Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Zweites Kapitel

Der Schlangenstein. Drittes Hauptstück.

Nun, du schwarzer Hund, sagte Ajatasattu mit einem strengen Blick. – Herr! rief der Schlangenzähmer, sich vor ihm niederwerfend, Chranquinchru ist dein Sklav'!

– Begib dich sofort in meinen Palast, gebot der Prinz. Du klopfest am Südtor an – der Pförtner dort weiß Bescheid. Heute Abend sollst du meinen Gasten die Rajanaga zeigen, wie sie zur Flöte tanzt. Der Feldherr – – –

– Mahimsasa – zischte der Schlangenzähmer.

– Wird da sein, nickte der Prinz, in erster Reihe sitzend. Ich lasse dann alle Fackeln entfernen unter dem Vorwand, daß sie die Schlange blenden. Wenn es nun dunkel wird, dann leuchtet in Mahimsasas Stirnband der Schlangenstein hell auf.

Der Schlangenzähmer fuhr halbwegs in die Höhe, als er mit Augen wie glühende Kohlen den Prinzen anstarrte und zischend rief:

– Und Rajanaga beißt ihn tot. Wenn sie den Schlangenstein leuchten sieht, beißt sie den, der ihn trägt, tot. – Doch – wenn nun die Leute deshalb Chranquinchru greifen –?

– Dann bin ich schon Herr im Lande, und ich schwöre dir bei deinen eigenen und bei meinen Göttern: du sollst unbehelligt mit dem Schlangenstein heimkehren.

Wieder warf der Schlangenzähmer sich platt vor ihm nieder und küßte seinen Fuß.

– Rajanaga ist dein Sklav', Chranquinchru ist dein Sklav'!

– Gut. Nun spute dich!

Der Schlangenzähmer ergriff den Korb, den er von sich gestellt hatte und mit den unsteten Bewegungen eines wilden Hundes schlich er im Schatten des Palastes davon.

Ajatasattu ging schon den Stufen seines Palastes zu, als ein leises Geräusch hinter ihm ihn veranlaßte, sich umzusehen. Amara hatte sich heruntergeschwungen und stand vor ihm, ihn mit einem unaussprechlichen Ausdruck anstarrend. Unwillkürlich suchte der Blick des Prinzen die Nische hinter ihr, die er jetzt leer fand, während er sich doch eines Heiligenbildes dort erinnerte.

Er verstand.

– Amara, du hast gehört!

– Weh mir, rief Amara, was hab' ich hören müssen! Ach, schon hatte dich die Sinneslust zum häßlichsten Verbrechen verleitet; doch nun ziehen Haß und Machtgier dich in die tiefsten Höllen hinunter – Ein Mord – und welch ein Mord! – ein edler Greis, geliebt und hochgeachtet von allen, und dein eigener Gast.

– Ich tu' es ungern und nicht aus Haß, antwortete der Prinz, ihren Blick scheuend – aber er muß fort, er steht mir im Wege.

– Dir nicht, nur dem Verbrechen, das du vorhast und das schon schwarz genug ist, so aber, durch solche verruchte Bluttat, ins Ungeheuere wächst. Bedenke doch, Unseliger, was du auf dich ladest! Bedenke – und schaudere – wie du selber in zukünftigen Leben immer wieder durch Verrat umkommen wirst, bis diese Greueltat ausgesühnt ist.

– Dir scheint das zwar schrecklich – mir nicht.

– Nicht dir? fragte Amara verständnislos.

– Gewiß nicht, denn ich will ja leben, immer wieder will ich leben. So muß ich auch immer wieder sterben, denke ich, – was liegt daran, ob durch Verrat; wenn es schnell geschieht, und nicht durch faules Siechtum, dann um so besser.

– Ach Verblendeter, habe doch Mitleid mit dir selber, flehte Amara. Wie schrecklich ist der Gedanke, immer wieder zu leben, immer wieder sündigend zu leben, die böse Tat auszusäen, um elend zu sterben und neugeboren zu ernten, was man gesät – und erntend säen, um wieder zu ernten – – unendlich – – Wie kannst du den Gedanken nur ertragen?

– Ertragen? lachte der Prinz übermütig, er gefällt mir.

– O scherze nicht so frevelhaft! mahnte das Mädchen.

– Gefallen, sage ich? nein, er berauscht mich. Der Schmerzensdorn stachelt mir nur die Lust auf – was sollte mir schmerzlose Wonnedauer? welche Liebe zum Leben wäre die, die nur eine solche begehrte?

– So liebe denn nicht mehr das Leben, dieweil es von uns nicht Liebe verdient.

– Du bist noch ein Mägdelein, Amara, der Liebeskunst unkundig. Doch hast du wohl schon vom Nagelmal gehört, womit sich Liebende verwunden, dem Siegel Kamas, das den jungen Leib zum Eigentum des Minnegottes stempelt, wie der gemalte Stirnstrich Civas Diener kennzeichnet.

Mit einem schnellen Griff entblößte er seine linke Schulter, die durch tiefe Narben entstellt war.

– Wohlan, rief er, schau her, Amara! sieh hier das Nagelmal, das mir das Leben tief in das Fleisch gedrückt hat, im feurigsten Umarmungsrausch – mich so auf immer als seinen Eigenhold zeichnend.

Entsetzt wandte Amara sich ab und bedeckte unwillkürlich ihre Augen mit den Händen.

– Barmherzige Götter, welche Wunde! – wie schrecklich!

– Ich ging allein in die Dschangeln, den Waldeskönig zu bestehen. Laut brüllend warf der Tiger sich über mich. Sein Fell liegt drinnen vor meinem Lager. Diese Narben trage ich von ihm bis in den Tod.

– Und dann?

– Dann mögen – wie sie ja sagen – die Fäden Karmas es so fügen, daß der Mut, der mich beseelt, seine Brust mit jenem braun- und golden-gestreiften Prachtpelz deckt, und wildgewordene Kraft sich mit scharfbekrallten Pranken waffnet: Lust soll es mir sein, einsam in Waldesgründen zu schweifen, aller Kreaturen Schreck. Dann nahe sich auch der Jäger – ein Prinz, wie ich jetzt einer bin – denn wer sonst hätte wohl das Herz dazu? Wieder entbrenne der Kampf! Aber er wird dann mit dem Tod des Jägers enden – denn ich bin zum Sieg geboren.

– Weh, rief Amara, wie tief bist du in den Lebenswillen verstrickt, wie unabsehbar lang ist dein Leidensweg!

– Unendlich sei er, wie mein Streben es ist! rief Ajatasattu frohlockend. Mögen müde Seelen sich eine ewige Ruhe ersehnen, ich bin stark genug. Ihr Götter, gebt mir das lust- und leiderfüllte Leben, die Sünde gebt mir, die sich ewig neu gebärt! Mich schrecken nicht Gefahren, nicht der Tod; und von der Macht, die mir schon zum Greifen nahe ist, lasse ich nicht ab.

– Du mußt, sagte Amara mit festem Blick.

– Muß? fragte Ajatasattu.

– Ja. Denn die Götter, die du so frevelnd anrufst, haben dich aus Mitleid betört, so daß du meinen Ohren unfreiwillig dein furchtbares Geheimnis anvertrauen mußtest.

– Ja – sagte der Prinz mit einem finsteren Blick, – und wärst du eine andere, wahrlich, Mädchen, du lebtest jetzt nicht mehr, um mich daran zu mahnen. Nein, zittere nicht –

– Ich zittere nicht für mich, nur für dich, weil du so Sünde auf Sünde häufst.

– Ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe; wenn du dies bezweifelt hast, dann hast du hier den Beweis: du lebst noch, denn dich kann ich ja nicht töten.

– Eben darum auch haben die Götter mich dazu erkoren, dein Hindernis und deine Rettung zu sein.

– Sie wählten weise, sagte der Prinz in bitterem Ton und starrte vor sich nieder. Und je finsterer sein Blick wurde, um so leuchtender wurde das freudige Hoffnungslächeln in den Zügen Amaras.

Plötzlich warf der Prinz seinen Kopf zurück und lachte wild auf.

– Frohlocke nicht zu früh – noch bin ich frei! Und er zog sein Schwert.

– Was blickst du mich so wild an? warum ziehst du das Schwert?

– Um den Knoten zu zerhauen, den die Geburt mir schlecht, in matter Sternenstunde geschürzt hat. Dich kann ich zwar nicht töten, wohl aber mich selbst.

Amara wich bestürzt zurück.

– Dich töten!

– Lieber will ich sterben, als so schmählich aufgeben, was ich fast vollendet sah.

– Nein, nein, jammerte Amara, das darf, das kann nicht sein.

– Willst du es verhüten, so schwöre mir, dies mein Geheimnis treu in deinem stummen Herzen zu bewahren und auf keine Weise Mahimsasa zu warnen.

– Wie könnte ich das geloben? Was verlangst du von mir?

– O, ich verlange nichts. Zittere ich denn? Erflehe ich wohl mein Leben von dir? Doch an dir liegt es: du siehst mich sterben, Mädchen, oder schwörst!

– Du flehst nicht, sagst du? Nein – doch ich tu es, rief Amara, und warf sich vor ihm nieder. O Ajatasattu! sieh mich zu deinen Füßen, höre mich! Ach hab' Erbarmen mit dir selbst, sei nicht dein eigener Henker für und für!

– Steh auf, Amara! Wie kannst du dich vergebens so um mich erregen?

– Nicht vergebens, o sage das nicht!

– Um mich, den schlechtesten der Männer.

– Du bist es nicht, Ajatasattu. O lerne dich besser kennen. Glaube an dich selbst, wie ich es tue.

»Sie liebt mich,« dachte Ajatasattu. »Nimmermehr bringt sie es über das Herz, mich in den Tod zu jagen.« Und indem er sich die Spitze des Schwertes vor die Brust setzte, rief er dem verzweifelten Mädchen zu:

– Schwöre oder – –

In schrecklicher Verwirrung starrte Amara ihn an. »Er führt es aus – weh mir, wenn ich nicht schwöre, führt er's aus – und doch, wie kann ich schwören? Ach, was soll ich tun? Will mir kein Gott in meiner Not beistehen?«

Da zeigte der Prinz auf das leuchtende Bild in der Nische der Stupa.

– Bei dem Vollendeten selbst mußt du mir schwören, bei dem Buddha, wie ihn dein Vater unter dem Bobaum abgebildet hat, als er in jener Schreckensnacht die Erde anrief zum Zeugen seiner guten Taten in den vergangenen Leben.

Da Amara diese Worte vernahm, ergriff sie ein plötzlicher, schrecklich-schöner Gedanke, dessen Abglanz auf ihrem Gesichte sofort sichtbar wurde, so daß der Prinz sie verwirrt und seltsam ergriffen anblickte.

Amara aber dachte, während sie mit frohem Blick das in überirdischer Ruhe lächelnde Gesicht des Buddhabildes betrachtete: »Den Buddha selbst soll ich zum Zeugen anrufen, ihn, der uns in so manchem Leben Selbstaufopferung gezeigt hat, wie sie ja erzählen, daß er selbst als Tier, im wilden Forst geboren, voll Treue und Liebe sein Leben zur Rettung der Gefährten hingab.«

»Was beschließt sie wohl«, dachte Ajatasattu, »so leichenblaß? und doch leuchtet ein übermenschlicher Glanz aus ihren Zügen?«

Und Amara wandte sich, mit einer entschlossenen Bewegung an den Prinzen.

– Wohlan, Ajatasattu, so höre mich an! Ich nehme den Vollendeten zum Zeugen des Eides. Möge seine heilige Lehre, die leidenvernichtende, die beseligende, mir nie mehr zuteil werden, weder in diesem noch in zukünftigen Leben, möge ich immer unerlöst der Wandelwelt des Lebens angehören, immer wiedergeboren wandern, wenn ich meinen Eid breche!

Unwillkürlich trat der Prinz zurück und streckte seine Hand wie abwehrend aus.

– Welch fürchterlicher Eid!

– Scheint er dir furchtbar? fragte Amara. Und doch sagtest du ja selbst, daß du leben wolltest – und immer wieder leben.

– Ich? – Ja, ich bin stark, antwortete der Prinz, nicht ohne Verwirrung, ich halte vieles aus, du aber – ich weiß nicht ... Mich schauderte, als ich deinen Eid vernahm.

– Aber ich will ihn ja nicht brechen.

– Nein, das wirst du nicht. O Amara, was hast du getan? Die du mit einem Fuße schon im Heiligtum standest – wahrlich, das tut nur die Liebe. Leugne sie nicht, jauchzte er, sie liegt am Tag! Und er zog das zitternde Mädchen leidenschaftlich an seine Brust. Und jetzt ist keine Rede mehr von Nonnentum, jetzt bist du mein!

– Bis in den bitteren Tod, flüsterte Amara mit bebenden Lippen.

– Ja, doch durch ein Leben, das wonniglich von meiner Liebe versüßt wird, von meiner Liebe, die mit herrischer Macht über alle Herrlichkeiten gebietet, um sie dir zu Füßen zu legen ... Doch die Zeit eilt, und noch ist vieles zu tun. Lebe wohl, du Einzige!

Er drückte einen langen Kuß auf ihre Lippen und ging schnell in seinen Palast hinein.

Amara hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt und bemerkte nicht, daß Isidasi sich vom Mangohaine näherte. Als sie endlich aufblickte, stand die Nonne vor ihr, sie besorgt und prüfend anblickend.

– O Mutter, rief Amara in tiefster Beschämung. Ach was mußt du von mir denken? Aber verdamme mich nicht ganz und gar!

– Nicht zu verdammen, zu verstehen bin ich da, lautete die ruhige Antwort Isidasis.

– Ach, du kannst mich unmöglich verstehen. – Nicht jetzt wenigstens! – Und ich – ich Ärmste, ich kann es dir ja nicht sagen. O wie erbärmlich leicht und wankelmütig muß mein Herz dir scheinen, hin- und herschwankend wie ein Schilfrohr im Winde.

– In solchem Sturm zerbrach wohl längst ein Schilf. – Ein leichtes, schwankendes Herz, das seh ich nicht – doch auch nicht eins, in das der Frieden zieht.

– Du bist ja die Herzenskennerin, weinte Amara, o, so siehst du gewiß auch, daß ich in den Orden nicht eintreten kann. Die Welt hält mich zurück – doch wahrlich nicht mit ihrer Lust – o glaube das nicht! Mich zehrt nicht Sehnsucht, Hoffnung lockt mich nicht – Hoffnung – ihr Götter! Nicht das Leben ist es ja, dem ich mich weihe.

– Weihst du dich dem Tode, so weihst du dich auch dem Leben, denn nur das Tor des Lebens ist der Tod.

– Ich weiß, o ich weiß es, seufzte Amara. – Durch diesen finsteren Torweg geht es in das nächste Leben hinein. Und dort winkt Hoffnung, doch sie lockt mich nicht, nein, wahrlich nicht! Ach, könnte ich dir doch alles vertrauen, dürfte ich doch mein bedrängtes Herz in deinen Busen rückhaltlos ausschütten, wie sich der Wildbach in den klaren Gebirgssee stürzt, daß ich doch wenigstens deinen Segen als Amulett mitnehmen könnte! Aber ach, noch stärker als das Siegel des Todes ist dasjenige, womit ich selber mir die Lippen verschloß. So muß ich denn allein den schweren Weg wandern.

– Doch nicht allein genug, sagte Isidasi in ernstem, trauerndem Ton.

Amara blickte sie überrascht an.

– Wie meinst du das? O so wähnst du, daß er mich überredet habe? – – –

– Ich wähne nichts, mein Wähnen ist zu Ende. Doch das sehe ich jetzt wohl ein: ich war nicht weise vorher, als ich dir den Spruch als Geleite zur Selbstvertiefung gab.

– Und warum nicht weise?

– Einen anderen Spruch hätte ich wählen müssen, und zwar diesen: »Dein eigenes Heil gib nimmer auf um fremdes noch so großes Heil.«

Betroffen trat Amara einen Schritt zurück.

– Um fremdes?

– So sagt' ich, denn so heißt es.

– Wie meinst du das? Mein eigenes Heil aufgeben, Isidasi, wie könnt ich das?

– Sieh zu, daß du es nicht tust.

– O nein, nein, denn so habe ich ja gehört: Als unser Herr und Meister unter dem Bobaum sich den großen Sieg errungen hatte und ewiger Erleuchtung teilhaft geworden war, da trat Mara, der Böse, der Versucher, an ihn heran und sagte: »Möge der Erhabene in das Nirvana eingehen, jetzo ist es Zeit für den Erhabenen in das Nirvana einzugehen.« Jedoch der Herr sprach zu ihm: »Gib die Hoffnung auf, du Böser, denn wohl erkenne ich dich. Nicht eher gehe ich in jenes höchste der Gefilde ein, bis ich mir nicht erworben habe Hörer des Worts, weise und tugendhafte, die der Welt die Lehre künden werden. Nicht gehe ich ins Nirvana ein, du Böser, solange nicht der gequälten Menschheit durch die Erlösungsbotschaft eines Buddha das Tor der Ewigkeit geöffnet steht.« Da zitterte das All von seinen tiefsten Höllenwurzeln bis in den blühenden Himmelsgipfel Brahmas vor freudiger Erwartung. Erstanden war ja ein Welterlöser, ein allerhöchster Buddha: sich selbst rettend, rettete er andere.

– Er hatte sich gerettet, hatte sich die selige Gewißheit errungen, nur die letzte Frucht, die ihm schon unverlierbar zu eigen war, ließ er noch unberührt, aus Mitleid mit den Wesen.

– Ja, aus Mitleid – wiederholte Amara tiefinnig.

Isidasi aber legte eine milde, warnende Hand auf ihre Schulter.

– Mein gutes Kind, hüte du dich nun, daß nicht die Anhänglichkeit am Dasein in solcher frommen Vermummung dich listig verführt, dich von dem nächsten Schritt des Pfades seitwärts lockt und dich immer tiefer in den Wahn verstrickt. Im Schaudern schaffe heil dein Herz! Denn wer schaudernd die Unendlichkeit des Leidens überblickt, die sicher seiner wartet, der hat genug zu tun, um sich selbst zu retten. Die Enge seiner Angst läßt ihm nicht Raum für üppige Regungen, die in die Weite schweifen, wo noch das Nächste zu tun ist.

– Wohl hat mein Herz geschaudert, antwortete Amara, aber nicht um mich allein und nicht am meisten um mich. Es hat geschaudert heute wie noch nie zuvor.

Und zurücktretend, die gefalteten Hände gegen die Nonne ausstreckend, fragte sie mit einem plötzlichen Ausbruch:

– Ach Isidasi, hast auch du je geliebt?

– Ich liebte, was vergänglich war, antwortete die Nonne – vergänglich wie ihr Gegenstand war jene Liebe. Und auch diese Liebe, die mich mit allen Wesen, die da leiden, noch mitleidend verknüpft – auch die ist vergänglich, wie diese Wesen sind und wie alles ist. Nur eines ist unvergänglich und unerschütterlich: das Verwehen alles Wahnes im Nirvana.

Mit betrübtem Kopfschütteln antwortete Amara:

– Du tadelst mich, weil ich den geraden Weg zum Ziel verlassen will, den ich schon betreten hatte; – weil ich ihn verlassen zu müssen glaube.

Isidasi blickte das Mädchen eine Weile prüfend und sinnend an, dann sprach sie:

– Mein Kind! Amara! höre mich an: Unendlich weit, selbst dem Geistesauge im Nebeldunkel der Vorzeit entschwindend, erstreckt sich hinter dir die Spur deiner Schritte. Unendlich auch durch ungezählte Weltgezeiten führt die Bahn, die dein Fuß noch zu treten hat. Vor dir wie hinter dir: Unendlichkeit. Nun kannst du sagen: »Da ich schon unendlich weit gewandelt bin, weit genug fürwahr, um unbefriedigt von der Wanderung zu sein und ihre Eitelkeit einzusehen, was Eiligeres kann ich denn zu tun haben, als dieser müden Fahrt ein Ende zu machen und aus der Unendlichkeit mich in den Schoß der Ewigkeit zu retten?« Du kannst auch sagen: »Da mir unendliche Zukunft zu eigen ist, warum mich denn übernehmen? warum durch einen gar zu dreisten Sprung vielleicht meinen Fuß verstauchen, so daß ich nicht weiter kann? Darum Schritt für Schritt, gemach und besonnen, und lieber einen kleinen Umweg gehen als sich in der Übereilung zu viel zumuten.« Beides ist wahr. Ein jeder muß selbst wählen. Doch wenn du mich um Rat fragst –

– Ich frage nicht – unterbrach Amara sie –. Um Rat frage ich nicht mehr – verzeihe mir – denn ich muß.

– So ist es recht, sagte Isidasi. Wandle den Weg mit festem Fuß, wo er auch hinführt, dein Ziel im Auge behaltend, mit wachem Geiste, niemals schwärmerisch und traumhaft schweifend, und du wirst nicht straucheln ... Ich habe mir ja gedacht, fügte sie mit einem leisen Seufzer hinzu, daß wir beide zusammen pilgern würden; und ich freute mich, mit schützender Erfahrung deine Jugend leiten zu können auf dem wohlgeebneten Heilspfade, der unter deinen Füßen blühen würde. Ja oft – so dachte ich mir's – wenn die Abendkühle Frieden atmend auf die Landschaft sank, würden wir, am Fuße eines Bobaumes, dessen Blätter lispelnd uns zu lauschen schienen, traulich sitzend, in die tiefsten Tiefen der Lehre zusammen niedersteigen, wo der kühlste, kristallklare Wahrheitsborn quillt und uns schon mit Ewigkeitsgeschmack labt. So dachte ich mir. Es war geträumt, wohl gar geschwärmt – – sei's drum! – – Vom Traum erwachend seh ich jetzt, wie du dich auf fremden Pfaden entfernst, die sich bald in dunklem Schicksalsdickicht verlieren, wo dir kaum noch die Ahnung folgen kann, nur mein Vertrauen, das keiner Schranken achtet.

Schluchzend warf sich Amara an ihre Brust:

– O Mutter! deine treue Liebe taut mir die Seele auf, die in eisigem Entsetzen erstarrt. Laß mich an deiner Brust weinen.

– Ja weine, Kind, und meine Tränen sollen sich auch nicht schämen, sich mit den deinigen zu vermischen. Solche Tränen stärken, sie schwächen nicht – auch ist es zum letztenmal – das fühle ich.

– Mehr als Mutter bist du mir, seufzte Amara, denn deinen edlen, wahrheitshellen Worten verdanke ich ja meine geistige Geburt, meine Geburt zum Leben, nicht, wie jene andere, zum Tod. Und daß diese vielgeliebten Worte jetzt sich nicht in ihrer Strenge gegen mich mit scharfer Rüge wenden, ja wohl gar mich verstoßen, wie ich fürchtete, – daß sie mir noch so liebend das verheißende Geleit geben, o wie danke ich dir dies! So gehe ich denn nicht allein. Und jetzt, nicht wahr, willst du mich auch mit deinem Segen stärken.

– Ich will es, denn ich kann es, antwortete Isidasi. Und die Hand auf ihren Kopf legend, sprach sie:

– So segne ich dich im Namen des Erhabenen, im Namen der Lehre und im Namen unseres Ordens. So gehe denn, mein geliebtes Töchterlein, wohin dein Geist dich führt, und sei getrost, säe deine Tat und ernte ihre Frucht. Denn was ein Wesen Gutes je getan, das bleibt ihm unverloren in Zeit und Raum.

Isidasi entfernte sich langsam durch den Baumgang, der als Verlängerung jenes von der Stadt kommenden nach dem Seeufer führte, wo sie in der ärmlichen Hütte eines Fährmannes ein Werk der Barmherzigkeit zu verrichten hatte, bevor sie dies Fest besuchte, vor dem es ihr innerlich jetzt doppelt graute. Sie hatte den Besuch des Königs bei der neu errichteten Vihara im Nonnenheim nicht unbenutzt gelassen, sondern den guten Herrscher eindringlich vor einem bei diesem Fest bevorstehenden Verrat gewarnt, jedoch vergebens, wie sie es in der Tat kaum anders erwartet hatte, da sie die Gesinnung Naradas kannte. Es gezieme ihm besser, sagte er, durch Verrat ums Leben zu kommen, als durch Verdacht seinem Bruder Unrecht zu tun. Da sie nun gar nichts Handgreifliches hatte, womit sie diese Warnung begründen konnte; da ihr Verdacht, obwohl er mehr Gewißheit als Verdacht war, doch nur auf der augenblicklichen Intuition beruhte, die ihr, als Ajatasattu sie mit schmeichelnden Mienen und Worten zu seinem Feste einlud, warnend zuflüsterte: bei diesem Feste hat dieser Mann Verrat und Mord im Sinn (was sie gerade veranlaßte, die Einladung anzunehmen): – so hatte sie gar kein Mittel den Fürsten zu überzeugen, daß er nicht die Gefahr liefe, seinem Bruder Unrecht zu tun. Und nun war die Sache mit Amara hinzugekommen. Sie trat vom Orden zurück, aber nicht um sich mit dem Prinzen zu vereinigen, nicht um des Lebens willen. Was bedeutete das? Was war das für ein Siegel, stärker als das des Todes, womit sie selbst ihre Lippen gebunden hatte? So unmöglich es war, das liebliche und fromme Mädchen mit Verrat und Verbrechen in Verbindung zu setzen, so konnte Isidasi doch nicht umhin, hier einen Zusammenhang zu ahnen, der furchtbarer war, als ihre Gedanken sich denken konnten. Und auch hier war sie in die Bande der Ohnmacht geschlagen.

So ging sie denn ihres Weges schwereren Herzens denn je – schwereren Herzens, in der Tat, als es sich für eine Buddha-Nonne ziemte, die im Rufe der Heiligkeit stand.

Gestärkt durch ihre Worte und doch bis zum Tode betrübt, sah Amara ihr nach.

Die Sonne stand schon niedrig, und die dunkelvioletten Schatten der Baumstämme lagen in regelmäßigen Streifen quer über dem goldigen Wege. Es schien Amara, daß die Nonne eine unendliche Leiter hinanschwebte, die sie auf immer von ihr hinwegführen müsse. Während sie mit solchen wehmütigen Gedanken Isidasi nachblickte, bemerkte sie nicht, daß von dem Mangohaine der Nonnen her sich der Hof nahte, bis das Fürstenpaar schon neben ihr stand und Mahamaya die sich jetzt tief Verneigende mit huldreicher Miene ansprach:

– Nun du schwärmerische Seele, sei nur getrost und schaue nicht der Nonne so sehnsuchtsvoll nach! Du darfst ihr ja folgen. Ja dein Wunsch ist dir gewährt, ich habe es dir erwirkt.

– Ich danke dir herzlich, Fürstin, antwortete Amara befangen, aber –. Ihre Stimme stockte, sie schien nach Worten zu suchen.

– Nun? fragte Mahamaya verwundert.

Aber ihr Vater, dessen Wesen man seine starke Bewegung wohl anmerkte, hatte schon Amara in seine Arme genommen.

– Mein einziges, herzgeliebtes Kind! fern sei es von mir, deinem Seelenheil im Wege stehen zu wollen. Es wird ja zwar nun einsam für mich werden, aber wenn dein Herz so mächtig spricht – –

– Nein, Vater, nein – unterbrach Amara ihn – ich bin zu einem anderen Entschluß gekommen.

– Was sagst du? rief Baku. Verstehe ich dich recht: du bleibst bei mir? du gehst nicht fort?

Die Freude des Vaters hatte Amara auf das Schmerzlichste berührt, und vollends die letzten Worte, die wiederholte Frage: »du gehst nicht fort?« brachte sie den Tränen nahe. Ausweichend und zögernd sagte sie:

– Ich – ich trete jetzt nicht in den Orden der Schwestern ein. Außer sich vor Freude drückte der glückliche Vater das Mädchen an seine Brust und küßte sie.

– Wie segne ich dich, wie danke ich dir, du Gute! Mit einem Wort gibst du mir das Glück wieder.

Aber Amara machte sich sofort frei von seiner Umarmung, und mit einem fast verzweifelnden, von einer stehenden Gebärde unterstützten Blick sagte sie:

– Ach, sage das nicht, Vater, – das nicht! –

– Wie sollte ich denn das nicht sagen! rief Baku und wandte sich an Narada und Mahimsasa, die auch schon ihre Teilnahme bekundeten.

– Hört ihr's? Sie bleibt bei uns, sie bleibt im Vaterhaus!

– Ach Vater, sagte Amara mit gebrochener Stimme, was bin ich doch, daß mein Bleiben dir das Glück bedeuten könne? Deine hehre Kunst ist es, die dir das Glück bringt, und die verläßt dich nie.

– Ja ja, die Kunst, das weiß ich besser, Kind, die ist eine gar launische Gebieterin, die uns auch viel Mühe und Kummer schafft. Und gar den Alten kehrt sie gern den Rücken und wendet sich den Jungen zu. Doch von dir habe ich nur Freude erlebt. Und du sollst auch bei mir nicht die frommen Schwestern vermissen; sie gehen ja doch schon aus und ein in unserem Hause. Tagtäglich werde ich von jetzt ab Reis für hundert Nonnen bereiten lassen.

Mahamaya, die zur Seite stand und das Mädchen mit einem finsteren Blick betrachtete, bemerkte jetzt mit einem argwöhnischen Ton:

– Prinz Ajatasattu war da – vielleicht hat er durch seine Beredsamkeit diese Wendung hervorgebracht.

– Der Prinz? stammelte Amara, o nein. Wie sollte denn – der Prinz – –?

Ihre große Verwirrung war offenbar. Um ihr zu Hilfe zu kommen, sagte Fürst Narada:

– O wenn er das getan hätte, dann wären wir ihm wahrlich zu Dank verpflichtet. Denn das ist ja so unsere schwache Art: Obwohl wir wissen, daß das wahre Heil in der Entsagung liegt, klagen wir doch immer, wenn von unseren Lieben jemand diesen Weg betritt, anstatt uns darüber zu freuen.

– Auch denke ich, mein Fürst, sprach Mahimsasa, daß unsere fromme Amara, selbst wenn sie in der Häuslichkeit verbleibt und weißgekleidet, Wünsche genießend, lebt – auch so das ewige Ziel erreichen wird, zwar bedächtigen Schrittes, doch unaufhaltsam.

– So ist es, Feldherr, nickte der Fürst mit beifälligem Lächeln.

– Die Sonne neigt sich schon dem Untergange zu, sagte Mahamaya. Gewiß erwartet dein Bruder uns nun bald.

– Nun, dann wollen wir ihn nicht länger warten lassen, entgegnete ihr Gemahl.

Und das Fürstenpaar begab sich mit seinem Gefolge in den Palast.

Die beiden Brüder und das Mädchen blieben allein auf dem Stupaplatz zurück.

– Du gehst ja doch nicht mit zum Fest, mein Kind? fragte Baku.

– O doch, Vater, ich werde mitgehen. Ich bitte dich, gehe und sage den Dienerinnen, daß sie mir die schönsten Stoffe zurechtlegen und den reichsten Schmuck hervorsuchen. Gehe voraus, lieber Vater, denn ich habe etwas hier mit dem Oheim zu besprechen.

– Mit mir? fragte Mahimsasa freudig überrascht.

– Ja, ein Geheimnis.

– Wohl ein Scherz, vermutete Baku. Du gutes Kind, wie bist du plötzlich so ganz verändert!

Amara schien seine Worte kaum zu hören; sie stand abseits in Gedanken verloren, und flüsternd wandte Baku sich an seinen Bruder:

– Es ist die Liebe, glaube mir; sie will gern dem Prinzen behagen, deshalb will sie sich besonders schmücken.

– Wie? dem Prinzen? fragte Mahimsasa peinlich überrascht.

Baku nickte wohlgefällig.

– O, ich habe es schon längst erraten, und mir scheint auch, daß Ajatasattu in seinem Wesen ihr gegenüber – ja wie soll ich sagen – – es könnte wohl sein, daß binnen kurzem der ihr von ihrem Karma vorgeschriebene Weg sie nicht in das Kloster, sondern in einen Palast führt, der nicht gar zu weit entfernt ist.

– Da seien die Götter vor! rief Mahimsasa in großer Bestürzung. Stirnrunzelnd und kopfschüttelnd fügte er hinzu: – Mir gefiel der Prinz von jeher nicht, und nun gar als Gatte des lieben Kindes – –

– Nun es ist wahr, gab Baku zu, da du es sagst, kann ich es auch nicht leugnen, – der Prinz hat etwas – Wildes – möchte ich es nennen, etwas Unheimliches, und er ähnelt nur wenig seinem Bruder, dem milden, kunstverständigen Narada, den alle Götter schützen mögen! Aber er zeigt doch auch manchmal edlere Art, und wenn Amara ihn liebt, ist er gewiß kein schlechter Mann. Auch hat er sich jetzt zur Lehre bekannt.

– Ja und recht plötzlich hat er sich bekannt, sagte Mahimsasa mit einem Ausdruck des Zweifels.

– Ja, lieber Bruder, wollte ihn Baku beruhigen, das ist nun manchmal so mit solchen übermächtigen Naturen, wie er mir eine zu sein scheint. O glaube mir, wir Künstler verstehen das schon eher. Und auf das Buddhabild der Stupa zeigend, fügte er mit sichtbarer Selbstgefälligkeit hinzu: Er sagte ja selber, daß der Anblick dieses Bildes in ihm seine bessere Natur geweckt habe. O welch erhebendes Bewußtsein ist das für mich, welche wundersame Bürgschaft, daß meiner Hände Werk mir geraten ist, – und auch vielleicht eine Bürgschaft dafür – –

Aber Mahimsasa legte die Hand auf die Schulter des Bruders und unterbrach seine hoffnungsvolle Rede:

– Das Bild ist dir geraten. Nun laß es aber nicht ein Wegweiser werden, um durch deine Eitelkeit dein Urteil zu bestechen, wo das Wohl der besten Tochter auf dem Spiele steht.

– Du magst Recht haben, antwortete Baku nach kurzem Bedenken. Immer warst du mir doch voraus in Weisheit wie im Alter, Bruder. Ich werde, deiner Warnung eingedenk, mit offenem Sinne und Auge über sie wachen, denn Liebe träumt, und was sie träumt, ist nicht immer Wahrtraum. Und mit den an Amara gerichteten Worten: Ja liebe Tochter, ich will mich beeilen, damit du den ganzen Staat bereits vorfindest, entfernte er sich.

– Nun, liebes Kind, fragte der Feldherr, was ist es also, was du mir zu sagen hast?

– Erst sage mir, Oheim, bist du denn wirklich froh, weil ich nicht Nonne werde?

– Ja. Ich fühlte mich recht betrübt, daß ich es gestehe. Der Fürst hat das ja so wahr gesagt: wir sind gar töricht.

– So willst du mir sicherlich heute auch gern eine Freude bereiten.

– Von Herzen gerne. – Es war schon lange mein Wunsch, fing Amara schüchtern an, jenen Stein zu tragen, den du in deinem Stirnband hast.

– Den Schlangenstein?

– Ja, der im Dunklen leuchtet – und gerade heute beim Fest – –

Schmunzelnd unterbrach sie der greise Feldherr:

– Nun ich muß sagen, es ist leichter, die Bewegung des vierfach aufgestellten Feindesheeres vorauszusehen, als die Sinnesschwenkung einer jungen Maid, die sich vor Frömmigkeit das Haar abscheren lassen will und im nächsten Augenblick nur dafür Gedanken hat, in dieselben Locken den schönsten Edelstein einzuflechten.

Aber mit einschmeichelndem Lächeln antwortete das Mädchen, indem sie ihm das Kinn streichelte:

– Und leichter ist es für so einen tapferen Oheim ein vierfach aufgestelltes Feindesheer: Fußvolk, Reiter, Wagen und Elefanten, ganz in die Flucht zu jagen, als mir diese kleine Bitte zu verweigern.

– Wie sie zu schmeicheln weiß, lachte Mahimsasa. Doch: »kleine Bitte!« Weißt du denn auch Kind, seitdem ich diesen leuchtenden Stein in finsterer Tempelgrotte dem Schlangenkönig entnahm, hat er mich keinen Augenblick verlassen.

– O du willst nur die Bitte so groß erscheinen lassen, damit die Gabe eine recht große wird, spöttelte das Mädchen, und es ist doch nur ein Darlehen. Du solltest dich recht schämen, so damit zu geizen.

– Nur Geduld, Kleine, du sollst heute Nacht den Stein tragen.

– Ich danke dir! rief Amara und umarmte ihn heftig.

– Bin ich nun ein guter Oheim?

– O du wirst mich wahrlich nicht undankbar finden. Nun mußt du aber auch einen anderen Stein in dein Stirnband setzen. Hast du nicht einen, der ihm so ähnlich sieht, daß er die Leute täuschen kann?

– Allerdings habe ich einen solchen Stein, Kind, und zwar im innersten Verschluß meiner Schatzkammer, und niemand weiß darum. Du siehst, nicht einmal dir habe ich ihn gezeigt. Er ist aber dem Schlangenstein so ähnlich, daß wohl keiner die beiden unterscheiden kann, und er kommt auch aus derselben Höhle. Dort war er in jene Jaspiskumme eingefaßt, von der ich dir schon erzählt habe – es war die Opferschale, in die der Priester die Hirnschalen der Kinder legte, und jener Schlangenkönig kam dorthin und fraß sie aus. Nachdem ich nun diesen erlegt und aus seinem Kopf den Schlangenstein genommen hatte, zerschmetterte ich auf meinem Rückweg die Jaspiskumme mit meiner eisernen Keule. Da sprang dieser Stein heraus und rollte mir vor die Füße. Ich hob ihn auf, und als ich seine große Ähnlichkeit mit dem Schlangenstein gewahrte, steckte ich ihn ein; wußte ich doch nicht, welche köstlichen Eigenschaften er vielleicht, gleich jenem, besitzen möchte. Ich fand jedoch, daß er nicht, wie jener von selber im Dunkeln leuchtete, und auch seine wunderbarste Eigenschaft, den Träger gegen Waffen und Gift zu feien, wird er kaum besitzen. Um so mehr hielt ich nun aber den Stein geheim. Denn ich dachte mir, daß, wenn mir der Schlangenstein gestohlen werden oder sonstwie verloren gehen sollte, dann könne dieser an seine Stelle treten und vielleicht gleichen Dienst tun. Denn in dieser Welt, mein Kind, wirken die Dinge nicht so sehr nach ihrer inneren Tugend, wie nach dem, wofür sie die Toren halten. In tiefer Nacht freilich würde er sich verraten, da er, wie gesagt, nicht von selber leuchtet.

Triumphierend rief Amara:

– Wenn es dunkelt, zeigt es sich, wer von uns beiden den rechten Schlangenstein an der Stirn trägt.

– Wie das dich freut, du Schelm, lachte Mahimsasa. Aber sei dessen nicht so gewiß! Denn bei dem vielfachen Schein der Lampen und der Fackeln eines solchen glänzenden Festes wird eine solche Dunkelheit wohl gar nicht eintreten. Aber laß uns jetzt gehen, damit es nicht zu spät werde.

Vom Mangohain her ertönte in diesem Augenblick der Chor der Nonnen. Amara lauschte und drückte sich zitternd an den Oheim fest.

– Nein, nein, ich muß erst meine Abendandacht hier vor dem Buddhabilde üben. Sieh doch, wie es im letzten Sonnenschein glänzt, und horch! wie feierlich sie drüben hinter den hohen Wipfeln im stillen Mangohain singen. Ach Oheim, es klingt, als riefen mich die lieben Nonnen, mich, ihre verlorene Schwester. Mir wird so weh, so bang ...

– Was fällt dir ein, mein Kind? Du, verloren?

– Liebster, bester Oheim, ich bitte dich, laß mich allein! Das Herz schmilzt mir von überirdischem Weh. – Dann ergieße es im Gebet. Sieh, ich gehe schon. Und zu Hause soll bei dem Putz auch der Stein nicht fehlen.

Mit eifriger Bewegung hielt Amara ihn fest:

– Ja, der Stein, vergiß ihn ja nicht! und verwechsle ihn nicht, sonst grolle ich dir.

Mahimsasa beugte sich hinunter, so daß Amaras Augen in gleicher Höhe mit seiner Stirn waren.

– Blicke nur her, Kind! an diesem winzigen Ritz links oben im Stein kannst du dich überzeugen, daß es der echte ist. Denn er rührt noch von dem Schwerthieb her, womit ich den Kopf des Kobrakönigs vom Körper trennte. Bist du nun beruhigt?

– O mein Herz ist voll von Dank und Liebe. Und nun küsse mich, Oheim, wie du es so oft tatest, als ich ganz klein war, wenn ich auf deinem Schoße saß, weißt du noch? da hab' ich dich auch so lange geplagt, bis du dein Stirnband abnahmst und mir den Stein zum Spielen gabst – wie heute wieder.

Bei diesen Worten überschlich den Feldherrn jener grausige Schatten des Tigerrachens, jene schreckliche Ahnung, daß eine tödliche Gefahr Amara bedrohe, die ihn immer befallen hatte, wenn er das kleine Mädchen mit dem Schlangenstein spielen sah.

– Alle guten Mächte mögen dich beschützen! sprach er leise, als er sie geküßt hatte und legte seine Hand auf ihren Kopf.

Mahimsasa ging mit schnellen Schritten den Baumgang hinunter nach seinem Palast, blieb aber bald stehen und blickte zurück. Und wie er Amara dort vor dem Buddhabilde stehen sah, in die einfachen Falten des gelben Mantels gehüllt, dessen Seide in den letzten Sonnenstrahlen wie eitel Gold leuchtete, traten ihm die Tränen in die Augen. Da leuchtete die Gestalt noch mehr, bis ein flimmerndes Netz von Goldlicht sie wie eine Glorie umgab. Und Mahimsasa murmelte, indem er sich zum Weitergehen wandte:

»Halb spielend Kind, halb sündenlose Nonne –
So ist sie meines Lebens Abendsonne!«

Und er entfernte sich schweren Schrittes. –

Amara lauschte unbeweglich dem Gesang der Nonnen, und ihre Lippen wiederholten die Worte, deren kristallene Töne hinüberwehten:

Jenseits vom trüben Todesmeer –
Vom ewig heiteren Gestade, da stammen diese Töne her.

Dann seufzte sie plötzlich tief auf, rang die Hände und warf sich vor dem Buddhabilde nieder. Und ihre Gefühle ergossen sich in ein lautes Gebet:

Vollendeter, der du im Leibe Nirvanas Wonne atmend schon, Zu dieser Welt zurück dich wandtest, verzichtend auf gewonnenen Lohn, Um uns die Wahrheit zu verkünden, die wir in Sünden irren hier: – O sieh, was deinem großen Herzen die ganze Welt, ist dieser mir. Um ihn zu retten, muß ich meiden den Port, der sicher öffnet sich; Von seinem ruhigen Gewässer wie tönet jetzt so wonniglich Gesang Erretteter hinüber zu mir, die ich in Angst und Not Dem wilden Wogenschwall entgegen nun lenke mein zerbrechlich Boot, Ja in den offenen Todesrachen mich willig werfe, ohne Scheu! O, möge doch bei diesem Anblick sein Herz, erfüllt von bittrer Reu, Vom Sündenwege ab sich wenden, und, aufgeschreckt, die Sinnenlust, Die leidensäende, auf immer entfliehen der geheilten Brust! Doch laß mich nicht nach solchem Opfer zum Tatenlohn erstehen dann In hohen Himmels Wonnestätte, wo er mich nicht erreichen kann, Weil ihn die Erde zu sich ziehet! sondern wo er ist, sei mein Ort! Einander immer wieder findend – mögen wir beide fort und fort Zusammen pilgern, so durchkreuzend die weite Wüste der Natur, Bis recht geläutert, lustentronnen, nicht leidend selbst, mitleidend nur, Den buntgewobenen Schleier Mayas zerreißend einst gemeinsamlich Ins ewige Licht empor wir tauchen, vereint, dort wo kein du und ich!


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