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XIII

«Haus Dornenstrauch», Jack Muskhams Landsitz in Royston, war ein altmodischer, niedriger Bau, von außen schlicht, im Innern behaglich. Bilder von Rassepferden und Farbdrucke von Sportszenen bedeckten die Wände. Ein einziges, selten benutztes Zimmer gab vom Vorleben seines Eigentümers Kunde. ‹Nur dieser Raum›, schrieb ein amerikanischer Zeitungsmann, der Jack Muskham, den ‹letzten Dandy›, wegen eines Interviews über Rassezüchtung aufgesucht hatte, ‹nur dieser Raum zeugt von dem Vorleben dieses Aristokraten in unsern glorreichen Südstaaten. Hier ersteht vor unserm Blick sein abenteuerreiches Dasein auf den unabsehbar weiten Steppen von New Mexiko, Arizona und Sonora, jene Zeit, da dieser Vollblutdandy als munterer Jüngling das Vieh in die Hürde trieb und auf windschnellem Mustang mit unsern braunen Jungen dort draußen um die Wette ritt. Hier finden wir Matten aus Navaho, Silberschmiedearbeiten, Roßhaargeflechte aus El Paso, breitrandige Cowboyhüte und eine Sammlung mexikanischen Pferdegeschirrs mit Silbergehängen. Ich holte meinen Gastgeber über diesen Abschnitt seiner Laufbahn aus. «Ach richtig», erwiderte er in seinem gedehnten, echt englischen Tonfall, «mir scheint, ich trieb dort als blutjunger Bursche fünf Jahre hindurch Kühe auf die Weide. Sie müssen wissen, ich hatte nichts andres im Sinn als Pferde und mein Vater war der Meinung, die amerikanische Farm sei eine bessere Vorschule für mich als das englische Hindernisreiten.»

«Dürfte ich um Daten bitten?» fragte ich diesen hochgewachsnen Aristokraten mit dem scharfen Blick und dem lässigen Wesen.

«Gewiß», gab er zur Antwort. «1896 verließ ich das Eton College und reiste schnurstracks zu Tommy Delahays Farm nach Texas. 1901 kam ich nach England zurück. Und, abgesehn von den Kriegsjahren, hab ich mich seither ausschließlich der Pferdezucht gewidmet.»

«Und während des Kriegs?» fragte ich.

«Oh!» erwiderte er und ich kam mir beinah zudringlich vor, «die ganz gewöhnliche Laufbahn. Freiwilliger, Kavallerie, Schützengraben und so weiter. In den beiden letzten Kriegsjahren war ich mit dem Ausheben und Zureiten der Pferde meiner Division betraut. Sie sehn also», fuhr er fort und ein Lächeln glitt über seine aristokratischen Züge, «die Pferde laufen mir überall selbst zu.»

«Sagen Sie mir, Mr. Muskham, waren Sie vom Leben bei uns drüben begeistert?» fragte ich.

«Begeistert?» versetzte er. «Und ob!»›

Das amerikanische Blatt, das dieses Interview brachte, versah es mit folgender Überschrift:

 

Britischer Dandy
laut eigener Aussage
vom Leben in den Südstaaten
begeistert
.

 

Muskhams Gestüt lag gute anderthalb Kilometer vom Dorfe Royston entfernt. Falls er nicht bei einem Rennen, mit einem Pferdekauf oder ähnlichen Geschäften auswärts zu tun hatte, bestieg er Schlag dreiviertelzehn sein ‹Bummelpony› und trabte zu seinem ‹Pferdeerziehungsheim›, wie der Zeitungsmann aus Amerika sein Gestüt benannt hatte. Dieses Bummelpony pflegte Muskham als Beweis dafür anzuführen, was man mit Pferden erzielen könne, wenn man nie anders als mit freundlicher Stimme zu ihnen sprach. Es war eine kluge kleine Stute, drei Jahre alt, Dreiviertelblut, mit feinem, mausgrauem Fell, das aussah, als habe jemand eine Flasche Tinte drüber gegossen und die Flecken nur unvollständig entfernt. Außer einem halbmondförmigen Tupfen auf der Stirn wies sie keinen einzigen weißen Fleck auf. Ihre Mähne war kurzgeschnitten, der lange Schweif über dem Kniegelenk gestutzt. Die Augen blickten hell und klar, die Zähne waren für ein Roß geradezu Perlenzähne. Sie hatte einen festen Schritt und fand nach jedem Stolpern augenblicklich das Gleichgewicht wieder. Beim Reiten schlang sich ein einziger Zügel lose um ihren Nacken, noch nie hatte ein Zaum ihr Maul berührt. Sie maß nur anderthalb Meter; wenn Jack Muskham auf ihrem Rücken saß, reichten seine Beine sehr tief hinab, seine Steigbügel hingen an langen Lederriemen. Auf dieser Stute saß man nach Muskhams Ausspruch wie in einem bequemen Lehnstuhl. Kein Mensch durfte sie berühren, nur er selbst und ein Stalljunge, den er wegen seiner ruhigen Stimme, ruhigen Hände, ruhigen Nerven und ruhigen Wesensart zu diesem Dienst erkoren hatte.

Am Tor des quadratischen Gestüthofs stieg Jack Muskham von dieser Stute ab und trat ein, eine Zigarette in kurzer Bernsteinspitze zwischen den Lippen. Auf dem Rasenplatz in der Mitte traf er mit seinem Gestütwärter zusammen. Dann besichtigten sie gemeinsam die Ställe, in denen die kleinen Fohlen bei ihren Müttern standen und Jährlinge zu zweit in eigenen Verschlägen. Ab und zu ließ Muskham das eine oder andre auf den mit Lohe bestreuten Weg führen, der sich gegen den Hof zu an die Stallungen schloß. Nach dieser Musterung traten die beiden unter den Schwibbogen gegenüber dem Eingang und schritten ins zweite Gestüt, wo sich Stuten, Fohlen und Jährlinge tummelten. Die Disziplin in seinem ‹Pferdeerziehungsheim› war tadellos. Allem Anschein nach waren Jack Muskhams Bedienstete nicht minder ruhig, reinlich und wohlerzogen als die ihnen anvertrauten Pferde. Vom Zeitpunkt seines Eintritts bis zu dem Augenblick, da er heraustrat und sein Bummelpony wieder bestieg, sprach Muskham ausschließlich von Pferden – in wortkarger, sachlicher Weise. Und tagtäglich gab es so viele Einzelheiten zu sehn und zu besprechen, daß er fast nie vor ein Uhr wieder zu Hause eintraf. Nie unterhielt er sich mit seinem Stutenwärter über die wissenschaftlichen Grundlagen der Rassezucht, trotz der bemerkenswerten Kenntnisse dieses Funktionärs; denn für Jack Muskham war und blieb die Rassezucht als Wissenschaft ein Gegenstand der Geheimdiplomatie, ganz wie für einen Minister des Äußern die Beziehungen zu den fremden Staaten. Seine Zuchtpläne heckte er stets im geheimen aus auf Grund eingehender Studien und der Weisungen, die ihm seine ‹Spürnase› gab – er sprach von ‹Spürnase›, andre hätten es vielleicht sein Vorurteil genannt. Mochten Gestirne zerschellen, Premierminister geadelt werden, Erzherzöge ihre angestammten Rechte zurückerobern, mochten Erdbeben ganze Städte verschlingen und alle möglichen andern Katastrophen hereinbrechen, was verschlug's – so lang Jack Muskham die St. Simonszucht mit entsprechenden Exemplaren der Hampton- oder Bend Or-Rasse kreuzen konnte? Oder nach einem von ihm erfundenen, noch originelleren Verfahren die alte Herodesrasse durch Paarung mit der Le Sancyzucht an die Wurzel und Spitze eines Stammbaums setzen konnte, der Carbiner- und Barcaldinerblut in sich vereinte? Er war in der Tat ein Idealist. Sein Ideal war die ‹Zucht des vollkommenen Pferdes›, ein Ideal, das vielleicht der Verwirklichung ebenso fern blieb wie die Ideale andrer Leute auch, nur nahm es nach Muskhams Meinung weit mehr den ganzen Menschen in Anspruch. Das erklärte er zwar nie so unumwunden – ein Gentleman nimmt nicht so hochtrabende Worte in den Mund. Auch setzte er nie auf Pferde, ließ sich also niemals durch materielle Interessen in seinem Urteil beirren. Dieser hochgewachsne Mann im zigarrenbraunen, kamelhaargefütterten Überrock mit mattbraunem Teint und mattbraunen Wildlederhandschuhen war vielleicht die bekannteste Figur von ganz Newmarket. Und im Jockey-Klub galten seine Aussprüche als Evangelium, nur noch drei Mitglieder genossen solches Ansehen wie er. Tatsächlich bewies Jack Muskham durch seinen Lebensweg, wie herrlich weit ein Mann es bringen kann, wenn er sein ganzes Sein stumm und ergeben einem einzigen Ziele widmet.

Dieses Aufgehn in der Idee des ‹vollkommenen Pferdes› verriet nur zu deutlich die Struktur seines eignen Wesens. Jack Muskham war Formalist durch und durch, einer der wenigen, die in diesem formzerstörenden Zeitalter noch übriggeblieben sind. Wie kam es aber, daß sein formalistisches Wesen gerade der Idee des vollkommenen Pferdes nachhing, um sich Ausdruck zu schaffen? Das erklärt sich teils aus der angebornen Regelmäßigkeit des Rassepferds, teils aus der engen Verbindung, in der dieses Tier mit dem Buch der Bücher, dem von ihm so überaus hochgehaltnen Zuchtbuch, stand, und teils daraus, daß Muskham im Kult des Rassepferds Zuflucht fand vor der schrankenlosen Skepsis, der lärmenden, knalligen, sensationellen, verlotterten Art und dem aufdringlichen Getöse dieser ‹Bastardepoche›, wie er unser Zeitalter nannte.

Im ‹Hause Dornenstrauch› wurde die gesamte Arbeit von zwei Dienern versehn, nur zum Reinemachen kam täglich eine Scheuerfrau. Wäre die nicht erschienen, so hätte auf Muskhams Landsitz nicht das leiseste Anzeichen darauf hingedeutet, daß es in der Welt auch Frauen gab. Sein Haus wirkte so mönchisch wie ein Klub, der dem Kult der Dame noch nicht erlegen war, doch viel behaglicher, weil es bedeutend kleiner war. Die Zimmer waren niedrig, zwei breite Treppen führten in das einzige Stockwerk empor, das noch niedrigere Räume hatte. Abgesehn von zahllosen Folianten der Fachwissenschaft über Rassepferde enthielt seine Bücherei lediglich Reisebeschreibungen, historische Werke und Kriminalgeschichten; andere Werke der schönen Literatur blieben wegen ihrer Skepsis, vulgären Redensarten, Schilderungen, Gefühlsduselei und Sensationen aus dieser Sammlung verbannt; nur eine Gesamtausgabe der Romane von Surtees, Whyte Melville und Thackeray hatte Aufnahme gefunden.

Männer, die ihr ganzes Sein dem Dienst eines Ideals widmen, pflegt meist eine gewisse Ironie des Schicksals vor dem völligen Aufgehn in solchem Tun zu bewahren – auch bei Jack Muskham machte sich das geltend. Er, der sich die Züchtung des vollkommenen Pferdes als Lebenszweck erkoren, ging allen Ernstes daran, den herkömmlichen Begriff des Rassepferds zu zertrümmern und an seine Stelle ein Geschöpf zu setzen, dessen Blutmischung das Zuchtbuch mit keiner Silbe erwähnte!

Er selbst jedoch war sich dieses Widerspruchs nicht bewußt und saß mit Telfourd Yule beim Lunch; ihre Unterhaltung drehte sich noch immer um den Transport arabischer Stuten, als Sir Lawrence Mont gemeldet wurde.

«Möchtest du lunchen, Lawrence?»

«Danke, Jack, hab schon gespeist. Eine Tasse Kaffee mit Kognak hätt ich gern.»

«Gehn wir also ins Nebenzimmer.»

«Ein tadelloses Junggesellenheim!» bemerkte Sir Lawrence, «eine Art Wunderbüchse, aus der meine Jugend emporsteigt, die ich nirgends mehr zu finden hoffte. Ha, hier sind die Gesamtausgaben von Surtees und Whyte Melville! Mr. Yule, Jack ist ein Unikum. Ein Mensch, der sich's leisten kann, so altmodisch zu sein, steht über den gewöhnlichen Sterblichen. Mr. Yule, welchen Ausspruch tat Mr. Waffles, als man Caingey an den Fersen hochzog, um aus seinen Taschen und Stiefeln das Wasser ausfließen zu lassen?»

Yules humorvolle Fratze zog sich in die Breite, doch er schwieg.

«Bitte, wörtlich!» rief Sir Lawrence, «aber heutzutag weiß das niemand mehr. Er sprach also: ‹Ei, ei, Caingey, altes Haus, du siehst ja aus wie ein gesottenes Meerschwein in Petersiliensauce.› Ach ja! Und was gab Mr. Sawyer zur Antwort, als der Ehrenwerte Crasher an den Schlagbaum anfuhr und fragte: ‹Er ist doch offen, dächt ich?›»

Yules Gesicht zog sich stets mehr in die Breite, als wäre es aus Gummi, doch noch immer blieb er stumm.

«Du lieber Gott, das wissen Sie nicht? Nun, Jack?»

«Mr. Sawyer: ‹Ich dächte nicht!›»

«Bravo!» Sir Lawrence ließ sich in einen Sessel fallen. «Na, habt ihr die Entführung dieser Stute ausgeheckt? Großartig! Wann schafft ihr sie übers Wasser?»

«Ich werd sie mit dem geeignetsten Hengst meines Gestüts paaren. Wenn sie ein Fohlen wirft, reit ich es zu und paare es mit dem besten gleichaltrigen meiner Zucht. Ebenso mach ich's mit dem zweiten Fohlen. Fällt diese Probe günstig aus, dann setze ich's durch, daß sie ins Zuchtbuch kommt, und verschaffe mir die Bewilligung, drei weitere Stuten zu importieren. Entspricht aber das erste Kreuzungsprodukt nicht meinen Erwartungen, dann probier ich, was bei der Zucht eines Dreiviertelbluts herausschaut.»

«Wie alt bist du, Jack?»

«Bald dreiundfünfzig.»

«Schade! Famoser Kaffee!»

Dann saßen alle drei schweigend da und warteten drauf, daß der eigentliche Zweck des Besuchs zur Sprache käme.

«Mr. Yule», erklärte Sir Lawrence unvermittelt, «ich bin wegen der Affäre des jungen Desert hier.»

«Die Geschichte beruht doch hoffentlich nicht auf Wahrheit?»

«Leider ja. Desert macht kein Hehl draus.» Er musterte durch sein Monokel Jack Muskhams Miene und las darin genau, was er erwartet hatte.

Langsam erklärte Muskham: «Ein Mann müßte den Anstand besser zu wahren wissen, mag er auch hundertmal ein Dichter sein.»

«Drüber wollen wir nicht rechten, Jack. Bleib du bei deiner Meinung. Dennoch», Sir Lawrence wurde seltsam ernst, «wär mir's lieb, wenn ihr beide reinen Mund hieltet. Kommt es trotzdem heraus, so läßt sich eben nichts machen, doch ich bitte dich und Mr. Yule, über diese Sache zu schweigen.»

«Das Aussehn dieses Burschen behagt mir nicht», erwiderte Muskham kurz.

«So geht es einem bei neunzig Prozent der Leute, aber das ist doch kein hinreichender Grund.»

«Ein Musterexemplar der Jugend von heute, ein verbitterter Querkopf ohne rechte Lebenserfahrung, ohne Ehrfurcht vor irgend etwas in der Welt.»

«Ich weiß ja, Jack, du bist der Anwalt der guten alten Zeit, aber laß das diesmal aus dem Spiel.»

«Weshalb?»

«Na, ich hätte lieber nichts drüber gesagt, aber er ist mit Dinny Cherrell, meiner Lieblingsnichte, verlobt.»

«Was, mit diesem hübschen Mädchen?»

«Ja. Wir alle sind davon nicht gerade erbaut, nur mein Sohn Michael schwört noch immer auf Desert. Aber Dinny hat sich nun einmal in die Sache verrannt und läßt gewiß nicht mehr locker.»

«Man darf ihr doch nicht gestatten, einen Mann zu heiraten, der in Verruf steht, sobald diese Affäre ans Licht kommt.»

«Je mehr man ihn ächtet, um so weniger wird sie von ihm lassen.»

«Noch schöner!» sagte Muskham. «Was meinen Sie, Yule?»

«Mich geht die Geschichte nichts an. Wenn Sir Lawrence wünscht, daß ich schweige, erwähne ich kein Wort.»

«Natürlich geht es uns persönlich nichts an. Wüßt ich aber, daß ich durch mein Reden deine Nichte davon abbringen könnte, ich tät's. Eine Schmach und Schande ist es!»

«Jack, du würdest nur das Gegenteil bewirken. Mr. Yule, Sie verstehn ja viel vom Zeitungswesen. Angenommen, die Presse greift die Sache auf, was dann?»

Yules Blick wurde bissig.

«Zuerst berichtet man gewiß die Kunde ganz allgemein von irgendeinem reisenden Engländer. Dann trachtet man zu ermitteln, ob Desert das Gerücht in Abrede stellt. Schließlich wird das Ganze mit einer Anzahl falscher Einzelheiten dem Leser aufgetischt – leider Gottes bleibt ja noch immer genug Wahres übrig! Wenn Desert die Tatsache zugibt, kann er keine Verwahrung einlegen. Oh, die Presse ist im Grunde anständig, aber verdammt ungenau.»

Sir Lawrence nickte. «Wenn einer meiner Bekannten Journalist werden wollte, dann würde ich ihm raten: ‹Weich nur ja kein Haarbreit von der Wahrheit ab, und du wirst einzig dastehn!› Seit dem Krieg hab ich in den Personalnachrichten noch nicht einen völlig wahrheitsgetreuen Bericht gelesen.»

«Das gehört zum Geschäft», bemerkte Yule, «dabei schlägt man zwei Artikel heraus: erstens die ungenaue Notiz, zweitens die Richtigstellung.»

«Mir ist die Presse bis in die Seele zuwider», erklärte Muskham. «Unlängst rückte mir ein amerikanischer Zeitungsmensch auf den Leib. Hier saß er – am liebsten hätt ich ihn eigenhändig hinausgeschmissen. Weiß der Kuckuck, wie mich der Kerl hingestellt hat!»

«Jack, du bist wirklich ein paar Jahrhunderte zurück. Für dich sind Marconi und Edison die ärgsten Übeltäter der Menschheit. Nicht wahr, es gilt? Kein Wort über die Affäre des jungen Desert!»

«Einverstanden», erklärte Yule. Und Muskham nickte.

Sir Lawrence glitt rasch auf ein andres Thema über.

«Nette Gegend hier. Bleiben Sie länger, Mr. Yule?»

«Heut nachmittag fahr ich nach London zurück.»

«Erlauben Sie, daß ich Sie mitnehme?»

«Gern.» Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs.

«Mein Vetter Jack», meinte Sir Lawrence, «müßte unbedingt der britischen Nation erhalten bleiben. In Washington gibt es ein Museum, dort sieht man unter Glas Indianergruppen die Friedenspfeife schmauchen, den Tomahawk gegen einander schwingen und ähnliches mehr. So sollte man auch Jack –» Sir Lawrence stockte. «Doch da erhebt sich eine Schwierigkeit: In welcher Pose soll man Jack dem Gedächtnis erhalten? Es hält so schwer, seinen Gleichmut zu verewigen. Wilde Sprünge lassen sich leicht im Bild einfangen. Aber diese wachsame Lässigkeit – und doch betet dieser Mann zu einem eignen Gott.»

«Sein Gott heißt Form und Muskham ist ihr Prophet.»

«Vielleicht», murmelte Sir Lawrence, «könnte man ihn als Duellanten darstellen. Nur diese Art menschlicher Betätigung dürfte ihm genügend formell scheinen.»

«Die Form ist zum Aussterben verurteilt», bemerkte Yule.

«Hm! Der Trieb nach Form und Gestalt ist nur schwer auszurotten. Ist das Leben selbst etwas andres als Gestaltungsdrang? Bringen Sie alles zu toter Gleichförmigkeit zurück – es bilden sich doch immer wieder bestimmte Formen heraus.»

«Mag sein», erwiderte Yule, «aber Form ist vollendete Gestalt mit dem Ansprach auf Allgemeingültigkeit; und das Vollendete langweilt unsere lebensprühende Jugend.»

«Netter Ausdruck. Aber, Mr. Yule, gibt es diese Jugend auch im Leben, außerhalb der Literatur?»

«Und ob! Und wie weit diese jungen Menschen nur den Mund aufreißen! Ich muß gestehn, lieber möcht ich mich auf Lebenszeit dazu verurteilt sehn, bei allen offiziellen Festlichkeiten in der City zu erscheinen, als in der Gesellschaft dieser lebensprühenden Jugend ein einziges Wochenende verbringen.»

«Ich weiß nicht», sagte Sir Lawrence, «ob mir schon je ein solches Geschöpf über den Weg lief.»

«Danken Sie Gott, wenn er Sie davor verschont hat! Keinen Augenblick steht diesen Kerlen das Mundwerk still, nicht einmal in ihren Schäferstunden.»

«Mir scheint, Sie haben nicht viel für diese Jugend übrig.»

«Stimmt!» rief Mr. Yule und sah wie ein Bullenbeißer drein, «die können mich ebensowenig ausstehn wie ich sie. Lästige Gesellschaft! Glücklicherweise hat sie nicht viel zu sagen.»

«Hoffentlich ist Jack nicht der irrigen Meinung, daß der junge Desert zu dieser Sippe gehört», erklärte Sir Lawrence.

«Ach, die ist Muskham ja noch nie in die Quere gekommen. Aber Deserts Gesicht liegt ihm im Magen. Ein verdammt seltsames Gesicht!»

«Ein gefallener Engel», meinte Sir Lawrence. «Geistiger Hochmut, mein Bester! Und doch liegt darin etwas Schönes.»

Yule nickte. «Ich für meine Person hab nichts dagegen. Und seine Gedichte sind wirklich gut. Aber Muskham schleudert den Bannstrahl gegen alle Rebellen. Nach seinem Geschmack müßte das Rößlein des Geistes mit gestutztem Schweif und gestutzter Mähne ruhigen Schritts am Zügel trotten.»

«Und dennoch», murmelte Sir Lawrence, «könnten die beiden sich vielleicht gegenseitig schätzen lernen, nur müßten sie zuvor einander totschießen. Seltsames Volk, wir Engländer!»


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