Heinrich Federer
Jugenderinnerungen
Heinrich Federer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine seltsame Freundschaft

Schon sass Dietrich auf seinem Mittelplatz und winkte ungeduldig zum Abstossen. Noch heute sehe ich, wie er in gelbbraunen langen Hosen, die heimlich schimmerten, und in einer solchen leichten offenen Jacke, in gelben Sandalen und das halblange maisfarbene blonde Haar über Stirne und Ohren geworfen, mir auf Tüpfelchen wie ein vergoldeter junger Götze erschien. Und ein grausamer! Seine Augen waren klar und hart wie geschliffener grüner Kristall, und um die Lenden wand er einen breiten hirschledernen Gürtel, eng zugeschnallt, und drin steckte die heillose Peitsche.

Da zauderte ich. Aber als die Dame mit singendem Tone aufmunterte: »Also denn!« – stiess ich die Gondel aus dem Trockenen. Mir schien, die noble Frau helfe, ich fühlte ihre Hand an meiner Brust vorbeitasten.

Nachlässig winkte Dietrich der Mutter mit der Hand, dann sah er mir lange Zeit ungeniert ins Gesicht, ohne die Wimpern zu bewegen, hoch von oben.

Ich wurde scheu davon und dachte leise: Oh, wenn doch meine Mutter dasässe statt dieser Unheimliche. Das gibt keine gute Fahrt. Was hat er nur?

Endlich geruhte der Prinz den Mund zu öffnen: »Wie heissest du?«

»Heinrich.«

»So hiessen unsere grossen Könige«, widersprach er sogleich mit glockenheller, flinker Stimme. »Du aber bist jetzt mein Ruderknecht. Du heissest Tropf, verstanden.«

Ich musste lachen. Da wurde er böse und griff drohend an die Peitsche. »Wie alt bist du?« herrschte er mich an. Er redete so schnell und so sauber und so glatt wie aus einem Buche. Nie hatte ein solches Deutsch in meine holperige Mundart geklungen.

»Etwas über zwölf!« brockte ich schwerfällig heraus.

»Und ich im Oktober fünfzehn! Rudere schneller!«

Ich bemühte mich. Da legte sich ein zufriedenes Lächeln auf seine dunkelviolette Lippe.

»Das heisst, tu dir nicht weh! Wir haben Zeit genug«, sagte er freundlicher. »Fahre jetzt rechts übers Dorf hinaus, dass sie uns nicht mehr beaugapfeln können.«

Er sass mir so nahe gegenüber, dass unsere Füsse sich kreuzten. Eine Weile pfiff oder summte er in leiser, selbstvergessener Zufriedenheit seltsame, sehr schöne Melodien.

Ab und zu schwenkte er mit der Hand, ich solle mehr nach rechts oder links halten. Ein merkwürdiger Duft ging von ihm aus. Immer wieder musste ich verstohlen zu ihm aufblicken und denken, so etwas Schönes habe unser Herrgott gewiss nur einmal gemacht und dabei all seine Meisterschaft zusammengenommen.

Plötzlich fuhr er mich an: »Was guckst mich immer an?«

Und ich, ohne rot zu werden, sagte in kindlicher Zutraulichkeit: »Weil du so ... so wunderschön bist.«

Dietrich spie übermütig ins Wasser. Sofort schoss ein Fisch auf und schluckte davon. Es schattete langsam vom Gestade her den See hinaus, und in unserem Strich schienen die Fische sich um die letzte Sonne zu drängen.

»Herrenkost!« spottete Dietrich. »Komm her, ich will dir auch etwas geben.

Er zog mich an den Achseln zu sich, so dass ich zwischen seine Knie zu knien kam. Dann zog er eine Orange aus der Rocktasche. Ich hatte noch nie eine solche Frucht gegessen. Der Gotthard war noch nicht durchstochen. Nur an den grossen Festen sah man Irangen in unsern Fremdenstädten.

»Oh« machte ich, gierig wie Feuer. »Eine Pomeranze!«

»Orange musst du sagen.«

»Orange«, sagte ich willig.

Er biss hinein mit seinen Zähnen wie mit silbernen Nägeln. »Hast du saubere Hände?«

Ich streckte ihm die Handflächen entgegen.

»Was ist das?« fragte er und tupfte auf eine Stelle.

»Schwielen vom Rudern.«

»Tut es weh?«

»Ja, wenn du so fest drückst.«

»Und jetzt?« Er bohrte die feinen, spielerischen Finger hinein, und seine Augen wurden grasgrün vor lauernder Freude.

»Au«, schrie ich vor Qual. »Hör’ auf, sonst kann ich nicht mehr rudern.«

Da liess er los und lobte: »So, die Haut ist weg, das schmerzt. Aber ein Knecht soll doch für seinen Herrn alles leiden.«

Verwundert sah ich ihn an. Wie melodisch, glatt und sicher er das sagte. Und wie geschliffen schnell! Ich musste mit meinem schweren Ohr mich gehörig sputen, um ihn zu verstehen.

»Wahr oder nicht wahr?« verlangte er scharf.

»Ach, Dietrich, lass mich rudern.«

»Da bleibst.« Er stemmte mich fester zwischen die Beine, und nun schien mir die dreieinige Gewalt von Himmel, Berg und See, die mich sonst beim Schifflifahren überwältigte, nichts mehr vor der Gewalt dieses Antlitzes über mir zu gelten. Zu meiner Entschuldigung muss man bedenken, dass ich zwar in meinem tiefsten Innern im Glauben und Wollen ein rechthaberischer, ziemlich selbständiger Junge war, der sich nicht leicht etwas einreden liess, aber nach aussen, für den praktischen Tag, durch Armut und Krankheit tief zur Erde geduckt, demütig und ergeben lebte, und dass nun eine furchtbare, absolut fremdartige, blendende Macht über mich fiel, vor der ich unbedingt kapitulieren musste.

»Leiden und Sterben für seinen Herrn! Wahr oder nicht wahr?«

»Ich weiss,« entfuhr es mir jetzt unter heftigen Atemstössen, » ... ich weiss ...«

»Was atmest du so?«

»Ich fürchte dich.«

Ganz glücklich strich mir der Prinz durchs Haar. »Fürchte mich nur! Und jetzt zum letzten Mal: Hab’ ich recht oder nicht?«

»Ich weiss nur, dass die Christen für ihren Glauben sich haben martern und töten lassen. Den Sebastian«, erzählte ich eifriger, »hat man mit gewiss mehr als zwanzig Pfeilen getötet. Und den Laurentius hat man über glühenden Kohlen langsam verbrannt. Die haben noch gelacht und gesungen. Aber das war für Gott, nicht für einen Menschen.«

Ein Schatten kroch über das Herrengesicht, er schwieg einen Moment wie verlegen. Dann lachte er mir laut ins Gesicht und hänselte: »O du braves Büblein. Und wie du redest. Scht ... chscht ... spscht! Redet ihr Brienzer alle so langsam und so schwer?«

»Ich bin nicht hiesig. Ich mache nur Vakanz bei den Verwandten vom Bären.«

»Woher bist du denn?« Er biss ein Stück Schale weg und sog den Saft aus der Pomeranze. Schnell erhaschte ich die Rinde und steckte sie in die Tasche. Schon das war für mich eine Kostbarkeit.

Verächtlich sah Dietrich zu.

»Da drüben über dem Brünig bin ich daheim.«

»Was macht dein Vater?«

Jetzt wurde mir heiss. »Ich habe nur noch die Mutter«, erwiderte ich hastig, halb wahr, halb gelogen.

»Was seid ihr denn?« Er spie einige Kerne in den See, und wieder schnappten kleine Barschen sie munter auf.

»Willst du wohl antworten?« gebot Dietrich und griff an den Peitschenstiel. Das war wohl seine unbewusste Erschreckensgewohnheit.

»Ach,« sagte ich unerschrocken und blickte voll Sicherheit in sein herrliches Antlitz, »du kannst mich doch nicht peitschen. Das kannst du nicht, du bist viel zu ... zu ...«

»Was, zu zu?«

»Zu fein dazu.«

Er musste lachen. »Was bist du für ein komisches Närrchen! Gerade dich gelüstet mich ein bisschen zu geisseln.«

»Wo ich dir doch nichts getan habe? dich rudere? Auch morgen, soviel du willst. Weisst du, dass ... dass ... ich dich schon recht gern habe?«

Wieder huschte ein Schatten über den rätselhaften Menschen. Ich aber wurde dunkel vor Scham. Welche Abgründe und heimliche Dickichte gibt es doch schon in der halbwüchsigen Kindheit!

»Also, was seid ihr? Los damit! hopp!«

»Ganz arme Leute«, gestand ich leise.

Das schien Dietrich ein bisschen zu rühren. Er blickte einen Moment weg. »Meine Mutter wird dir Geld geben,« sprach er in den See hinaus, »weil du mich herumfährst. Wir sind reich. Sie soll dir viel geben.«

»Oh,« sagte ich im ersten stolzen Sturm meines Herzens, »ich rudere dich ja aus barer Freude. Ich habe nicht an Geld gedacht. Aber ... freilich, ...,« lenkte ich in die bittere Wirklichkeit ein, »wenn ich etwas bekäme, vier, fünf Batzen, ich gäbe es der Mutter. Sie hat nichts. Wir müssen vielleicht zu Fuss über den Brünig heimgehen.«

»Greif in deine Tasche!« befahl er lächelnd.

Ich stiess auf etwas Schweres in Papier, wickelte es los: ein prachtvoller Fünffränkler!

»Oh«, schrie ich auf und hob die Augen wie verzückt meinem Prinzen. »Oh ... da ... so ... so viel!« Tränen rollten mir über die Backen.

Noch mehr staunte Dietrich mich an. Was war denn so ein Silber? Wie viele flogen über Tag aus Vaters Hand!

»Da, iss jetzt die Orange fertig«, befahl Dietrich fast verlegen. »’s ist noch viel Saft darin. Aber iss mir die Rinde nicht auch auf«, fügte er lachend bei.

Wie gut war das! Ich schluckte das Fleisch, die Kerne, ich hätte beinahe noch die Schale verschlungen. Wie das frisch machte und wie es duftete nach fernen, heissen Wunderländern! Ich wurde keck dabei.

»Warum hast du gerade mit mir auf den See hinaus wollen?« fragte ich. »Du konntest ja die besten Ruderer haben. Die Gondel des alten Michel wäre durchs Wasser geschossen wie ein Pfeil.«

»Weil ich regieren wollte«, erwiderte er unverweilt und zog mich ein bisschen am Ohr.

»O, der Michel und der Hausmann hätten dir auf den Wink gefolgt.«

»Aber ich musste ein Knechtlein haben. Da kniest du vir mir, so lange ich will. Du hast mich gern. Ich gefalle dir. Das hab’ ich sofort gemerkt, als du mich unter der Kastanie erschrocken anstarrtest. Ich habe dir dann die Zunge gestreckt.«

»Das hättest du nicht sollen.«

»Ich mache, was ich will.«

»Das darf niemand.«

»Ich schon.«

»Nein, du auch nicht. Nicht einmal der Napoleon.«

»Was widersprichst du mir da?« schrie der Prinz und zog mich fester am Ohr.

»Mein Vater sagte das immer ... ich mache, was ich will ... und dann wurde er arm ... und dann faul ... und dann krank ... ein ... ein ... ach Gott.«

»Was ein ...?«

»Zerre nicht so!«

»Was ein?«

»Ein ... Bettler!«

Dietrich liess mich los. Auf einmal war sein Auge voll Güte.

»Und lebt er noch?«

»Ich weiss es nicht. Niemand weiss, wo er ist ...«

»Du bist ein armer Tropf«, sagte er leise.

»Aber ich habe eine Mutter, oh, eine Mutter ...«

»Und das kleine Mädchen mit den schwarzen Augen ... ?«

»Das ist meine jüngere Schwester Johanna.«

»Ein hübsches Ding.«

»Ja? Ich habe nie daran gedacht.«

»Du bist eben ein Narr. Jeden Tag möcht’ ich es dreimal küssen, so ein rotes Kirschmäulchen macht es. Gibst du ihm nie einen Kuss?«

Ich musste lachen. »Warum sollte ich?«

»Teufel, wenn ich es da hätte, so zwischen den Knien wie dich, du Tropf. Es würde fast ertrinken, so wild könnt’ ich küssen.«

»Wozu denn?« fragte ich mit unendlicher Arglosigkeit. »Du kannst doch deine Schwester küssen, die Hübsche mit dem Pudel. Die ist noch viel grösser und noch viel schöner.«

Dietrich schnitt eine Grimasse. Merkwürdig, durch diese kleine Gebärde wurde er hässlich. »Bist du ein kurioser Fink!« murmelte er, aber war im Augenblick wieder der Herrliche von vorher.

»Nun sage mir,« bat ich schüchtern, »wer bist denn eigentlich du?«

»Mein Vater ist Graf von ... und General ...«

»Potz!«

»Wir wohnen in ... Weisst du, wo das ist?«

»Gegen Russland zu.«

»Bravo.«

»Und seid ihr in einer grossen Stadt?«

»Wir haben ein Palais in Berlin. Aber meist wohnen wir auf unsern Gütern. Da sind drei, vier Herrensitze, Wald, Jagd, grosse Äcker. Viele Dörfer müssen uns zinsen.«

»Herrgott«, schrie ich verwundert und schier ungläubig. »Du lügst, glaub’ ich.«

»Frag’ meine Mutter«, erwiderte der Prinz einfach.

»Dann bist du ja ein halber König«, stiess ich aus.

»Mehr! Wir regieren den König. Ohne uns kann er nichts machen, der König von Preussen ...«

Ich war wortlos.

»Verstehst du mich jetzt?«

Ich nickte. Aber sofort rebellierte mein Verstand und ich sagte: »Aber du darfst nicht machen, was du willst, das doch nicht!«

Wieder zog ein bitterer Schatten über Dietrichs Gesicht. Er stiess mich aus seinen Knien und gebot hart: »Rudere! Und wenn du das noch einmal sagst, schmeckst du die Peitsche.«

Mir schien, ich müsse, ach, ich müsse es ihm noch einmal sagen, wie man einen warnen muss, der an einem Abgrund spielt. »Aber lieber, schöner, guter Dietrich, ich sagte das doch nicht dir zuleid. Aber ich würde todunglücklich, jetzt, wo ich dich kenne, wenn ... wenn du ...«

»Still!«

Die Uferhänge in silbernem Dunst, der Abendhimmel mit der leisen Mondsichel, der dunkelnde See, es war ein Zauber des untergehenden Tages, der mich andere Male hingerissen hätte. Jetzt aber gab es für mich noch etwas Schöneres, ich sah nur diesen Kameraden. Der sog alle Aufmerksamkeit auf. Bei der Mutter war alles Friede gewesen und Himmel und erde in eine Ruhe mit uns verschmolzen. Mit diesem hübschen Satanskerl aber war, obwohl die Landschaft schier noch stiller geworden, etwas Ungehöriges ins Bild gekommen, etwa wie wenn jetzt ein blutiger Komet am Himmel erschiene. Nichts als Unruhe, aber eine herrliche Unruhe, wohnte in unserem Boot. Ich konnte das nicht aussprechen, aber ich fühlte es.

Nur um die düstere Stille zu unterbrechen, fragte ich, ob er nicht Lust hätte, zum Spass ein bisschen zu rudern. Da wurde er dunkel wie eine Traube und schrie: «Was geht dich das an? Sklave! Kein Wort mehr.«

Das Leben mit Vaters Abenteuern und Mutters Nöten hatte mein Knabengehirn zeitig geweckt. Ich merkte sogleich, dass dieser vermeintlich so Selige litt. Meine Frage musste ihn an einer wunden Stelle berührt haben. Das «Sklave!« ärgerte mich jetzt gar nicht. Wenn es ihn ein wenig erlöste, mochte er es mir hundertmal ins Gesicht schmeissen. Auch die Peitsche würde ich vielleicht hinnehmen, wenn der Riemen nicht gar zu scharf brennt. Ich liebte ihn, ich fühlte es, mit einer grossen augenblicklichen Kraft. Ich würde für ihn vieles dulden. Wie ein Schuldiger bog ich das Haupt nieder, als er mich so anschrie, und sagte: «Sei nicht böse! Du bist der Herr! Du hast recht.«

Er verdrehte sonderbar die Augen und schob die Zunge im geschlossenen Munde her und hin. Die Unschuld und Ergebenheit meiner zwölf Jahre hatte ich gleichsam instinktiv vor ihn hingelegt, indem ich den Kopf neigte. Und dieser empfindliche und gescheite Mensch konnte das nicht verkennen. Plötzlich fühlte ich meinen Kopf rechst und links gepackt und sein Gesicht auf mein Haar gelegt wie auf ein Kissen. Mein kleines Herz schwoll auf vor Glück.

Ich ruderte nicht mehr und hielt den Atem an, um bewegungslos herzuhalten wie eine Statue. Aber seinen heissen Atem spürte ich durchs Kopfhaar wehen. So blieb er eine gute Weile. Dann hob er das Gesicht, presste mich zwischen Kinn und Stirne fest und sagte: «Du hast wirklich Talent zum Dienen. Schade, dass ich dich nicht kaufen kann, wie man bei den Römern Sklaven kaufte. Sofort nähme ich dich mit.«

Dazu würde ich auch noch ein Wörtchen sagen, dachte ich. Laut sagte ich: «Ich käme vielleicht freiwillig.«

«Schau, schau, welch ein Hündchen!« neckte er.

«Nicht Hündchen! Als dein kleiner Freund käme ich.«

Er war fieberrot geworden, sein dunkler Mund dampfte vor Hitze. Etwas rang in ihm und konnte nicht heraus. «Gelob’ nicht zu viel,« sagte er, «wenn du alles wüsstest ...«

«Ich will nichts wissen, als dass ich dich gern habe.«

«Höre,« sagte er gepresst, «ich habe den rechten Arm einmal gebrochen.«

«Aber jetzt ist er wieder ganz«, sagte ich harmlos.

«Schweig’ doch, du Dummer! Ganz? Am Ellbogen übers Kreuz gebrochen, dass ich jetzt mit dem rechten Arm nicht einmal Steine schleudern darf, so stark muss ich aufpassen. Ich könnte nicht rudern. Hast du nicht gesehen, dass ich mit der Linken peitschte?«

Ich schüttelte den Kopf. «Tut es denn noch weh?« fragte ich.

«Du bist ein Tropf. Ist es nicht genug, wenn ich den rechten Arm zu nichts brauchen kann?«

«Aber du musst ja nicht arbeiten. Du brauchst nur zu winken. So!« Und ich ahmte linkisch die eleganten Bewegungen nach, mit denen er die Gondelfahrt bestimmt hatte. Wider Willen musste er aus seiner Düsterkeit heraus lächeln. Wenn er lächelte, war er schöner als ein Cherub.

»Was bist du doch für ein Tropf. Schau, wegen diesem verrückten Arm kann ich nicht ins Militär. Mein Vater ist General, mein Grossvater war General. Wenn du bei mir auf ... wärest, könnte ich dir in der Waffenhalle die Stammtafel zeigen bis in die Zeiten der Deutschritter hinauf.

»O der berühmte Orden ... Marienburg am Nogat!« jubelte ich. Wie viel hatte ich schon von Deutschmeistern gelesen. Ehrfürchtig sah ich meinen Schiffsgast an.

»Dertausend, wie gescheit bist du! Aber man sagt: an der Nogat. Nun denke, alle meine Ahnen waren Obersten und gewaltige Krieger. Ihre Panzerhemden und Helme bedecken alle vier Wände. Und nun bin ich der erste, der auf den Gütern ohne einen Schwertstreich verbauern soll! Pfui, pfui, pfui!« keuchte er und spuckte ins Wasser hinaus.

Ich streichelte seine Hand. Was konnt’ ich da sagen? Ich verstand sein Weh nicht einmal recht.

»Und noch etwas,« fuhr Dietrich, mit angeekeltem Gesicht fort, »ich liebe die Musik.«

»Oh, ich auch!«

»Schweig’ doch! Was weisst du von Musik? Oder spielst du ein Instrument.«

»Nein, nein.«

»Aber ich schwärme für das Klavier und spielte schon Mozart und Haydn und etwas leichtern Beethoven. Und jetzt ist mir das auch noch verboten. Denn hier«, er tupfte auf den rechten Ellbogen, »bekomme ich manchmal Entzündungen und eiterige Pusteln. Vielleicht amputieren sie mir noch einmal den Arm. Da hast du meine Herrlichkeit!« – Sein Gesicht wurde wie Nacht.

»Nein, nein, nein, das nicht, das gewiss nicht«, eiferte ich und hielt liebkosend die Wangen an seine schlanken kühlen Hände. »O wie kalt hast du«, rief ich. »Frierst du?«

»Kein Blut«, höhnte Dietrich. »Alles im Kopf. Ein Staatskrüppel. Jetzt knie und bewundere mich!«

Ich wurde tieftraurig und die ganze dämmernde Landschaft schien mir auch davon angesteckt. Das Wasser klagte, die Abendglocke vom Kirchenhügel jammerte, das Gewölke überm Faulhorn schien ein Gespenst und meine Ruder furchten den Spiegel seltsam schwer, als wäre es Friedhoferde. Ich sann herum, wie ich trösten könne, und da fiel mir plötzlich Onkel Jaggi ein, der auf der Jagd jedesmal allen Hypothekenverdruss abschüttelte.

»Du hast noch die Jagd«, sagte ich frisch.

Jetzt leuchtete es bei Dietrich auf.

»Mein Onkel geht auch jagen, bis dort hinauf.« Ich zeigte auf die beschneiten, felsigen Höhen der Schwarzhornkette.

»Was gibt es da?« hastete Dietrich und wurde plötzlich sehr aufmerksam.

»Gemsen. Die sind schwer zu bekommen. Sogar eine grosse Wildkatze hat er geschossen. Die kratzen dich zu Tode, wenn du nicht gut triffst. Einen Lämmergeier und mehrere Adler hat er auch. Soll ich sie dir morgen zeigen?«

»Was, solches Wild! Fahr’ jetzt zurück. Ich möcht’ das noch heute sehen. Morgen«, schloss er, »kutschieren wir ja schon früh ab. Ich bliebe ganz gerne noch länger hier in Brienz.«

Ich ruderte mit aller Macht. Die obere Hälfte der berge stand noch in tiefgelber Sonne. Über den Dächern von Brienz rauchte es bläulich in hundert kleinen Fähnchen: Das Abendessen.

»Die Spitze dort oben, man sieht sie nicht recht, heisst Rothorn«, plauderte ich in die Stille. »Dort muss eine gewaltige Aussicht sein, vom Montblanc bis zum Säntis und weit über den Rhein hinunter, sagt man.«

Dietrich strahlte in jene steile Höhe empor, die den Himmel schier durchbohrte. »Ist es leicht«, fragte er, »hinaufzukommen?«

»Die Brienzer sagen: ein Spaziergang.«

»Gehen wir!« beschloss Dietrich.

»Aber ihr reist ja über den Brünig.«

»Vater bleibt schon, wenn ich will.«

»Das wäre herrlich«, schrie ich auf und stampfte vor Aufregung mit den Füssen. »Aber ob man uns lässt?«

»Lass mich nur machen.«

Er wiegte sich fröhlich her und hin, summte etwas wie eine wortlose Melodie durch die veilchenfarbigen Lippen und trieb mich erbarmungslos an, schneller und noch schneller zu rudern. Das Rothorn lachte zu uns herab: Kommt nur, ich serviere euch die ganze Schweiz auf einem Teller. Kommt, ihr gefallet mir.

Wir besprachen den Plan wie Feldherrn vor einer Schlacht. Um fünf Uhr morgens aufbrechen. Einen Hirtenbuben zum Führer mitnehmen. Er trage den Proviant. Um elf Uhr sind wir ganz gemächlich oben. Den Burschen lassen wir auf der obersten Alphütte zurück. Dietrich war noch auf keinem Gipfel gewesen. Seine Familie kannte Zermatt und Sankt Moritz und die berühmtesten Bäder und Meerplätze. Aber ihre Exzellenzen liebten die Täler, misstrauten den Höhen und fühlten schon Herzklopfen bei 1800 Meter. Ich aber erzählte mit saftendem Munde meine Schulreise auf Mettental, wie die Luft süss und frisch sei, das Wasser wie Schnee, und wie bei jedem Tritt die Welt kleiner und wir grösser werden, bis zuletzt nur noch der Himmel etwas höher bleibe.

Lustig und plauderhaft stiessen wir ans Land. »Merkwürdig,« sagte Dietrich mir nachdenklich ins Ohr, »dass ich die Peitsche kein einziges Mal brauchte.«

Die schöne hohe Dame trat sogleich heran. Sie prüfte unsere Gesichter und wurde im Augenblick sorglos. Es war also alles gut abgelaufen.

»Mutter,« sagte Dietrich und bot ihr den linken Arm, »ich habe dir viel zu erzählen.«

»Was es schön da draussen?«

»Prächtig. Der Bub da ist ein flotter Kamerad.«

Die Dame schenkte mir einen rührend dankbaren Blick.

»Frau Ex...x...z...« stotterte ich ...

»Mach’ keine Geschichten«, sagte Dietrich lachend.

»Ich möchte nur für den Fünfliber ...«

»Schon gut, lieber Junge«, beschwichtigte sie eilig. »Das hast du wohlverdient. Mein Sohn ist ein schwieriger Patron.«

»O nein, er war gut mit mir. Ich würde ihn noch die ganze Nacht herumrudern, so schön ist es mit ihm.«

»Ei, ei!« lachte die bei aller Fülle wohlgestaltete Dame, »dann musst du ein recht witziges Bürschchen sein.«

»Ich sag’ zu ihm Tropf«, gestand Dietrich spassig. »Sonst heisst er Heinrich. Aber das ist nur Spass. Er weiss sogar, dass Marienburg an dem Nogat liegt.«

Dann zog Dietrich die Mutter zum Hotel empor, wo schon alle Fenster in festlichem Lampenschein erstrahlten. Aber nach drei Schritten wandte er sich um und rief gebieterisch: »Also, punkt fünf Uhr am Portal, verstanden.«

Und gleich hörte ich ein flinkes Drauflosreden des Prinzen, wobei er den Kopf heftig bewegte und seine leichte, schmale Gestalt enger und enger an die seidenrauschende mächtige Figur der Mutter schmiegte, bis er im Abendgrau mit ihr in eins zusammenfloss.

Schon nach dem Nachtessen wusste die Tante, dass die Exzellenzen noch einen Tag bleiben und schenkte mir ein gnädiges, mit undeutlichem Brummeln gemischtes Lächeln. Ja, die brachte mir einen kleinen Proviantsack und einen festen Bergstock und sagte, der Heini Schneiter werde mich wecken und mitkommen. Aber ich solle doch ja achtgeben auf das Gräflein. Wenn ihm ein Unglück zustiesse, herrje, das wäre ein entsetzliches »Renommee« für ihr Hotel. Übrigens solle ich recht proper aufrücken. Sie könne bei Gott nicht begreifen, was so ein nobles Herrchen an mir Grosses sehe.

»Ach, Tante,« flüsterte ich, »du begreifst noch vieles nicht.«

Auf der Strasse suchte mich Dietrich und wollte, obwohl es nun Nacht geworden, noch durchaus den Lämmergeier sehen.

So bekam ich denn eine Laterne und den Schlüssel und führte den Gast durch die Hintertreppe jenes Hauses ins Schnitzleratelier. Das Licht gab einen kurzen Schein, und so bekam es etwas Drohendes, wie die Raubvögel mit den klafternden Schwingen noch halb im Schatten blieben und wie ihre schwefelgelben Augen mit dem dunklen Stern blitzten, wenn ein Strahl sie traf. Dietrich konnte sich nicht ersättigen an ihrer majestätischen Figur, kraute mit den Fingern in ihrem aufgeplusterten Brustflaum, umfing ihre hartgriffigen Füsse, streichelte ihre kolossalen Krallen. Und dann die aufgeschnellten, elastischen Gemsen und gar die Wildkatze, deren Pfoten sich wie Eisen befühlten und die mit dem furchtlosen Kopf, dem grauen, starkhaarigen Leib und dem prachtvoll gebänderten Schwanz im Begriffe schien, auf einen von uns zweien niederzuspringen.

»Ein grossartiges Tier!« lobte Dietrich. »Ich glaube, wir haben die gleichen Augen.«


Wie köstlich war die Bergtour am frühen Morgen! Der Pfad selbst bot lange nicht so schöne Abwechslung wie am Sachslerberg hinauf. Keine Frühlingsbäche schäumten, keine Alpenrosen blühten mehr. Dafür war alles machtvoller. Aber wie ich gestern den geliebten See, so vergass ich jetzt den geliebten Berg vor dem viel liebern Freunde. Wie elastisch war sein Schritt, wie behend sein Gang und wie blauten seine Augen dunkel und gewaltig auf, wenn hinter den Vorgebirgen ein Eisgipfel nach dem andern sich emporreckte, die Wetterhörner, das Schreckhorn, Jungfrau, Mönch und Eiger und wie eine gen Himmel gezückte Lanze das Finsteraarhorn zuhinterst, diese gesamte eisige Stadt von Viertauserndern, diese wahrhaften Belagerer des Himmels.

»Grossartig! Grossartig!« wiederholte Dietrich. »Ohne dich hätt’ ich das nicht erlebt«, murmelte er einmal und suchte und drückte meine Hand an sich.

Im letzten Wäldchen nahmen wir einen kleinen Imbiss. Nachher, sagte Heini, komme kein gutes Quellwasser mehr.

Im Gestrüpp, das dann folgte, fand ich einige Himbeeren. Ich hielt die paar Zweiglein dem Prinzen vor die Nase und wie ein Vogel pickte er Süssigkeiten weg. Es galt ihm als selbstverständlich, dass ihm alles gehörte.

Nach und nach wuchs der Alpenkranz vor uns ins Ungeheure. So etwas hatte auch ich noch nie gesehen. Vom höchsten Osten ging es südwärts bis zu den fernen Walliser und Savoyer Alpen. Das war nicht mehr eine Stadt, das war eine Welt von Zinnen, Häuptern und Zinken, ein Sibirien der Lüfte, still, einsam, tot und doch so unsagbar schön.

Das Treffliche dieses Brienzer Aufstieges jedoch besteht darin, dass man erst auf dem Gipfelgrat die andere Hälfte sich urplötzlich öffnen sieht, jene minder erhabene, aber menschlichere Welt der schweizerischen Hügel und Hochebene, mit den vielen Dörfern und aufblitzenden Wanderflüssen, den Seen und volkswarmen Tälern. Wir liessen den Heini in der obersten Alphütte und stiegen zu zweit neben dem verlassenen verwahrlosten Gasthof auf die Spitze. Links ging es in halbnackten Rippen und faulem Gerölle zu den fetten Entlebucher und Obwaldner Alpen hinunter.

»Sieh, sieh,« rief ich voll Heimwehfreude, »dort unten ist meine Heimat. Der Sarner See, Sarnen, das Kollegi, wo ich studieren werde, und rechts am See ist mein dort Sachseln. Leider sieht man es von hier nicht recht. Und unten die Rigi und der Pilatus und dazwischen der Vierwaldstätter See. Und dann wird es flach und flacher und dort, wo der blaue Dunst ist, dort liegt Deutschland, dort fängt dein ... dein ... Reich an!«

Wir hockten eng zusammen und schauten und staunten. Kein Wind ging. Aber der Himmel bedeckte sich allmählich mit trägem grauem Mittagsgewölke und hüllte nach und nach die Hochgebirge in Nebel und verschleierte die Fernen. Und das tat gut. Denn solcher Überfluss hätte uns nachgerade übersättigt. Jetzt waren wir gezwungen, uns auf das Nächstliegende zu konzentrieren, den grünen Brienzer See sozusagen unter unsern Fussspitzen und das Obwaldner Ländchen, das vorne in der Tiefe lag wie ein leises, unverklungenes Lied.

»Ja,« sagte Dietrich, »ihr Schweizer habt ein schönes Vaterländchen. Ich komme noch oft zu euch. Aber auch mein Land ist schön.«

»Wie ist es denn?« fragte ich.

»Ganz, ganz anders. Keine Berge ...«

»Oh, keine Berge!«

»Nein, alles weit und breit, mit grossen Flüssen und einem Wald ohne Ende. Und unten rauscht das Meer. Und die Sonne kugelt rechts hinter den Wiesen herauf, vom Boden auf ganz rot, und kugelt links wieder hinter einem Fluss oder Wald am Abend hinunter, oder wird geradenwegs vom Meer verschluckt. So etwa. Und der Himmel ist viel grösser, fast wie hier oben. Aber auf dem Platz hier dünkt es mich doch fast gar noch schöner.«

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Land ohne Berge und enge Talwinkel und Wasserfälle und Alpenseen schön sein könne.

»Nein,« fuhr er fort, »so etwas haben wir nicht wie den Sitz da. Da müsste ein König sitzen.«

»Du!« sagte ich halb aus Neckerei, halb aus Schwärmerei.

Denn er sass da und hob das gescheite, kühne, vom Glanz seiner herrischen Augen leuchtende Gesicht wahrhaft wie ein Fürst in den Himmel. Jedes Wort, jede Geste, jede Miene verriet einen Herrschenden, und war er doch nur ein Büblein!

»Da würdet ihr was erleben,« versetzte er hart, »ihr ... ihr ... Republikaner!«

»Nein, es ginge doch nicht. Du warest zu wild. Und wir sind grob, heisst es im Lesebuch.« Und ich erzählte vom Sturz des Landenberg und von Morgarten und Sempach. »Seit sechshundert Jahren«, schloss ich, »sind wir ohne König ... selber König.«

»Ihr Heillosen«, schnob Dietrich. »Darum ... ah, darum ...«

»Was darum ...?«

»Bist du auch so ein ... Grobian.«

»Ich?«

»Zu Hause sagt man mir gnädiger Herr oder Herr Graf!«

»Was, gnäd .. ig ...« Ich konnte das Lachen nicht verbeissen.

»Hör’ auf zu lachen oder! ... Und in den Dörfern, wenn mich ein Bauer grüsst, verneigt er sich bis zur Brust. Und Buben wie du, die etwas möchten, knien ab und umfangen mein Knie und küssen mir beinahe die Schuhe.«

»Das ist ... das ... nein ... das ist ein Märchen«, stammelte ich. »Du bist doch auch ein Mensch.« Und ich Kindskopf vergass, dass ich gestern im Schiffchen beinahe dasselbe getan hätte.

Dietrich griff zur Peitsche im Gürtel. Seine Stirn wurde blass.

»Willst du’s glauben oder nicht?«

»Ich glaube es schon. Ihr seid halt ganz andere Menschen. Monarchisten, sagt man nicht so?«

»Jetzt bück’ dich und tu’s auch. Zur Strafe! Ich lüge nie. Wozu sollte ich lügen? und vor so einem Knirps!«

Sein Gesicht war verändert, lieblos, verhärtet, stolz, ganz wie der Steinadler im Atelier.

»Auf den Boden! und sage: Verzeih mir, du bist mein Herr und ich bin dein Knecht. – Jetzt wollen wir einmal einen Schweizer unters Knie nehmen.«

Aus Spielerei und kindischer Verehrung hätte ich es vielleicht aus freien Stücken tun können. Hatte ich ihm doch noch eben König gesagt. Aber jetzt, nachdem ich unsere Heldengeschichte aufgerufen hatte, nachdem ringsum die ganze Schweiz zu mir aufschaute, jetzt auf das jähe, boshafte Kommando dieses Eindringlings da, nein, unmöglich, und wenn mich totschlägt.

»Nimm meine Füsse in die Hände und sage: Du bist mein Herr und ...« Die Peitsche sauste durch die Luft.

»Satan!« schrie ich plötzlich entsetzt und schnellte empor. Ein Zischen der Peitsche, ich rannte wie eine Gemse zum Hotel hinunter und irgendwo zu einer der geborstenen Türen hinein. Ein biblisches Bild durchblitzte meine Seele. Ich zitterte und schwitzte vor Angst.

Aber der gefährliche Mensch war mir nicht gefolgt. Er stand noch auf dem Kegel und dann mit gesenktem Kopf und hängenden Armen schritt er langsam und nachdenklich den Hang herunter.

»Wo steckst du?« rief er vor dem Hause.

Ich trat heraus. Er war totenblass.

»Willst du davonlaufen?«

»Nein, ich bleibe bei dir.« Und jetzt nahm ich seine Hand und presste sie an meine Wange.

»Mir ist schwindelig, suche mir ein Lokal, wo man ein wenig abliegen kann!«

Ich stützte ihn die Treppen hinauf, die halb zerkrachten. Alle Türen waren aus den Angeln gerissen, die Laden ausgerenkt, zahlloses Geschirr barbarisch auf die Felsrippenseite gegen das Entlebuch hinuntergeschleudert. Auch ganze Matratzen lagen dort zerfetzt, Pfannen verrostet, Fensterrahmen verbogen. Nachdem das Hotel in Konkurs gekommen, hatte man es seinem Schicksal überlassen, und die Wohllust der Zerstörung, die in allen jungen Menschen lebt, hatte dann ihre Orgien gefeiert und das Gegenteil von dem, was man sonst alltäglich tun muss, getan: Vernichtung, Verneinung, Nihilismus.

Aber in vielen Zimmern lagen noch welke Federmatratzen im Bettgestell. Auf eine solche hob ich meinen Freund mit aller Kraft der Liebe und Angst. Denn ich glaubte, meine Beschimpfung habe ihn so elend gemacht. Ich wusste nichts von Bergkrankheit und von Herzleiden und zu raschem Aufstieg. »Verzeih’ mir«, flehte ich jetzt dutzendmal. »Du bist mein Herr und ich dein Knecht.« Doch er schüttelte den Kopf. »Die Schuhe!« sagte er. Schnell zog ich sie ihm aus und rieb seine eiskalten Füsse warm und deckte sie mit meiner Pelerine. Dann füllte ich seinen Becher mit Tee aus meinem Krug, tat Zucker und Kognak hinein und hielt ihn wie einem Säugling an die violetten Lippen. »Ah,« lobte er und schlürfte gierig, »wie gut!« Ich kniete vor ihm, gab acht, dass kein Tropfen daneben ging, atmete auf, als das goldene Braun seiner Schläfen leise zurückkehrte, und glaube nicht, dass eine Mutter ihrem todkranken Kind je sorglicher die Medizin gereicht hat.

»Noch mehr!«

Ich füllte wieder. Nach einigen Schlücken sagte er: »Jetzt du!« Ich trank. Dann er wieder und so weiter, bis er den Silberkelch leer umstülpte.

Dann streckte er sich und schlief ein. Ich blieb auf den Knien und betrachtete ihn voll Liebe und voll Scheu, fast wie das Bildnis auf einem Grabmal. Wie vollkommen war doch alles an diesem Menschen und dennoch wie fremd, wie unselig! Ich fühlte, dass ich ihn bei mir behalten möchte und war dennoch froh, dass er morgen verreiste.

Nebenan stand ein zertrümmertes grosses Fenster gegen Brienz offen. Ein sonderbares Geräusch und ein Wohlgeruch ohnegleichen drang herein. Ah, es regnete, oder vielmehr es träufelte tausendtropfig nieder, wie mit kleinen blitzenden Edelsteinen durch eine gedämpfte, vernebelte Sonne. Einige Berge waren scheitelklar ins Blaue gespitzt, andere erstickten noch fast in Gewitterschwaden, auf dem See lagen Licht und Schatten durcheinander und von Ferne schollen leise, gemütliche Donner. Aber die Helligkeit siegte, schon lagen wir in der vollen Sonne.

Ich leerte noch ein Glas und noch eines, so sehr dürstete mich. Dann ward ich auch schläfrig, legte den Kopf auf Dietrichs Lager und schlief ein.

»Tropf Heinrich! Tropf Heinrich!« scholl es mir ins Ohr. Mein Genosse sass aufrecht auf der Matratze und schüttelte mich wach.

»Jetzt haben wir den Zank verschlafen, nicht wahr, und es ist zwischen uns wieder alles im Blei!«

Ich nickte fröhlich.

»Nur eines will ich wissen, warum hast du mich Satan genannt? Das war nicht aus Zorn. So dumm bin ich nicht. Du hast mich mit einem Schrecken angestarrt, als sähest du den leibhaften Teufel. Glaubst du wirklich an den Teufel?«

»Es gibt doch einen.«

»Und bin ich der? Wie grossartig!«

»Ach, Dietrich, spasse doch nicht mit solchen Sachen.«

»So kläre mich auf!« Er griff gewohnheitsmässig an den Gürtel. Aber da steckte keine Peitsche mehr.

»Rede doch! Ich bin gar nicht böse darüber, ich bin eher stolz darauf«, bekannte Dietrich.

»So höre«, bat ich. »Du weisst doch aus der Bibel, dass der Teufel den Heiland einmal auf einen hohen Berg führte. Da wollte er ihn versuchen. Und er sagte: ›Knie vor mir ab und bete mich an oder verehre mich als Herrn oder so etwas.’ Und da antwortete Jesus, dass man nur Gott so zum Herrn haben könne. ›Weiche von mir!’ rief er. Und der Teufel stürzte davon.«

»Da, das kenn’ ich«, gab Dietrich zu und wurde überaus aufmerksam.

»Und als du nun befahlst, ich solle mich zu Boden bücken und sagen, du seiest mein Herr ... und so böse, so hart, so ... so ... Augen wie Schwefel ... ach, ich kann’s nicht sagen, da war mir, ich höre den Teufel, den Teufel in seiner Herrlichkeit ...«

»Was? Herrlichkeit? Wie schwatzest du?«

»Oh, der Teufel war doch einst der schönste Engel. Und er kann sich, wenn er will, wieder so anziehen. Und du, auch wenn du wüst tust, bist halt doch immer herrlich anzuschauen.«

»Potz Blitz, was bist du für ein kleiner Salomon.«

»Nein, nein, spasse nicht, in jenem Augenblick schauderte ich vor dir. Jetzt bist du wieder ganz anders. Aber wie der Wind kannst du umschlagen. Dann kennt man dich nicht mehr. Man muss dich fürchten.«

»Höre, Heinzel, ich krümme dir kein Haar mehr. Du bist mir zu gescheit. Die Peitsche hab’ ich über die Felsen hinuntergeschmissen.«

»Oh,« entschlüpfte mir, »wie schade!«

»Geh sie doch holen! Aber dann bist du wirklich ein Knecht.«

»Sie bleibe, sie verfaule«, rief ich schnell.

»Mir aber wurde,« gestand jetzt Dietrich, »als ich dort oben sass und du von den Vögten erzähltest, sonderbar im Kopfe, heiss, kalt, fast schwindelig. Wir sind zu rasch gelaufen und haben zu wenig gegessen. Schau,« er zog eine schmale goldene Uhr aus dem Gürtel, »es ist schon fast ein Uhr. Und dann bin ich noch nie so hoch gewesen. Das war’s. Da hab’ ich denn Dummheiten geschwatzt«, er schlug sich vor die Stirne. »Aber jetzt sind wir beide klug geworden, jetzt wollen wir essen, guter Tropf, du!«

Und wie wir assen, Brot und Schinken, Eier, Torte, Birnen, und zwischenhinein über das Gesimse in die Welt unter uns guckten und die aromatische Luft ein- und auspufften und aus den Bechern den Tee tranken und einander fünf- und sechsmal sagten, dass wir noch nie so grossherrlich gespeist hätten, was bei mir wenig, aber bei Dietrich viel heissen mochte, ach, und wie wir einander immer wieder an der Hand nahmen und für jedes Jahr todsicher ein Wiedersehen gelobten, als ob das im Handumdrehen so leicht geschähe: was weiss ich heute noch davon, als dass wir in einer elysischen Trunkenheit steckten, in einem Rausch, wie die Blume, die sich zum ersten Mal der Sonne öffnet oder wie eine junge Schwalbe, die zuerst die Schwingen hebt, sich in die Luft stürzt und wahrhaft, o Seligkeit, fliegen, fliegen kann.

So sprangen wir auch den Berg hinunter, bald ungehemmt wie wilde Füllen, bald bremsend, so gut es ging, aber doch nie im prosaischen Philisterschritt, immer ein bisschen eilig, von einer wohligen Unruhe des Blutes vorwärts gerissen. Ein Morgen und noch ein Morgen, o zehntausend so schöne Morgen warteten ja auf uns. Sputen wir uns!

Ich weiss nur noch, wie Dietrichs Mutter mir einen zweiten Fünffränkler in die Tasche schob und sagte: »Ja, wie machst du das? So zufrieden ist mein Junge schon lange nicht mehr gewesen.«

»Er hat die Peitsche fortgeworfen«, sagte ich, als ob dies das Höchste wäre, was ich rühmen könnte.

»Nicht möglich«, rief die Exzellenz erstaunt.

Dietrich wandte sich ärgerlich an der Hoteltüre um und rief halb lachend, halb drohend: »Nur leise! Es ist bald wieder eine gekauft.«

Sonst ist mir alles entfallen. Wir waren wohl müde. Denn am Morgen von 560 Meter auf 2350 Meter zu steigen und kurz vor vier Uhr wieder unten im Dorf zu sein, ist gewiss eine Leistung für Knaben unserer Art. Als ich am folgenden Tag spät aufstand, waren die Herrschaften längst fort. An diesem Tag schien mir Brienz ohne Menschen, der See tot, die berge wie aus Holz. Aber dann siegte das gesunde Kind in mir und bald war alles wie vorher. Dachte ich an jene zwei Tage, so geschah es, wie man an etwas Unwirkliches, an einen Traum denkt. Ich wusste ja auch nichts als den Namen Dietrich, und er wusste nichts als den Namen Heinrich. Nie hörten wir mehr voneinander.

Lebst du wohl noch, du seltsamer Bösewicht und Edelmann von damals? Hast du wieder eine Peitsche gekauft? Was hat in dir zuletzt gesiegt, der Adel oder die Unart? Wäre es möglich, dass du diese Zeilen läsest? O dann verrate dich und mich nicht! Lass und zweien das stille schöne Kindergeheimnis, das wir mit dem Rothorngipfel und dem grünen See zu seinen Füssen teilen und das uns von einer kurzen unwiederbringlichen Seligkeit erzählt.


Zuerst hoffte ich, die vornehme Bekanntschaft habe auf die herbe Lina Eindruck gemacht und das Bäschen verfahre nun freundlicher mit mir. Aber im Gegenteil, sie schoss noch eiliger an mir vorbei und sah mich noch unvertrauter an. »Meinetwegen,« sagte ich halblaut, »was geht mich so ein dummer Zopf an.«

Dagegen hielt sich meine jüngere Schwester einige Tage eng an mich und fragte mich merkwürdig oft über Dietrich aus, was er alles geredet und getan habe, ob wir einander wohl schreiben werden, ob ich ihn nicht ein bisschen fürchte. »Soll ich dir etwas sagen?« raunte sie mir voll kindlicher Schelmerei ins Ohr. »Aber wirst du auch schweigen? Auf Ehr und Seligkeit? Denke, er hat mich im obern Gang herumgejagt und die Stiege hinauf in den dritten Stock getrieben und dort sagte er: ’schreie doch nicht, ich gebe dir etwas Gutes!’ und griff in die Tasche. Da hab’ ich gewartet, und da hat er mich geküsst und geküsst und schier verschluckt. Ich hab’ seine Zähne gespürt, denk’! Schreien wollt’ ich, aber ich konnt’ ja nicht, und ’s hat ja nicht weh getan. Und jetzt?« lachte das neunjährige, unschuldige Geschöpflein mit seinem knospig aufspringenden Mund, »und jetzt?«

»Du bist mir eine saubere«, schimpfte ich altklug. »gern hast du’s gehabt, das merk’ ich doch stundenweit.«

»Nein, nein, nein!« Sie stampfte mit den Füssen in scheinheiligem Zorn. Aber sie hörte nicht auf, mit den von der Mutter geerbten nachtsüssen Augen zu lachen. »Und jetzt?« wiederholte sie. »Muss ich das beichten?«

»Warum nicht gar«, entschied ich grossartig. »Das war doch nur Spiel.«

»Ei ja, und es hat ja auch gar nicht weh getan«, tröstete sich das Kind. – - – -

Es blieben noch vier Tage bis zur Heimreise. Meine Mutter war so abgearbeitet, dass sogar die Tante und die stille Luise über Sabine laut aufbegehrten und kurzweg jemand zu Verena schickten, um sie zu einem erlösenden Spaziergang abzuholen. Und erst jetzt begann in Sabinen etwas wie Scham zu erwachen, als die Verwandten deutlich genug hören liessen, welches Ärgernis eine Tochter gebe, die sich derart an der Mutter versündige. »Wie du gemagert bist, Verena«, sagten sie ungeniert. »Hat dir unsere Brienzer Luft nicht gut getan, oder was ist es? Du siehst ja müder aus nach den Ferien als vorher.« – »Schwester,« sagte Luise leise, aber tapfer zu Sabinen, »du kannst mir die Mutter nun wohl auch noch ein paar Tage lassen. Du hast sie lange genug ge ... ge ... braucht.«

Hetzt riss etwas in mir, irgendeine feige Gebundenheit, und ich schrie rot und wild: »Verbraucht, sag’ nur verbraucht!«

»So geht doch,« zeterte Sabine dunkelrot vor Zorn und Beschämung, »geht doch alle zusammen. Wer hält euch denn?«
»Nein,« sagte meine Mutter gelassen, »ich bleibe hier und helfe dir über den Vormittag und das Mittagessen. Du hast ja noch keine Magd. Aber um drei Uhr, Luise, kannst du mich jeden Nachmittag holen. Ich bin noch nie auf dem Friedhof gewesen und habe Schneiters nie besucht und möchte einmal zum Giessbach hinüber und endlich auch noch eine Stunde in die Kapelle im Bären. Das will ich noch!«

Klein und doch merkwürdig gross stand die Mutter zwischen den ungleichen Töchtern da, und als sie »Das will ich« sagte, war es, als stosse sie einen Speer in den Boden, so fest stand das Wort. Sabine verzog sich, sonderbar gebückt, in die Kammer und Luise küsste die Mutter voll Ehrerbietigkeit auf Mund und Wange.

Und so geschah es auch. Leider regnete es zumeist. Aber wie wohl tat es Verenen, an Luisens Fenstergesimse zu sitzen und auf die alte Strasse und den noch viel ältern See mit hundert Erinnerungen zu blicken. Dann wurde ich fortgeschickt, sie müssten allein miteinander reden. Ich vorwitziger Bursche wusste wohl, um was es ging. Luise liebte, zauderte, zweifelte, marterte sich und liebte eben doch, sie konnte nicht anders, und eines Tages zeigte sie mit scheuem Finger über die Fuchsien am Gesimse zur Strasse hinunter und sagte: »Der ist’s, Mutter, mein Schatz, schau’ schnell, der!«

»Ah, der!« sagte Verena. »Ja so, von den Hugglern einer, das sind ja die besten Schnitzler vom ganzen Berner Oberland.«

»Wo, wo?« schrie ich und drängte mich naseweis zwischen die Blumenstöcke.

»Geh weg«, befahl Luise; sie ward wie Purpur so dunkel.

»Zeig’ ihn mir!« bat ich und schob mich übers Gesimse. »Das geht mich auch an.«

»Du Heillosiger! Nichts geht’s dich an!« rief jemand, ich weiss nicht mehr, ob die Mutter oder die Schwester, und versetzte mir eins übers Ohr. »Willst du wohl ...«

»Darf man denn die ... die ... ja, die Schätze nicht anschauen,« fragte ich, »wenn sie doch schon auf offener Strasse ...«

»Die Schätze!« lachte meine Mutter. »Du einfältiger Bub! Geh, geh!« – Und beide lieben Weiber wollten mich vom Fenster zerren.

Dabei geschah es, dass ich an einen Fuchsientopf mit prachtvollen Lilablüten stiess. Das Geschirr flog hinaus und zerschmetterte unten. Der junge, breite, dunkelhaarige Mann blickte hinauf, lachte und grüsste.

Ich rannte hinunter, um zu retten, was noch zu retten war. Aber als ich von den Scherben und zerblätterten Blumen zum Gesimse aufblickte, siehe, da stand der Dunkle schon lachend oben zwischen den zwei Frauenzimmern und rief: »Lass nur, das ist nichts mehr wert.« –

Er hatte ja seine Blume. Sie war noch rein von allem Strassenstaub in unversehrter Schale.

Flink wollte ich wieder ins Haus springen. Aber da begab sich etwas Seltsames. Die drei Personen oben am Gesimse leuchteten wie eine irdische Dreifaltigkeit in einer solchen Verklärung, dass mich urplötzlich eine grosse Schüchternheit packte, ich ratlos auf der Aussenstiege stille stand und dann wie vor einer verbrecherischen Ungehörigkeit Reissaus nahm. Erst am See hielt ich inne, sass in einem Boot und wollte das Geschaute überdenken.

Doch da trat einer meiner Kameraden herzu und sagte: »Also morgen musst du wieder fort, da,« er fuhr nachlässig mit der Hand gen Norden, »ins kleine Obwalden zurück.«

»Ach ja«, antwortete ich froh und unfroh durcheinander.

»So schau’ halt noch einmal unsere Berge recht an,« fuhr jener schulmeisterlich fort, »denn drüben habt ihr ja doch nur so ein Spielzeug von Bergen.«

Ich wollte auffahren, aber da schien mir, die Zinnen der Schwarzhorn- und Axalpkette und das Faulhorn streckten sich in die Höhe und sagten grossartig: »Miss uns!«

Und gleich erstanden vor meiner kleinen Seele auch die Riesen, die in ewiger Schneepracht dahinter standen und vom Rothorngipfel aus wie eine Überwelt auf mich herunter geschimmert hatten. Da bog ich den Hals und sagte dankbar: »Ja, Alfred, ich will sie noch einmal gehörig anschauen.«

Und ich zog den Hut ab, wahrhaftig, und grüsste einen Berg nach dem andern. Vergass ich einen, so stupfte mich der ernste Alfred und nannte mir den Namen und nickte bedächtig: »So ist es recht.« Und jedem Berg gab ich gleichsam die Hand und verneigte mich vor ihm, als verabschiedete ich mich aus einer erlauchten Gesellschaft, ich, ihr kleiner, armer, namenloser Gast, und jedem sagte ich ade! und ehrerbietig: auf Wiedersehen! Ich war aufs innerste gerührt. Und in dieser Minute geschah es, dass mir das Wesen der Berge in etwas aufging. Ich sah nicht mehr nur den Berg im Berg, das heisst dieses aufrechte, harte, stumme Stück Natur, sondern ein lebendiges Geschöpf, einen Helden, Dulder, Weltweisen, Ratgeber, Helfer, einen Freund und Bruder. Manchmal auch einen Feind, aber immer von ritterlichen Manieren und nur für ein paar schroffe Augenblicke. Ich begann von da an mit den Bergen zu reden, aber noch viel lieber mit den Bergen zu schweigen. Zeitlebens wurde mir in Städten und Ländern nie recht wohl, wo man keine Berge sah, und überall in der Ferne erstieg ich am ersten Tage schon den höchsten Stadtturm, um irgendwo in südlichen oder nördlichen Horizonten wenigstens einen leisen Schatten und Gruss meiner unsterblichen freunde zu empfangen.

Am nächsten Vormittag fuhren wir ins liebe Obwalden zurück, und zwar, es ist kein Märchen, in einem bequemen Zweispänner. Am Wagenschlag streckte Sabine immer wieder die Hand zur Mutter herein, schluchzte ins weisse Nastuch und liess Verenas Hand erst fahren, als sich die Räder bewegten und die Tante zum siebenten Mal schmetterte: »O herrje, über den Brünig, sollt’ man meinen, wäre doch nicht zur Welt hinaus.«

Doch, dich, kluge Tante, als wir wieder daheim im altgewohnten kleinen Leben sassen, ohne Seesturm, Dampfschiff, Hotel, Schneeberg, da war mir doch, Brienz und all sein buntes Leben liege so unendlich ferne wie ein anderer Planet.


 << zurück weiter >>