Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Neuntes Kapitel

Der Schlangenstein. Erstes Hauptstück

Etwa anderthalb Jahrhunderte nach dem Nirvana des Vollendeten herrschte in unserem Lande, welchem damals auch schon die Lehre des Buddha zu leuchten angefangen hatte, ein junger gerechter Fürst namens Narada. Er war der Lehre zugetan, ein Hörer des Wortes, ein Beschützer des Ordens. Gleich jenem großen Herrscher, der bald danach ganz Indien unter seinem segenverbreitenden Szepter vereinigte, dem ewig verehrungswürdigen Kaiser Asoka, kannte er kein vornehmeres Geschäft als für das Wohl der Wesen zu sorgen.

So wenig aber ist diese Welt eine Stätte des Friedens, daß auch dieser milde, friedliebende Fürst sich genötigt sah, einen langen und blutigen Krieg zu führen.

Im Norden des Reiches, in dem an das Gebirge grenzenden Hügelland, waren die Bewohner stets den Einfällen aus den Waldbergen ausgesetzt, wo »die schwarze Haut« noch unbezwungen hauste. Die Wilden, die wie Affen in den Bäumen und wie Schlangen in den Höhlen wohnten, trieben den Unsrigen das Vieh weg; besonders aber raubten sie Kinder, um sie bei ihrem scheußlichen Götzendienste zu opfern.

Nun geschah es einmal, daß der Fürst die kühlen Nachmittagsstunden in seinem Lustpark zubrachte. Mit seinem Feldherrn Mahimsasa hatte er sich in dem tiefen Schatten eines mächtigen hundertstämmigen Feigenbaumes gelagert und lauschte der frommen und gelehrten Nonne Isidasi, die eine Rede des Erhabenen rezitierte. Da wurde diese erbauliche Unterhaltung von einer ärmlich gekleideten Frau unterbrochen, die, zwei Kinder an der Hand führend, plötzlich vor dem Fürsten erschien und sich ihm zu Füßen warf. Denn Narada hatte befohlen, daß Bittsuchende zu jeder Zeit bei ihm Vortritt haben sollten.

– Erhabener König! rief sie, beschütze du diese unschuldigen Kinder! – weit bin ich gewandert, um sie in Sicherheit zu bringen – von den nördlichen Gauen komme ich her, und ich habe eine Forderung auf deine Fürsorge für diese Kleinen. Denn ihren Bruder haben die Affensprossen geraubt, um ihn ihrem schrecklichen Gott zu opfern, und du hast es nicht verhindert.

Ob solcher dreisten Worte, die sogar einen Verweis enthielten, entsetzten sich die ringsum stehenden Höflinge. Der Fürst aber hieß die Frau alles genau berichten, und unter strömenden Tränen erzählte sie, wie die schwarze Haut einen Räuberzug gemacht hatte, Leute getötet, ein ganzes Dorf niedergebrannt, Viehherden davongetrieben und nicht nur ihr Kind, sondern noch viele andere geraubt.

Da raufte Narada sich das Haar, zerriß sein Kleid und rief:

– Weh mir! wie habe ich mich versündigt, daß solche Gräuel in meinem Reich geschehen und ich es nicht hindern kann?

– »Warum hast du mehr Land als du verteidigen kannst, König«, sagte das Weib, das der Kummer jede Rücksicht, ja selbst alle Billigkeit vergessen ließ.

Ein zorniges Murmeln der Hofleute erhob sich, und der Feldherr rief:

– Weib! wie darfst du so zu deinem König sprechen?

– Nein, Mahimsasa, sagte Narada sanft, schilt mir nicht die unglückliche Frau! denn sie tadelt mich mit Recht, wie ich jetzt fühle. Nun höret aber auch alle mein Gelübde: »Nicht will ich eher wieder den beseligenden Worten des Erhabenen lauschen, die noch in unseren Ohren klangen, als diese Unglücksbotschaft kam, um sie zu verdrängen – nicht will ich ihnen wieder lauschen, bevor ich nicht die schwarze Haut im Gebirge mir untertan gemacht habe, so daß Friede an der Nordgrenze wie an den anderen Grenzen herrscht und alle meine Untertanen völlige Sicherheit genießen!«

Nachdem Narada dies feierliche Gelübde abgelegt hatte, befahl er einem der Hofleute, für das Weib und ihre beiden Kinder zu sorgen, und hieß den Heerführer sofort die nötigen Anstalten für den Feldzug zu treffen, den er selbst führen wollte; während seiner Abwesenheit sollten die Regierungsangelegenheiten in den Händen Mahimsasas, des greisen Feldherrn, ruhen.

Mahimsasa verneigte sich tief.

– Möge doch der Liebling der Götter, mein edler Herr und König, geruhen, seinen Diener auszuschicken, um jenes Räubervolk zu bezwingen!

– Nicht so, mein lieber Mahimsasa, antwortete Narada: – du stehst jetzt in deinem siebzigsten Lebensjahr und bedarfst der Ruhe, auf die du einen wohlverdienten Anspruch hast.

– Möge mein König mir geneigtes Gehör schenken! bat der Greis mit eindringlicher Stimme und Miene; – ich war der Diener deines Vaters, und in seinem Dienste habe ich an die zwanzig siegreiche Feldzüge geführt. Aber es ahnt mir, daß der bevorstehende, wegen der Unwegsamkeit des Waldgebirges und der wilden Art seiner Bewohner, der schwierigste und der gefährlichste wird. Nun darf aber ein guter König sich solchen unbekannten Gefahren nicht aussetzen, dieweil sein Leben zu kostbar ist. Ein schlechter möge das immerhin tun, denn an ihm geht wenig verloren. Wie aber erst, wenn der Herrscher – wie hier – unersetzbar ist? Sollte – was die Götter verhüten! – meinem Herrn etwas zustoßen, dann würde dein Halbbruder, Prinz Ajatasattu, den Thron besteigen. Wir alle kennen seinen störrischen und wilden Charakter, der ihn zwar für den Krieg geeignet macht, besonders wenn er lernen könnte, Vorgesetzten zu gehorsamen und sich selber zu bändigen; der ihn aber ebenso gewiß, wenn er auf dem Thron säße, zu einem Fluch für das Land machen würde, wie du ein Segen bist. Darum möge mein Herr und König, der Liebling der Götter, der Wohlfahrt seines Volkes gedenkend, seinen Diener Mahimsasa ausschicken, um die schwarze Haut zu bezwingen, selber aber in seiner Hauptstadt bleiben und die vier Stände überwachen.

Ein beifälliges Murmeln der Hofleute unterstützte diese weise Bitte.

So ließ sich denn Narada überzeugen, daß seine Herrscherpflicht ihm gebiete, zu Hause zu bleiben und dem greisen Feldherrn die Führung des Kriegszuges zu überlassen; und schweren Herzens gab er nach.

Jauchzend scharten sich die Krieger um Mahimsasas Banner, das sie nicht mehr gehofft hatten im Felde wehend zu erblicken, und wenige Tage, nachdem der Fürst jenes Wort gesprochen, nahm das Gebirge in den Schatten seiner Täler und Schluchten die mutigen Scharen auf, um sie erst nach geraumer Zeit wieder freizugeben und dann auf schreckliche Weise gelichtet.

Jene schwarzen Höhlenbewohner rühmten sich nicht eines göttlichen Wesens als Stammvater, wie es die Arier tun, sondern betrachteten sich selbst als Abkömmlinge der Affen, und weder ihre Gesichtszüge noch ihre langen, sehnigen Arme straften diesen seltsamen Ahnenstolz Lüge. Sie spannten den großen Bogen mit dem Fuß und vermochten den Pfeil quer durch den Leib eines Elefanten zu treiben. Im Krieg verwandten sie auch Pfeile, die statt einer Spitze ein halbmondförmiges Eisen trugen, womit sie dem Feinde einen Arm oder den Kopf glatt abschnitten; und wenn sie angriffen, war ihr Geheul so furchtbar, daß im Anfange selbst die ältesten Kriegsilfen scheuten. Nie stellten sie sich zur Schlacht, sondern fochten aus dem Hinterhalt und leisteten zähen Widerstand in den Engen, die sie zuvor mit Baumstämmen und Steinen versperrt hatten, und wo sie von oben ganze Felsenstücke auf unsere Krieger hinabwälzten. So waren sie zwar keineswegs Helden, zeigten sich aber in ihren eigenen Umgebungen als noch furchtbarere Gegner, als es die berühmtesten Helden hätten sein können.

Mahimsasa machte unter solchen Umständen nur langsame, wenn auch stetige Fortschritte. Endlich erreichte er aber ihren Hauptort, der in einem mäßig breiten Talkessel lag. Die Stadt lehnte sich an die Felsenwände und war nach vorne durch eine mehr als mannshohe Mauer geschützt. Hier leistete der Feind hartnäckigen Widerstand; und nachdem die Mauer erstürmt war, verteidigte er sich Schritt für Schritt zwischen den Steinhütten.

Schon sank die Sonne zwischen glühenden Wetterwolken, die über dem Gebirgspaß sich ballten, als »die schwarze Haut« endlich in den Winkel zusammengedrängt war, den die senkrechten Felswände bildeten.

Hier bot sich nun den Unseligen ein seltsamer Anblick. Denn gerade da, wo sich alles zusammenschloß, gähnte eine finstere Höhle, und ein mächtiger, über sie hervorspringender Sandsteinblock war bis zur rohen Ähnlichkeit eines Tigerkopfes ausgehauen, dessen aufgesperrter Rachen die Höhle vorstellte, indem der Rand der Wölbung in ein spitziges Zahnornament ausgezackt war; auch waren einige Tropfsteinzapfen – aus dem Inneren herstammend – als besondere Fangen eingesetzt. Da nun die Affensprossen in diese Ecke hineingetrieben wurden, sah es aus, als ob ein kolossaler Tiger seinen blutroten Rachen aufsperrte, um sie alle zu verschlingen.

Da erhob sich Mahimsasa in dem goldglitzernden Howdah auf dem Rücken des Ilfenstiers, der ihn in hundert Schlachten getragen und dessen Haut von Speer- und Pfeilwunden so durchfurcht war wie eine alte Wettertanne von Blitzschlägen; und mit gewaltiger Stimme, die das Waffengetöse und die Schlachtrufe und das heulende Todeslied der Wilden übertönte, verkündete er Gnade für alle, die ihre Waffen von sich werfen und dem König Narada Gehorsam schwören wollten. Einige der Feinde taten dies; bei weitem die meisten aber wehrten sich bis zum letzten Atemzuge, den sie unter den drohenden Tigerzähnen aushauchten. Denn in die Höhle sich zurückzuziehen, wagte keiner, da diese das große Heiligtum des Volkes war, wo ihre Gottheit thronte und in welches nur der Priester hineingehen durfte, um das Opfer darzubringen; dieser aber lag schon, selber ein Opfer, vorne im Tigerrachen, von einem Pfeile durchbohrt.

Nun erwog Mahimsasa in seinem furchtlosen und weisen Herzen, daß die Einnahme und Zerstörung der Stadt für ein so wildes Volk wenig zu bedeuten habe, solange das Heiligtum unberührt und das Götzenbild, dem sie drinnen opferten, unversehrt blieb: denn alle, die noch ringsum in Wäldern und Gebirgshöhlen steckten und immer noch seinen Verbindungen drohten und seine Posten überfielen, würden sich für unbezwungen halten. Verlautete es aber, daß ihre Gottheit vernichtet sei, dann würden auch jene dem Sieger huldigen.

So erhob er denn abermals seine Stimme und verkündete, daß es seine Absicht sei, in den Tigerrachen hineinzugehen und das Götzenbild der schwarzen Haut mit seiner eisernen Schlachtkeule zu zertrümmern; worauf er seinen Ilfen niederknieen ließ und sich hinunterschwang.

Bei dieser Botschaft belebten sich ringsum die Gesichter der schwarzen Haut auf sonderbare Weise. – Die schon stumpfsinnig dreinblickenden Gefangenen lächelten einander mit geheimnisvoller Bosheit zu; und die Sterbenden, die schon in ihren letzten Zügen lagen, erhoben ihre Köpfe, die von einem vergnügten Zähnefletschen abscheulich entstellt waren; – aus dem Tigerrachen aber ertönte das hohle, keuchende Lachen des Priesters, das sofort in einem schaurigen Röcheln hinstarb, um dann aus dem Inneren des Berges in gespenstischem Widerhall zurückzukehren.

Da erblaßte selbst der kühnste Krieger. Die Häuptlinge drängten sich um ihren geliebten Feldherrn und beschworen ihn, sich nicht in die Höhle hineinzuwagen, wo ihm wahrscheinlich ein Hinterhalt gelegt war – denn darauf schien die Freude zu deuten, die unsere Feinde nicht verbergen konnten. Er möge doch wenigstens ein Gefolge der ausgesuchtesten Krieger mit sich nehmen. Niemand war eifriger, sich als Begleiter anzubieten, als der Prinz Ajatasattu, der junge Halbbruder des Fürsten, der den Gedanken nicht ertrug, daß er nicht an einem so seltenen Abenteuer teilnehmen sollte. Denn keiner wußte, welche Gefahr drinnen im Höhlenheiligtum lauerte, und ob sie menschlicher oder dämonischer Art sei; daß sie aber unerhört schrecklich sei, daran konnte niemand mehr zweifeln.

Ob er nun der Stimme der Weisheit folgte, die ihm sagte, daß die Wirkung auf diese wilden Gemüter weit stärker sein würde, wenn er, der Feldherr, allein ihr Götzenbild zertrümmerte, als wenn er von einem starken Gefolge begleitet in das Heiligtum hineindränge; oder ob diese innere Stimme die des Ehrgeizes war, die selbst dem Weisen noch immer verlockend klingt: Mahimsasa schlug jede Begleitung aus.

Allein trat der edle Greis in die Höhle des Tigerkopfes hinein. Der Rachen verengerte sich sofort zum Schlund. Dieser enge Felsengang, der nur in Mannesbreite und -höhe ausgehauen war, lief schnurgerade in den Berg hinein, und so begleitete das glühende Licht der untergehenden Sonne den mutig Vorwärtsschreitenden noch immer, zumal die glänzenden Kristalle und edlen Gesteine, die den Felswänden zu entwachsen schienen wie Pilze der Erde, jenes fern im Rücken gelassene Tageslicht in Tiefen hineinlockte, wo es sonst wohl nimmer hineingedrungen wäre. Als es aber endlich dennoch versagen wollte, mündete der Gang in einen gewölbten Raum aus.

Hier waren die Wände mit mannigfachen Juwelen eingelegt: von der Kuppel hingen kristallklare Tropfsteinzapfen herunter wie Hängezieraten, und der Boden war blank geschliffen, daß man meinte, in die Luft hinauszutreten, so vollkommen spiegelte er Wände und Wölbung wider. All dies glänzte geheimnisvoll dämmernd in der letzten Glut der Abendsonne, aber außerdem noch im grünlich gelben Schimmer eines anderen Lichtes, das aus einem zweiten Gange hereinströmte, der in schräger Richtung hier einmündete.

Genau in der Mitte dieser Tempelhalle befand sich ein kleiner Altar, worauf eine Kumme aus bandartig rot- und gelbfarbigem Jaspis stand. In ihren Boden war ein großer Diamant eingefaßt, der den ganzen hereinströmenden Lichtschein zu sammeln und wieder auszustrahlen schien. So war die Höhlung der Schale wie von einem leuchtenden Fluidum gefüllt, und darin lag eine menschliche Hirnschale – offenbar die eines Kindes – gänzlich leer, als ob der Inhalt gierig ausgefressen worden wäre.

Mahimsasa seufzte:

– Dazu also wurden unsere Kinder gestohlen! Hieher gelangten die armen Kleinen. Wahrlich, Zeit ist es, daß diesem ein Ende gemacht wird. Wohl seh' ich, daß der ganze Feldzug nichtig und umsonst ist, wenn dieser Opferschmaus jemals noch stattfindet.

Prüfend ließ der alte Krieger den Nagel seines Daumens die Schneide seines Schwertes entlang gleiten. Dann schliff er die geschmeidige Klinge auf dem glatten Rand der Jaspiskumme, wobei ihm ein wenig Schleim zustatten kam, der an diesem Rande klebte.

Als er sich zum Weitergehen wandte, glitt sein rechter Fuß aus. Er blickte hinunter und bemerkte einen schleimigen Streifen, der sich vom Fuße des Altars über den spiegelblanken Steinboden in den weiterführenden Gang hineinzog.

Die Stirn Mahimsasas runzelte sich nachdenklich.

Er wußte jetzt, welche Gestalt das Götzenbild dieses unheiligen Heiligtums hatte.

Mit dem nackten Schwert in der Linken wie ein Dolch gehalten – um es schnell in die Rechte hinüberzuführen, die jetzt die schwere Eisenkeule umspannte, betrat Mahimsasa den neuen Gang, in dem ein grünliches Dämmerlicht zitterte.

Der Gang war so niedrig, daß der Feldherr, der von mehr als gewöhnlicher Manneshöhe war, sich etwas bücken mußte. Die Ausmündung war nicht sichtbar, doch schien sie nicht weit entfernt zu sein. Mahimsasa war sich völlig darüber klar, daß diese Strecke die gefahrvollste sei, ja daß ein Angriff dort ihm wahrscheinlich tödlich sein würde. So schritt er denn so schnell vorwärts, wie seine gebückte Stellung und die Vorsicht wegen des schleimigen Pfades in der Mitte es ihm erlaubten. Ein stoßweise kommendes, trockenes, heißes Zischen begrüßte schon sein Nahen.

Jetzt öffnete sich der Ausgang – und sogleich sah er die Schlange. Sie saß aufrecht, sprungbereit, an der entgegengesetzten Wand der Zelle, auf einer kleinen Erhöhung, wie auf einem Hügel von Diamanten. Ihre Körpergröße war die eines mäßigen Pythons, aber die aufgeblähte Haube, die mit einem Kranz von Rubinen gesäumt war, verriet, daß er eine Kobra vor sich hatte, und im weit aufgerissenen Rachen glänzten zwei Giftzähne wie die Hauer eines Ebers.

Mitten in der Stirn aber leuchtete ein großer gelber Edelstein, von dem das Licht ausging, das, von unzähligen Kristallen und Diamanten aufgefangen, gebrochen und weiter geschickt, das Innere dieses Felsentempels dämmerig erhellte.

Mahimsasa sprang, ohne einen Augenblick zu verlieren, durch die Türöffnung und schleuderte seine Keule, die den Kopf des Kobrakönigs an der linken Seite traf und den Giftzahn dort zerschmetterte. Er wich deshalb nach rechts aus, als die Schlange nun ihren Vorstoß machte, der wegen der Erschütterung verspätet und unsicher erfolgte; der Kobrakopf streifte gerade seine linke Schulter und nur mit der Wirkung eines abgleitenden Keulenschlages, weil ja der Giftzahn fehlte. Bevor aber der Wurm den Nacken biegen konnte, um mit der rechten Fange zu wirken, hatte das Schwert Mahimsasas seinen Kopf gerade unterhalb der Haube, vom Rumpfe getrennt. Noch drohte freilich der Schlangenkörper selbst, der sich auch schon, nach der Art des Pythons, um die Beine Mahimsasas geschlungen hatte, bestrebt, ihn zum Fallen zu bringen, was mit einem weniger sehnenstarken Manne wohl auch gelungen wäre.

Der abgehauene Kobrakopf, der noch voller Leben steckte, und mittelst der beweglichen Haube, die wie ein auf das Trockene gebrachter Plattfisch klatschend auf den Boden schlug, sich ein wenig hin und her bewegen konnte, betrachtete mit brennenden Augen diesen Kampf, in der Hoffnung, mit seinem tödlichen Zahn den Fuß des Helden erreichen zu können, um danach wohl gar mit seinem Körper wieder zusammenzuwachsen. Fauchend und zischend mußte er nun sehen, wie Mahimsasas Schwert immer wieder einen der lebendigen Knoten zerschnitt, bis die abgetrennten Stücke sich ringsum auf dem Boden krümmten, vergebens einander suchend.

Es muß nun, – ruft hier der alte Chronist aus –, ein prächtiges Schauspiel für eine nicht zu zaghafte Gottheit gewesen sein, zu sehen, wie jener unvergleichliche Edelstein, in den fauchenden und schnappenden Kobrakopf eingefaßt und gleichsam aus ihm hervorblitzend, die diamantenstrotzende Tempelzelle erhellte; und mitten in ihr, von den machtlos sich bäumenden und windenden Pythonstümpfen umgeben, den greisen Helden, dessen hageres Gesicht, den Bartschmuck verschmähend, mit Zügen wie in Bronze gegossen, eher an einen Sannyasin, denn an einen großen Krieger gemahnt hätte, wäre nicht der gebieterische Blick dagewesen, offenbar gewohnt eine Lage zu überschauen, um unzögerlich die Tat dem Rat folgen zu lassen. Betrachtete man seine gerade und schlanke Gestalt, die mit dem Scheitel fast die Decke berührte: so meinte man, eine eherne Säule zu sehen, die diese Demantwölbung trug – wie er denn in der Tat noch jahrzehntelang die Stütze des Reiches sein sollte. Die scharfgebogene Nase, dem Schnabel eines Raubvogels nicht unähnlich, konnte in solchen Umgebungen die Vorstellung vom himmlischen Greifen Garuda erwecken, der soeben einen Schlangendämon vernichtet hatte: aber der gütige Ausdruck seiner hellen Augen, wie er nun den Göttern dankte, weil es ihm vergönnt worden war, durch diese Tat einem solchen Greuel ein Ende zu machen, mochte wohl jedem sagen, daß in diesem grausigen Heiligtum, das verblendete Menschen zur Verehrung eines Ungeheuers aus den Felsen ausgehauen hatten, jetzt endlich ein wahrhaft verehrungswürdiges Wesen erschienen war.

Als solches sahen ihn denn auch Freund und Feind an, als er wieder zwischen sie trat.

Die vor der Tigerhöhle versammelte Menge hatte mit steigender Erregung, aber sehr verschiedenen Gefühlen, die Rückkehr Mahimsasas erwartet. Bei den Unseligen wuchs die Furcht bis zu lauten Fragen und Klagen; die Feinde vermochten kaum, ihre freudige Hoffnung zu knebeln. Schon war es dunkel geworden. Der Prinz Ajatasattu rief nach Fackeln, um in die Höhle hineinzudringen und den Feldherrn zu befreien oder zu rächen – im Geheimen nicht unzufrieden, weil somit doch auch ihm ein Abenteuer hier vorbehalten war.

Da wurde man tief drinnen im dunkelsten Dunkel des Tigerrachens ein Licht gewahr: das sah aus wie ein gelblich funkelnder Stern, der sich näherte. Als er aber endlich aus dem engen Gang, der gleichsam den Schlund vorstellte, in den offenen Rachen hervortauchte und seinen Glanz in diesem verbreiten konnte, erkannten alle die ragende Gestalt Mahimsasas und sahen, daß dieser Schein von einem an seinem Stirnband befestigten Diamanten ausstrahlte.

Jauchzend stürzten ihm seine Häuptlinge bis zur Wölbung der Tigerzähne entgegen, ergriffen seine Hände und umklammerten seine Kniee, während die Freudenrufe der gemeinen Krieger, sich weiter und weiter verpflanzend und immer mächtiger anschwellend, den Widerhall der Berge weckten. Die entwaffneten Feinde aber zeigten mit Fingern und murmelten und riefen: – »Der Stein – der Schlangenstein – sieh ihn – den Unverwundbaren, den Herrn des Schlangensteins, den Herrn der Welt!«

Und sie krochen auf dem Bauche heran, um seine Füße zu lecken.

Also huldigten die Leute der schwarzen Haut, diese Sprossen der Affen und Nachbarn der Tiger, unserem großen Mahimsasa.

Den sie aber »den Herrn der Welt« nannten, wollte nur ein getreuer Diener seines Fürsten Narada genannt sein. Ihm hatte er nun dieses wilde Volk unterworfen, denn – wie er es richtig vorausgesehen hatte – von diesem Augenblick an wagte niemand den geringsten Widerstand. Und die Gunst seines Herrn ließ ihn nach seiner siegreichen Rückkehr auch nicht unbelohnt bleiben. Keine Geschenke oder Ehrenbezeugungen freuten ihn halb so viel wie die herzliche Zuneigung des jungen Fürsten. Denn dieser wollte den Feldherrn immer um sich sehen, nicht nur um seinen weisen Rat in Dingen, die das Reich und das öffentliche Gemeinwohl betrafen, sofort zur Hand zu haben, sondern weil er auch in persönlichen Angelegenheiten diese Stimme der durch Erfahrung reifen Herzensgüte und den Anblick edelster Menschlichkeit nicht entbehren mochte. Am liebsten weilte er mit ihm unter einem schattigen Baum seines Parkes und ließ sich dort von der ebenso gelehrten wie frommen Nonne Isidasi die Reden des Buddha vortragen oder diesen und jenen dunklen Punkt der Lehre erörtern; wobei der ebenso tiefe wie scharfe Verstand Mahimsasas unermüdlich war, bis zu den letzten erreichbaren Wurzeln solcher Fragen zu dringen.

Am meisten hätte es nun wohl den Neigungen des edlen Greises entsprochen, sich jetzt, nachdem sein eigentliches Tagewerk vollendet war und er auf Ruhe wohlverdienten Anspruch hatte, dem religiösen Leben gänzlich zu weihen und den weißen Anzug des Hausvaters mit dem gelben Mantel eines Mönches zu vertauschen. Zwei Rücksichten hielten ihn aber von diesem Schritte zurück: erstens die Treue gegen seinen Fürsten, der seine hohe Weisheit noch dem Staatsdienste erhalten wissen wollte; dann aber war er auch noch durch eine gar sanfte und liebliche Fessel an das Leben in der Häuslichkeit gebunden.

Mahimsasa hatte vor Jahren seine innig geliebte Gemahlin verloren, und sie hatte ihm keine Kinder hinterlassen. So wäre sein herrlicher Palast ihm öde erschienen, wenn nicht die Hallen und Säulengänge oft von einer kleinen, vogelartigen Kinderstimme widergehallt hätten.

Dies Kind war Amara, das Töchterlein seines bedeutend jüngeren Bruders, Baku. Obschon der Kriegerkaste angehörend, hatte sich dieser der Kunst gewidmet und war ein großer Baumeister und Bildner geworden. Er war schon gegen die Fünfzig, als sein Weib ihm dies Kind gebar – sein einziges –, um dann zu sterben. Die Kleine wurde das schönste Kind, daß man je gesehen hatte. Goldige Locken umwallten das rosige Gesicht, gleichsam ein äußeres Wahrzeichen, daß hier eine Seele in ursprünglicher arischer Reinheit durch die Jahrhunderte, die seit dem Eindringen unserer vedischen Altvordern in die Gauen Indiens verflossen waren, hindurchgedrungen sei, unbefleckt von dem dunklen Blut, das in diesem Zeitraum von allen Seiten hereingesickert war und unserer edlen Rasse schon etwas ihrer heroischen Art genommen hatte. Wie der erste Blick der Herbstsonne, wenn sie die Regenwolken durchbricht, war ihr Lächeln; und an wen sie mit ihren kleinen Armen sich liebevoll drückte, der mochte wohl nimmer recht wissen, ob er vor Freude lachen oder vor Wehmut weinen sollte – eine so rührende Innigkeit hauchte ihr Wesen aus.

So war sie denn die Augenweide und die Herzensfreude ihres Vaters, aber womöglich noch mehr die ihres Oheims. An seine kleine Amara dachte er, als er in jener leeren, von Abendsonnenglut und Edelsteinglanz durchsponnenen Tempelzelle stand und am Rande der Jaspisschale sein Schwert schliff – sie schien vor ihm zu stehen als der Genius unzähliger Kleiner, die hier geopfert wurden und die ihren Angehörigen ebenso lieb gewesen. Und wenn die Ehrenbezeugungen und Liebeszeichen, an denen es Fürst und Volk bei seinem Siegeszug nicht fehlen ließen, ihm auch alle wert waren, so freute und rührte ihn doch nichts so sehr als das Blumengewinde, das die kleine Amara selbst gebunden hatte und ihm um den Hals schlang, als er sie emporhob und küßte – recht als ob sie ihm dankte im Namen aller durch ihn gerächten hingeopferten Kinder und im Namen aller durch ihn geretteten noch ungeborenen.

Und nicht wissend, ob er lachen oder weinen sollte, tat Mahimsasa beides.

Die Erziehung des Lieblings ließ er sich nun besonders angelegen sein, um so mehr als es öfters geschah, daß ein plötzliches, rätselhaftes Gefühl unheimlichen Bangens über ihn schlich, wenn die Kleine auf seinem Schoße saß und mit einem begehrlichen Lächeln auf den Schlangenstein zeigte, bis er das Stirnband mit dem wundervollen Stein abnahm und es ihren Kinderhänden zum Spielen anvertraute. Alsdann war es ihm, als ob der Schatten des »Tigerrachens« sich über ihn senke und mit der Ahnung durchschauere, daß irgendeine schreckliche Gefahr diesem lieblichen Geschöpf noch in jungen Jahren drohe. So fühlte er sich denn berufen, ihr väterlicher Hüter zu sein, zumal ihr eigener Vater dazu ihm wenig geeignet schien. Denn obwohl er die schönen Kunstwerke seines Bruders sehr bewunderte, konnte er nicht umhin, mit seinem durchdringenden und ruhigen Blick auch seine Fehler zu bemerken – eben solche Fehler, die gewöhnlich den Künstlern anhängen und sie so selten jene wahre innere Größe erreichen lassen, die ihm selbst in so ausgezeichnetem Grade zu eigen war. Denn wenn man auch von der Eitelkeit absieht, die den Künstler noch leichter als andere Männer an ihrem Gängelbande führt, so geht dieser oft so sehr in seinem Werke auf, daß er darüber seine menschlichen Pflichten vernachlässigt, und vor Schauen vergißt er das Sehen; sieht er aber, dann erblickt er die Dinge und Verhältnisse bald im Lichte seiner Hoffnung, bald im Schatten seines Fürchtens, nicht aber so, wie sie in Wirklichkeit sind, und so bleibt er sein Leben lang ein Kind und wird nie richtig zum Manne. Wohl mag es Ausnahmen geben, aber Baku gehörte nicht zu ihnen.

Dies war das Urteil Mahimsasas, wenn er zwar liebevoll und nachsichtig, aber auch aufmerksam und unverblendet das Wesen und Treiben seines Bruders beobachtete. Und er tat sich selber das Gelübde, wie ein Vater über das still aufblühende Mädchen zu wachen, das ihm seine Liebe reichlich vergalt.

Also wußte Mahimsasa sich im Frieden so gut wie im Kriege zurecht zu finden, und es fehlte ihm weder an Tätigkeit für den Geist, noch an Befriedigung für das Gemüt. Nicht so der Prinz Ajatasattu. Vergebens suchte Fürst Narada, ihn an seinen Lieblingsstudien teilnehmen zu lassen und den Blick seines jungen, sehr begabten Bruders auf das Unvergängliche zu richten. Umsonst waren auch seine Bemühungen, den Prinzen in dem friedlichen Dienst des Staates zu beschäftigen. Ja, selbst die Aussicht, einmal in der Führung des Heeres den greisen Meister zu ersetzen, wozu Ajatasattu durch vorzügliche kriegerische Eigenschaften gar wohl befähigt war, hatte für seinen ungeduldigen Tatendrang nicht hinlänglichen Reiz, um als fernes Ziel ihn zu dauernder und stetiger Wirksamkeit zu locken. So vernahm er mit großer Freude, daß zwischen zwei westlichen Nachbarfürsten eine Fehde ausgebrochen sei. Trotz aller Mahnungen seines Bruders Narada bot er demjenigen, der Unrecht hatte, aber der schwächere war, seine Dienste an, weil er meinte, daß auf seiner Seite am ehesten Ruhm zu gewinnen wäre. Er verhalf ihm auch zum Siege und weilte dann an seinem Hof, sei es, daß – wie er behauptete – die Jagdgründe dort ausgiebiger waren, sei es, daß es ihm angenehm war, das Auge seines Bruders und Fürsten nicht auf sich und seinem Treiben ruhen zu fühlen. Bald danach aber, als der große König der JavanerJavaner: Jonier, Griechen (Alexander der Große). mit seinem mächtigen Heere Pendschab überflutete, begab er sich eilends zu einem Fürsten dieses Landes, Porus, und nahm an seiner Seite teil an der unglücklichen Schlacht am Ufer des Jehlam. Seitdem hatte man nichts von ihm vernommen. Sein Bruder beweinte ihn als tot und ehrte sein Andenken als das eines Helden, der im Kampfe gegen fremde Barbaren gefallen war.

Unterdessen hatte Fürst Narada geheiratet. Er führte eine Fürstentochter von den Gangaländern heim, deren Schönheitsruhm durch die Lande ging. Mahamaya hatte man sie genannt – das ist: die große Täuschung. Wenn nämlich diese Sinnenwelt, wie die Weisen lehren, eine bloße Täuschung ist, so ist doch die größte Täuschung in ihr, gleichsam das berückendste Muster im Schleier Mayas, die sinnliche Liebe, die in der Gestalt dieses wundervollen Weibes verkörpert zu sein schien. Deshalb eben hieß sie Mahamaya, und war auch außer Mahimsasa am ganzen Hofe kein Mann, jung oder alt, der nicht vom Zaubertrank ihrer Schönheit berauscht wäre. Dieser aber sah sie mit kalten Augen an und fand, was er suchte: dies und jenes auszusetzen. Hat doch auch der Weiseste irgendeine kleine Torheit; und so verdroß es den Ohm Amaras, allenthalben eine Schönheit bis zum Himmel gehoben zu hören, die von der seiner Nichte so verschieden war wie die Nacht vom Tage. Diese war jetzt nahe daran, aus einem lieblichen Kind eine reizende Jungfrau zu werden. »Werden diese lautschwatzenden Toren, mit den Augen bis zum überlaufen voll von den üppigen Formen jenes dämonischen Weibsbildes, auch noch zu schätzen wissen, welche wahrhaft reine, himmlische Schönheit sich ihnen in der Gestalt unserer Amara offenbart?« Dies waren seine Gedanken, und er nahm es seinem Bruder übel, daß dieser sich immer wieder abquäle, den Prachtgliedern der Herrscherin in einem Bildwerke gerecht zu werden.

Mit tödlichem Groll bemerkte Mahamaya, daß dieser berühmte und mächtige Mann für ihre Schönheit unzugänglich war, ja, die Stirn hatte, in seinem innersten Herzen dieselbe zu leugnen, und daß alle ihre Anstrengungen, ihn für sich zu gewinnen, spurlos an ihm abglitten – Anstrengungen, deren geringste genügt hätte, jeden anderen Mann, der ihr je begegnet war, zu ihrem kriechenden Sklaven zu machen. So schrieb sie es auch seinem Einfluß zu, daß ihr fürstlicher Gemahl anstatt durch die Lockspeise ihrer Liebkosungen immer anhänglicher zu werden, im Gegenteil schon bevor ein Jahr um war, merklich kühler wurde. Und vielleicht hatte sie nicht so ganz unrecht. Denn obwohl Mahimsasa nie mit einem Wort andeutete, wie sehr er die Wahl seines Fürsten bedauerte, war Aarada doch zu sehr an ihn gewöhnt, um nicht seine Gedanken zu lesen, und mochte wohl dadurch in der keimenden Abneigung bestärkt werden, die durch die vertrauliche Bekanntschaft mit seiner Frau sich zu regen anfing.

Nun hatte zwar Mahamaya ihren Gemahl nie geliebt; vielmehr war schon von Anfang an seine ganze Art und Weise ohne Harmonie mit ihrem eigenen Wesen. Aber das Gefühl, daß die Leidenschaft, die ihre Entschleierung nach der Handergreifung in der Brust des Bräutigams aufgewühlt hatte, sich unwiederbringlich verlor, daß alle die Reize, die ihr die Natur als Wiegengeschenke gegeben, und alle Künste und Schliche, die ihre AyahAyah: Amme. nach allen Regeln der Liebeswissenschaft ihr beigebracht hatte, nicht vermochten, jene hinsiechende Leidenschaft wieder zu frischem Leben zu wecken – diese tropfenweise sich mehrende Erfahrung war in der Tat ein bitterer Trank für den Stolz dieses verwöhnten Weibes.

So mußte denn auch ihre Milchschwester Nimbavati, die sie aus der Heimat in die Fremde begleitet hatte, die geduldige Zuhörerin bei manchen Verzweiflungsausbrüchen sein und ihre ganze Erfindungskraft aufbieten, um irgendeinen Trostgrund oder etwas Hoffnungsfreudiges vorzuführen, da sie sonst unter der noch übler werdenden Laune der vornehmen Milchschwester sehr zu leiden hatte.

Bei einer solchen Gelegenheit vermutete sie, daß dies alles wohl eine von LackshmiLackshmi: Gattin Vishnus, die Göttin des Glücks. verhängte Strafe sei, weil sie in diesen Jahren es versäumt hatten, ihre Lampenfeier zu begehen.

Mit dieser Feier aber hatte es folgende Bewandtnis.

Sie war einheimisch in den Gegenden an der Ganga, wo auch Mahamaya zu Hause war. Dort gehen, in gewissen Vollmondnächten, die Mädchen und jungen Frauen nach dem Ufer des heiligen Stromes oder nach dem des Nebenflusses, der gerade ihre Gegend durchströmt, und tragen in der Hand ein Lämpchen aus Ton, wie ein Boot geformt und mit einem brennenden Docht versehen. Dies Lämpchen setzen sie in das Wasser, und wenn das kleine Fahrzeug, ohne an einem Stein Schiffbruch zu leiden oder auf einer Sandbank zu stranden oder in Schilf und Seegras festzuhängen oder von Strudeln umgeworfen zu werden, glücklich auf dem ruhigen Rücken des Stromes davongetragen wird, die kleine Flamme noch immer wie ein güldenes Fähnlein wehend, dann hat die Göttin das Opfer huldreich angenommen, und was die Besitzerin eines solchen glücklichen Lampenschiffleins sich im Herzen wünscht, das wird gewißlich in Erfüllung gehen.

– Wir sind ja aber hier nicht an den Ufern der Mutter Ganga, und nicht einmal ein Nebenfluß strebt ihr zu durch dies unheilige Land! seufzte Mahamaya.

– Dafür können wir nichts, erklärte die praktische Milchschwester, der es wohl nur darauf ankam, die Fürstin aus ihrer dumpfen Verzweiflung herauszulocken: – was nicht unsere Schuld ist, das wird uns die Lackshmi auch nicht anrechnen, wenn wir nur tun, was in unserer Macht steht. Nun ist nicht weit von hier, am Fuße des Palastberges, ein Wasserlauf, der gerade jetzt nach der Regenzeit reichlich genug und doch auch nicht zu reißend sein wird. Dort setzen wir unsere Lämpchen hinaus, wenn es jetzt in ein paar Nächten Vollmond wird – gerade der erste nach der Regenzeit, es könnte sich nicht günstiger treffen – und wenn sie, ohne zu erlöschen, in den See hinausgeführt werden, dann dürfen wir das Beste hoffen, denn auch mein Wunsch soll nur deinem Glück gelten.

Mahamaya umarmte und küßte Nimbavati: –

– Liebste Schwester! du bist zu meinem Heil geschaffen! – Aber wie können wir dort hinunterkommen? Nie wird man uns unbegleitet gehen lassen. Wenn aber schon, wie du weißt, die zufällige Anwesenheit eines Mannes das Lampenopfer nichtig macht, wie viel mehr dann eine ganze Kette von Trabanten und Wärtern?

– O laß das meine Sorge sein! Der Wärter an der Tür des CenanaCenana: die Frauengemächer. ist mir schon mehr als gewogen, und wenn ich den am nördlichen Gartenpförtchen noch nicht kennen sollte, so hab ich doch Zeit genug, um ihn kirre zu machen. Er soll glauben, was ich ihm sage, daß ich eines deiner Mädchen ein hübsches und frommes Spiel aus meiner Heimat lehren will, das sich nur zu zweien spielen läßt.

Wie konnte er denn hartherzig genug sein, um mich daran zu hindern? Wenn er dich nur nicht für einen verkleideten Mann hält, wird er nichts dagegen haben, daß wir allein zusammen zum Fluß gehen.

Also sprach Nimbavati mit der schlauen Leichtfertigkeit, die seit den Tagen von Krishna und Radha der Milchschwester der Heldin eines Liebesabenteuers zu eignen scheint; und Mahamaya versicherte ihr noch einmal, sie sei zu ihrem Heil geboren.

Alles ging nun auch, wie Nimbavati sich es erdacht hatte. In der nächsten Vollmondnacht befanden sich die beiden Milchschwestern unten im waldigen Tale, durch welches der kleine Fluß seinen Weg zum See suchte, dessen Fläche nur ein paar hundert Schritt entfernt durch Gebüsch und zwischen Stämmen ruhig strahlte, während zu ihren Füßen das eilende Wasser bald rieselnd im Mondlichte glitzerte, bald murmelnd in das Dunkel des überhängenden Ufers hineinglitt und hinter ihnen der große, vom Bergfelsen geworfene Schatten, aus dem sie soeben hinausgetreten waren, über den stummen Baumwipfeln ausgebreitet lag.

Sie ließen den Überwurf von der Schulter gleiten und standen nun für ihr sinniges Spiel bereit. Der duftige Musselinrock – silbergrau und goldiggelb – der vom perlenblitzenden Gürtel bis zu den von goldenen Spangen umfaßten Knöcheln in leichten Falten fiel, würde ihre Bewegungen nicht hindern, wenn sie dem schwimmenden Lämpchen, das noch mit unbeweglicher Flamme in ihrer Rechten ruhte, springend und watend folgten und dies leuchtende Fahrzeug mit dem langen Zweig bugsierten, den sie in der Linken hielten.

Noch einen Augenblick, und beide Lämpchen tanzten fröhlich auf dem Strom dahin. Mahamaya und Nimbavati folgten ihnen, bald am Grasufer laufend, bald von Stein zu Stein springend, bald plätschernd ins Wasser tretend – bald lachend, bald fluchend; nun einen kleinen Angstschrei ausstoßend, wenn eine Lampe, von einem Strudel gefaßt, sich im Kreise drehte; nun einen Jubelruf ertönen lassend, wenn es ihnen gelang, mit der langen Rute ein in den Schilfen hängen gebliebenes Leuchtschifflein wieder flott zu machen; in fortwährender Spannung, noch aufgeregter als zwei spielende Kinder: galt es doch das Glück!

So ging es eine Zeitlang, und schon konnten sie die Ausmündung in den See offen vor sich sehen – da teilte sich nach links ein Seitenarm ab, der, bald schmal und reißend, bald breit über Kies sich ergießend, zwischen Gebüsch und Gestein sich buchtend zu verlaufen schien; und das schwimmende Lämpchen Mahamayas nahm diesen wenig versprechenden Weg, während das milchschwesterliche nach einigem Besinnen auf dem Hauptstrom seewärts schoß, von der jubelnden Nimbavati begleitet.

Mit Angst und Mühe bugsierte Mahamaya ihr feuerbeflaggtes Fahrzeug weiter, und schon öffnete sich auch ihm nicht gar zu weit entfernt das freie Meer, als es von bösen Geistern, in der Gestalt einiger herabhängenden Zweige, am anderen Ufer gefangen genommen wurde. Mahamaya sprang auf einen Stein hinaus, von wo aus sie zwar mit der Spitze ihrer langen Rute das gefährdete Glücksschiff gerade erreichen, nicht aber befreien konnte. Schon war sie daran, ins Wasser hinunter zu steigen und hinüber zu waten, als etwas geschah, das ihr wie ein Wunder vorkam.

Aus dem dichten Schatten einer Tamarinde sprang eine glänzende Gestalt in den Strom hinaus, war mit ein paar Schritten am anderen Ufer, löste vorsichtig das Lämpchen aus dem Netzwerk der Zweige heraus und setzte es ebenso behutsam mitten auf den Strom, der es sofort mit sich von dannen führte.

Mahamaya vergaß aber gänzlich, ihrem Glücksschifflein nachzusehen, so sehr war ihr Blick von dieser fremden Gestalt festgebannt.

Es war ein Mann in Rüstung – aber in welcher Rüstung!

Wenn Mahamaya einen vollbewaffneten Krieger gesehen hatte, dann war es ihr immer vorgekommen, als gewahre sie ein metallenes Gehäuse, worin – wie eine Schnecke – ein menschenartiges Wesen stecke, dessen einzige Bestimmung es sei, auf Befehl des Fürsten zu töten und sich töten zu lassen. Aber diese Rüstung schmiegte sich, von den Schultern bis über die Hüfte hinunter, so biegsam an die Haut wie diese an die Muskeln, deren lebendiges Spiel bei jeder Bewegung sichtbar war. Um die Schenkel aber fielen lose Riemen, und das Wasser, das ihm um die Knie schäumte, bewegte sie, als ob weiße Nymphenhände mit ihnen ein neckisches Spiel trieben. Ja, selbst der blanke Helm schien belebt; trotzig erhob er seinen Kamm, um den Krieger noch höher zu machen, und schob einen gesichtartigen Schirm hervor, damit die Augen aus seinem Schatten heraus wie Sterne leuchten könnten – und schob ihn auch nicht weiter hervor, weil die vollen Lippen aus dem krausen Bart heraus im Mondlichte feucht glänzen sollten.

Also stand diese Erscheinung vor ihr: ein Krieger und ein Mann – wenn auch kein irdischer – so lebenstrotzend, daß er selbst das Toteste und Starrste, was er anhatte, mit seinem Leben durchdrang.

Wie lebhaft war aber erst sein Lächeln, als die Lippen sich nun öffneten und sprachen: –

– Eine Apsara bist du wohl, du Schwellgliedrige, Schönbrauige, vom Himmel herabgestiegen, um auf unserer Erde zu spielen. Denn zu dieser Stunde liegen ja die Menschentöchter schlafend auf ihrem Lager.

Mahamaya vermochte kein Wort hervorzubringen.

– Und habe ich gar dein Spiel gestört, als ich dir helfen wollte, du Juweläugige? Was war's mit dem schwimmenden Lämpchen? Soll es dir das Glück senden?

– Es hat mir das Glück gebracht.

Mahamaya hauchte die Worte kaum hörbar aus und schloß die Augen, um dies strahlende Bild gleichsam ganz in sich zu verschließen.

Dann schwankte sie.

Und sofort fühlte sie sich von zwei starken Armen umfaßt und emporgehoben und aus dem Mondschein in den tiefsten, duftgesättigten Schatten hineingetragen ...

Am folgenden Tage weilte Mahamaya mit ihren Frauen im Taubenhof, wo der Abrichter seine beflügelten Scharen vorführte. Die Fürstin folgte nicht eben sehr aufmerksam den Künsten, welche die Tauben, dem Stab und den Rufen des Abrichters gehorchend, in ihren luftigen Reigen tadellos ausführten. Auf der Ruhebank zurückgelehnt sprach sie leise mit Nimbavati, die sich über sie vorneigte, und in deren geduldiges Ohr sie die Lobpreisungen ihres Helden ergoß.

– Und wer er war, woher er kam – das hat er dir nicht gesagt? fragte Nimbavati.

– Brauchte er denn das, o du Törin! Rama war es, Krichna, Vishnu selber – wer sonst hätte wohl so herrlich erscheinen können, in solcher goldigen Himmelsrüstung, wie ich dir beschrieben habe. Aber ach! wie soll ich ihm nun wieder begegnen? Liebste Nimbavati! du mußt Mittel finden, daß wir wieder heute nacht dort hinuntergehen können, denn gewiß erwartet er mich an derselben Stelle.

– O, das ist nicht nötig, versetzte die schlaue Milchschwester, und würde nicht einmal das Rechte sein. Wenn dein Liebhaber wirklich Vishnu ist – und wer könnte daran zweifeln? – dann brauchst du nur die heutige Nacht auf der obersten Terrasse des Schlosses zuzubringen, gleich jener Königstochter, die der Weber in Vishnus Gestalt besuchte, wovon du wohl gehört hast.Apsara: Himmelsnymphe Rama und Krishna galten beide als Inkarnationen von Vishnu.

– Nein, davon habe ich nie gehört, sagte die Fürstin. Wie war denn das?

Und während sie aus einer goldenen Schale mit der Hand Reiskörner schöpfte und sie den Tauben hinwarf, die augenblicklich eine Ruhepause hatten und um sie herumtrippelten, lauschte sie lächelnd der Erzählung Nimbavatis.

Jener Weber hatte sich in die Königstochter verliebt und siechte vor Sehnsucht und Verzweiflung dahin. Nun war aber sein bester Freund ein Stellmacher, ein Meister in seiner Kunst. Dieser versprach Rat zu schaffen. Man wußte, daß die Königstochter während dieser heißen Nächte auf der obersten Terrasse des Palastes schliefe, wo niemand hinauf konnte. Der Stellmacher verfertigte nun eine sehr künstliche Flugmaschine, in der Gestalt Garudas, des himmlischen Adlers, Vishnus Reittiers. Sie war so eingerichtet, daß man sie in Bewegung setzen, lenken und stoppen konnte mittelst eines Keiles, je nachdem man diesen eintrieb, auszog oder seitwärts rückte. Auf diesen falschen Garuda setzte sich nun der Weber, prächtig angetan, einen Diskus in der Hand, ein Diadem auf dem Kopfe, bekränzt und Vishnu gleich an Aussehen, und fuhr nachts auf die Terrasse zur schönen Königstochter, die er nach dem Gandharven-Ritus ehelichte, ohne Vater und Mutter zu fragen, ohne Priester, ohne Vedaspruch und ohne Opfer. Als es nun später ruchbar wurde, daß sie dort von einem Liebhaber nächtige Besuche empfinge, hielten ihre Eltern heimlich Wache; da sie aber diese göttliche Gestalt durch die Luft kommen sahen, priesen sie ihr Glück und die Ehre, die ihrem Hause widerfahren sei.

– Hieraus ersehen wir nun auch, fügte Nimbavati hinzu, daß es Vishnus Art ist, auf diese Weise seine Auserkorene zu besuchen. Denn wie wäre sonst der Stellmacher auf diesen Gedanken gekommen? Wenn er sich gestern in einer bescheidneren Gestalt genaht hat, so geschah das offenbar, um dich zu schonen, damit du nicht zu sehr erschrecken oder wohl gar sterben solltest, wenn er sofort in seiner ganzen Majestät, auf Garuda reitend, sich dir offenbarte. Dir geziemt es aber, jetzt zu zeigen, daß du ihn wohl erkannt hast. Deshalb mußt du ihn unbedingt heute Nacht auf der Terrasse erwarten.

Mahamaya umarmte sie stürmisch und nannte sie die beste und weiseste aller Milchschwestern. Dann verkündigte sie sofort ihren Frauen, die Nächte seien jetzt so luftlos, daß sie in der vorigen Nacht gar nicht in ihrem Zimmer habe schlafen können. Sie sollten deshalb ihr Nachtlager auf der obersten Terrasse bereiten; erst wollte sie das elfenbeinerne Bett hinaufgetragen haben, dann bestimmte sie sich für das aus Sandelholz; sie bezeichnete ihnen auch, welche Kissen, Decken, Teppiche, Tischchen, Schemel und sonstige Geräte hinaufgeschafft werden sollten; und zwar müsse das alles sofort geschehen, als ob damit auch das Herankommen der ersehnten Nachtstunde beschleunigt würde.

Als sie sich dadurch etwas beruhigt hatte, ließ sie wieder den Taubenabrichter die Vögel einige Künste machen und war mit ihrem Lob nicht karg. Sehr bald hatte sie jedoch keinen Blick mehr dafür, sondern fing wieder an, Nimbavatis Ohr mit dem Preis ihres Glücks als Vishnubraut zu belästigen. Dabei entblößte sie ihre Brust und betrachtete das Perlenmal, das der Geliebte ihr zum Seingedenken mit den Zähnen eingeprägt hatte. Dadurch wurde ihre Sehnsucht zu solcher Glut angefacht, daß ein Tränenstrom sich vergebens bestrebte, sie zu löschen. Die Fürstin erklärte ihrer Milchschwester, daß sie es gewiß nicht bis zur Nacht aushalten würde: ihr göttlicher Liebhaber müsse sich ihrer erbarmen und sich ihr schon früher zeigen, damit sie durch den Anblick neue Kräfte schöpfe, denn sie fühle sich schon jetzt einer Ohnmacht nahe.

Die fügsame Nimbavati zögerte nicht, sie in dieser Hoffnung zu bestärken.

– Wir wollen uns sofort ein Zeichen geben lassen, sagte sie. Wenn die weißen Tauben am höchsten steigen, dann wirst du ihn jetzt bald erblicken. Steigt aber die blaue Schar am höchsten, dann mußt du dich freilich bis zur Nacht gedulden.

In diesem Augenblicke trat ein Cenanawärter herein. Fürst Narada ließe die Fürstin bitten, sich sofort in die Audienzhalle begeben zu wollen.

Nimbavati wurde so bleich wie Asche und verwünschte alle schwimmenden Lackshmilampen. Sie dachte nicht anders, als daß der Fürst von der nächtlichen Begegnung Kunde erhalten habe, und fühlte sich als Anstifterin des Frevels schon eingesackt auf dem Boden des Sees liegen.

Mahamaya wurde von solchen Befürchtungen nicht in Unruhe versetzt. Denn könnte Vishnu auch gar leicht auf seinem Garuda über den Taubenhof hinfliegen, um sie zu stärken, so war in der Audienzhalle schwerlich etwas von ihm zu erwarten. Sie versicherte der Milchschwester, daß sie so bald wie möglich zurückkehren werde.

– Und sieh', rief sie freudig, das Zeichen ist günstig: die weißen Tauben sind am höchsten gestiegen!

Als Mahamaya in die Audienzhalle trat, fand sie dort den ganzen Hofstaat versammelt. Neben dem Thron stand ein in goldener Rüstung herrlich glänzender Held.

Mahamaya blieb auf der Schwelle stehen und vermochte kaum einen leisen Aufschrei zurückzuhalten.

Narada aber nahm den Fremden an der Hand und führte ihn vor sein Gemahl.

– Begrüße, Mahamaya, deinen Schwager Ajatasattu, der uns wie ein von den Toten Auferstandener wiedergegeben ist. –

Ajatasattu hatte in der Tat in jener furchtbaren Schlacht bei Jehlam mehr als eine Wunde erhalten, war aber zusammen mit dem König Porus, der ebenfalls verwundet war, glücklich aus der Niederlage entkommen. Als nun König Porus dem Sieger huldigte, folgte Ajatasattu ihm ins Lager Alexanders. Das fremdartige Treiben hier, all das Neue und Überraschende, das ihm vor Augen kam, die Bekanntschaft mit Leuten einer anderen und, wie ihm vorkam, feinsinnigeren Bildung, der Umgang mit geprüften Kriegern, die unter fremden Himmelsstrichen so viel Merkwürdiges erlebt hatten, der bestrickende Verkehr mit den Javaner Frauen, von denen es im Lager wimmelte, blonde Frauenbilder, die aus Gold und Elfenbein gemacht schienen, vor allem aber die überwältigende und bestrickende Persönlichkeit des Welteroberers selbst: – all das berauschte den Abenteuer suchenden Prinzen so sehr, daß er sich nicht loszureißen vermochte. Auch wurde er bald der erklärte Liebling Alexanders. Dieser wollte unter den Indern ein Inder sein. Was nun aber in sein Lager zusammengeströmt war, kam fast alles aus dem Indus- oder dem Fünfstromland. Unter denjenigen aber, die aus dem eigentlichen Indien hergeeilt waren, war Ajatasattu der einzige Prinz aus einem Fürstenhause; die anderen waren nur einfache Krieger oder gehörten sogar den niedrigsten Kasten an, wie der später so berühmte Chandragupta. Hier war nun aber ein echter indischer Fürstensohn, der ihm von den wunderbarsten selbstgeschauten Dingen erzählte – wie von edelsteinstrotzenden, von Schlangen geschützten Felsengrotten – und der ihm versicherte, er würde von den Indern als der Avatar Vishnus, der wiedergeborene Rama, angebetet werden.

Als nun der große Eroberer, anstatt solchen schmeichlerischen Träumen nachzugehen, den eindringlichen Vorstellungen seiner Feldherren und dem Murren seiner Krieger nachgeben mußte und nach Persien zurückzog, trieb sich Ajatasattu jahrelang an den kleinen Höfen im Induslande und im südlichen Pendschab herum in der Hoffnung, in diesen bewegten Zeiten selbst irgendwo die Macht an sich reißen und ein eigenes Reich gründen zu können. An jedem solchen Hof befand sich damals eine einheimische und eine javanische Partei. Ajatasattu schloß sich überall der letzteren an, um durch ihre Hilfe emporgehoben zu werden. An einem Orte aber wurde die Verschwörung schon in ihrem Anfange entdeckt; am anderen freilich ging alles nach Verabredung bis zum entscheidenden Streich bei einem abendlichen Fest: bei dem verzweifelten Kampfe im Palastgarten aber behielten die Getreuen die Oberhand, und Ajatasattu kam nur mit dem nackten Leben davon. Da er nun wohl einsah, daß sein Stern ihm in diesen Gegenden nicht leuchtete, eilte er, ohne irgendwo den mindesten Aufenthalt zu machen, Tag für Tag weiter wandernd, seiner Heimat zu.

Die Nacht brach an, als er sich noch mitten im felsigen Hügelland nördlich von seiner Vaterstadt befand. Er kannte diese Gegend nicht genau; da er aber das Rauschen eines Baches in der Nähe vernahm, meinte er, er brauche nur diesem zu folgen, um sein Ziel zu erreichen. Dies war freilich anfangs mit großen Schwierigkeiten verbunden. Als aber der Vollmond aufging, wurde der Abstieg ihm bedeutend erleichtert, und endlich sah er zu seiner nicht geringen Freude den See vor sich glitzern. Erschöpft vor Müdigkeit streckte er sich im tiefen Dunkel einer Tamarinde, und schon umnebelte der Schlaf seine Sinne, als er hinter sich freudige Mädchenstimmen vernahm. Sofort war jede Müdigkeit wie weggeblasen. Er lauschte gespannt wie ein Jäger beim Annähern der Beute, bereit ein Liebesabenteuer, wenn es sich ihm hier plötzlich darbot, an der Stirnlocke zu fassen. Dieses blieb ihm denn auch, wie wir wissen, nicht aus.

Narada nahm seinen Bruder mit der herzlichsten Freudigkeit auf. Wenn Ajatasattu als einziges Besitztum aus seinen langen Irrfahrten die prächtige Rüstung mitbrachte, die ihm der Welteroberer selber zum Abschied geschenkt hatte, in der er aus dem nächtlichen Gemetzel geflohen war, um dann später in diesem Anzug Mahamaya als ein Wesen aus der Himmelswelt zu erscheinen, so ließ die Großmut seines Bruders, der ihn um jeden Preis seine Enttäuschung vergessen lassen wollte, ihm bald Reichtum und Besitz in reichstem Maße zuteil werden.

Jenes ehebrecherische Liebesglück, das von der schwimmenden Lackshmilampe eingesegnet war, führte nun ein lichtscheues, aber üppiges Dasein, gleich dem giftigen Nachtschatten im Dunkeln wuchernd und glühend. Mahamaya vergaß gänzlich enttäuscht zu sein, weil ihr Liebhaber nicht Vishnu war; und konnte er nun auch nicht auf dem Adler reitend sie nachts auf der Terrasse besuchen – was unleugbar eine große Bequemlichkeit gewesen wäre – so gelang es doch der unermüdlichen und unerschöpflichen Schlauheit Nimbavatis, immer neue Gelegenheiten herbeizuführen, bei welchen die Liebenden sich völlig unbemerkt trafen. So regte sich denn auch kein Verdacht, obwohl die heiße Ungeduld Mahamayas oft genug die Vorsicht zur Seite werfen wollte und der guten Milchschwester ihre Aufgabe nicht gerade erleichterte.

Aber dieser Liebesgenuß vermochte das stürmische Herz des Prinzen keineswegs zu erfüllen. Die Pläne, die er im fernen Westen hatte aufgeben müssen, warum sollte er sie hier im Heimatland nicht verwirklichen? Lagen doch die Verhältnisse, wie er sehr bald entdeckte, noch unendlich günstiger hier. Zwar eine javanische Partei gab es am Hofe nicht, dafür aber war die Herrscherin selbst seine Sklavin, bereit, ihm mit jedem Mittel zu dienen. Ihre Macht über die Männer war unbegrenzt, so unbegrenzt, daß es ihr sogar gelingen mußte, sie ihrem erklärten Liebhaber dienen zu lassen. Dann waren die Brahmanen von der größten Unzufriedenheit mit seinem fürstlichen Halbbruder erfüllt; sie knirschten mit den Zähnen vor Wut, weil dieser den Orden des Buddha, besonders die unter der Führung der frommen Isidasi stehenden Nonnen auf das entschiedenste begünstigte, ja, ihnen seine ganze Huld schenkte. Mit Ingrimm und Entsetzen sahen die Priester die Opfergaben in immer geringeren Mengen herbeifließen, und die Zukunft schien ihnen mit dem völligen Verlust ihrer althergestammten Größe zu drohen. Aber auch die Krieger waren wenig zufrieden, da unter dieser Herrschaft keine Aussicht auf einen Feldzug war, und der Fürst nur darauf bedacht schien, Kanäle und Hospitäler zu bauen. So schäumten sie vor Ungeduld wie feurige Pferde, denen die Bahn verschlossen ist. Ajatasattu schloß sich nun immer mehr allen Unzufriedenen an, und sein Hauspriester, der ebenso fanatische wie gewandte Bharadvaja, war unermüdlich, die Beziehungen immer mehr zu befestigen und zu erweitern.

Eine scharfe Anspornung erhielt der Ehrgeiz des Prinzen durch die Nachricht, daß sein alter Gefährte und Nebenbuhler in der Gunst des Welteroberers, Chandragupta, im Patalaputra im Osten die Herrschaft an sich gerissen hatte, wie es schien durch eine ähnliche Hofumwälzung wie die, an denen er sich selbst schon ein paarmal ohne Erfolg beteiligt hatte. Wenn er aber Chandragupta recht kannte, dann würde dieser rastlose Emporkömmling sich nicht damit begnügen, sondern bald seine Nachbarn mit Krieg überziehen. Möge er auch damit nur Erfolg haben! Hatte er nur erst selber die Herrschaft hier an sich gerissen, dann würde er mit Chandragupta natürlich zusammenstoßen, und wie sollte ihm dieser – ein Cudra – widerstehen können? Alles, was Chandragupta sich gewann, müßte dann an ihn fallen, und warum sollte er sich nicht ganz Indien unterwerfen?

Mit solchen hochfliegenden Plänen berauschte sich Ajatasattu, denn der Geist des fremden Eroberers hatte es ihm angetan.

Aber ein Hindernis stand noch unerschütterlich zwischen ihm und solchen glänzenden Aussichten. Dies Hindernis war Mahimsasa.

Von ihm hatten alle diese Krieger, die jetzt zu Ajatasattu als zu ihrem Führer emporblickten, einstmals das Waffenhandwerk gelernt; ihre Wunden wie ihre Beute hatten sie unter seiner Leitung gewonnen. Sie waren gewohnt, seinem geringsten Befehl unweigerlich zu gehorchen, ja auf den Wink seiner Brauen aufzupassen. Eins war sicher: solange sie seine Stimme vernahmen, solange der Blitz seines Adlerauges sie erreichen konnte, würde keine Kriegerhand sich zu einer Tat erheben, die seinem Willen entgegen war. Tag und Nacht sann deshalb Ajatasattu darüber nach, wie er den greisen Feldherrn beseitigen könnte. Vergebens wollte er seinen Bruder dazu verleiten, Mahimsasa in irgendeinem wichtigen Auftrag an einen Nachbarhof zu schicken. Der Fürst blieb dabei, der alte Feldherr solle Ruhe haben. So schien denn der einzige Ausweg der zu sein, Mahimsasa mit Gewalt aus dem Weg zu räumen, und das Herz des Prinzen wäre auch vor dieser Maßnahme nicht zurückgescheut.

Aber auch hier schien ihm ein unüberwindliches Hindernis im Wege zu stehen. Mahimsasa war wie Açvatthaman im Mahabharatam durch seinen Edelstein geschützt. Freilich trug Açvatthaman seinen wunderkräftigen Stein in die Stirn selbst hineingefügt, wie eben jener Schlangenkönig den Schlangenstein getragen hatte; aber dieser verließ auch seinen jetzigen Besitzer nicht, wenn er auch nur an einem goldenen Stirnreifen befestigt war, und nicht nur feite seine Wunderkraft den Greis gegen Waffen, so daß er hiebfest war wie eine eherne Säule, sondern auch Gift, selbst wenn es durch das Essen beigebracht wurde, konnte dem Körper nichts anhaben, der immer von diesem Diamanten berührt und von seiner geheimnisvollen Kraft durchstrahlt wurde.

*

Kala Rama legte lächelnd das Manuskript auf den Tisch und sagte: – Sie sehen, was für Wunderkräfte damals dem Schlangenstein zugeschrieben wurden. Aber ich fürchte, daß er sie wohl zum größten Teil eingebüßt hat, wie denn auch nur ein schwacher Abglanz seiner Leuchtkraft noch vorhanden ist. Sonst würden wir uns allerdings freuen können, unserem Freunde, Sir Trevelyan, ein solches schützendes Amulett mitgegeben zu haben, wenn er, wie ich hoffe, in ein so wildes Land geht.

– Sir Trevelyan? In ein wildes Land? fragte Amanda verwundert und blickte Kala Rama an mit einem Ausdruck von Bestürzung, die sie nicht sofort zu bändigen vermochte – einem vielsagenden Ausdruck, den der Minister mit seiner Äußerung vielleicht gerade hatte hervorlocken wollen.

– Ja, Amanda weiß ja noch gar nichts davon, sagte der Professor.

– Nach Afghanistan, antwortete der Minister. Die englische Regierung hat ihn beauftragt, eine geheime Mission nach Kabul zu übernehmen.

Und er fing an, mit der größten Genauigkeit die politische Situation und seine Anschauungen darüber auseinanderzusetzen, als ob er zu einem alten Diplomaten anstatt zu einem jungen Mädchen spräche. Freilich hätte auch kein alter Diplomat seinen Ausführungen mit größerer Aufmerksamkeit folgen können, als dies junge Mädchen es tat.


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