Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Zwölftes Kapitel

Im Zeichen des zunehmenden Mondes

Kind, wachst du? Es ist spät – Zierde des Palastes! höre –!

Die Worte schienen von keinen Menschenlippen geflüstert, sondern von den tauigen Blättern gelispelt zu werden.

Die Rani erhob den Kopf, wie mit Beschwer, und lauschte.

Von weit, weit her klang es wie ein grollendes Gewitter; nur tönte der Donner nicht vom Himmelsgewölbe herunter, sondern schien den Erdboden entlang durch das Gras zu rollen.

– Schon gut, Ayah! ich komme.

Sie beugte sich vor und flüsterte in die dunkelste Blätternacht hinein – flüsterte und summte in einem lullenden Singsangton, wie wohl eine Mutter zu ihrem Kindlein spricht:

– Erwache, mein Eber! Lausche – lausche den Zornesausbrüchen des hungrigen Tigers, der von einer beutelosen Jagd nach seinem Lager zurückschleicht! ... Alle Tiere der Dschangeln wissen jetzt: die Nacht geht zur Neige, bald schreit der Schakal zum drittenmal. Der Tiger kehrt nach seiner Höhle zurück – mein Eber muß in seine Behausung zurückkehren... Lasse dich nicht vom gar zu leuchtenden, gar zu brennenden Tagesstern unterwegs antreffen! Das Herz eines Mungos, mit Koraka- und Tumbifrüchten gebraten und mit den alten, echten Zaubersprüchen geweiht, die die Brahmanen von heute (Fluch über ihre Faulheit!) vergessen und verlernt haben – ein solches hast du ja nicht gegessen, bist also dem feindlichen Späherauge nicht unsichtbar, mein Eber... Es lieben die Rajputen die Sauhatz... Schnell sind ihre Rosse, scharf sind ihre Speere, hüte dich wohl! ... Dem Brahmanenlöwen aber sage, was ich dir sang: – »Wo die weißen Tauben kreisen, wo die weißen Tauben kreisen«. – Weise ist der Brahmanenlöwe – er wird es verstehen! ... Wohl durch die Dschangeln, wohl über den See wate, schwimme, mein Eber! Svaha – Om – Svaha!

– Warum nennst du mich deinen Eber? fragte eine verträumte Stimme aus der Blätternacht heraus.

– Bist du es denn nicht? Als ich dich bat, mich mit einem Zahnmal als die deinige zu stempeln, wie hast du dann meine Schulter gezeichnet? Es war nicht »die Edelsteinkette«, »die zerrissene Wolke« war es nicht, auch nicht »der Pfauenfuß« – o nein: »den Eberbiß«, o Herr, hast du hineingebissen. Fern von dem heiligen Boden Indiens, bei den Franken bist du erzogen, unkundig unserer Sprache, unserer Sitten und Gebräuche, unserer Namen und Gestaltungen. Doch aus der Tiefe deines Wesens heraus fandest du dein Zeichen. Denn du bist ja, o Herr, der Eber! du bist ja Râm, der wiedergeborene, neuerstandene Râm, – zu meiner Wonne wiedergeboren, zu unser aller Heil neuerstanden! O, die Priester haben mir das verraten müssen. Ja, Râm bist du, und Râm war der leuchtende Vishnu selber, und Vishnu war der göttliche Eber, der die Welt aus dem keimschwangeren Schlamm der Urwasser emporhob, so daß die Erde wie ein Wurzelknollen an seinem goldenen Hauer hing. Ebenso hast du ja auch, o Herr, eine neue Welt – eine Welt ungekannter Wonnen und Schmerzen für mich emporgeführt, und mit dem Eberbiß hast du auch diesen armen Leib, der bis dahin nur ein bewegter Leichnam war, gottähnlich gemacht, zum hehrsten Liebesleben geweiht!

Traumverloren lauschte Edmund – er fühlte sich wie von murmelnden Tonwellen in die fernsten Zeiten zurückgeflutet. Das war ja nicht die Rani, war ja kein Hinduweib von heute – es war dies wundersame alte Indien selbst, das zu ihm sprach, murmelte und sang – alte Hymnenfragmente, verirrte Kehrreime, seltsame Sprüche, mystische Ritualsilben, rätselhafte Worte, deren vergessener Sinn in den Urmythen seiner Rasse wurzelte.

Da fühlte er, wie sein Arm in die Höhe gehoben wurde. Die Rani zog das starke Muskelgeflecht des Mannesarmes in den Lichtstrahl hinein, den der Mond zwischen die Blätter hereinschoß. Von ihm getroffen erglänzte ein kreisrunder Flecken der Haut, und mit dem rosigroten Nagel des Zeigefingers, der so spitz zugeschnitten war wie die Kralle eines Kätzchens, ritzte sie das Bild eines sichelförmigen Mondes in diesen Lichtflecken hinein, daß es dastand wie das Zeichen auf einer Münze, denn größer war der beleuchtete Fleck nicht.

Und sie sprach:

– So wahr dies Bild das des zunehmenden Mondes ist, nicht das des abnehmenden: so wahr soll deine Liebe zunehmen, nicht abnehmen!

So wahr der Mond der Hüter der Geheimnisse ist, das Geheimnisvolle, liebt: – so wahr sei diese unsere Begegnung geheimnisvoll gehütet, den Menschen verborgen! So wahr der Mond zunimmt durch den Glanz der von der Erde heraufsteigenden seligen Seelen: – so wahr steigen unsere Seelen selig empor zum überirdischen Liebesglück!

So wahr der Mond der Herr der Heilkräuter ist: – so wahr soll unsere Liebe gesunden, nicht hinsiechen!

So wahr der Mond der Herr der Wasser ist und sie unwiderstehlich an sich zieht: – so wahr soll das Blut in deinen Adern vor Verlangen brausen, wenn du dieses Nagel-Mal betrachtest.

So wahr der Mond, wenn er auch schwindet, immer wiederkehrt: – so wahr mögest du auch immer in meine Arme wiederkehren!

Om! – Om! – Om! –

Sie drückte ihre Lippen auf den Fleck und sog, so daß ein prickelnder Schmerz ihn durchzuckte, dann ließ sie den Arm fallen. Das Laub raschelte leise und anhaltend, wie wenn eine Schlange davonkriecht.

Edmund lag noch mit geschlossenen Augen da. Es war ihm, als hätte er einen seltsamen, ungeheuerlichen Traum gehabt, als müsse er jetzt in seinem Bett in London erwachen.

Er strich sich über die Stirn und erhob den Arm, bis in dem scharfen Licht des Mondstrahles etwas wie eine goldene Münze zum Vorschein kam – mit dem Zeichen des zunehmenden Mondes.


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