Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Zehntes Kapitel

Auf gefährlichen Wegen

Um Gottes willen, Edmund! rief Arthur erregt, sobald die Tür sich hinter Kala Rama geschlossen hatte; – was soll denn das heißen? Hast du denn wirklich gar keine Ahnung, von wem dieser Mordanschlag ausgegangen ist? –

– Vielleicht hab' ich meinen kleinen Verdacht, aber –.

Edmund warf den Kopf zurück und machte eine Handbewegung, als ob er einen zu unbedeutenden Gegenstand zur Seite schöbe.

Sein Blick haftete sinnend an dem vor ihm auf dem Tische stehenden offenen Schrein, wo der Schlangenstein auf seinem Lager von weißer Seide lag und »leuchtete, funkelte und strahlte wie eine nach dem Tode genesene Seele« – aber (so wollte es ihn bedünken) nicht wie eine gute Seele: – tiefer, geheimnisvoller, zweideutiger, in dem fließenden Doppelschimmer seines grünen und goldgelben Scheines.

– Dies ist ein viel größeres und sonderbareres Rätsel, vielleicht auch ein gefährlicheres! Was bedeutet dies, daß Kala Rama mir den Schlangenstein schenkt? Was soll sein ganzes Betragen heißen? Verstehst du etwas davon?

Arthur zuckte die Achsel: –

– Wer kann Kala Rama verstehen? – eine Ausnahme, wie du sagst.

– Aber hat er uns durchschaut? Das ist die Frage! Ist er uns auf der Spur?

– Ich glaube kaum.

– Und die Geheimschrift, die er kannte?

– Gerade darum! Sie hat ihn ebenso überrascht wie uns und ist sicher nicht mit seinem Wissen hineingekommen.

– Das ist wahr – kein Zweifel, daß er überrascht wurde. Was soll man aber davon halten, daß er weiß, wer es geschrieben hat? Und vor allem, warum liegt ihm so viel daran, daß ich gehe?

– Warum nicht die allereinfachste Erklärung, daß er deinem Oheim recht gibt, und daß du eben von hier gehen mußt, um in Afghanistan zu sein?

Edmund schüttelte nachdenklich den Kopf.

– Das erklärt nicht alles. Sein Wort, daß ich doch hier nichts Wichtiges vorhaben könne, und sein Blick dazu – – –

– Nun, angenommen auch, daß er fürchtet, ein Liebesabenteuer wäre im Gange zwischen dir und der Rani – darauf schien mir sogar sein letztes Wort direkt zu deuten: daß »mancher Raja in dieser Beziehung jeden Thag beneiden könnte«.

Edmund nickte.

– Das ist ja möglich, Edmund. Aber etwas Schlimmeres braucht er jedenfalls nicht zu argwöhnen.

Edmund ging mit hastigen Schritten hin und her wie einer, der mit sich selber nicht zufrieden ist.

– Jedenfalls war ich unvorsichtig, sehr unvorsichtig! Ich hätte mich sofort stellen müssen, als ob mir die afghanistanische Mission sehr willkommen wäre, als ob mich hier in der Tat nichts zurückhielte.

Edmund war kopfschüttelnd vor dem Schrein stehen geblieben, und sein Blick wurde wieder von dem seltsamen Schimmer des Steines gefangen genommen.

– Sein Geschenk wollte ich nicht annehmen, fing er an, in einem Ton, als ob er mit sich selber spräche. – Als ich mich weigerte, war es mir, als hörte ich seine Stimme antworten: Sie sind zu zartfühlig, um mein Geschenk anzunehmen, aber nicht, um mir meinen ganzen Besitz abzunehmen. Einen Diamanten können Sie von mir nicht annehmen, aber mein Lebenswerk können Sie im Bunde mit unwissenden Brahmanen umstürzen, das Gastrecht mißbrauchen, um eine Verschwörung anzuzetteln und die höchste Macht an sich zu reißen.

– Ich denke, es war die Stimme des Gewissens.

Edmund lachte kurz auf und strich mit beiden Händen die schwarzen Haarmassen vom Halse zurück:

– Ganz recht. So nennen wir diese europäische Erbkrankheit. O wie hatte ich recht: ich bin noch lange nicht Asiate genug. Denke ich doch nicht einmal daran, wie unsere großen Vorfahren in England, den »blöden Heinrich« in den Turm zu schicken! Dem guten Navina Pala Dhyan Singh soll kein Haar gekrümmt werden – er möge für den Rest seiner Tage sein Opium anderswo trinken, wo es ihm ebenso gut bekommen wird. Sobald der Handstreich gelungen ist, führt ihn Jang Kafur über die Grenze.

– So trafst du ihn? fragte Arthur lebhaft.

– Jawohl. Oben im alten Krishna-Tempel. Er haftet mir für das Leben des Raja, und ich darf ihm vertrauen; denn ich kenne den alten Haudegen von so vielen Eberjagden her, und eigentlich liebt er Navina Singh.

– Und verrät ihn.

– Nun, seine Wut ist gegen die Regierung Kala Ramas gerichtet, besonders gegen alle seine Neuerungen. Der brave Alte ist ein frommer Krishna-Anbeter und ganz in den Händen der Brahmanen. Besonders fürchtet er, daß sein Weib nicht seinen Scheiterhaufen besteigt und also auch nicht seine Seele nach dem Svarga führt, das Paradies, das er vielleicht von selber nicht so leicht erreicht, da er wohl manches auf seinem Gewissen haben mag. Auch ist er fest überzeugt, daß ich, mit dem Blut des Sonnenhauses in meinen Adern, ein noch besseres Recht auf den Thron habe als der jetzige Raja, der Nachkomme eines Emporkömmlings, eines Cudra.

Arthur blickte seinen Vetter mit einem ziemlich spöttischen Lächeln an. – Zuletzt glaubst du noch selber, daß du nur dein Erbe nimmst.

– Nun, nach der Meinung vieler – –

– Die dabei ihre Rechnung finden.

– Ich finde meine, also –

– Freilich hast du früher nicht viel auf Stammbäume gegeben!

– Das ist wahr. Ich habe mit Shelley und Byron Pathos und Satire reimweise über die Aristokraten und alle adeligen Vorurteile ausgegossen. Auch muß ich sagen, daß unsere Eichen-Stammbäume mit den Wurzeln bei Hastings mir wenig imponieren; aber bei so einem vieltausendstämmigen Banyan-Stammbaum hat es doch seine eigene Bewandtnis. – Und wenn nach Goethes Mephistopheles »Blut ein ganz besonderer Saft« ist, so gilt dies wohl in erhöhtem Grade von Götterblut, fügte er scherzend hinzu. Ich spüre das als später Rama-Sproß.

– Jedenfalls bist du dem vielgeschmähten Warren Hastings Dank schuldig, weil er den tapferen Oberst Trevelyan in diese wilden Gegenden schickte, wo er eine Begum ehelichte.

– Zum tödlichen Ärger seiner ganzen hochkirchlichen Familie! Gott hab ihn selig, den alten Großpapa! Ich seh ihn noch vor mir mit seinem nußbraunen Gesicht und den silbernen Brauen und Schnurrbart – wie vergnügt konnte er lachen, wenn er mich auf seinem Knie reiten ließ: »Jetzt heißt's aber sattelfest sein, Ed! jetzt reiten wir mit den Rasputen auf die Sauhatz.« Ja freilich sind wir Warren Hastings Dank schuldig.

Wir? rief Arthur in mehr als fragendem Ton, mit einem finsteren Blick vor sich hinstarrend.

– Ich denke, du hast dich auf die Barke eingeschifft, die Cäsar und sein Glück trägt.

– Leider ja – und doch – –

– Was »leider« und »doch«! Mann, sei doch nicht ein halber Kerl, der will und doch nicht will.

– Dies habe ich nie gewollt, wahrlich dies nicht. Du denkst wohl gar, ich hätte mich mit dir eingeschifft, um an der Beute des Abenteuers teilzunehmen?

– Oder einfach aus Lust am Abenteuer selbst, wie ich es an deiner Stelle getan hätte. Und warum denn auch sonst? Habe ich dich gezwungen oder überredet? Ich zog dich ins Vertrauen, als es nur noch ein Liebestraum war...

– O damals, als du auf der Veranda bei einer Zigarre abends mir dein Herz ausschüttetest, ja, da hatte das ein ganz anderes Aussehen – wie konnte ich ahnen, wozu das führen würde? – und was war es? Ein Nichts, ein flüchtiger Blick –

– Ja wohl, nur was beim Lüften des Schleiers mir entgegengeblitzt hatte – ein Blick – ein »Augenblick«! Ja, aber das genügte! War es mir doch, als starrte mich die Nacht mit Sternenaugen an – die Liebesnacht – o mehr, weit mehr noch: die Weltennacht der Vergangenheit, aus der die Zukunft tagt, das Dämmerlicht dieser trüben Gegenwart, in dem ich bis jetzt hingelebt hatte, mit Flammenglut verscheuchend – so traf es mich damals.

– Es war die Stimme des Bluts, warf Arthur fast nachlässig hin, meinetwegen auch gerade der indischen Blutstropfen, die in deinen Adern rinnen.

– Ja, es war ihre Stimme, sagte Edmund, sich in den Stuhl zurückwerfend, ich weiß es, ich fühle es – so traf damals der Blumenpfeil des Liebesgottes das Herz meines Ahnherrn, geschickt von »der Schön-Brauigen«, der Rajatochter. Ein solcher Blick gab mir das Leben, mir, der ich damals noch im weiten Reiche des Ungeborenen, Ahnungslosen schlief – – – und wahrlich, jetzt wieder gibt er mir Leben und weit mehr: die edlere Zwillingsschwester des Lebens, die Liebe – Liebe, wie sie niemand im trägen Westen sich träumt, und Macht, wie sie nur im Morgenlande wächst.

– Wenn es nur wenigstens bei der ersteren bliebe, rief Arthur, erregt aufspringend. Auch das wäre schon schlimm genug: das Weib des guten Fürsten, der dir Gastrecht gewährt, zu verführen! – – Doch daß nun auch dieser Brahmane mit seiner Priesterschlauheit dich gleich durchschauen muß und auf dieser Liebe sein frevelhaftes Ränkespiel aufbaut, daß es gar zu einem Verbrechen kommen muß – – –

– Verbrechen – nun, wenn ein Wort dich kopfscheu macht –!

– Ein Wort, wiederholte Arthur und trat fast drohend vor ihn hin. – Keine Stunde ist vergangen, seitdem du selber sagtest, Kala Rama habe dieses kleine Land durch seine Lebensarbeit emporgehoben – – – oder war das vielleicht satirisch gemeint?

– O nein, nein, er hat vieles vollbracht, das erkenne ich an.

– Der Name Kala Rama ist nicht nur in Indien berühmt; die englische Regierung, ja, jeder Gebildete in England –

Ein übermütiges, knabenhaftes Lachen seines Vetters unterbrach ihn: –

– O das ist ja noch das Beste von allem! Ich denke, meinen Onkel, Lord Pembroke, wird der Schlag rühren, wenn er hört, daß ich, anstatt nach Afghanistan zu gehen, den großen Kala Rama, der wegen seiner Verdienste für die Kultur nächstens für den Hosenbandorden in Vorschlag kommt, – abgesetzt habe.

– Abgesetzt – und – kein Haar auf seinem Kopf gekrümmt? fragte Arthur mit schauderndem Stimmklang.

– Gewiß nicht, antwortete Edmund ernst.

– Leicht gesagt, meinte Arthur. Wie willst du das verhindern? Glaubst du, Kala Rama ist der Mann, um ruhig zuzusehen?

– Er wird gar nicht in die Lage kommen zuzusehen, dafür ist schon gesorgt; und zwar wird es gerade deine sehr friedliche Rolle bei der Sache werden, dies zu überwachen.

– Meine Rolle? Ich sollte Kala Rama gefangen nehmen?

– Schützen sollst du ihn, lieber Vetter.

– Nenne es schützen, es bleibt doch –

– Nein, wirklich und wahrhaftig schützen. Deshalb habe ich ja dies für dich ausersehen, etwas das du mit dem besten Gewissen tun kannst und wo du mir noch von dem größten Nutzen bist; denn ich gestehe, daß, wenn etwas Ernstes dem Minister zustoßen sollte – na, daran wollen wir gar nicht denken, das wird eben nicht geschehen, so wie das jetzt geordnet ist. Komm, Arthur, setze dich nun ruhig hierher und höre mich an.

Etwas widerwillig nahm Arthur auf dem Stuhl Platz, den Edmund ganz nahe an den seinen hingerückt hatte, so daß er seine Stimme nicht zu erheben brauchte.

– Wenn es morgen abend hinlänglich dunkel ist – doch nein, zuerst die anderen Punkte der Ordnung nach, damit du ganz im Bilde bist. Jang Kafur, den ich also richtig an der Tempelruine traf, steht morgen abend mit fünfhundert Lanzen vor dem betreffenden Tor des Palastparkes.

– Welches Tor?

Edmund lächelte und tippte ihm vertraulich auf die Schulter.

– Gut gefragt, Mitverschworener! das ist nämlich gerade der schwierigste Punkt; das wissen wir noch nicht. Es hängt ja davon ab, an welchem Tor einer von unseren drei Vertrauten im Palast die Wache hält, und das wird erst im letzten Augenblick entschieden. Navina Singh ist zwar nicht mißtrauisch – dazu hat ihn das Opium zu sehr beruhigt; im höchsten Grad mißtrauisch aber sind diese alten indischen Palastgebräuche, denen immer routinenmäßig gefolgt wird. Die Rani muß uns das in der elften Stunde verraten. Gleichviel, Jang Kafur wird es vorher noch zur rechten Zeit wissen. Das Signal sowohl für ihn und für die anderen draußen, um in den Garten hineinzudringen, wie auch für die Mitverschworenen drinnen, um zu handeln, ist das Feuerwerk. Nämlich das Festprogramm ist dies, daß nach einigen Schaustellungen, Tänzen und so was, die unten im Garten stattfinden, der Raja mich auf der obersten Terrasse im Pfauenpavillon empfängt. Ich erreiche sie auf der großen, in mehreren Absätzen hinaufsteigenden Treppe, von der du wohl schon gehört hast. In dem Augenblick, wo ich die Terrasse betrete, geht nun, um mich zu begrüßen, das Feuerwerk los, und seine Raketen sind die Funken, die unsere Minen sprengen. Jang Kafurs Lanzen spazieren in den Park hinein, unsere Freunde drängen sich um den Fürsten zusammen –

– Um ihn zu schützen, schob Arthur mit spöttischer Miene hinein.

– Sehr richtig – und der Putsch ist da.

– Und Kala Rama auch. Er sagte selbst, er wollte bei dem Gartenfest anwesend sein.

– Wird er auch, aber an diesem Zeitpunkt schon nicht mehr; denn nun kommt dein Departement. Du weißt, daß das neue Schulgebäude, das Kala Rama der Stadt schenkt, fast fertig steht, und wohl auch, daß es von der Bevölkerung nicht gerade mit günstigen Blicken betrachtet wird. Du hast aber wahrscheinlich doch keine rechte Vorstellung davon, in welchem Grade der Pöbel in den letzten Tagen von den Brahmanen aufgewühlt worden ist, gerade in Beziehung auf diese neue Schule. In ihr werden die Kinder lernen, die Götter zu verleugnen, ihre Eltern zu verachten, alle guten alten Sitten mit Füßen zu treten, neue Sprachen anstatt der Muttersprache zu reden und was dergleichen mehr die Pfaffen dem Mob vorgelogen haben. Sobald es nun hinlänglich dunkel ist, wird die Schule von einem Pöbelhaufen in Brand gesteckt, die Flammen werden im Palastgarten deutlich sichtbar sein, und so gewiß wie wir beiden Bösewichter hier sitzen, wird Kala Rama keinen Augenblick zögern, sich dorthin zu begeben, um zu versuchen, was seine Autorität da wirken kann. Dort bist du nun mit mehreren unserer zuverlässigsten Leute, schützest ihn gegen die fanatische Volksmenge und führst ihn zu diesem Zwecke hierher, wo er in dem Zimmer des Professors ruhig lesen kann, während drüben im Park die hundertundsoundsovielste indische Palastrevolution hoffentlich ziemlich blutlos verläuft. Wenn also Kala Rama deine ganze Sorge ist – – –

– O durchaus nicht, rief Arthur, indem er aufsprang und den Stuhl zurückschob, um erregt hin und her zu gehen, – glaube das ja nicht! Die Sache ist böse, möge man sie wenden und drehen, wie man will.

– Nun, was soll denn dies in der letzten Stunde? Wenn dein Gewissen so zart ist, warum bist du denn mitgegangen? Meinetwegen doch nicht? da muß ich sehr bitten. Bei einem solchen Unternehmen heißt es: »Jeder für sich, und der Teufel für uns alle« wie unsere Matrosen sagen.

– Wenn es nur nicht wird: »Jeder für sich, und der Teufel hole den Letzten«, wie wir Schotten sagen.

– So wird es nicht werden, wenn man das Herz am rechten Fleck hat. Bis jetzt glaubte ich, du hättest es. Jetzt seh' ich, es sinkt dir in die Hose, wenn es losgehen soll.

Der Appell ans Herz wirkte auf den jungen Schotten mit einer Macht, die ihm das Blut in die Wange trieb und es ebenso schnell wieder zurücksog, so daß er abwechselnd rot und blaß seinem Vetter gegenüberstand und den Atem nochmals tief holen mußte, bevor er sprechen konnte.

– Gerade weil ich ein Herz habe, und zwar auf dem rechten Fleck, mußte ich mitgehen. Und weil ich es habe, – verabscheue ich die Sache, zu der ich mitgehen mußte – so liegen die Dinge. Es war für mich: »In for a penny, in for a pound« Ich mußte nicht nur dein Mitwisser, sondern dein Mitschuldiger werden, oder von hier fortgehen. Letzteres hieße aber, Amanda verlassen, sie mitten in solchen Gefahren zurückbleiben lassen.

Edmund spitzte die Lippen und ließ durch einen leisen, pfeifenden Ton sowohl sein plötzliches Verständnis der Situation wie seine Überraschung verlauten.

– Ach so, die hat es dir angetan? Ihr habe ich es also zu danken? Denn offen gestanden, ich hätte deine getreue Schottennatur ungern an meiner Seite vermißt, in dieser Sache, wo ich von so vielem Verrat umgeben bin. Ja, ja, ein reizendes Mädchen, eins von den Geschöpfen, denen zuliebe man schon sein Gewissen ein wenig verkürzen kann.

– So? Ich meinte, du hättest sie kaum bemerkt, obschon du sie freilich länger kennst, als ich.

– Gewiß habe ich es, und wenn nicht früher, heute mußte ich sie wenigstens entdecken.

Das Gesicht Arthurs nahm einen etwas beunruhigten Ausdruck an.

– Heute? Wie so denn?

– Nun, kürzlich, als sie mich so plötzlich draußen auf der Veranda stehen sah, während ihr anderen alle durcheinander schriet, da konnte sie einen leisen Aufschrei vor Freude nicht zurückhalten, so daß ich mir schmeicheln darf, daß sie wenigstens einen kleinen Anteil an meinem Schicksal nimmt.

Arthur biß sich auf die Lippen.

– Ein Glück für mich, sagte er mit einem halb spöttischen Lächeln, daß du nicht länger ein gefährlicher Rival bist; wenn du die Rani nimmst, kannst du doch nicht Amanda haben.

– Na, was das anbelangt – in Indien kann man alles.

– Edmund!

Die blitzenden grauen Augen und die in plötzlicher Wut zusammengebissenen Lippen seines Vetters ließen Edmund einen Schritt zurückweichen. Dann lachte er kurz auf.

– Nun, nimm's doch nicht gleich so tragisch, Mann! Denke ich doch nicht daran, dir in den Weg zu treten! Nur mit den albernen Konventionsgesetzen darfst du mir hier nicht kommen, als ob wir in Grosvenor-Square wären. Also gewinne dir deine deutsche Jungfrau, wie ich meine Rani.

– O, noch hast du sie gar nicht gewonnen, guter Edmund, und wer weiß, ob du sie gewinnst! sagte Arthur mit einem Blick, dessen freudiges Aufleuchten ein plötzliches Auftauchen einer vorher nicht gesehenen Hoffnung verriet. – Ja, wer weiß es? kaum daß du sie ein paar mal unter vier Augen gesehen hast – Blicke gewechselt, wenn sie auch orientalisch feurig sind, Worte zugeflüstert, mögen sie auch von indischer Dreistigkeit sein, was ist das schließlich? Mit einem Fremden kokettieren, das ist wohl auch für eine Cenanafrau etwas anderes als das, worum es sich hier handelt. Wer steht dir dafür, daß sie nicht im letzten Augenblick zurückscheut, die ganze Sache umwirft? Denn alles hängt doch nur an ihr. – – Ja, wenn du sie nur erst besäßest, sie bis zum Wahnsinn berauscht, zu deiner Sklavin gemacht hättest, aber noch gehört sie dir nicht – – –

– Nicht! rief Edmund, mit blitzenden Augen aufspringend; laß die Hoffnung fahren, Arthur! sie wird es tun!

Arthur starrte ihn ungläubig an.

– Sie wird es? – und morgen ist das Fest.

– Ja, und zwischen heute und morgen liegt die Nacht, eine indische Vollmondnacht, und eine ganz besondere dazu. Chandra Singh brachte mir die Mär: Ruinen ragen aus seichtem Wasser in verborgener Bucht empor. Nach uralter Sitte wird die Rani in dieser Nacht, wenn der Vollmond aus dem Waldesdunkel steigt, sich dorthin begeben, nur von ihrer Ayah begleitet, um Lackshmi das Lampenopfer zu bringen. Halb eine poetische Opferfeier, halb ein kindisches Spiel. Die Gabe der schwimmenden Lampe, – o, sie wird nicht vergebens werden, die Glücksgöttin wird sie erhören, Arthur.

Dem jungen Schotten entging der triumphierende Blick seines Vetters; unstet schweifte sein eigener am Boden umher. Er fühlte, daß seine letzte Hoffnung eine vergebliche war, daß diese nie rastende Tatkraft ihre Sache durchsetzen würde.

Aber eine plötzliche Gedankenverbindung eröffnete ihm eine neue Aussicht:

– Chandra Singh hat dir das Geheimnis verraten?

– Ja, auf der Jagd. Eine Mitteilung vom Oberpriester, der ja auch dafür zu sorgen hat, daß solche Opfer gelingen.

– Und man sagt, daß Chandra Singh selber die Nani liebt.

– Nun, ein sehr lustiges Gesicht schnitt er auch nicht dabei, wiewohl er's versuchte. Der Brahmane hat ihn eben unter der Knute, denn er ist so abergläubisch wir irgendein altes Weib.

– Edmund! dann ist der es, der die Thags im Hinterhalt gehabt hat.

– Riechst du auch die Lunte, Brüderchen? Wenn er und sein sauberer Freund Pertab selber keine Thags sind, will ich gehängt sein – aber noch lange nicht erdrosselt! – Aber lassen wir die Lappalie!

– Du hast es selber nicht als eine Lappalie behandelt, als du Kala Rama den Romal gabst.

– O ho! siehst du nicht, was ich da für ein nettes Spielchen vor hatte? wenn bei ihm sich ein leiser Verdacht gegen mich regen sollte, was könnte dann geeigneter sein, ihn von der richtigen auf eine falsche Fährte zu bringen, als dieser Romal? Sind doch die Kali-Anbeter seine bittersten Gegner, und mich wollen sie aus dem Weg räumen. Sieht das etwa danach aus, als ob ich gegen ihn etwas vor hätte? als ob ich mit seinem Feinde unter einer Decke steckte? Es konnte mir wahrlich nichts Bequemeres kommen als diese Thags.

Arthur blickte ihn etwas verdutzt an. Er hatte einen Augenblick gehofft, daß dieser meuchlerische Mordversuch seitens der nächsten Verbündeten und geschworenen Anhänger geeignet wäre, Edmund von diesen zu trennen und von einem Vorhaben abstehen zu lassen, das, selbst wenn es gelänge, ihn mit neuen tödlichen Gefahren des Verrats umgab. Jetzt sah er, wie sehr er sich geirrt hatte, und konnte trotz seiner Mißbilligung nicht umhin, die Unerschrockenheit, das zähe Festhalten des Zieles, besonders aber die Elastizität zu bewundern, mit der sein Vetter selbst ein Attentat, das ihm auf ein Haar das Leben gekostet hätte, behende zu seinem Vorteil wandte und es unter die Mittel zu seinem Zweck eingliederte.

Edmund las seine Gedanken und klopfte ihm lachend auf die Schulter: –

– Nein, nein, Arthur! so lasse ich mich nicht abschrecken. Ich habe Tippo Sahibs Wort zu dem meinigen gemacht: »Lieber zwei Jahre als Tiger leben, denn zweihundert als Schaf« ... Und nun mußt du mir ein zuckersüßes, abschlägiges Schreiben an unsern guten Onkel Archibald aufsetzen. Ach, nimm auch diesen Schatz mit, fügte er hinzu, indem er den Deckel des kleinen, silbernen Schreins zumachte – und schließe ihn in den eisernen Schrank ein. Ich mag mich nicht länger von dem Ding anglotzen lassen.


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