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Ḫadīǧa

Nie gab mir Gott eine bessere Frau.

Mohammed

Durch das flache Land zieht die Karawane. Zwanzig, dreißig Kamele schreiten majestätisch hintereinander. Ihre Augen sind trauriger Stolz, ihr Gang ist rhythmische Ruhe. Gemessen und gleichmütig schreitet das Kamel, wenn aber der Führer unvorsichtig dem Leitkamel zu nahe kommt, streckt es seinen Hals vor und beißt kräftig zu. Gefährlich ist das Kamel, listig und brutal. Es ist wie die Wüste, wie die Welt, durch die es schreitet. Auf den Höckern des ersten Kamels sitzt ein junger Mann. Er trägt einen seidenen Turban und ist sorgsam gekleidet. Seine Augen sind mit duftendem Öl bestrichen, damit sie durch die Glut der Wüste keinen Schaden nehmen. Der junge Mann ist fünfundzwanzig Jahre, sein Bart, die Zierde des Arabers, ist noch ganz kurz. Sein Gesicht ist ernst. Schwere Lasten tragen die Kamele, und diese Lasten sollen noch schwerer werden, dafür sorgt der junge Mann. Die Augen des jungen Mannes sind dunkel und schwer. Sie blicken ruhig in die Ferne. Seine Hände sind weich wie die Hände eines Gelehrten, und sein Mund ist wie ein roter Blutstreifen inmitten des Gesichts.

Stunden vergehen. Der junge Mann blickt in die Ferne. Wieder ist er hier der erste unter allen, und wieder schützt ihn aus der Ferne die unsichtbare Stadt Mekka. Wer schützt aber den Menschen in Mekka? Das weiß der junge Mann nicht. Er blickt in die große Welt, die vor ihm liegt. Sicher führt er die Karawane. Verkauft Ware, streitet sich mit den listigen Händlern, kauft geschickt ein und vermehrt so den Reichtum seiner Herrin.

Dann kommen wieder die Wüste, die Kamele, die einsamen Stunden und die einsamen Gedanken. Woran denkt der Mensch in der Wüste? An die Ewigkeit des Sandes, an die Unendlichkeit des Himmels und an die unsichtbaren Gewalten, die beides beherrschen. Er denkt an Gott. Gedanken an Gott und die religiösen Probleme waren in der Welt, die sich vor Mohammed ausbreitete, sehr populär. Wie heute die Politik, stand damals Gott im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Jeder Mensch machte sich Gedanken über die göttliche Macht, und jeder bekämpfte die Gedanken des anderen. Durch Syrien und Jemen zog die Karawane Mohammeds. In beiden Ländern war Gott das aktuellste Problem. Auf den Basaren, in den Regierungsämtern, in den Kirchen, Bädern und Gärten wurde ausschließlich über Gott diskutiert. Auf den Plätzen predigten die Sektierer, jeder pries die Wahrheit seines Glaubens, jeder verdammte die Irrlehren der andern. Monophysiten, Monophiliten, Gregorianer, koptische Christen, Nestorianer und Juden aller Richtungen stritten mit- und durcheinander; sie alle beriefen sich auf ein und dasselbe, auf die göttliche Offenbarung, auf die Bibel, die für alle gleichlautend, aber für jeden anders verständlich war. Auch wer friedlich mit seiner Karawane durch die Städte und Wüsten zog, wurde in die Glaubenskämpfe hineingerissen. Auf den Basaren umgaben ihn fanatische Prediger. In den Wüsten kamen ihm alte Asketen entgegen, fragten ihn über seine religiösen Gedanken aus, schworen auf den Weltuntergang und beriefen sich gleichfalls auf die heilige Offenbarung. Kurzum, die Religion stand im Mittelpunkt aller Interessen.

Auch der Fremdling aus Mekka wußte, daß Religion der Brennpunkt mannigfaltiger Interessen sein kann. Die große Stadt der Wüste war um ein Heiligtum erbaut. Der Reichtum der Stadt stieg mit der Zahl ihrer Götter. Auch auf dem großen Platz der Kaʿba wurde über Götter diskutiert, auch dort stritten sich die Stämme über die Macht des Hubal, der al-Lāt und al-ʿUzzāʾ. Auch Christen und Juden kamen, prahlten mit den Offenbarungen, die sie von Gott erhalten hatten, und predigten ihren Sekten. Den Kaufherren von Mekka waren diese Streitigkeiten sehr genehm, sie machten Mekka noch berühmter, als es ohnedies schon war.

Doch glaubten die Kaufleute selbst nur wenig an die Reklame-Idole ihrer Götter. Die alte Religion war tot. Was übrigblieb, war Reklame, inhaltlose Zeremonie, überholter Kultus, Unfug und Barbarei. Viele in Mekka fühlten es, viele wußten es. In der reichen Stadt herrschten tote Götter. Aber da diese Götter den Reichtum der Stadt bedeuteten, durfte man nicht gegen sie verstoßen. Das verbaten sich die Kaufleute energisch und entschieden. Wer vom Drang zum wahren Glauben beseelt war, wer die göttliche Wahrheit suchte, verließ Mekka. Diese Gottsucher waren zahlreich, doch kümmerte es die Mekkaner nicht. Jeder konnte sein Heil suchen, wo er wollte, nur an den Säulen des mekkanischen Reichtums durfte nicht gerüttelt werden. Man überging die Gottsucher, Ḥanīfen genannt, mit achtungsvoller Ironie.

Aber auch außerhalb Mekkas war die Wahrheit nicht zu finden. In Syrien, Palästina, Ägypten, in den meisten Nachbarländern Arabiens lagen Christen in erbittertem Streit miteinander. Der einfache, gottsuchende Mekkaner konnte sich darin nicht zurechtfinden. Juden, Christen und Sektierer, den meisten arabischen Gottsuchern konnten sie keinen Seelenfrieden geben. Die Ḥanīfen irrten in der Wüste umher, lasen die göttlichen Schriften und wurden von Zweifeln geplagt. Fast alle verdammten die toten Götter Mekkas. Fast alle entsannen sich einer großen, mächtigen Gottheit, Allāh genannt, die einst über das Volk der Araber geherrscht hatte. Den Weg zu dieser Gottheit kannte aber niemand, denn tot, in jahrtausendealten Sagen begraben, nur unbewußt zu erkennen, war der alte Monotheismus der Araber. Dem alten, großen Gott Allāh galt der inbrünstige Glaube der Ḥanīfen. Diesen Gott zu neuem Leben zu erwecken, wagte aber keiner unter ihnen. Sie irrten nur ruhelos durch die Wüste, Greise, gebrechliche Gottessucher – von dem Volk der Wüste halb als Irre, halb als Heilige betrachtet.

Das alles sah und erlebte auf den langen Ritten Mohammed, der Hāšim. Auch er wußte, daß die Götter der Kaʿba tot waren, auch er wußte, welchem Umstand sie ihren Kultus verdankten. Auch er wußte, daß es Offenbarungen gibt, um die sich die Welt streitet, und die von einem mächtigen, heiligen Gott stammen mußten. Alles sogen die großen Augen des Hāšim in sich ein: Wüste, Unendlichkeit und Menschen, die sich um die Wahrheit streiten. Doch jung war Mohammed, und groß waren die Lasten, die seine Kamele trugen. Die Lasten mußte er stets vermehren, um den Reichtum seiner Herrin zu vergrößern. Zwei junge Kühe erhielt er von Ḫadīǧa als Gehalt, das galt als guter Lohn.

Im praktischen Leben war Mohammed geschickt und erfahren. Tagaus, tagein handelte er mit Kaufleuten, vermehrte seine Gewinne, und das schärfte seinen Verstand. Drei Jahre reiste er mit den Kamelen Ḫadīǧas, und es gab wenig Geschäftsführer, die in gleicher Weise Ehrlichkeit mit Erfolg vereinten. Der Reichtum Ḫadīǧas wuchs und mit ihm das Ansehen des nunmehr achtundzwanzigjährigen Geschäftsführers. Mohammeds Vermögen aber mehrte sich nicht. Immer noch war er unverheiratet und kinderlos, das heißt nach dem Ausdruck der Araber: ›Ein Mensch ohne Schwanz‹.

Da geschah Mohammed ein unerwartetes Glück. –

Den Geschichtsforschern ist nur wenig über die Vergangenheit der Witwe Ḫadīǧa, der Tochter Ḫuwailids aus dem Hause Quraiš bekannt. Offenbar gab es wenig von ihr zu erzählen. Sie war nach zweimaliger Ehe verwitwet, war reich, nicht mehr jung und gehörte zu der edelsten Sippe, den Quraiš. Wie alle in Mekka trieb auch sie Handel, lebte zurückgezogen, sammelte Reichtümer und sehnte sich nach Glück. Aus dem Eckfenster ihres Hauses sah sie hin und wieder, wie ihr junger Geschäfts- und Kamelführer mit den Waren ins Haus einritt. Jung und schön war Mohammed. Er gewann ihr Herz. Viele Männer warben um Ḫadīǧa, es gab aber in Mekka wohl wenige, die an innerer Tugend und äußerem Reiz Mohammed gleichkamen.

Einst erschien bei Mohammed ein Sklave Ḫadīǧas namens Maisara. »Warum heiratest du nicht«, fragte er, »in deinem Alter haben alle Männer mindestens eine Frau und einige Kinder.« Und Mohammed antwortete, wie die meisten Männer in seiner Lage geantwortet hätten: »Ich verdiene genug Geld, um mich zu erhalten. Für Frau und Kind reicht aber mein Einkommen nicht aus.« – »Wenn sich jedoch eine Frau findet, die selbst reich ist und schön und edel dazu?« fragte der Sklave. »Solche Frauen wird es kaum noch geben«, antwortete Mohammed vorsichtig.

Tags darauf erschien bei Mohammed Ḫadīǧa selbst und erklärte: »Mohammed, ich liebe dich wegen deiner Treue, wegen deiner Wahrhaftigkeit und wegen deiner guten Sitten. Du bist im Volke angesehen und stammst wie ich aus dem edlen Geschlecht Quraiš. Ich trage mich dir als Frau an.« Da willigte Mohammed in den Vorschlag Ḫadīǧas.

Daraufhin begann eine Groteske im altarabischen Stil. Die Ehe mit ihrem armen Geschäftsführer war für Ḫadīǧa eine offensichtliche Mesalliance. Es war kaum anzunehmen, daß ihr Vater dazu seine Einwilligung geben würde.

Ḫadīǧa veranstaltete ein Festessen, zu dem auch Mohammed und die Führer der Hāšims eingeladen waren. Auf dem Ehrenplatz saß Ḫuwailid, der Vater Ḫadīǧas. Er war alt und dem Trunk ergeben. Ein Glas nach dem andern goß Ḫadīǧa ihrem Vater ein, und er leerte eins nach dem andern mit Freude und Dankbarkeit. Später erschienen dann schöne Sklavinnen, tanzten vor dem Alten und spielten Zimbeln, worauf dem Greis sehr wohl zumute wurde. Als aber der Kopf des Alten auf die Brust sank, als seine Hände zu zittern begannen, ließ Ḫadīǧa ein Hochzeitsgewand bringen, worauf Abū Ṭālib, der Älteste unter den Hāšims, in festlicher Rede die Vorzüge seines Neffen rühmte und für den ärmlichen Preis von einigen Kamelen um die Hand der Ḫadīǧa bat.

Der Alte verstand nicht viel von der Rede. Als sie zu Ende war, richtete Ḫadīǧa den Vater auf, streckte seine Hände vor und ließ ihn den väterlichen Segen erteilen. Sofort wurde der Sitte gemäß ein Kamel für die Armen geschlachtet, und irgendein angeheiterter Onkel sprach schnell die Hochzeitsformel herunter. Als am nächsten Tag der Vater die peinliche Wahrheit erfuhr, wollte er zuerst seinem Schwiegersohn und der ganzen Sippe Hāšim für ewig Blutrache erklären. Nur mit Mühe gelang es, seinen Zorn zu beschwichtigen.

So heiratet Mohammed die Ḫadīǧa.

Diese Ehe dauerte viele Jahre, und bis zu ihrem Tode mußte Ḫadīǧa kein einziges Mal bereuen, daß sie den armen Kameltreiber aus dem Stamme Hāšim zum Manne auserwählt hatte.


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