Heinrich Federer
Jugenderinnerungen
Heinrich Federer

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Der Vater

Und nun geschah wirklich ein Wunder. In der dreissigjährigen Frau entwickelte sich eine Kraft zu lieben, zu opfern, zu dienen, die ihr selbst neu und lange Zeit durch zahllose Enttäuschungen auch wahrhaft beseligend vorkam.

Sehr bald schossen die Schwierigkeiten auf. Die erste Leidenschaft Pauls war rasch verlodert. Wenn er sich der ernsten, tiefen Innigkeit Verenas nie ganz entziehen konnte, die auf seine schwarzen Wimpern fast wie auf die Gebote Gottes schaute und sich ganz und vorbehaltlos schenkte, so erwies sich doch immer deutlicher, dass er das reine Gegenteil zur Gattin war, ein Mensch, der sich an nichts dauernd binden konnte, nur sich allein gehörte, nur sich glauben und gehorchen mochte, der im sofortigen Sättigen seiner Gelüste das Höchste und Nötigste sah, und wenn darob andere verschmachten müssten. Dieser Mann konnte küssen, jubeln, weinen wie ein Ozean, wenn es ihm nach Gefallen ging. Sein Herz brauste dann in stürmischen Schwüren der Ergebenheit und Treue auf. Und ein Gemüt, wie das Verenas, das wirklich nicht anders als treu sein und diesen Herrlichen lieben konnte, glaubte solchen Tönen immer wieder. Denn mit der Unbefangenheit und Hitze eines Kindes umarmte und umsprudelte sie Paul und schwor ihr Sonne und Mond und seine ewige Liebe vom Himmel.

Aber nach dem verwehen dieser süssen Schauer, sobald nur der leiseste Druck einer Pflicht sich fühlbar machte, vergass dieses grosse Kind alle Eide, empfand weder Mitleid noch Gewissen und jagte seiner vermeintlichen wilden Freiheit über alle Borde nach. Dass Verena ihm jegliches Bequeme und Gefällige ungebeten tat, seinen wünschen vorauseilte, ihm vor den nacheilenden Sorgen den Rücken deckte, kurz, ihm Hände und Herz unter die Füsse legte, als wäre er alles und sie nichts: das verwöhnte den selbstsüchtigen Mann nur noch mehr. Es kam ihm je länger je weniger in den Sinn, dass seine Frau auch Wünsche hege, auch Wärme brauche, auch Aufmerksamkeiten ersehne, überhaupt auch ein Herz habe, das etwa hungere und dürste. Wie konnte er, der nur an sich dachte, das wissen, wenn Verena selbst auch noch alles tat, um sich neben ihn zu einer Null zu machen! Diese Null galt nur, wenn sie ihre volle runde Kraft an sein grosses und im Grunde doch so kleines Eins warf.

Dennoch muss das Zusammenleben in den ersten zwei, drei Jahren, wo noch so vieles neu und unverbraucht war, den Eheleutchen gar manches Schöne geboten haben. Sie hatten Geld, eine schöne Landschaft und zahlreiche gute Menschen und die Arbeit flog meinem Vater nur so in die Hände.

Vorab leitete Paul die Schnitzlerschule von Brienz, die damals im Frühling ihres Weltrufs stand. Ihre bekannte, erstaunliche Fertigkeit im Holz vereinigte gewerbliche mit künstlerischen Absichten, so gut es in diesem Sauserstadium und bei dem schlechten Geschmack der Fremden ging. Wenn gewiss diese Holzskulpturen damals oft kaum an die Zehe der Minerva reichten, so trugen sie doch immer einen gemütlichen, naturhaften Zug, dazu einen ernsten Trieb nach Höherem und dann und wann schon einen genialen Schmiss in sich. Da stak eine Zukunft. Vorläufig brachte es Brot, ja, Reichtum ins Dorf, war grosse Mode, und kein Engländer begab sich aus dem Berner Oberland, ohne den bengalisch beleuchteten, siebenstufigen Giessbach gesehen, einen fettgebratenen Brienzer Aal verspeist und eine artige Schnitzerei aus Meiringen oder Brienz erworben zu haben. Aus Pappel, Linde, Buchs und anderem Holz, je nach dem Zweck, wurden da niedliche Schmuckkästlein, Bilderrahmen, Stehspiegel mit Laub- und Fruchtornamenten, Falzmesser, Schirmständer, Uhrgehäuse, Kleiderhalter, Spazierstöcke, Spielsachen und der bunteste Wandschmuck geschaffen. Was ans vaterländische Herz rührte, ward vom Schnitzler mit besonderem Geschick im Holz verewigt, so die Falken und seltenen Adler, die über der Faulhornkette kreisten, die Gemsköpfe mit den schwarzglänzenden Hörnern, der Bär sodann, dieses klotzigstarke Wappentier des selbstbewussten Kantons, der Uhu mit den gelben Glasaugen, und jene Blume, die in blendender Unschuld an den Gräten des Axalphorns aus dem steinigen Rasen wuchs. Wenn ich an jene Schnitzereiläden denke, duftet es mir heute noch von gebräuntem Holz, von Terpentin und Lack fröhlich in die Nase und ich höre die trockenen Kehllaute Englands mit dem unvergleichlichen Singsang des Brienzer Dialekts sich über einen geschnitzelten Papagei oder über eine Blumenpresse feilschend und marktend verständigen.

Mein Vater hatte in München zuerst die Malakademie besucht. Damals galt Kaulbach. Dann war er zu den Bildhauern gegangen und zwischenhinein hatte er sich mit Musik auf fast allen Instrumenten abgegeben. Aber auch Dichtkunst und Politik reizten ihn. In steter Unrast wechselte er Semester um Semester das Studium, brachte nichts fertig, reichte nirgends mit der Geduld aus und konnte schliesslich alles und nichts. Zu seinem Talent hatte man ihm oft gratuliert, mochte es nun an diesem oder jenem Zipfel anpacken. Hätte man ihn nur auch zeitig vor der geistigen Verzettelung und Verbummelung gewarnt! Alles war Halbheit, was er schliesslich ins Berufsleben brachte: eine Hand, die oft unsäglich schön zu zeichnen begann, aber dann nach wenigen Strichen ins Unzulängliche verfiel und banal wurde; einen Idealismus, der sich wie eine grosse Wolke aufblähte, aber fast nie mit Donnern und Blitzen sich entlud, sondern, sobald er nun etwas leisten und zur Geltung bringen sollte, wie ein trüber, schwerer Nebel zur Erde sank. Dieser arme Mann sah Gewaltiges in seinem Innern und glühte bis zum Sterben von Fiebern der Genialität. Aber die Hand, die unerzogene, müssiggängerische, konnte dem Schwung der wollenden Seele nicht folgen, und so begleiten meinen lieben Vater über seine ganze Lebensstrasse nichts als Trümmer der Kunst, Angefangenes, verzeichnetes, Verhauenes, worin man nur selten einen Schimmer des Gross Gewollten entdeckt, und über allem, nach kurzen Augenblicken von Genieschwindel, der graue Schatten der Verzagtheit und Verzweiflung.

In Brienz musste Paul nun die jungen Schnitzler zeichnen und formen lehren. Für die damalige Höhe der Holzskulptur war er nun freilich ein überlegener Könner. Ja, ihn, der vom Marmor der Glyptothek kam, widerte dieses Klauben und Säbeln und Schaben im Holz, noch dazu für einen so geringen Gedankeninhalt, rasch und heftig an. Er war auch alles andere als ein Pädagoge oder Lehrer, hatte keine Geduld, hasste die Theorie und führte seine Schüler, von denen viele älter, alle weit nüchterner und aufs Gewerbe bedacht waren, lieber in die unkorrigierte Natur hinaus und wies ihre Zusammenhänge mit aller Kunst nach, wobei er die Zöglinge auf geistreiche Art unterhielt, aber diesen auf Gewinn erpichten Dörflern eben doch nichts Profitables leistete. Eine solche wilde, ungehörige Amtsführung wurde bald übel bemerkt.

Indessen betrachtete er diese Aufgabe als Nebensache und zeichnete und malte, wenn er bei seiner Frau in der Stube sass, Entwürfe zu kühnen Hausfassaden, zu originellen Brunnen, zu gotischen Portalen und zu sakralen Figuren auf Altären, und schmiss und riss das mit der Freiheit und Freihändigkeit des Weltschöpfers aufs Papier. Glückte ihm nun ein Madonnengesicht im Skizzenbuch, dann sprang er wohl auf Verena zu, kniete vor sie hin, überküsste ihre schmalen Hände, die fassungslos ergeben in der Schürze ruhten und anfingen rauhhäutig zu werden, und schwärmte sich bereits als Meister in den Strassburger oder Kölner Dom. Aber wenn häufiger die Skizze nicht dem inwendig Gefühlten entsprach, wenn sie sein Ideal im schmählichsten Sinne äffte, und bei jedem neuen Anlauf noch nichtiger aus dem Blatte glotzte, dann warf er ohne Gruss und Abschied die Türe hinter sich zu und kam erst nach Mitternacht heim, weinschwer und auf lateinisch und deutsch das Zornigste und Mildeste durcheinander phantasierend. Elend, hilflos und wie ein Kind schluchzend fiel er schliesslich über Stuhl und Bett hin und schlief unweckbar ein.


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