Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Der Weg der höchsten Wandergänse

Sich selber, seinem höchsten Schicksal – oder sollte er es Karma nennen? – seinem Vetter und dem ganzen Leben fluchend, – allem fluchend, außer der einen, die ihm das alles vergällte, ging Arthur durch den dunkeln Orangenhain. Zwischen den äußersten Bäumen blieb er stehen, als ob er sich fürchtete, diesen immer noch heiligen Bezirk zu verlassen und in die profane, jetzt für ihn so gänzlich entheiligte Welt hinauszutreten.

Wie hoffnungsvoll hatte er nicht diesen Tempelhain betreten! Amanda wußte alles: Die ehebrecherische Liebe Edmunds zur Rani war ihr bekannt, entschleiert lag vor ihrem Auge das ganze verbrecherische Treiben seiner zügellosen Korsarennatur. Daß sie sich mit Abscheu von ihm wegwenden müsse – wer konnte daran zweifeln, der in ihrem lauteren, redlichen Herzen auch nur flüchtig hatte lesen dürfen? wenn überhaupt dies Herz sich je dazu verirrt hatte, ein tieferes Gefühl für Edmund zu hegen. Aber auch dies schien ihm jetzt sehr unwahrscheinlich zu sein; denn wie hätte sie sonst sofort den Entschluß fassen können, Edmunds Vorhaben dem Minister zu offenbaren? Wie hoch Arthur auch den Gerechtigkeitssinn Amandas anschlug, ein solcher Schritt schien ihm unerklärlich zu sein, wenn sie Edmund liebte. Denn daß sie gerade aus Liebe den einzigen Weg einschlüge, der ihr offen stand, um den Geliebten daran zu hindern, ein Verbrechen zu begehen – möge sie ihm auch dadurch zeitlebens verhaßt werden: das fiel ihm mit keinem Gedanken ein; das ging über seine Begriffe. Diese konnten die Sachlage nur so auffassen, daß wenn auch das glänzende und berauschende Wesen Edmunds vielleicht eine Zeitlang ihre Phantasie in eine gefährliche Bewegung versetzt haben mochte, ihre Augen doch jetzt plötzlich geöffnet seien, so daß sie ihn nunmehr in seiner wahren Gestalt erblicke, die ihr nimmermehr gefallen könne.

Eine innere Stimme flüsterte ihm zwar zu, daß wenn es sich so verhielte, er wohl daran tun würde, ihr Zeit zu lassen, und ihr seine Liebe nicht aufzudrängen; aber eine mächtigere Stimme – die der jugendlichen Ungeduld – mahnte ihn daran, daß er jetzt in einer ganz schlechten Beleuchtung vor ihr stünde, daß er keine Zeit verlieren dürfe, um sich in ihren Augen zu rechtfertigen. Wenn er aber dies täte, wenn er ihr auseinandersetzte, warum er sich in dieses gehässige Unternehmen hatte verwickeln lassen, dann hätte er ihr ja auch damit seine Liebe erklärt. Und er sah in dieser unabsichtlichen Verknüpfung etwas Verheißungsvolles, fast etwas Providentielles.

Mit solchen Gedanken war er hineingetreten. Und jetzt stand er hier am Ausgang: ein Ausgestoßener – ein homo novus – ein Mann ohne Vergangenheit, ohne bekannte Vorfahren, der in einer so aristokratischen Gesellschaft nicht in Betracht kommen konnte!

Ohne Vergangenheit – das war das Bitterste! Denn das schloß jede Aussicht aus, machte jeden Kampf, um sie zu gewinnen, von vornherein hoffnungslos; es erdrückte jeden Versuch mit dem toten Gewicht der Naturnotwendigkeit.

Und gallig bittere Gedanken regten sich in seinem Gemüte – Gedanken, die sich am besten als Variationen seiner eigenen volkstümlichen Phrase bezeichnen ließen: » uncommonly hard on a fellow

Hier bin ich: in Schottland gebürtig, wo »das zweite Gesicht« zuhause ist, einer Familie angehörig, in der mehrere Mitglieder mit dieser und anderen mystischen Anlagen begabt sind; ich bin nach Indien gegangen, dem verheißenen Lande aller Mystik, und ich bin dort einer geheimen Gesellschaft beigetreten, deren ausdrückliche Aufgabe es ist, diese Mystik zu pflegen. Und doch ist mir selbst nie das geringste Mystische passiert, wenn ich jene Inschrift in dem Brief an Edmund etwa ausnehme. Das mochte nun alles sein – aber hier waten die anderen knietief in Mysterien, und ich stehe auf dem Trockenen – gehöre nicht zu ihnen, und wo es sich um meine Liebe und mein Lebensglück handelt, wendet sich dies gegen mich: »Ich war nicht dabei.« – Ich kann ihr nie gehören. Wenn ich wenigstens ein Ungläubiger wäre, dann mochte das noch eine gerechte Strafe sein. Aber ich glaube ja daran – ich begehre ja nichts sehnlicher als eine Vergangenheit mit ihr zu haben, als diese Liebe, die ich für sie fühle, ins Unendliche rückwärts wie vorwärts verlängert zu sehen... Und dennoch ausgeschlossen! – » uncommonly hard on a fellow indeed

Er wandte sich um und sah noch einmal zwischen den dünnen, dunklen Baumstämmen zurück nach dem erleuchteten Kiosk, wo das goldige Lampenlicht ihm zwischen zwei Säulen eine weiße Gestalt zeigte und mit glorienartigem Glanz einen dunkelhaarigen Kopf umfloß, der sich lesend über das kleine Manuskript beugte. Sie war schon in jene andere mystische Welt zurückgetreten und hatte ihn in dieser, trotz aller indischen Abenteuerlichkeit – wie ihm schien – alltäglichen und nüchternen Welt zurückgelassen, wo er nicht mehr wußte, was anfangen.

Als er sich nun dieser Welt zuwandte, sah er weit draußen einen seltsamen roten Schein am Himmel, in dem er zuerst den aufgehenden Mond vermutete, der ihn dann aber plötzlich zu der ihn umgebenden, jetzt gerade allerdings von Gefahren und abenteuerlichen Eventualitäten recht ungewöhnlich strotzenden Wirklichkeit zurückführte:

Das Schulhaus in der Hindustadt brannte!

Was würde jetzt geschehen?

Er fühlte es als eine Linderung, durch das Interesse, ja die Spannung, mit der er gegen seinen Willen den kommenden Ereignissen entgegensah, aus seiner Liebestrauer herausgerissen zu werden. Nur schade, daß er über den Ausgang, nach dem, was Amanda ihm gesagt hatte, fast zu sehr beruhigt war! Was hätte ihm jetzt erwünschter sein können, als ein echt orientalisches Gemetzel hier im Festpark, wobei er wohl gar selbst seines Lebens, das dem unglücklichen Liebhaber eine Last geworden war, verlustig ginge? ... Aber auch so blieb doch die Frage: Was wird denn eigentlich geschehen, wie wird es sich abwickeln? Und er beschleunigte seine Schritte, die ihn bald einer offenen Stelle näher brachten, wo sich gewiß eine Aussicht eröffnen würde.

Schon konnte er dort mehrere Gestalten unterscheiden, die offenbar jene Feuersbrunst beobachteten. Bald trat er auf eine Plattform hinaus, wo man über den niederen Teil des Gartens hinaus einen ziemlich freien Blick hatte. Die Stadt selbst freilich – und mit ihr auch die Brandstätte – war nicht zu sehen, da eine Bastei der unteren, fortartigen Teile des Palastes sich vorschob und mit ihren schroffen Sandsteinfelsen und zackigen Mauerzinnen sich schwarz gegen die rosige Glut abhob.

Edmund, der Oberpriester und Chandra Singh hatten sich hierher begeben, um der Entwicklung der Feuersbrunst folgen zu können. Sie sprachen mit einem Inder aus dem Gefolge Chandra Singhs, den Arthur schon unter den gestrigen Jagdgenossen bemerkt hatte. Er war nur einige Augenblicke, bevor Arthur aus der Allee heraustauchte, zu ihnen getreten. Man war darüber einig, daß der Feuerschein überall im Garten jetzt bemerkbar sein müsse. Der Minister sei sicherlich schon nach der Brandstätte geeilt, wenigstens bestätigte der Neuangekommene, daß Kala Rama nicht oben auf der Gandharven-Terrasse sei, wo er doch jetzt hätte sein müssen, und zwar an der Seite des Raja, im Pfauenpavillon. Er schloß daraus mit Sicherheit, daß er schon den Park verlassen habe.

– Ach du bist hier, Arthur! rief Edmund. Du siehst, alles geht nach der Schnur. Freilich hättest du eigentlich jetzt dort sein müssen, fügte er hinzu, mit einer Handbewegung nach dem Feuerschein und in einem etwas ärgerlichen Ton, denn es verdroß ihn, daß sein Vetter sich seiner Autorität widersetzte und sich einen anderen Posten erwählt hatte, als denjenigen, der ihm von seinem Herrn und Gebieter angewiesen worden war. Einen Posten freilich, der auch nicht unwichtig war. Denn jetzt, als der Entscheidungsmoment nahte, fing Edmund an, starke Gewissensbisse hinsichtlich seiner Verantwortung für die beiden europäischen Gäste zu fühlen. Schon mehrmals hatte ihm der Oberpriester versichern müssen, der alte, blöde Pandit – »der große Mann, der vedische Mann« – sei so angst vor Schießpulver und blanken Waffen, daß er gewißlich nicht den Professor irgendwohin führen würde, wo solche in Wirksamkeit treten könnten. Um so mehr dachte er nun an Amanda und schalt öfters sich selbst, weil er nicht unter irgendeinem Vorwand verhindert hatte, daß sie mit zum Feste käme – schalt auch seinen Vetter, weil dieser, der sie liebte, es nicht verhindert hatte – und beruhigte sich dann wieder bei dem Gedanken, daß jedenfalls dieser selbe Vetter um sie sei, und daß sie keinen treueren Beschützer hätte finden können. Deshalb wunderte es ihn auch, Arthur hier zu sehen; noch mehr aber wunderte er sich, als dieser ganz ruhig antwortete:

– Ich kann mich ja immer noch dorthin begeben.

– Was? Ich meinte, du hättest dich gänzlich dem Schutze deiner Dame geweiht. Es wundert mich schon, daß du dich so weit von ihr entfernt hattest.

– O, Fräulein Amanda ist in Sicherheit, Kala Rama selbst hat einen abgelegenen, stillen Ort für sie ausgesucht. Sie saß in aller Seelenruhe und las, als ich sie zuletzt sah. Jedenfalls hat sie für mich keinen Gebrauch.

Edmund sah ihn kurz an, mit einem Blick, um dessen Begegnung sich Arthur nicht bemühte.

Dieser Brausekopf hat um sie angehalten, und sie hat ihm einen Korb gegeben, dachte er und verspürte dabei eine innige und fast jauchzende Freude, die nicht nur recht unvetterlich, sondern auch ganz irrational war.

– Wenn du also meinst, daß ich drüben von Nutzen sein könnte – ?

Arthur glaubte nicht mehr daran, daß Kala Rama sich nach der Brandstätte begeben hätte, behielt aber wohlweislich diesen Zweifel nebst dessen Begründung für sich selber. Jedenfalls war dort unten Tumult, und bei der fanatischen Erregung des Mob keine geringe Gefahr für einen Europäer, der sich hineinmischen wollte. Er könnte dort in die Lage kommen, die Pistole, die in seiner Brusttasche ruhte, zu gebrauchen, und da er auf der Seite der Ordnung aufzutreten hatte – gleichgültig ob Kala Rama da war oder nicht – so war dies jetzt die einzige Möglichkeit, um in dieser Nacht zum Kampfe zu kommen. Denn auf der Seite der Rebellen wollte er keinen Schuß abgeben, abgesehen davon, daß es jetzt hier im Parke schwerlich zum Gefecht kommen würde ... Und er brannte darauf, im Kampf und in Gefahren zu sein.

Edmund, dem es angesichts des Feuers um die Sicherheit des Ministers recht heiß geworden war, nahm mit Freuden sein Anerbieten an. Sie erwogen, welchen Weg Arthur einschlagen müsse, um so schnell wie möglich hinzukommen und wandten sich mit einer diesbezüglichen Frage an Chandra Singh.

– Wie? der junge Sahib will den Park verlassen? Unmöglich!

– Nun, durch das Tor, wo »die weißen Tauben kreisten«, wo unsere Verbündeten Wache halten, kann es doch keine Schwierigkeiten haben.

– Ganz unmöglich. Der edle Sahib möge den Oberpriester fragen.

Dieser, der schon aufmerksam geworden war, ließ sich die Frage vorlegen und schüttelte seine Löwenmähne:

– Geht nicht, Sahib – ganz unmöglich! Niemand kann mehr hinaus oder herein. Wenn der Verkehr mit der Außenwelt so leicht wäre, dann hätte die Rani nicht nötig gehabt, ihre Tauben fliegen zu lassen.

Gegen die letzte Bemerkung war nichts einzuwenden.

Edmund sah unmutig vor sich nieder. Die Autorität des Priesters, die so schroff seinem Willen entgegentrat, machte ihm seine unsichere Stellung recht fühlbar. Es war nicht nur dies, daß er noch immer einem anderen Willen gegenüber nachgeben müßte – etwas, das ihn jedenfalls und überall verstimmt hätte – es war vielmehr ein drückendes Gefühl des Fremdseins und der daraus folgenden Abhängigkeit von diesen Leuten, die mit Sitten und Gebräuchen des Landes, dessen Fürst er in einer Stunde sein würde, so vertraut waren, wie die Hand mit dem Handschuh.

In diesem Augenblick kam eine kleine, hochschultrige Gestalt, deren starke Bepanzerung selbst in der jetzt eingetretenen Dunkelheit auffiel, eine schmale, hochstufige Treppe herabgehinkt, die sich durch blühendes Gebüsch, von den oberen Terrassen nach der Plattform herunterwand. Die Eilfertigkeit, die seinen Bewegungen beim Abstieg fast eine groteske Wirkung verlieh, und der gespannte Ausdruck, der, als er näher trat, jeden Zug seines spitzen Gesichtes prägte, ließen ahnen, daß er der Überbringer einer wichtigen Botschaft sei. – Râm, Râm! keuchte er atemlos, die zitternde Hand grüßend an die behelmte Stirn führend.

– Nun, Pertab, fragte Chandra Singh, was gibt es? Weißt du, ob Kala Rama schon den Park verlassen hat?

– Ich weiß, daß er nicht dort oben beim Fürsten ist.

– Das wissen wir schon, schnitt der Oberpriester barsch den kleinen Mann ab, der in der Gesellschaft des Rajput-Tigers und des Brahmanen-Löwen füglich als der Schakal gelten durfte. – Aber hat ihn denn jemand den Park verlassen sehen?

– Nicht soweit ich weiß, Himmelgeborener, antwortete der Schakal mit kriechender Verbeugung. Aber es geht ein Gerücht – – –

– Ein Gerücht? riefen alle, einen Schritt näher tretend, mit der nervösen Reizbarkeit, die sich selbst bei mutigen Männern entwickelt, wenn sie in einem heimlichen und gefährlichen Unternehmen vereinigt sind. Auch der jetzt ziemlich indifferente Arthur wurde davon angesteckt, als er mit den anderen näher trat.

– Was für ein Gerücht? So sprich doch!

– Man sagt, ehrwürdigster, anbetungswürdigster Ansa der Gottheit, richtete Pertab sich an den Oberpriester, als ob diese Botschaft sich nur an so heilige Ohren richten könne, – man sagt, Kala Rama habe den Weg der höchsten Wandergänse eingeschlagen.

Diese Botschaft schien einen tiefen Eindruck auf die drei Inder zu machen, wie der Überbringer es offenbar auch erwartet hatte. Sie sahen einander sprachlos an. Edmund aber, der sich abermals peinlich an sein Nicht-Indertum erinnert fühlte, das ihn auch hier von dem gemeinsamen Verständnis ausschloß, lachte mit einem ärgerlichen Stimmklang: –

– Ihr habt sehr poetische Bezeichnungen für die Straßen hier, aber ich möchte doch wissen, wohin diese führt.

– Der Weg der höchsten Wandergänse, edler Sahib, antwortete Pertab, führt zur Nimmerwiederkehr.

– Trefflich gesprochen, verehrter Herr, rief eine wohlbekannte Stimme, die alle veranlaßte, sich schnell umzuwenden.

Es war der Professor, der mit samt seinem gelehrten Cicerone durch den Feuerschein draußen nach diesem nächsten Aussichtspunkt hingelockt worden war. Er war von dem niederen Teil des Gartens auf einer ähnlichen Treppe zu dieser Plattform der ersten Terrasse heraufgestiegen, wie diejenige, die den Schakal von den oberen Terrassen heruntergeführt hatte, und war noch ganz atemlos nach dem beschwerlichen Aufstieg – vergaß aber sofort den Feuerschein vor freudiger Überraschung, diesen alten, klassischen Ausdruck noch im lebendigen Volksmunde vorzufinden.

– Vortrefflich gesprochen, denn es heißt ja: »Jener Weg der Paramahansas – (der höchsten Wandergänse) – ist schwer in der Welt zu finden und nicht viel betreten. Wenn ihn aber einer betritt, der ist in seiner Reinheit verharrend, der ist ein vedischer Mann – so meinen die Weisen – ist ein großer Mann.« Nicht wahr, mein verehrter Freund? wandte er sich an den Panditen, der hier mehr als sein Begleiter denn als sein Führer auftrat.

Dieser »große vedische Mann«, der keuchend und hustend dastand und mit blödem Lächeln nickte, wäre vielleicht etwas verlegen geworden in Anbetracht dessen, daß das ihm vom Oberpriester verliehene Epitheton nicht gerade dem hier angelegten Maßstab entsprach, wenn der Professor nicht (was er ganz vergaß) Englisch gesprochen hätte, um von Edmund verstanden zu werden; weshalb der große vedische Mann keine Ahnung davon hatte, wozu er nickte, ebendeshalb aber nur um so blöder und freundlicher lächelte.

– Nämlich, wandte sich der Professor wieder an Edmund, die Wandergans ist das uralte Symbol der wandernden Seele. Ein Paramahansa wird aber der Pilger genannt, von dem es in der Upanishad heißt: »Er aber tut von sich Kinder, Freund, Weib, Verwandte, die Haarlocke und Opferschnur, das Vedastudium und alle Werke. Er verzichtet auf die ganze Welt und greift zum Lendentuch, zu Stab und Decke, nur noch bestrebt, seinen Leib zu erhalten und anderen hilfreich beizustehen.«

Diesmal wiederholte er die Worte auf Sanskrit zum Besten des Panditen.

– Nicht wahr, mein hochverehrter Freund, ich habe doch die Stelle aus der Paramahansa-Upanishad genau zitiert?

– Wie sollte denn der zeugungsmächtige Stier der Gelehrsamkeit, der mit der scharfen Pflugschar des Westens den Weisheitsacker des Ostens durchfurcht – wie sollte der wohl nicht genau zitieren? entgegnete der alte Pandit, sich vor Höflichkeit zusammenkrümmend.

– Aber in des Himmels Namen! was soll denn all der Wahnsinn hier? Ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß Seine Exzellenz Kala Rama ein Bettelmönch geworden sei?

– Kala Rama? fragte der Professor ganz verwirrt, vom einen zum andern sehend. Ist denn hier von Kala Rama die Rede?

– Von keinem anderen, ehrwürdigster, hochberühmter Elefant der Weisheit und Bulle der Gelehrsamkeit, antwortete der Schakal, da der Tiger und der Löwe nicht geneigt schienen, jenem wiedergeborenen Rishi Antwort zu geben, sondern sich vielmehr eifrig miteinander unterhielten.

– Ein Gerücht sagt: Kala Rama habe soeben seine Ämter in die Hand des Fürsten niedergelegt und sei als Sannyasin auf dem Wege der höchsten Wandergänse von dannen gegangen.

– Ist es möglich! rief der Professor. Und nun sage mir einer, das Indien von heute sei nicht mehr das alte Indien! Der mächtige, berühmte Kala Rama ein Paramahansa! »Er kennt nicht Verehrung, nicht Tadel noch Lob, nicht Opferruf, sondern lebt wie es eben kommt, als Bettler. Ohne Behausung lebt er als Bettler, mit Gold und dergleichen befaßt er sich nicht – – – –«

Er schüttelte nachdenklich seinen Kopf. Dann bemerkte er plötzlich den Feuerschein, von dem er sich hatte hierher locken lassen und dessen er wieder über den Paramahansa gänzlich vergessen hatte. Er fragte was der wohl bedeuten könne, worauf ihm der Schakal erklärte, daß dies der Anfang der Illumination der Stadt sei. Und als der Professor meinte, es sehe doch wohl eher wie eine Feuersbrunst aus, vermutete der Schakal mit allem Respekt vor der Urteilskraft des Weisheitsilfen, daß dieser von der Pracht einer indischen Illumination doch noch keine rechte Vorstellung habe. Er würde aber sehen, wenn jetzt bald der ganze Park seinen goldenen Festanzug anlege –!

Unterdessen hatte der Brahmanen-Löwe den alten Panditen zu sich gewinkt und ihn von der Tatsache unterrichtet, daß er ein blindes, lendenlahmes, leeres Stroh dreschendes Kameel sei; ihn darauf gefragt, wie es ihm einfallen könne, den lautbrüllenden Sanskritstier von den Weideplätzen des Westens hierher zu bringen, wo für sie beide nichts zu suchen sei und wo keiner für sie Gebrauch habe, und ihm schließlich empfohlen, nicht dazustehen und zu grunzen wie ein Zugochs, den der Treiber in den Schwanz kneift, sondern schleunigst den Professor-Sahib über irgendeine alte Inschrift in einen gelehrten Streit zu verwickeln, bis er für Himmelszeichen wie eine Feuersbrunst keinen Sinn mehr übrig habe; ganz besonders aber den Sanskritbullen von allen Orten fernzuhalten, wo es Gefahren geben könne, da dem großen Sahib sehr viel an seiner Sicherheit gelegen sei, obwohl er – der Brahmanen-Löwe – nicht einsehe, daß die Welt viel verlöre, wenn eine Kugel sich in die dicke Stirn des palmblattwiederkäuenden Gelehrsamkeits-Büffels verirrte.

Im Besitz dieses metapherreichen Rüffels beeilte sich der große vedische Mann, sich des Professors zu bemächtigen und ihn von dannen zu führen.

Arthur, dem die Gesellschaft seiner Mitverschworenen wenig zusagte, schloß sich den beiden an, hauptsächlich wohl, weil Professor Eichstädt der Vater der ewigverlorenen einzigen und als solcher besser als nichts sei, aber auch in der Absicht, die beiden Gelehrten so lange wie möglich von der Ruhestätte Amaras und Ajatasattus fern zu halten, da Amanda gewiß gern recht lange ungestört bliebe – und ihr somit den einzigen Dienst zu leisten, der in seinem Machtbereiche lag. – –

– Möge Kala Rama sich zur Brandstätte oder in die Heimatlosigkeit begeben haben – sagte der Oberpriester, sobald die drei sich entfernt hatten – der Weg liegt frei vor Euren Füßen, Sahib, der Weg zum Thron.

Und er schritt voraus, in die dunkeln Schatten des Gartens hinein. Bald traten sie auf einen kleinen, runden Platz hinaus. Marmorbänke luden zum Sitzen ein, eine Treppe führte nach der zweiten Terrasse – der Terrasse der Nagas – hinauf. Sechs Dämonengestalten, deren verstümmelte Gliederknäuel in dem schwachen Dämmerlicht kaum zu entwirren waren, hielten unten, oben und in der Mitte Wache. Der Oberpriester zeigte nach der Treppe und verabschiedete sich mit einem halb segnenden Wink und einer Verbeugung, welche letztere seine beiden Begleiter wiederholten, worauf die Inder im Dunkel einer Platanenallee verschwanden.


 << zurück weiter >>