Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Elftes Kapitel

Die Zwillingssteine

Kala Rama hielt inne. Er bemerkte, daß der junge Schotte die linke Hand gegen ihn ausstreckte, während er mit der rechten auf Amanda zeigte.

Arthur hatte, nach Art jugendlicher Liebhaber, fast ununterbrochen das Gesicht des angebeteten Mädchens im Auge behalten, und wenn er auch jedes Wort gehört hatte, war er doch noch mehr davon in Anspruch genommen gewesen, die Reflexe des Vernommenen zu beobachten, wie sie in den beweglichen Zügen Amandas ihr Licht- und Schattenspiel trieben, während sie mit atemlosem Interesse die Begebenheiten aufnahm, die der greise Inder mit der Lebendigkeit des orientalischen Erzählers vorüberziehen ließ. Als aber dieser von der Nischeneinrichtung der Stupa sprach, hatte Arthur den Blick nach diesem Bau gewandt, und wie er ihn nun wieder auf Amanda richtete, fiel ihr verändertes Aussehen ihm auf.

Das Gesicht war ausdruckslos, die offenen Augen starrten gerade nach ihm, aber gewiß ohne ihn zu sehen.

Das plötzliche Versiegen des Erzählungsstromes blieb offenbar von dem Mädchen unbemerkt, ebenso das gleichzeitige Aufspringen der drei Männer. Erst als der Vater sie besorgt in seine Arme nahm und sie mit erregten Fragen, ob ihr unwohl sei, bestürmte, kam sie wieder zur Besinnung, strich sich mit der Hand über die Stirn und begegnete dem Blicke Kala Ramas, der sich über sie beugte mit der Sorgfalt eines Arztes, der ein neues und wichtiges Symptom beobachtet.

– O, ich habe nicht geschlafen, keinen Augenblick, rief sie, heftig errötend; denn der Gedanke, man könne glauben, daß sie während dieser Erzählung eingeschlafen sei, machte sie ganz heiß – ich habe alles gehört: wie Amara sich zur Schauung niedersetzte und von den drei Reiherrufen.

– Haben Sie auch gehört, wie der Prinz und der Schlangenzähmer sich um die Stupa herumschlichen? fragte Arthur. – Gehört? – Ich habe sie gesehen, sagte Amanda.

– Mein gutes Kind, du bist übermüdet und erregt; komm, wir wollen nach Hause, meinte der Professor, und kopfschüttelnd befürchtete er, sie hätten doch vielleicht eine Unvorsichtigkeit begangen, als sie mit ihr diesen Nachtausflug unternahmen.

– Ich glaube nicht, daß es unvorsichtig war, sagte Kala Rama – glaube nicht, daß wir Ursache finden werden, es zu bereuen. Und ich bin nicht weniger um Ihre Tochter besorgt, als Sie selber, lieber Professor Sahib, obwohl Sie als Vater mir das nicht glauben werden. Aber allerdings ist es jetzt das Richtigste, daß Sie meine Gondel nehmen und nach Hause fahren, damit Ihre Tochter so bald wie möglich sich recht gründlich ausruhen kann. Ich werde meinen Leuten sagen, daß sie aus Leibeskräften ausgreifen sollen.

– Ach, Exzellenz, sagte Amanda beunruhigt, – daß die armen Leute sich doch nicht meinetwegen überanstrengen!

– Es ist gut und lieb von Ihnen daran zu denken, und Sie rechtfertigen nur dadurch den Namen, womit dieselben armen Leute Sie nennen. Mâdr mihrbân, Mutter der Barmherzigkeit, nennen sie Sie. Aber es wird den Leuten nichts schaden, und sie werden Ihretwegen es gerne tun. Denn Sie wissen es gewiß nicht, aber wir lieben Sie alle, auch jene nackten Parias: hörte ich doch, wie sie vorher im Boote kauernd sich darüber einigten, daß die fremde Memsahib wahrscheinlich eine gute Fee, Mâdr mihrbân, wäre. Nun, über unsere gute Fee müssen wir alle wachen. Kommen Sie, liebes Kind! Nicht wahr, Sie fühlen sich nicht zu schwach?

– O nein, nein, mir ist jetzt ganz wohl, antwortete sie, indem sie die Hand ergriff, die ihr Kala Rama mit einem aufmunternden Lächeln reichte, und sich durch ihre Hilfe erhob.

Aber ihre Knie zitterten, und sie nahm dankbar den Arm an, den Arthur ihr eifrig bot.

Wie gern hätte er sie in seinen starken Armen zur Gondel hingetragen, so wie einst Edmund sie vom Verdeck der Brigg getragen hatte. Denn sein Vetter hatte ihm schon in Kalkutta lachend das kleine Abenteuer ihrer ersten Begegnung erzählt. Wie er jetzt diesen Vetter haßte! Und wie dieser Vetter jenem Schurken von einem Prinzen ähnelte, den die liebliche und edle Amara liebte! War das nicht wie aus der Seele Edmunds gesprochen, wenn der Prinz ausrief: »Wer will mich hindern, wenn ich erst Herr im Lande bin!« Und würde Edmund in der Tat Herr in diesem Lande werden?

– Herr Steel, was ist Ihnen? fragte Amanda, die einen plötzlichen Ruck verspürte.

– Ach verzeihen Sie, Fräulein Eichstädt, ich dachte nur an diesen – wie hieß er doch gleich? – Ajatasattu. –

Amanda sah ihn mit einem fast heimlich forschenden Blick an.

Er lachte etwas gezwungen.

– Es scheint, daß ich nicht viel klüger geworden bin, seitdem ich als siebenjähriger Junge bei meinem ersten Theaterbesuch im Parterre aufsprang und den braven Mann vor dem Schurken warnte.

Sie hatten den kleinen Landungsplatz erreicht. Die Gondel glitt aus ihrem Versteck zwischen den Säulen hervor. Das dadurch bewegte Wasser ließ das Spiegellicht des Mondes aufflackern, und der gelbe Diamant am Kopfe Amandas blinkte, als ob er den See begrüßte.

Arthur hatte längst den glänzenden Stein in dem braunen Haar der Angebeteten bemerkt. Obwohl er ihr sonst alles zwischen Himmel und Erde, was ihr zum Schmuck dienen könnte, gern mit seinem jungen Blut gekauft hätte, wollte ihm doch diese prächtige Zierde keineswegs gefallen, und als sich der Diamant jetzt so aufdringlich bemerkbar machte, verfinsterte sich sein Gesicht.

– Ah – Kala Rama hat Ihnen seinen Edelstein geschenkt, bemerkte er mürrisch.

– Geschenkt? lachte Amanda. – O nein, solchen Stein verschenkt man wohl kaum.

– Ich weiß nicht. Kala Rama scheint diese Gewohnheit zu haben. Hat er doch heute Nachmittag Edmund den Schlangenstein zum Geschenk gemacht.

– Den Schlangenstein? Und ich glaubte ihn zu tragen.

– O nein, dieser ist ein anderer, den er uns auch zeigte, ein Zwillingsstein. Den Schlangenstein hat er Edmund geschenkt, und Ihnen offenbar diesen. Die Steine gehören von alters her zusammen, glaube ich. – Ja, die Steine gehören zusammen, sagte Amanda. Mahimsasa fand sie beide in der Tigerhöhle. Der eine war in den Boden einer Jaspisschale eingefügt, der andere saß in der Stirn des Schlangengottes – wenigstens so sagt die Sage ... Und den letzteren hat er also Edmund gegeben? fügte sie sinnend hinzu und bemerkte gar nicht, daß sie Sir Trevelyan mit seinem Eigennamen genannt habe.

Aber Arthur hörte es sehr wohl.

Zum Glück starrte Amanda gedankenvoll in das blinkende Wasser zu ihren Füßen, so daß sie nicht sah, wie das gequälte Herz ihm das Blut aus den Wangen sog, bis er so blaß wie ein Gespenst neben ihr dastand und mit bebenden Lippen murmelte:

– Er gehört Edmund an, so gewiß wie dieser Ihnen, wenn Sie das Geschenk annehmen wollen.

Amanda besann sich jetzt darauf, daß Kala Rama im Studierzimmer ihres Vaters nach der Vorlesung geäußert hatte, wenn der Schlangenstein noch seine alte schützende Eigenschaft behalten hätte, die er der Sage nach einst besessen, dann wäre es ein Glück für Sir Trevelyan, ein solches Amulett bei sich im wilden Afghanistan zu tragen. Die Bemerkung war zum einen Ohr herein und zum andern wieder hinausgegangen; denn die daran sich knüpfende Nachricht von der afghanistanischen Mission Edmunds hatte ihr Ernsteres zu denken gegeben. Nun fiel es aber auch ihr als seltsam, ja bedeutungsvoll auf, daß der weise Kala Rama diese beiden Steine, die von alters her zusammengehörten, ihm und ihr gegeben habe.

Aber sie lachte diesen Gedanken hinweg mit ihrem unbefangenen Mädchenlachen – wiewohl dasselbe hier nicht so ganz echt war. Denn ohne Arthur anzublicken, bekam sie jetzt eine Ahnung von dem, was sich in seinem Gemüt so stürmisch bewegte.

– Wo denken Sie nur hin, Herr Steel? lachte sie. – Das Geschenk annehmen! Es ist ja nur eine Laune von Seiner Exzellenz. Er wollte bloß sehen, wie der Stein sich dort ausnähme. Aber es ist gut, daß Sie mich daran erinnern, denn ich hatte es in der Tat ganz vergessen. Ach bitte, lösen Sie doch den Diamanten aus meinem Schleier, damit ich ihn Seiner Exzellenz zurückgeben kann.

Sie hätte in diesem Augenblick ihren Ritter um keinen Dienst bitten können, den er ihr lieber geleistet hätte. Wenn auch zu jeder Zeit eine solche intime und dauernde Berührung zwischen seinen Fingerspitzen und dem spinngewebe-feinen, seidenweichen Haar der Geliebten ihm einen elektrischen Wonneschauer durch die Glieder gejagt hätte, so kam nunmehr das erhebende Gefühl hinzu, daß er ein zwischen seinem Vetter und dem lieben Mädchen schon geknüpftes Band wieder auflöse, und die kleine Zofenarbeit machte ihn so rot, wie er vorher blaß geworden war.

Amanda trat auf Kala Rama zu, der den Ruderern seine Anweisungen gab, dankte ihm, daß sie den kostbaren Stein so lange habe tragen dürfen und befestigte denselben mit behenden Fingern an seinem Turban, was der Greis sich denn auch gefallen ließ, indem er ihr nur schmeichelnd versicherte, der Stein müsse ob solcher Degradation vor Gram noch den letzten Rest seiner Leuchtkraft einbüßen.

Einen Augenblick später stand Kala Rama allein auf dem Landungsplatz zwischen den Säulen. Seine linke Hand winkte den Davonfahrenden eine »Glückliche Rückfahrt« zu.

Er sah ihnen lange sinnend nach, bis die Gondel draußen in dem nebeligen Glanze verschwunden war – – und länger. Der Gedanke folgte, wo das Auge nicht mehr reichte... Als er sich endlich wegwandte, drang sein Blick durch die Säulenhallen bis zur Stupa. Der Mond stand schon etwas niedrig, der Platz selbst, die Stufenbasis und der unterste Teil des Kuppelbaues lagen im Schatten der Baumkronen. Aber gerade am untersten Rande der hellen Luftschicht leuchtete etwas auf wie eine große weiße Tulpe: der Turban eines Inders, der neben der Stupa stand.


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