch leer. Schnell entschlossen, setzte sie ihren Fuß auf den Sims, und, einen Haken ergreifend, der zum Aufhängen der Blumengewinde angebracht war, schwang sie sich behende hinauf. Schon saß sie in der berühmten Lotusstellung regungslos da, und der Glanz ihres goldiggelben, seidenen Gewandes ließ sie gar wohl als ein schmuckes Bildwerk erscheinen, das soeben die Hände des in Erz arbeitenden Bildners verlassen hatte. Als solches wirkte sie auch sowohl auf den Prinzen wie auf den Schlangenzähmer, als diese nun die Stupa umschlichen, um sich zu vergewissern, daß niemand in der Nähe wäre, wobei sie nur einen nachlässigen Blick über die Bildwerke streichen ließen, und am nachlässigsten wohl über das, zu dessen Füßen sie sich begegneten. – – – –


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