Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Zweites Kapitel

Der Kobrastein

Das Geräusch, das so unvermutet die Vorlesung unterbrach, war sonderbar zusammengemischt aus Trippeln von winzigen Pfötchen, Rascheln wie von dürren Blättern und Stampfen von eilig laufenden und wohlversohlten, keineswegs »eingeborenen« Menschenfüßen – alles schnell sich nähernd, erst auf dem Kies und dann treppauf, wobei der raschelnde Laut einen hemmenden, widerstandleistenden Charakter annahm, während eine jugendliche Mannsstimme zwischen Lachen und Drohen fortwährend »Garuda! Garuda!« rief.

Wer nun bei diesem Namen an den mythischen Greifen, Vishnus Vogel, dachte, wie er am Aufstieg zu der Raja-Burg in einer Nische ausgehauen war, auf einem Schlangendämon thronend, der sich im Todeskampfe unter seinen Krallen wand, der würde im Zweifel sein, ob dieser Ruf dem Wesen gelten könnte, das jetzt auf der Veranda erschien und sofort in das Zimmer hereinhüpfte.

Es war dies ein kleines Tier mit Ähnlichkeiten nach verschiedenen Richtungen: ein Etwas zwischen Eichhörnchen, Katze und Ratte. In seinem spitzschnauzigen Kopfe glühte ein Paar kleiner roter Augen und glänzten die winzigen scharfen Zähne. Sein sehr beweglicher Schwanz, der sich jetzt steif in die Höhe streckte, wurde nach der Wurzel zu breiter, so daß er fast unmerkbar in den stark entwickelten, dickpelzigen Hinterteil überging. Der Pelz war goldigbraun; um die Mitte des Leibes spannte sich ein hellerer Gürtel. Wesentlicher als irgendein äußeres Merkmal war aber der unglaubliche Eifer, der alle Bewegungen des Tierchens von der Schwanzspitze bis zur Schnauze prägte: es schien der personifiziere Tatendrang zu sein, der Wille zu allem Möglichen – ausgenommen zum Davonlaufen.

Wenn aber auch dieser kleine Kerl nicht in anderen Beziehungen an seinen geflügelten göttlichen Namensvetter erinnerte, so war doch ein nicht unwesentlicher Ähnlichkeitspunkt vorhanden. Zwar thronte er nicht auf einem Schlangendämon – (das »Thronen« schien ihm nicht sehr zu liegen), wohl aber hatte er eine wirkliche Schlange unter sich, in deren Nacken seine winzigen Zähne festsaßen und deren über vier Fuß langen Körper er offenbar mit Mühe die Stufen heraufgeschleppt hatte.

In dem Augenblick, als das Tierchen mit seiner Beute die Schwelle erreicht hatte, erschien, wie aus der Kanone geschossen, ein blonder Jüngling, dem der große Panamahut gerade vom Kopfe flog, indem er sein letztes »Garuda« ausrief und die Hand ausstreckte, um den Mungos zu hindern, in das Zimmer zu hüpfen. Aber Garuda ließ seine Beute im Stich und schlüpfte durch seine Hände.

Amanda war mit einem lauten Schrei aufgesprungen; blaß und zitternd hatte sie sich in eine Ecke des Zimmers gedrückt und starrte mit wilden Augen bald auf die regungslos liegen gebliebene Schlange, bald auf den Mungos, der vor ihr umhertanzte, mit allen vier Beinen auf einmal in die Höhe hüpfend, als ob die kleinen Pfötchen mit selbstwirkenden Sprungfedern versehen waren. Dabei stieß er erst kleine Schreie aus, von einem schnurrigen, wilden und kriegerischen Klange, ging aber bald in ein klagliches Wimmern über, als ob er sich bitterlich beklagte, daß seine Tat nicht mehr geschätzt würde, und daß er von seiner Herrin einen ganz anderen Empfang bekäme, als er sich erwartet hatte. Dann nahm Garuda den Saum ihres Kleides zwischen die spitzen Zähnchen. Als aber sofort ein Zittern den ganzen Körper des Mädchens schüttelte und sie offenbar, anstatt ihm zu folgen, noch weiter zurückgewichen wäre, wenn der Raum das erlaubt hätte, ließ Garuda wieder locker und tanzte nach der Schwelle zurück, machte jedoch auf dem halben Wege wieder kehrt, schrie wilder und winselte kläglicher denn zuvor, während alle Haare seines Pelzes sich sträubten, als ob sie nach allen Seiten abfliegen wollten – und gebärdete sich überhaupt als der lächerlichste Schlangentöter, der je diese Erde zum Schauplatz seiner Taten gemacht hat.

Und doch lachte niemand.

Professor Eichstädt hatte sich etwas bestürzt erhoben, und, die Hand auf den Tisch stützend, betrachtete er die Schlange, die in ihrer ganzen Länge auf der Schwelle lag, und deren schlaffe Hautfalten am Nacken, wo das Brillenzeichen gerade noch zu erkennen war, dessen hellbraune Schuppen dort mit bronzenem Glänze schillerten.

Der Jüngling wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn und betrachtete mit einem schuldbeladenen Blick das vor Angst erstarrte Mädchen. Er kannte ja ihre ganz übertriebene Angst vor Schlangen – eine Angst, die etwas Rätselhaftes, ja sogar Unheimliches an sich hatte, als ob sie auf einer Ahnung beruhte. Gerade diese Angst hatte ihn ja auf die Idee gebracht, dieses Tierchen – ein Ichneumon aller Ichneumone – zu erstehen (um wie teures Geld wußte niemand) und es Amanda zu ihrem Geburtstag zu schenken, damit das Mädchen immer eine Schutzwache bei sich hätte; und dieser Einfall war auch von Glück gekrönt worden. Amanda und Garuda liebten sich, als ob die gemeinschaftliche Antipathie gegen das Schlangengezücht, die triebartig in ihnen wirkte, sie beide durch eine ebenso unwiderstehliche Sympathie verbände. Besonders schien Garuda seine Lebensaufgabe in ihrem Dienste keinen Augenblick zu vergessen und war an sie gebunden wie ein Attribut-Tier an seine Göttin. Heute hatte er freilich sein Meisterstück gemacht. Aber mit Schrecken hatte Arthur von weitem gesehen, wie Garuda im Rausche seines Triumphes sich nicht genug tun konnte, bevor er nicht das getötete Ungeheuer zu Füßen seiner Herrin niedergelegt hatte.

Arthur hatte sein möglichstes getan, um ihr dies Entsetzen zu ersparen, – und nun war es doch geschehen, und das liebe Mädchen stand blaß und zitternd da, als ob sie umsinken müßte.

So fuhr er sich denn mit den Händen in sein kurzes, sandfarbiges Haar, bis es sich mit dem Pelz Garudas um die Wette sträubte, und sah sich um mit einem so drolligen Ausdruck von Schuldbewußtsein, daß er gewiß Amanda zum Lachen gebracht hätte, wenn er nicht gerade in diesem Augenblick eine Bewegung gemacht hätte, um über die Schwelle zu treten.

O do'nt, do'nt, Mr. Steel! rief das Mädchen, die Hand beschwörend gegen ihn ausstreckend.

Arthur stand festgebannt. Er blickte Amanda und ihren Vater fragend an, da er nicht begriff, welches neue Versehen er zu begehen im Begriff sei, und warum er nicht in das Zimmer gehen dürfe, wo die beiden sich aufhielten.

– Junger Freund, sagte der Professor, jene stumme Frage beantwortend, – machen Sie es nicht umgekehrt wie die Nichtwissenden, die laut dem Veda einen hingeworfenen Strick für eine Schlange und die Welt des Scheines für Wirklichkeit halten.

– O, die Kobra meinen Sie? lachte Arthur. – Die ist so tot wie ein Hering.

Und mit der Spitze seines Schuhes rollte er kaltblütig den Schlangenleib um, so daß die silbernen Bauchschienen zum Vorschein kamen.

Wenn die Schlange aber auch so tot wie ein gesalzener Hering war, so schützte dieser Zustand sie doch nicht gegen ihren Erbfeind. Mit einem Wutschrei, als ob zehn Is in ein einziges zusammengepreßt wären, stürzte Garuda sich über sie, schlug seine bissigen Fangen in jene wunden, schlaffen Nackenfalten, die sich noch vor kurzem schirmartig ausgespannt hatten, und schüttelte ingrimmig den häßlichen Kopf hin und her, als ob die unfreiwillige Bewegung des Schlangenkörpers ihm den Verdacht eingegeben hätte, es sei doch noch irgendein Körnchen giftiges Leben in der Kobra zurückgeblieben, das nun aber auch heraus müsse.

Was aber herausgeschüttelt wurde, klang materiell und hart genug, als es über die Dielen rollte.

Arthur schlug die Hände zusammen.

– Ein Kobrastein!

– Nicht möglich! Sie scherzen! rief der Professor.

Aber dabei sprang er auf, als ob ihm die Sache sehr ernst wäre.

Amanda kam jetzt aus dem Bann ihrer Furcht heraus und trat neugierig näher. Garuda aber begrüßte diese Annäherung mit einem kleinen freudevollen Schrei, sprang auf sie zu und kletterte an ihrem Rock in die Höhe und das Mädchen, dem es schon leid tat, daß ihr Liebling durch ihre törichte Angst um sein wohlverdientes Lob gekommen war, nahm ihn in die Arme, sprach ihm zärtlich zu und streichelte sein weiches Fell, das heftige physische Unbehagen bezwingend, das die Berührung dieser Haare hervorrief, welche kurz vorher die Schuppen des Schlangenleibes gestreift hatten.

Mit dem Tierchen auf der Schulter neigte sie sich über den Tisch.

Es war ein gar unansehnliches Ding, das jetzt der Gegenstand der gespanntesten Aufmerksamkeit von vier Augenpaaren war: die steingrauen Augen des Jünglings, die bebrillten des Professors, die klaren olivenbraunen des Mädchens und die rotglühenden stecknadelkopfgroßen Garudas – alle starrten sie unverwandt das Ding an, das dem letzteren wohl als das steinerne Herz des Ungetüms vorkommen mochte, das er herausgeschüttelt hatte, während es nicht leicht einzusehen war, was die anderen daran fanden.

Es war ein winziger Stein, wie eine kleine Bohne, glatt und oval, halb durchsichtig, von blasser, gelbgrüner Farbe. Anscheinend ein gewöhnlicher Kieselstein.

– So ist es denn wirklich wahr, rief der Professor, es ist kein loses Volksgerede – es gibt Schlangensteine! Wenn ich es aber nicht mit eigenen Augen gesehen hätte – –!

– O, ich wußte schon, daß es solche gibt, Professor Eichstädt, sagte Arthur; ich hatte selbst schon einen gesehen – und richtig gesehen – so zählt das nicht, Sie müssen den Stein in der Nacht sehen, wenn er leuchtet.

– Das tut er also auch?

– Und davon haben Sie uns noch gar nichts erzählt! sagte Amanda mit vorwurfsvollem Blick.

– Erzählt? O, ich hoffte doch so sicher, Ihnen morgen einen selbsterworbenen Schlangenstein überreichen zu können; und nun ist mir der Knirps doch zuvorgekommen.

Er lachte halb ärgerlich und tippte neckisch Garuda auf die spitze Schnauze. Das Tierchen beantwortete diese Aufmerksamkeit mit einer Mischung von Quieken und Knurren, als ob es nicht recht wüßte, ob es beleidigt oder belustigt sein sollte.

– Morgen, Mr. Steel? fragte Amanda, wie hatten Sie denn Aussicht dazu?

– Weil heute Nacht meine Expedition wohl nicht so erfolglos geblieben wäre, wie die gestrige es leider war.

– Junger Mann, sagte der Professor, Sie sind doch nicht gar so unvorsichtig gewesen, nachts umherzulaufen, zumal an Orten, wo sich die Kobras aufhalten?

Er schüttelte seinen Kopf verweisend und ließ sich wieder in den bequemen, sesselförmigen Bambusstuhl sinken.

Auch die anderen setzten sich – Garuda auf den Tisch, am Ellenbogen seiner Herrin.

– Ich muß gestehen, daß ich so unvorsichtig war, sagte Arthur lächelnd. Mein sehnliches Verlangen nach einem solchen Stein hatte ich dem Man Roy mitgeteilt und ihm einige Rupien eingehändigt, mit dem Versprechen, mehrere folgen zu lassen, wenn das Abenteuer gelänge. Gestern vormittag teilte er mir mit, daß es ihm gelungen sei, eine steintragende Kobra zu erspähen. In der Dämmerstunde begaben wir uns nun beide nach den kleinen Dschangeln, die ein paar Meilen jenseits der Stadt liegen. Es war völlig dunkel, als wir am Orte waren. Nur wenige Schritte von einem großen Baumstamme kauerten wir im Schutze einiger Büsche nieder und warteten dort fast bewegungslos wohl eine reichliche Stunde. Der Mond war jetzt aufgegangen und warf sein scharfes Licht in das Blätterdunkel hinein. Plötzlich hörten wir es rascheln – und richtig: dort zwischen den Wurzeln des Stammes war die Kobra. Im Grase vor ihr aber leuchtete etwas wie ein Glühwürmchen. Ich hatte sie nicht kommen sehen, jetzt aber sah ich ganz deutlich, wie sie sich aufrichtete, die Haube blähte und sich langsam seitwärts bewegte, genau so, wie wenn ein Schlangenzähmer durch das Flötenspiel sein Tier tanzen läßt. Es sah aus, als bete sie den leuchtenden Stein an, und bei Gott! in dem Augenblick hätte ich allen Märchen geglaubt, die man von diesen wunderlichen Tieren erzählt.

– Aber den Stein, den bekamen Sie nicht? fragte Amanda fast atemlos.

– Das war ja mein Unglück, oder meine Ungeschicklichkeit. Ich hatte meine Büchse neben mich gelegt, aber nicht fürsorglich genug, so daß ein leichtes Geräusch entstand, als ich sie ergriff. Ein schnelles, aufgescheuchtes Rascheln, und ach – die Kobra war verschwunden, und hatte, was das Schlimmste war, ihr Schätzlein mit sich genommen. Meine Enttäuschung war unbeschreiblich, aber Man Roy tröstete mich – er habe gestern auch noch eine andere steintragende Kobra entdeckt an einem ebensolchen Baum in denselben Dschangeln. Dieser wollten wir eben heute abend nachstellen, und der schlaue Hindu hat sich etwas ausgedacht, das kaum fehlschlagen kann.

– Und warum sind Sie denn so eifrig danach, eines solchen Steines habhaft zu werden? fragte Amanda.

– Teils, weil Sie vor einigen Wochen den Wunsch aussprachen, einen Schlangenstein zu besitzen, von dem Sie mit Sicherheit wüßten, daß eine Kobra ihn wirklich mit sich herumgeführt habe.

Amanda errötete über diese naive Huldigung des jungen Mannes, der übrigens auch rot wurde, und dadurch nicht gerade die Situation freier machte.

– Nur »teils«? – hoffentlich haben Sie einen vernünftigeren Grund gehabt, um sich einer solchen Gefahr auszusetzen, entgegnete Amanda und erschauerte sichtlich bei dem Gedanken an eine Nacht in den von Kobras wimmelnden Dschangeln.

– Nun, das Phänomen ist in der Tat interessant, bemerkte der Professor, – und verdient wohl, gut konstatiert und genau untersucht zu werden.

– Vielleicht ist naturwissenschaftliches Interesse auch ein kleines »teils« für mich gewesen, sagte Arthur, aber mein eigentlicher Beweggrund war doch ein anderer und auch ein tieferer als der ritterliche, einen Wunsch meiner Dame zu erfüllen. Er ist in der Tat nichts anderes als die mystische Angst, die Sie vor Schlangen haben.

– Eine mystische oder gar mythische, scherzte Amanda, denn sie stammt wohl von dem Paradiese her. Scheint sie doch allen Menschen gemeinsam zu sein.

– O, keineswegs. Bei mir ist sie fast gar nicht vorhanden – so wenig, daß ich Ihre Angst nicht einmal verstehen kann. Hingegen mein Vetter – ja vor einigen Tagen begegneten wir einem Schlangenzähmer, der uns seine Künste vormachen wollte, aber kaum hatte er seinen kleinen Korb auf die Erde gestellt und seine Dudelei angestimmt, da fing Edmund an zu zittern und wurde totenblaß, so daß ich schnell dem Kerl eine Rupie zuwarf und ihn gehen ließ. »Ich wollte mich zwingen, es zu sehen«, sagte Edmund, »aber ich konnte nicht – es ist stärker als ich.«

– Ist es möglich, rief Amanda erregt, auch Sir Trevelyan geht es so!

– Das scheint Sie ja recht zu freuen, bemerkte Arthur in einem Ton, der scherzend sein sollte, während er doch eher heraushören ließ, daß es ihm leid täte, durch seine Unempfindlichkeit ihr gleichsam ferner zu stehen als sein Vetter es tat.

– Nun, dann brauche ich mich doch nicht zu sehr dieser Schwäche zu schämen.

– O, was das angeht, das ist ja gerade das Merkwürdige, das Rätselhafte. Wenn es sich um eine gewöhnliche, ängstliche junge Dame handelte, – aber gerade Sie, die Sie so mutig sind, wie nicht viele Frauen.

– Ich? mutig! –

Amanda lachte laut auf, so putzig kam ihr der Gedanke vor.

– Ja, das wollt' ich meinen! Saß ich vielleicht nicht neben Ihnen im Howdah und sah Sie in den offenen Rachen eines Tigers hineinschauen, der fünf Fuß oder so von Ihnen entfernt war – und haben Sie vielleicht geschrieen oder Krämpfe bekommen? Sie waren ganz ruhig nachher.

– O, das dürfen Sie gar nicht rechnen, Herr Steel. Das kam eben so plötzlich. Niemand dachte daran, daß schon ein Tiger in der Nähe sei.

– Ich wenigstens nicht. Sie waren es, die mich auf eine Wellenbewegung im Gras aufmerksam machten.

– Jawohl, aber ich dachte am wenigsten daran, daß es ein Tiger sein könnte, und da saß er schon oben auf dem Kopf des Elefanten, o wie seine Krallen sich in die weichen Fleischkissen zwischen den Ohren des armen Tieres hineinbohrten! Und ich mußte mich mit allen Kräften an den Howdah festklammern, um nicht herausgeschleudert zu werden – da lag auch schon das Ungetüm unten im Grase, und alle Büchsen knallten. Es war ja gar keine Zeit da zum Angstwerden.

Arthur lachte.

– O, ich kenne Leute genug, die dazu Zeit gefunden hätten. Und Sie haben sich auch nicht lange bedacht, als Garuda jetzt mit der Schlange kam. Und wie war es damals mit dem Piratenschiff? Da war doch Zeit genug?

Der Professor machte eine bedenkliche Miene.

– Ja, das Piratenschiff, das war eine böse Geschichte – mein Gott, wenn ich daran denke!

– Und da wäre ich nicht ängstlich gewesen?

– Sie waren wenigstens die einzige Dame, die nicht unten in der Kajüte lag, das Gesicht in den Kissen und die Finger in den Ohren. Die Selbstbeherrschung und der Mut, die Sie damals an den Tag legten, hat meinem Vetter ganz imponiert – o, wie beneide ich ihn, daß er an Ihrer Seite war, daß es ihm vergönnt war – –

Ja, aber Herr Steel, wich Amanda behende aus, Sie haben uns ja gar nicht erklärt, wie meine Angst vor Schlangen Sie veranlaßte, nach einem Kobrastein zu fahnden.

– Sehr richtig bemerkt, rief der Professor aus, zu dessen deutschen Gelehrteneigentümlichkeiten es gehörte, daß es ihm ein Ärgernis und Abscheu war, wenn ein Gespräch unberechenbare Sprünge machte, anstatt sich bedachtsam von Punkt zu Punkt zu bewegen und in gerader logischer Linie auf das Ziel loszusteuern.

– Sehen Sie nur, auf welche Abwege wir geraten sind! setzte er dozierend fort: – zu Elefanten, Tigern und Piraten! Lieber, junger Freund! es tut mir leid, es sagen zu müssen, aber einmal muß ich diese nicht unwesentliche Bemerkung machen: ich bewundere zwar bei Ihnen einen gewissen Flug der Phantasie, der einem Jüngling gut steht. Aber eines vermisse ich nur zu oft: die Logik! – bei Ihnen, einem Landsmann von Thomas Reid! – Wie nun gerade hier: welcher Art nun auch diese Angst vor Schlangen sein mag, die meine Tochter allerdings in einem auffallenden Grade hat, so kann dieselbe doch unmöglich für Sie ein Motiv werden, um in Nacht und Nebel nach einem Kobrastein umherzulaufen.

– Unmöglich? Aber Herr Professor, Sie erkennen doch den Satz an: ab esse ad posse valet consequentia.

– Selbstverständlich, aber –

– Und jene Angst war mein Beweggrund. Denn ich sah in ihr die Ahnung von einer Gefahr, die einmal Ihrer Tochter durch den Biß einer Kobra drohen mag.

– Da haben wir den Schotten! Ahnung, second sight!

Professor Eichstädt ärgerte sich so sehr darüber, daß dies irrationelle Element ihm jetzt plötzlich in die Quere kam, daß er gar nicht bemerkte, wie wenig der Zusammenhang noch geklärt sei. Bevor er dies nachholen konnte, hatte aber Amanda, die etwas blässer geworden war, das fehlende Glied ergänzt:

– Kann denn solch ein Stein dem Gift entgegenwirken?

– Ja, das ist es gerade, was man behauptet. Man sagt, daß er, wenn er auf die frische Wunde gelegt wird, das Gift in sich aufsauge oder sonst auf irgendeine Weise die Wirkung abschwäche. Man Roy schwört darauf. Er sagt, daß alle Schlangenzähmer so einen Stein bei sich führen, und so dacht' ich denn – –

– Ja, da müssen Sie aber auch Ihrem Vetter einen solchen Stein verschaffen, meinte der Professor. – Denn Sie müssen konsequent sein. Wenn es bei meiner Tochter auf Ahnung beruht, so muß es auch bei Sir Trevelyan eine Ahnung sein. –

– O, der mag sich selber einen suchen, antwortete Arthur mit vetterlicher Gleichgültigkeit. – Pst! Hören Sie nicht Stimmen?

– Ja, ich glaube wirklich – –

– Nun jedenfalls soll er keine Kobra auf seiner Schwelle finden. Das wäre denn doch ein zu schlechtes »Willkommen« ... Garuda!

Arthur hatte einen Stock, der in einer Ecke lehnte, ergriffen und hob damit die tote Schlange vom Boden empor, bevor Garuda, der sofort vom Tisch gesprungen war, seine Beute erwischen konnte. Auf die Veranda hinaustretend, ließ er das erregte Tierchen einen Augenblick zappeln, indem er den auf dem Stocke balanzierenden Schlangenleib hob und senkte, bis er ihn dann in einem großen Bogen auf den Gartenrasen hinüberschleuderte.

Dann wandte er sich zu den Kommenden, deren Stimmen plötzlich ganz nahe erschollen und ebenso laut klangen, wie ihre Schritte lautlos waren.


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