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XXXVI

Als Dinny ihn im Green-Park davoneilen sah, wußte sie bestimmt, jetzt sei alles vorbei. Der Anblick seines verstörten Gesichtes hatte sie aufgewühlt. Wenn nur er wieder glücklich wäre, dann könnte sie sich drein finden. Denn seit er sie an jenem Abend in seiner Wohnung allein gelassen, hatte sie sich aufs Schlimmste vorbereitet, hatte an keine Wendung zum Bessern mehr geglaubt. Sie fand nur wenig Schlaf und nahm das Frühstück in ihrem Zimmer. Gegen zehn Uhr teilte man ihr mit, ein Mann mit einem Hund wünsche sie zu sprechen.

Rasch machte sie sich fertig, setzte den Hut auf und ging hinunter. Es mußte Stack sein.

Wilfrids Diener stand neben dem Kleidersarkophag und hielt Foch an der Leine. Sein Gesicht, so verständnisvoll wie nur je, war blaß und zerfurcht, als habe er die Nacht kein Auge geschlossen.

«Das sendet Ihnen Mr. Desert, Miss.» Er übergab ihr den Brief.

Dinny öffnete die Tür zum Salon.

«Bitte, kommen Sie weiter, Stack. Setzen wir uns.»

Er nahm Platz und ließ die Leine los. Der Hund kam auf sie zu und legte die Schnauze auf ihre Knie. Dinny las den Brief.

«Mr. Desert schreibt, ich kann Foch haben.»

Stack starrte auf seine Schuhe nieder. «Er ist fort, Miss, mit dem Frühzug. Nach Paris und Marseille.»

In den Falten seiner Wangen schimmerte es feucht. Er ließ ein verdächtiges Schnauben hören und fuhr ärgerlich mit der Hand übers Gesicht.

«Vierzehn Jahre schon bin ich bei ihm, Miss. So was tut weh. Er sagt, er käme nimmer zurück.»

«Wohin reist er?»

«Nach Siam.»

«Ein weiter Weg», bemerkte Dinny lächelnd. «Wenn er nur wieder glücklich wird, das ist die Hauptsache.»

«Jawohl, Miss. Vielleicht interessiert es Sie, was Foch als Futter kriegt. Gegen neun ein trockenes Keks und zwischen sechs und sieben ein Stück Rindfleisch oder Hammelkopf, gesotten, mit zerkrümeltem Hundekuchen, weiter nichts. Er ist ein braver, ruhiger Hund, benimmt sich zu Hause wie ein vollkommener Gentleman. Sie können ihn sogar ins Schlafzimmer nehmen.»

«Bleiben Sie auf Ihrem Posten, Stack?»

«Ja, Miss. Die Zimmer gehören Seiner Lordschaft. Wie ich Ihnen sagte, Mr. Desert ist ein sehr plötzlicher Herr; aber aufrichtig meint er's. In England war er ja nie glücklich.»

«Ich bin überzeugt, er meint es aufrichtig. Kann ich irgend etwas für Sie tun, Stack?»

Der Diener schüttelte den Kopf, seine Augen ruhten auf Dinny; er überlegte jetzt wohl, ob er ihr seine Sympathie bekunden dürfe. Sie erhob sich.

«Vielleicht mach ich jetzt mit Foch einen Spaziergang, damit er sich an mich gewöhnt.»

«Ja, Miss. Ich laß ihn nur im Park von der Leine. Wenn Sie einmal eine Auskunft über ihn brauchen, Sie haben ja die Telephonnummer.»

Dinny streckte ihm die Hand hin.

«Also, leben Sie wohl, Stack, alles Gute!»

«Gleichfalls, Miss, gleichfalls!» Mehr als bloßes Verstehn schimmerte in seinen Augen, er drückte ihr krampfhaft die Hand. Das Lächeln wich nicht von Dinnys Lippen, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann ließ sie sich aufs Sofa nieder und schlug die Hände vor die Augen. Der Hund war Stack bis zur Tür gefolgt, winselte plötzlich und kam wieder zu ihr zurück. Sie zog die Hände von den Augen, nahm Wilfrids Brief, der auf ihrem Schoß lag, und zerriß ihn.

«Nun, Foch», fragte sie, «was fangen wir an? Gehn wir spazieren?»

Er wedelte mit dem Schwanz; wieder winselte er leise.

«Also Junge, los!»

Sie fühlte sich ruhig, doch ihr war's, als sei eine Feder in ihr gesprungen. Den Hund an der Leine, schlug sie den Weg zum Victoria-Bahnhof ein und blieb vor dem Fochdenkmal stehn. Das Laub der Bäume ringsum war dichter geworden, sonst hatte sich nichts geändert. Mann und Roß standen da, den Menschen entrückt, tatendurstig, nur mit sich selbst beschäftigt – ‹Arbeiter am Werk›! Lang stand sie trocknen Auges dort, das magere, verhärmte Gesicht zur Statue erhoben; geduldig saß der Hund neben ihr.

Dann zuckte sie die Achseln, wandte sich ab und schritt hastig mit ihm auf den Park zu. Nach einiger Zeit jedoch schlug sie den Weg zur Mount Street ein und fragte dort nach Sir Lawrence. Er saß in seinem Arbeitszimmer.

«Ein schöner Hund, liebe Dinny», meinte er. «Gehört er dir?»

«Ja. Onkel Lawrence, möchtest du etwas für mich tun?»

«Gern.»

«Wilfrid ist fort. Heute morgen fuhr er ab. Er kommt nicht mehr nach England zurück. Sei so lieb, teile das meinen Eltern mit und Michael, Tante Em und Onkel Adrian. Ich möchte nie wieder ein Wort davon sprechen.»

Sir Lawrence neigte zustimmend den Kopf, faßte ihre Hand und zog sie an die Lippen. «Richtig, Dinny, ich wollte dir etwas zeigen.» Er langte nach einer kleinen Voltairestatue, die auf seinem Schreibtisch stand. «Vor zwei Tagen hab ich das aufgetrieben. Ist er nicht ein köstlicher alter Zyniker? Warum wohl gerade Zynismus den Franzosen so gut kleidet? Vermutlich darum, weil nur ein mit Witz und Grazie gepaarter Zynismus erträglich wirkt; sonst ist er im Grunde nur schlechtes Benehmen. Ein englischer Zyniker ist ein Beschwerdebuch auf zwei Beinen. Ein deutscher Zyniker ist wie ein Wildschwein. Ein skandinavischer Zyniker wirkt wie die Pest. Der Amerikaner ist für echten Zynismus zu fahrig, das russische Temperament zu sprunghaft dafür. In Österreich triffst du vielleicht Prachtexemplare von Zynikern, oder auch in Nordchina – wahrscheinlich spielt der Breitengrad eine Rolle.»

Dinny lächelte.

«Bitte, grüß Tante Emily herzlich von mir! Heut nachmittag fahr ich nach Hause.»

«Ich wünsch dir alles Gute, meine Liebe», erwiderte Sir Lawrence. «Komm jederzeit, wenn du Lust hast, hierher oder nach Lippinghall, es wird uns immer eine Freude sein.» Und er küßte sie auf die Stirn.

Als sie fort war, ging er ans Telephon, dann zu seiner Frau.

«Emily, die arme Dinny war eben bei mir – wie ein lächelndes Gespenst sieht sie aus. Die Sache ist zu Ende. Desert fuhr heute morgen für immer fort. Dinny möchte nie wieder davon sprechen. Wirst du dir das merken?»

Lady Mont ordnete eben Blumen in einer rötlichgelben Vase, ließ die Blumen sinken und wandte sich um.

«Mein Gott!» rief sie. «Lawrence, gib mir einen Kuß!»

Einen Augenblick lang hielten sie sich umschlungen. Arme Emily! Ihr Herz war wie Butter! Sie lehnte an seiner Schulter, sagte: «Dein Kragen ist voller Haare. Du kämmst dich immer wieder, wenn du schon den Rock anhast. Dreh dich um, ich nehm sie fort.»

Sir Lawrence gehorchte.

«Ich hab nach Condaford telephoniert und auch Michael und Adrian angerufen. Wohlgemerkt, Emily, alles ist so, als wäre nie etwas gewesen.»

«Natürlich werd ich's mir merken. Warum kam sie eigentlich zu dir?»

Sir Lawrence zuckte die Achseln. «Sie hat einen neuen Hund, einen schwarzen Wachtelhund.»

«Sehr treue Tiere, aber sie werden dick. Also aus! Haben sie dir am Telephon irgendwas gesagt?»

«Nur: ‹Oh›, ‹Verstehe›, ‹Natürlich›, weiter nichts.»

«Lawrence, ich muß weinen! Komm bald zurück und führ mich aus, einerlei, wohin.»

Sir Lawrence klopfte ihr auf die Schulter und verließ rasch das Zimmer. Auch ihm war seltsam zu Mute. Sinnend saß er in der Bibliothek. Deserts Flucht erschien ihm als die einzig mögliche Lösung! Unter allen Leuten, die an dieser Sache Anteil nahmen, hatte er vielleicht das klarste und gerechteste Urteil über Wilfrid. Wahrscheinlich barg dieser Mensch einen goldnen Kern, aber jedenfalls in sehr rauher Schale. Mit ihm leben? Nicht um die Welt! Ein Feigling? Ganz und gar nicht. Die Sache lag nicht so einfach, wie Jack Muskham und die hundertprozentigen Sahibs meinten, diese Menschen mit ihrem Wahn, weiß sei nicht schwarz und schwarz nicht weiß. Nein, nein! Der junge Desert war auf ganz besondre Art in die Falle gegangen. Man mußte seine widerspenstige Natur in Betracht ziehn, sein Rebellentum, seine Menschenliebe, seinen Unglauben, seine Freundschaft mit den Arabern. Dann ermaß man erst die tiefe Kluft zwischen ihm und dem Durchschnittsbriten. Aber wie dem auch sei, mit einem solchen Mann konnte man nicht leben! Die arme Dinny war diesem Los glücklich entronnen! Wie übel einem doch das Schicksal mitspielte! Warum mußte ihre Wahl gerade auf Desert fallen? Doch das hieße ja die Frage aufrollen, wie man sich überhaupt verlieben konnte. Liebe kannte eben kein Gesetz, nicht einmal die Gebote des gesunden Menschenverstands. Ein Element in Dinny hatte sich sofort dem verwandten Element in ihm gesellt, ohne Rücksicht auf die Umwelt und die nicht verwandten Seelen. Vielleicht traf sie nie mehr im Leben einen Menschen, für den sie so viel Liebe empfand. Aber – du mein Gott! – die Ehe war eine Sache fürs Leben, nicht einmal heutzutag ein flüchtiger Scherz! Doch wieviel Glück brauchte man zur Ehe, wie mußte man geben und nehmen können! Desert brachte das nicht fertig, dieses rastlose, disharmonische Geschöpf – noch dazu ein Dichter! Und sein Stolz, sein verheerender, sich selbst vernichtender Stolz, der nie zur Ruhe kam! Zu einem Verhältnis taugte er vielleicht, zu einer jener flüchtigen Verbindungen, wie sie die Jugend von heute schloß; aber das war doch nichts für Dinny; sogar Desert hatte das wohl gefühlt. Bei ihr war das Körperliche ohne Geistigkeit ein Unding. Sie war eine Dame, jawohl, eine Dame. Und wenn die Menschen von heute nicht mehr wußten, was das hieß, um so schlimmer für sie!

‹Wohin soll ich die arme Emily führen, jetzt am Vormittag?› dachte er. ‹Den Zoo liebt sie nicht; die Wallace-Galerie hab ich satt. Gehn wir in Madame Tussauds famoses Wachsfigurenkabinett! Dort muß sie lachen. Ins Wachsfigurenkabinett!‹


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