Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Siebentes Kapitel

Der Romal

Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Sir Trevelyan, sagte Kala Rama, sobald die Tür sich hinter dem Professor geschlossen hatte. Er lehnte aber mit einer leichten Handbewegung ab, wieder Platz zu nehmen, und gab durch seine ganze Haltung, trotz aller Verbindlichkeit, deutlich genug zu erkennen, der Sahib möge sich kurz fassen und nur Wichtiges berühren.

Obwohl Edmund kaum umhin konnte, diese Zeichen zu bemerken und richtig zu deuten, schienen sie auf den unverfrorenen Engländer nur wenig Eindruck zu machen.

– Die Frage, fing er im unbefangensten Ton an, um deren willen ich so frei bin, Eure Exzellenz ein wenig zurückzuhalten, betrifft die Thags. Wir stehen ja heute im Zeichen dieser sehr interessanten indischen Ritter des Mondes und der freien Straße. The Delhi Gazette war voll von den Dreißig, die kürzlich in Saugor gehenkt wurden. Sie legten sich selbst den Strick um den Hals und sprangen vom Gerüst herab, um nur ja nicht von einem Paria berührt zu werden und mit Einbuße ihrer Kastenreinheit ins Jenseits zu gehen – ist das nicht bewundernswert! Sich zu denken, daß es professionelle Mörder zu Tausenden gibt, die in einer Brüderschaft organisiert sind, durch mysteriöse Riten verbunden, eine geheime Sprache, nur ihnen verständlich, sprechend, überall, in allen Ständen verteilt, und dabei so eingeweiht, daß, wenn ein Thag aus Himalaya und einer vom Kap Comorin sich begegnen, sie sich beim ersten Blick als die Würger Kalis erkennen – oder übertreibe ich? mir scheint, es geht aus diesem letzten Prozeß deutlich hervor?

– Das ist in der Tat so, Sahib.

– Und ich sage Ihnen, Exzellenz, man würde das in England für ein Märchen halten – in England, wo ich, Gott sei Dank! nicht mehr bin! mein ganzes Wesen zittert vor freudiger Erregung darüber, in einem Wunderland zu sein, wo es noch solche Abenteuer gibt – –

– Ich will nicht sagen, daß die Thags gerade die lobenswerteste Seite Indiens sind.

– O, vom Standpunkt der Behörde freilich nicht! Aber Sie wissen, Exzellenz, daß ich ein Stück von einem Poeten bin, und Sie können sich denken, daß diese Sache meine Phantasie aufs lebhafteste erregt. Ich sehe da einen kapitalen Vorwurf für ein Gedicht à la Thomas Moore – noch besser vielleicht à la Southey – he, Arthur? – das soll mich berühmt machen. Und an wen könnte ich mich nun besser wenden als an Eure Exzellenz, an den Regenten eines unabhängigen Staates? Sie haben gewiß reiche Erfahrungen auf diesem Gebiete sammeln können, und Sie werden mir dieselben nicht vorenthalten? Nicht wahr, es sind doch Thags hier?

Ein flüchtiger Blick genügte, um zu sehen, daß der Minister es seiner Würde nur wenig angemessen finde, wegen einer literarischen Liebhaberei aufgehalten zu werden – und nur einen sehr, sehr flüchtigen Blick erlaubte sich Arthur auf Kala Rama zu werfen. Er schämte sich ein klein wenig, weil sein Vetter die gegenseitige Stellung so unweltmännisch vergaß Etwas Eigentümliches im Stimmklang bei der letzten Frage veranlaßte ihn aber, Edmund anzusehen; ein lauerndes Licht im Blick, ein, wie ihm schien, fast humoristisches Zittern der unteren Gesichtsmuskeln ließ ihn stutzen und machte ihn neugierig, was wohl kommen würde.

– Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, antwortete Kala Rama, aber die Thags haben sich seit langer Zeit hier nicht bemerkbar gemacht. Was aber ihre Sprache betrifft, die Sie soeben erwähnten, so gehört ein Wörterbuch darüber zu den seltensten Schätzen meiner Bibliothek, und ich stelle Ihnen dasselbe sehr gerne zur Verfügung.

– Da bin ich Ihnen unendlich verpflichtet, Exzellenz! Aber freilich, es ist hart, sich mit Büchern begnügen zu müssen, wo einen das frische Leben selbst inspirierend umgeben sollte. Der Dichter der Thags in Indien – und gerade an einer Stelle, wo keine Thags sind – o weh! – da muß ich ja doch meine Koffer packen, denn Sie wissen, Exzellenz, einem Künstler geht sein Werk über alles. Aber wirklich, es ist geradezu eine Schikane: – in den britischen Besitzungen wimmeln sie nur so, ganze Wagenladungen werden wöchentlich zum Gericht in Saugor gebracht – und hier, im echten Indien, keine! – wirklich gar keine?

Wiederum das lauernde Licht im Blick und das humoristische, wenn nicht gar spöttische Lächeln im Mundwinkel und Kinn, das jetzt auch dem Minister auffiel.

– Ich sage nicht, daß es keine Thags hier gibt, Sahib, sondern nur, daß sie sich seit langer Zeit nicht bemerkbar gemacht haben. Vor sieben Jahren verschwand eine Gesellschaft von zwölf Personen – eine kleine Kaufmannskarawane – zwischen hier und Gwalior. Das war jedenfalls das Werk der Thags, ob aber diesseits oder jenseits der Grenze konnte nicht ermittelt werden.

– Und kein einziger entkam?

– O, es ist nicht die Art der Thags, jemand entkommen zu lassen. Dessen hat sich wohl noch niemand rühmen können.

– Niemand? – wirklich? das ist interessant, hochinteressant! Ich glaube sogar gelesen zu haben, daß die Gräber der Opfer oft gegraben sind, noch bevor sie erwürgt werden.

– Das ist wohl so. Jedenfalls ist »der Gräber« eine wichtige Person unter den Thags. Früher war das freilich anders, wenn man der Tradition Glauben schenken will. Denn man erzählt, daß sie ursprünglich gar nicht ihre Opfer begruben, sondern sie liegen ließen, wo sie erwürgt waren, und ihre Göttin Kali, die auf dem Tiger reitet und mit einem Halsband von Totenköpfen geschmückt ist, kam dann und verzehrte die Leichen. Aber einst geschah es, daß ein junger neugieriger Thag sich umsah und beim Mondlicht die schreckliche Kali mitten in ihrem Schmause erblickte, wie sie in jeder Hand einen Leichnam hielt, während ein dritter ihr halbwegs zum Maule heraushing. Darob wurde die Göttin so erbost, daß sie schwur, die Erwürgten nimmermehr fressen zu wollen, bis sie sich erweichen ließ und ihren Dienern zum Einscharren der Toten einen ihrer Zähne gab.

– Vermutlich die Spitzaxt, von der öfters in den Verhören die Rede ist?

– Ja, die Spitzaxt ist ein Symbol jenes Vermächtnisses, und jede Bande führt eine solche. Sie wird auf geheimnisvolle Weise angefertigt, und ihre umständliche Weihe muß vor dem Beginn jeder Expedition wiederholt werden. Der Träger der Axt folgt dem Range nach unmittelbar auf den Anführer; jeden Abend begräbt er sie im Lager an einem gesicherten Orte, und zwar mit der Spitze nach der Richtung, in der die Bande zu wandern beabsichtigt. Ist diese keine günstige, so wendet sich die Axt von selber und zeigt mit der Spitze, wo sie hingehen sollen. In früherer Zeit war übrigens der Gebrauch der, daß man die Axt in einen Brunnen warf, aus dem sie dann von selber in den Schoß des Trägers hinaufstieg. Ein Thag, den ich vor mehr als zwanzig Jahren verhörte, behauptete steif und fest, dies mit eigenen Augen gesehen zu haben, und zwar bei der ersten Expedition, die er als Erwachsener und Eingeweihter mitmachte – denn sie werden ja schon als Knaben mitgenommen. Die Axt habe aber, meinte er, jene Kraft verloren, weil die Thags Verbotenes taten und Vorgeschriebenes vernachlässigten; nur bei einigen Banden in Dekhan, die Kalis Gebote genau befolgten, käme das noch vor. Jener Thag war weit davon entfernt, seine Mordtaten zu bereuen, im Gegenteil, er sah sie als ein frommes Werk an. »Nicht wir haben die Menschen getötet«, sagte er mir, »sondern die Göttin durch unsere Hand; wir sind nichts als willenlose Werkzeuge der Devi. Sind nicht alle Berufsarten uns von der Vorsehung angewiesen?« «Gewiß«, sagte ich, »und mich hat die Vorsehung zum Richter gemacht; nicht ich lasse dich hängen, sondern der Gerechtigkeitsgott durch meine Hand.« Das wären so ein paar Einzelheiten aus meiner eigenen Erfahrung; vielleicht sind sie für Ihre poetischen Zwecke verwendbar.

– O ganz gewiß! ich bin Ihnen unendlich dankbar, Exzellenz! wußte ich doch, daß ich mich nicht vergebens an Sie wenden würde. Die aus dem Brunnen steigende Axt ist kapital! Aber ebenso heilig wie die Spitzaxt ist wohl das geweihte Tuch, womit das Opfer erwürgt wird? Ich gestehe, daß das mir ein ganz besonderes Interesse einflößt – wie nennen sie's doch gleich – ?

– »Der Romal.«

– Ganz recht, der Romal, rief Edmund und notierte sich eifrig den Namen. Haben Sie vielleicht selbst einen solchen gesehen, Exzellenz?

– Einmal, ja. Es war ein einfaches baumwollenes Tuch, etwa einen Fuß breit und vier lang, gelb – es soll aber auch weiß sein können – am einen Ende waren mit weißer Seide einige geheime Zeichen eingenäht, wahrscheinlich bei der Einweihung selber, die in ganz bestimmten Vollmondnächten unter Opferung einer schwarzen Ziege geschieht.

Edmund kratzte schnell noch ein paar Worte aufs Papier und machte sein Notizbuch zu.

– Noch einmal meinen allerherzlichsten Dank, Exzellenz, für diese überaus wertvollen Enthüllungen. Und nun gestatten Sie mir nur, eine kleine, vielleicht nicht ungeziemende Zeremonie zu vollziehen und zugleich Ihnen ein zwar an Wert geringes, aber doch nicht uninteressantes Geschenk zu überreichen. Ich erinnere mich aus den Memoiren meines Großvaters, daß es wenigstens in den nördlichsten Teilen Indiens Sitte ist, daß, wenn ein Niederer sich einem Höheren nähert, er eine kleine, weiße, seidene Schärpe überreicht. Diese ist freilich nicht aus Seide, aber sie kann vielleicht hier Dienst tun.

Er hatte aus seiner Brusttasche ein zusammengeknülltes Tuch genommen, das er jetzt mit beiden Hängen auseinanderzog und dem Minister darbot.

Arthur sprang mit einem unwillkürlichen Ausruf in die Höhe.

Es war ein schmales, langes, baumwollenes Tuch von weißer Farbe. An einem Ende, das über die Hand Edmunds herabhing, waren mit gelber Seide einige mystische Zeichen eingenäht.

Selbst die orientalische Ruhe Kala Ramas erlitt eine vorübergehende Erschütterung.

– Ja, sagte er, nachdem er aufmerksam die Zeichen betrachtet hatte: – das ist ein Romal – kein Zweifel. Darf ich fragen, wie Sie zu diesem seltenen Stück gekommen sind?

– Mit dem besten Recht von der Welt, Exzellenz! denn es war offenbar für meinen Hals bestimmt. Ich weiß nicht, ob unser »schöner Brummel« eine solche Halsbinde nach seinem Geschmack gefunden hätte, obwohl sie groß genug ist und den Vorteil hat, daß man keine zweite braucht.

Diese scherzhafte Bemerkung war für Arthur bestimmt, denn es war kaum anzunehmen, daß der Ruhm des englischen Stutzers und seiner Halstücher bis zu Kala Rama gedrungen sei. Aber die Vorstellung, daß sein Vetter nur mit knapper Not diesen mysteriösen Mördern entkommen sei, brachte Arthur zu sehr außer Fassung, als daß er auch nur das schwächste Lächeln übrig gehabt hätte – zum großen Ärger Edmunds, der nicht gerne, was er für einen hübschen Witz hielt, unter den Tisch fallen sah.

– So sollte ich also wirklich jemand vor mir sehen, der sich rühmen kann, in den Händen der Thags gewesen und ihnen entkommen zu sein, sogar eine solche Trophäe mitbringend? fragte Kala Rama.

– Nicht ganz in ihren Händen, aber doch so ziemlich. Wenn Eure Exzellenz Platz nehmen wollen, werde ich Ihnen den Vorgang genau berichten.

– Ja, da bitt' ich sehr darum, sagte der Minister und setzte sich. Seine feingeschnittenen, schmalen Lippen waren fest zusammengepreßt, der Blick seiner dunklen Augen war gespannt. Es war offenbar, daß dies Auftauchen der Thags, woran die entschiedenen Äußerungen des Engländers ihn kaum mehr zweifeln ließen, ihn überaus peinlich berühre, und daß er entschlossen sei, den Frevel streng zu bestrafen, wenn es möglich wäre, die Täter aufzuspüren.

– Exzellenz kennen gewiß die kleine Tempelruine, die ziemlich hoch oben jenseits des Nullah –

– Ein alter Krishnaschrein, gewiß.

– Nun, ich benützte heute einen Jagdausflug, der mich in diese Richtung führte, um mir das interessante Denkmal anzusehen – allein, wie es ja einem Poeten unter Säulen geziemt. Auf dem Rückweg kam ich über eine kleine Hochebene, wo zwischen großen Steinblöcken nur graue Kapernsträucher, wilde Myrten und Aloen wuchsen.

Kala Rama nickte: die Stelle sei ihm wohl bekannt.

– Hier bemerkte ich, daß ich nicht so einsam sei, als ich es hätte wünschen können. Nackte, braune Gestalten huschten zu beiden Seiten mit verdächtiger, katzenartiger Behendigkeit zwischen Steinen und Gebüsch dahin. Sie blieben unbeweglich verborgen, wenn ich still stand, und wenn ich weiter ging, waren sie wieder da. Ich bin nicht gerade ängstlich von Natur, aber der Gedanke schlug mich, daß diese Inder mir kaum hier als meine Leibwache folgten. Meine Büchse war gespannt, ich überzeugte mich davon, daß Pistole und Dolch bei der Hand waren – –

Kala Rama schüttelte den Kopf: –

– Wenig hätten sie Ihnen genützt.

– Allerdings. Mir half etwas gänzlich Unerwartetes. Wie aus der Erde emporgeschossen, stand plötzlich ein Fremder, ein Inder, wenige Schritte vor mir. Zuerst glaubte ich, es sei der Häuptling dieser Bande. Er redete sie auch mit großer Mündigkeit an, aber heftig und zornig – nicht in Hindi – – mehrmals hörte ich den Laut Bhotani – –

– Den Geheimnamen der Thags für die Göttin Kali, erläuterte Kala Rama.

– Aha, ich dachte mir so etwas. – Nun, als er sie hinlänglich abgekanzelt hatte, schloß er mit einem fulminanten Satz und einer gebieterischen Handbewegung, und die nackten Kerle stoben nach allen Seiten auseinander. Mein Retter redete mich – eine neue Überraschung! – auf Englisch an, und bot sich an, mein Führer durch die Hügel-Dschangeln zu sein, was ich natürlich mit vielen Danksagungen annahm. Wie wir aber weitergehen wollten, bemerkten wir an einem Aloebusch etwas Weißes. Es war jenes Tuch, das an einigen Dornen hängen geblieben war. Aber wie gewaltig muß die rätselhafte Wirkung dieser Persönlichkeit gewesen sein, wenn der Würger entweder gar nicht bemerkte, daß er seinen Romal verlor, oder sich nicht einmal umwenden durfte, um ihn aufzuheben!

Kala Rama nickte nachdenklich: –

– Ist es Ihnen aufgefallen, Sahib, daß wenn der Würger schon den Romal in den Händen hatte – und sonst wäre das Tuch nicht hängen geblieben – dann war es schon der allerletzte Moment. Der Fremde ist um keine Sekunde zu früh gekommen. Was war denn das für ein Mann? und wie sah er aus?

– Ich würde ihn – seiner Kleidung nach – für einen wandernden Yogi halten, und anders kann ich mir auch nicht seinen Einfluß auf die Thags erklären. Sie müssen ihn für einen Heiligen halten, sonst hätten sie wohl uns beiden den Garaus gemacht.

– Es sei denn, daß er selber ein hochgestellter Thag war, und daß er ihren Leichtsinn beschimpfte, bei hellem lichten Tage einen Engländer ermorden zu wollen, dessen Verschwinden in der ganzen Welt Aufsehen erregt hätte und der Sache Bhotanis gerade in diesem Augenblick sehr schädlich gewesen wäre. Er mag ihr Vorhaben so spät erfahren haben, daß er erst an Ort und Stelle die Tat hindern konnte. Das scheint mir sogar die wahrscheinlichste Erklärung zu sein.

Edmund schüttelte den Kopf: –

– Ich kann nicht glauben, daß er ein Thag sei. Professor Eichstädt gegenüber äußerte ich, er sähe aus wie eine Gestalt aus der Vedazeit, wie ein Yajnavalkya. Ich, der ich ihn gesehen habe, kann mir ganz gut vorstellen, daß seine Erscheinung auf so phantastische Gemüter, wie man sich die religiösen Würger wohl vorstellen darf, einen so überwältigenden Einfluß ausüben könne, wie den, der hier sicher eintrat. Niemand, der ihn gesehen, wird seiner je vergessen.

– Sie wecken meine Neugierde, Sahib. Wären Sie nicht imstande, uns sein Äußeres zu schildern?

– Schlecht genug, fürchte ich. Er war ziemlich, wenn auch nicht ganz, von Ihrer Größe, Exzellenz; dunkle Locken fielen ihm auf die Schulter hinunter, und der geteilte Bart in Verbindung mit den regelmäßigen Zügen verlieh ihm etwas von unserem Christustypus. Aber das Auffallendste war für mich der Blick seiner tiefliegenden Augen – vielleicht hat er wie ein Tierbändiger lediglich durch diesen Blick die Thags bezähmt. Mich würde das nicht wundern. Kennen Exzellenz vielleicht jemand hier, auf den die Beschreibung paßt?

– Es kann kein Hiesiger sein.

Kala Rama schüttelte den Kopf, aber ein ganz schwaches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Arthur hatte dies Lächeln sich dort wie ein plötzliches Licht zünden sehen in dem Augenblick, als sein Vetter das rettende Erscheinen des Fremden erwähnte, und hatte bemerkt, wie sein Glanz sich während der Schilderung mehr und mehr über das Gesicht des greisen Ministers verbreitete, um dann in diesen Schlupfwinkel zurückzukehren, wo es fortfuhr, seinen Funken glimmen zu lassen.

»Ich möchte darauf wetten«, dachte er, »daß Kala Rama ganz genau weiß, wer jener Fremde ist, der kein Hiesiger sein kann – wie schlau der Alte der Frage auswich! Und nicht nur das: aus irgendeinem Grunde ist sein unerwartetes Auftauchen ihm höchst willkommen – ganz abgesehen von der Rettung Edmunds« – –

– In dieser Sache ist ein Punkt, sagte Kala Rama und blickte von dem Romal auf, mit dem seine Finger spielten – ein Punkt, der mir ganz unerklärlich bleibt, und der für mich und meine Aufgabe von höchster Wichtigkeit ist. Es ist folgender. Die Thags sind Räuber. Sie sind religiöse Raubtiere, vor allem aber Raubtiere. Das mag mit ein Grund sein, warum fast ausschließlich Inder ihnen zum Opfer fallen: insofern nämlich, als nur Inder mit vielen Gütern umherreisen. Ein anderer Grund ist zweifelsohne der, daß sie das Aufsehen fürchten, welches das Verschwinden eines Europäers erweckt. Nun hätten Sie also gegen die Thags doppelt gefeit sein müssen: einmal als Europäer und dann als einer, der keine Beute verspricht; denn man wird Sie nicht in Verdacht haben, auf der Jagd große Schätze bei sich zu haben. Es muß also ein ganz anderes Motiv dahinter stecken, und zwar ein sehr starkes, um jene Scheu vor dem Europäer zu überwinden. Das Raubtier im Thag kann es nicht sein; kann es der religiöse Fanatiker sein? Ist es möglich, Sahib, daß Sie auf irgendeine Weise – etwa beim Besuch des Kalitempels, gegen religiöse Vorurteile haben verstoßen können?

– Ich glaube nicht, Exzellenz. Allerdings war ich im Kalitempel – es mag ja sein, daß ich angesichts ihrer scheußlichen Majestät nicht hinlänglich erschüttert aussah – aber sonst bin ich mir keiner Profanation bewußt.

Kala Rama wies kopfschüttelnd eine solche Erklärung ab.

– Oder haben Sie sich hier irgendeine private Feindschaft zugezogen? Wenn der Betreffende ein Thag wäre, würde das die Sache erklären.

– Ich wüßte nicht, Exzellenz. Dann muß es wohl doch eher die Göttin sein, deren Zorn ich geweckt habe.

– Mit dem grübelnden Verstand kommen wir hier nicht weiter, sagte Kala Rama. Aber wir haben ja glücklicherweise einen anderen Weg, da uns der Zufall das heilige Werkzeug selbst in die Hand gegeben hat. Es sollte mich wundernehmen, wenn wir nicht mittels des Romals noch in dieser Nacht des Täters habhaft würden. Freilich dürfen wir aber auch keine Zeit mehr verlieren.

Kala Rama erhob sich und führte seine linke Hand an die Stirn.

– Also, Sahib! Ich wünsche Ihnen nach diesem bewegten Tag einen recht angenehmen Abend! Und, noch ein Zug, der mir für Ihre Thagdichtung einfällt: – die Treue der Thagfrauen ist sprichwörtlich in ganz Indien. Mancher Raja könnte in dieser Beziehung jeden Thag beneiden.


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