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Die Wiedergeburt

Jahrelang war ich allein ohne jegliche andere Hilfe, mit Ausnahme der Hilfe Gottes, und daher will ich nur vor ihm rein dastehen.

Ibn Saʿūd

Aus dem Krieg und den Wirren der letzten Jahrzehnte ging der Islam geschlagen hervor. Er hatte seine Einheit verloren. Er war keine Macht mehr, er hatte keinen Kalifen mehr, und, was noch schlimmer war, es gab niemanden, der Kalif werden konnte. Denn im Islam gilt der Grundsatz, daß ›des Propheten Mantel nur von jenem getragen werden darf, der des Propheten Volk in allen Erdteilen verteidigen kann‹. Solch einen Menschen gab es im modernen Islam nicht. Das Kalifat mußte daher unbesetzt bleiben.

Nun wurde Arabien, das Geburtsland des Islam, wieder sein Schwer- und Mittelpunkt. Der Islam kehrte zum Mutterlande, zu den großen Wüsten Arabiens zurück. Und plötzlich, durch die Berührung mit dem alten heiligen Boden, erwachte er zu neuer Kraft, zu neuem Leben. Wie konnte dies geschehen?

In den Zeiten der Blüte des Kalifats war Arabien allmählich zu einer unbedeutenden Provinz herabgesunken. In der großen Politik des Kalifats spielte es eine nebensächliche Rolle. Zwar führte der Kalif den Titel ›Beschützer der heiligen Städte‹ und sandte auch jährlich ein mit kostbarer Stickerei versehenes Tuch für die Kaʿba. Der Islam selbst war aber in seinem Einfluß und seinen Interessen längst über Arabien herausgewachsen.

Doch blieben Mekka und das heilige Gebiet immer noch der kultische Mittelpunkt des Islam. Dort erhob sich die heilige Kaʿba, das Haus Gottes, dorthin pilgerten alljährlich Tausende von Frommen, dort regierte ziemlich selbständig die Sippe des Propheten, die Hāšim, unter ihrem Stammeshaupte, dem Scherifen von Mekka.

Nach dem Zusammenbruch des Kalifats versuchte dieser Scherif das Haupt des Islam zu werden. Es mißlang ihm. Etwas Stärkeres kam dazwischen – die Bewegung der Wahhābiten.

Um das Jahr 1700 lebte in Arabien ein weiser Mann namens ʿAbd al-Wahhāb. Er gründete die Sekte der Wahhābiten. Unzählige deutlich sichtbare Fäden verbanden, ihm vielleicht unbewußt, seine Predigten mit den alten, von den umaiyadischen Kalifen ausgerotteten Gedankengängen der Ḫāriǧiten und dadurch mit den ursprünglichen unverfälschten Worten des Propheten. ʿAbd al-Wahhāb erklärte dem offiziellen Islam den Krieg. Er bekämpfte den Sultan-Kalifen, die gelehrten Ergänzungen und verlogenen Zusätze zu dem einzigartigen Worte des Propheten. Er glaubte an den Koran, hielt sich nur an die Worte des Propheten und verteidigte die reine unverdorbene Grundidee des Islam. Ihm zur Seite stand die Dynastie Ibn Saʿūd, eine vornehme arabische Familie, die im Lande Naǧd einen Wahhābitenstaat mit Darʿiya als Residenz gründete. Der Staat der Wahhābiten erklärte dem Herrscher der Gläubigen, dem Sultan der Osmanen, den Krieg. Diese Kampfansage ähnelte dem einstigen Manifest von Mohammed gegen den Kaiser von Byzanz. Ein Zwerg zog gegen einen Riesen. Nach einigen anfänglichen Siegen – die Wahhābiten hielten zeitweilig sogar Mekka besetzt – triumphierte, wie nicht anders zu erwarten war, das Heer der Türken. Ibn Saʿūd wurde in Stambul als Ketzer und Rebell geköpft, seine Erben jedoch gründeten gemeinsam mit dem Rest der Wahhābiten in Naǧd ein kleines Fürstentum, in dem die ursprünglichen, durch keinerlei Auslegungen getrübten Lehren des Propheten zu Staatsmaximen erhoben wurden. Freilich kümmerte sich niemand in der Welt des Islam um den Staat der Wahhābiten, um ihre wahre Lehre und um den Geist der islamischen Grundideen, den sie wieder belebten. Zweihundert Jahre lang hörte man von ihnen nicht viel mehr, als daß sie nach ihrer Lehre lebten und ihre Gemeinschaft ungeschmälert aufrechterhielten.

Als aber der Weltkrieg zu Ende ging, der Kalif vertrieben worden war und der Islam in Ohnmacht sank, erhob sich unerwartet und plötzlich aus den Wüsten Arabiens, aus der fernen Wüstenstadt ar-Riyāḍ, ʿAbd al-Aziz ibn Saʿūd, der Herr der Wahhābiten, der sich selbst König von Naǧd nannte. Niemand wußte, wer Ibn Saʿūd war.

Er ist der einzige muslimische Herrscher in der Welt, der das reine Wort des Propheten aufrechterhält, der ihm neues Leben und neue Kraft zu verleihen weiß. Als Ibn Saʿūd noch ein Knabe war, wurde die Dynastie, der er angehörte, von dem Nachbargeschlecht der Rašīd aus ar-Riyāḍ vertrieben. Der junge Saʿūd sammelte einen Trupp von zwanzig Mann, zog durch die Wüste nach ar-Riyāḍ, schlich sich in den Palast der Rašīd, erstach den schlafenden Sultan und eroberte so die Macht über Naǧd für sich und seinen Stamm zurück. Damit begann sein Aufstieg, der ihn im Laufe der Zeit zum Herrscher über zwei Drittel Arabiens, zum Beschützer der heiligen Städte, zum bedeutendsten Mann des heutigen Islam gemacht hat.

Zusammen mit den treuen Wahhābiten überfiel er Mekka, vertrieb den Scherifen, besetzte 1925 die Kaʿba und wurde zum umstrittensten und gleichzeitig populärsten Mann des Islam. Heute ist ʿAbd al-Aziz ibn Saʿūd der Herrscher von Ḥigāz, ʿAsir und Naǧd. Er ist der geistliche und geistige Führer der Araber.

Ibn Saʿūd wiederholt die Tat des Propheten. Er bringt Gottes Wort dem Menschen in Erinnerung. Und dieses Wort erweist sich als lebensfähig genug, um heute, im zwanzigsten Jahrhundert, genau wie damals im siebenten einen Staat zu gestalten und zu beherrschen. Ibn Saʿūd gründete, wie seinerzeit der Prophet, eine religiös-soziale Brüderschaft, Iḫwān genannt. Diese Iḫwān-Bewegung ist heute die Trägerin des Wahhābitenreiches. Die Lehre der Iḫwān ist der reinste Islam, wie ihn der Prophet, wie ihn die Ḫāriǧiten gepredigt haben. Es ist gehobenes, abgeklärtes, aber auch, gemäß dem Worte des Propheten, äußerst tolerantes Puritanertum. Ein Wahhābite wandert im wahren Sinne des Wortes auf dem Pfade des Propheten. Er tut nichts, was der Prophet nicht auch getan hat, und erfüllt alle Pflichten, die der Prophet erfüllte. Jeglicher Luxus, Musik, Theater, Kaffee, ja sogar Tabak sind im Reiche der Wahhābiten untersagt. Jedes Wort des Korans ist Gesetz, und jede feinsinnige Auslegung ist Ketzerei. Die Gleichheit der Menschen vor Gott ist bei den Wahhābiten wieder praktisch durchgeführt. Auch ist der strengste Monotheismus Gesetz geworden. Jede Heiligenanbetung, sogar die Verehrung der Kaʿba, des heiligen Steines, ist dem Wahhābiten verboten. Denn er erkennt nur den nüchternen, geraden, einzigen Weg der Wahrheit, den der Prophet selber wandelte, an.

Auf diesem Wege kennt die Iḫwān nur zwei Dinge: beten und exerzieren. – Das Gebet und das Exerzieren – wobei das Gebet auch Exerzieren ist und das Exerzieren Gebet schufen das Reich der Wahhābiten und führten dem sterbenden Körper des Islams neues Leben zu.

Das Unvergleichliche an der asketischen Lehre der Iḫwān ist aber, daß sie, wohl im Gegensatz zu allen anderen Asketen der Welt, keine Intoleranz kennt. Das begründet ihr allumfassende Stellung in der Welt des Islam. Schiiten, Sunniten, ja sogar Juden und Christen werden von der Iḫwān toleriert. Wie einst Mohammed, erkennen auch jetzt die Iḫwān die Schwäche des Menschen und verdammen sie nicht. Sie sind nur die älteren, weiseren Brüder, nicht aber die strafenden Richter der schwachen Menschheit. Auch Ibn Saʿūd ist der Herrscher eines neuen Staates, und diesen Staat verwandelt er allmählich in den neuen Kern der Wiedergeburt des Islam.

Die Eroberungskriege der ersten Kalifen und die Auswanderung ganzer Stämme in neuerworbene Gebiete hatten einst die Wüste menschenleer gemacht. Seitdem sind aber dreizehnhundert Jahre vergangen, und den uralten Gesetzen der semitischen Auswanderungen folgend, hat die Wüste wiederum neue Kräfte angesammelt, neuen Bevölkerungsüberschuß entwickelt, der jetzt, wie die Semiten in den Zeiten Babylons, Assyriens und des Kalifats, den magischen Kreis des Sandes durchbrechen will. Wieder steht an der Spitze der übervölkerten Wüste ein großer Führer, der, wie einst Mohammed, von einer großartigen und einfachen, uralten und unvergänglichen Vision beseelt ist.

Doch haben sich die Zeiten heute wesentlich geändert. Dreihundert Krieger entscheiden nicht mehr das Schicksal der Weltgeschichte. Ibn Saʿūd weiß das. Der neue Sieg einer alten Idee erfordert neue Methoden.

Diese Methoden des neuen Herrschers von Arabien sind bewunderungswürdig. Ibn Saʿūd vollbringt etwas, was keinem vor ihm gelungen war – selbst Mohammed nicht. Er macht die Beduinen seßhaft. Schafft aus wilden Nomaden eine disziplinierte seßhafte Bevölkerung, die er fest in seinen Händen hält. Der Beduine, der sich bis jetzt wenig um die Gebote des Korans kümmerte, wird seßhaft und dadurch fromm. Der Imam, der Herrscher über die heiligen Städte, gibt ihm Land und Wasser und verlangt von ihm nicht mehr, als er von jedem Wahhābiten verlangt: beten und exerzieren.

Die wilde Wüste Arabiens erhält dadurch ein neues Gesicht. Sie wird wieder einmal aus einem Nichts zum blühenden Staat. Die einst wilden, gefährlichen Wege Arabiens, wo hinter jedem Stein ein Räuber dem Reisenden auflauerte, sind heute friedlicher und gefahrloser als die Wege Europas. Blühende Dörfer entstehen in Arabien. Zum erstenmal in seiner Geschichte beginnt der arabische Mensch die Wüste zu erobern. Den Feldzug gegen die Wüste führt Ibn Saʿūd, denn die Menschen, die die Wüste erobern, werden dadurch ihrerseits von Ibn Saʿūd für den wahren Glauben gewonnen. So entsteht in der Wüste der Staat der Gläubigen, der neue Staat Gottes. Dieser Staat wird nach dem Worte des Propheten geleitet und ist gleichwohl ein moderner Staat, mit Telefon, Telegraph, Flugzeug, Auto, mit allem, was die Welt Europas hervorgebracht hat, um den Völkern Asiens ihre Befreiung leichter zu ermöglichen. Beten und exerzieren, das Wort des Propheten und die modernsten Waffen Europas sind die Grundsäulen dieses Staates, der schon heute, kaum zehn Jahre nach seiner Gründung, ein Gebiet umfaßt, das dreimal so groß ist wie Deutschland.

So wiederholt sich das ewige Weltgeschehen, so entsteht im Lande des Propheten ein neuer Staat. So erwacht das Wort des Propheten in seiner Urheimat zu neuem Leben, zu neuer Macht.

Die Augen aller islamischen Völker sind heute mit banger Hoffnung auf Mekka gerichtet, auf die Stadt der Kaʿba, auf die Stadt Ibn Saʿūds, auf das Zentrum der neuen islamischen Macht. Langsam schreitet Ibn Saʿūd seinen Weg. Es ist der Weg des Propheten. Die Völker des Islam wissen es, fühlen es. Hier entsteht eine Reform, die Rettung und Erfüllung zugleich ist.

Immer noch ist der Islam die vitalste, expansionsfähigste Weltreligion. Immer noch ist er im Angriff, erobert neue Gebiete, macht Heiden zu Gläubigen. Afrika und Indien sind heute die Expansionsgebiete des Islam. Er kennt keine Rassen und Klassen, und das führt ihm die Kasten Indiens und die Farbigen Afrikas zu. Die Zahl der Neubekehrten steigt von Jahr zu Jahr. Sogar in Europa wirken heute islamische Missionare.

Der Islam kehrte in seine Heimat zurück, berührte den heiligen Stein der Kaʿba, und plötzlich entwickelten sich in ihm neue Kräfte. Heute rüstet er wieder, und sein Ziel bleibt nach wie vor das Ziel Mohammeds, das Ziel der Ḫāriǧiten, der frommen Beter und Krieger: die Eroberung, die Bezwingung der Welt. –

Der islamische Orient erlebt heute mächtige Wandlungen. Inmitten dieser Wandlungen steht das Wort des Propheten. Der Islam erwies sich als die wandlungsfähigste, anpassungsfähigste aller Religionen. Aus den Wirren und Niederlagen, aus Enttäuschungen und Demütigungen ging eine neue, bis jetzt von der Welt Europas noch nicht recht begriffene Macht hervor. Diese Macht heißt der moderne Islam. Wieder sammelt er die Völker um sich, rüstet zum Kampf, baut und verändert, paßt sich an die neue Welt, an die modernen Methoden an.

Im Vordergrunde dieser Entwicklung steht aber, wie in den Tagen des Propheten, das große arabische Land, die heilige, alte Stadt Mekka und ein strenger Krieger, der dem Worte Gottes neue Kraft und Wirklichkeit verlieh.

Der neue Orient, der neue Islam, die große Brüderschaft der Iḫwān, sie rüsten zum Kampfe des Geistes und des Schwertes, zum heiligen Kampfe des Islam.

 


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