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Der Prophet in seinem Lande

Gott öffnet sein Herz demjenigen, dem er gnädig ist.

Koran 6, 125

Während die Schwächsten unter den Gläubigen am Hofe des Negus Schutz suchten, zog der Prophet sich vor dem Haß seiner Mitbürger in das gut geschützte Haus seines Schülers Arqam am Berge Ṣafā bei Mekka zurück. Vor vielen Jahrtausenden, als der Herr der Welten in seinem Zorn die Pforte des Paradieses vor Adam und Eva schloß, wanderten die ersten beiden Menschen ziellos durch die Welt. Die Strafe Gottes lastete schwer auf ihnen, und sie wagten es nicht, sich der sündhaften Freude hinzugeben. Deshalb trennten sich die beiden ersten Menschen an der Pforte des Paradieses und irrten einsam durch die Welt. Durch Berge und Täler führte ihr Weg, bis sie zu einem kahlen Hügel im Lande Ḥigāz kamen. Dort am Berge Ṣafā trafen sie sich wieder, eine große Freude überkam sie, und in dieser Freude zeugten sie die ersten Menschen auf Erden.

An diesem heiligen Orte erbaute der fromme Arqam sein Haus, und dorthin zog Mohammed, um sich hinter den dicken Mauern vor dem Haß der Quraiš« zu verbergen. Da er aber ein Prophet war und seine Sendung nicht vernachlässigen durfte, ging er täglich in die Kaʿba, predigte den Islam und rezitierte Verse aus dem Koran. Abū Ǧahl, der den Propheten mehr haßte als alle Quraiš zusammen, beschloß aber, ihn so lange zu peinigen, bis er die Besuche in der Kaʿba einstellte. Abū Ǧahl haßte Mohammed aus Prinzip, um der Idee des freien altarabischen Lebens willen. Dies Motiv verlieh seinem Haß titanische Stärke. Er war tatsächlich bereit, den toten Göttern sein Leben zu opfern, und beschloß ganz insgeheim, Mohammed so lange zu verfolgen, bis ihn dieser in jähem Zorn erschlagen würde. Dann konnten seine Stammesbrüder, ohne eine Blutfehde befürchten zu müssen, den Propheten beseitigen, und der Friede in Mekka war wieder hergestellt.

Deshalb tat auch Abū Ǧahl Mohammed Dinge an, die einen Araber zur Raserei bringen mußten. Auf der Straße verprügelte er den Propheten, riß ihn am Bart (das ist die größte Beleidigung für einen Araber) und überschüttete ihn mit allen erdenklichen Flüchen. Als er sah, daß es nichts half, beschloß er, Mohammed die größte Schmach anzutun, die je ein Araberherz ertragen hatte. Er wartete, bis Mohammed wieder einmal in der Kaʿba zum Gebet niederkniete, schlich sich dann in seine Nähe und warf ihm den Mutterkuchen eines Schafes an den Kopf. Da erhob sich Mohammed, blickte ruhig auf den Rothaarigen und sprach: »Vergeben wiegt mehr als vergelten.« Dann begab er sich ruhig in sein Haus und befahl seiner Tochter, die befleckten Kleider zu reinigen.

Die Schande aber, die Abū Ǧahl dem Propheten angetan hatte, war zu groß, um ohne Folgen zu bleiben. Die Wirkung trat am gleichen Tage ein und hieß Ḥamza ibn ʿAbd al-Muṭṭalib. Ḥamza war ein leiblicher Onkel des Propheten. Er galt für den tapfersten Krieger Mekkas, war hoch, breit und überall gefürchtet. Zu den merkwürdigen Lehren seines entarteten Neffen verhielt er sich völlig ablehnend. Er brauchte keine religiöse Erleuchtung, ihm genügte das ritterliche Spiel der Jagd. Als er aber eines Tages von der Jagd zurückkam, erfuhr er, daß der Maḫzūm Abū Ǧahl seinem leiblichen Neffen den Mutterkuchen eines Schafes an den Kopf geworfen hatte. Das empörte den Recken. Er lief zur Kaʿba, fand dort den rothaarigen Feind und versetzte ihm eine tüchtige Tracht Prügel. Dann richtete er sich auf und brüllte: »Der Glaube meines Neffen ist von heute ab mein Glaube, sein Gott ist mein Gott, wer wagt es, mir dafür einen Schlag zu versetzen?« Die Verwandten Abū Ǧahls eilten herbei, um den Riesen niederzuschlagen. Abū Ǧahl hatte den Geist eines Staatsmannes. Er wollte den Propheten vernichten, die Blutfehde wollte er aber unbedingt vermeiden. Blitzschnell sprang er vor seine Verwandten und rief: »Laßt Ḥamza gehen, denn er hat recht, ich habe seinen Neffen wirklich schwer mißhandelt.« Damit war die Blutfehde im Keim erstickt. Der Islam gewann jedoch einen neuen, mächtigen und gefürchteten Anhänger. Neben dem jungen ʿAlī war Ḥamza der einzige Hāšim, der sich in dieser schweren Zeit zum Prophetentum seines Stammesgenossen bekannte. Bis heute ist Ḥamza der Held unzähliger arabischer Abenteuerromane geblieben.

Die Gesinnung Ḥamzas war im Augenblick für Mohammed von großer Bedeutung. Die starken Muskeln des Onkels erweckten größere Achtung bei dem Feind als des Neffen Drohungen mit dem ewigen Feuer.

Niemand wußte aber, daß ein junger, kräftiger, aber armer Bursche namens ʿUmar, der sich plötzlich zum Islam bekannte, von noch viel größerer Bedeutung werden sollte. Bis zu seiner Bekehrung zum Islam hatte ʿUmar sämtliche Berufe, die einem Quraiš offenstanden, durchgemacht. Er war abwechselnd Handelsreisender, Kaufmann und Schmuggler. Ihm gebührte auch eine epochale Erfindung auf dem Gebiete des Schmuggels. An der Zollgrenze von Byzanz gab er seinen Kamelen die teuersten Waren zu schlucken, zum Beispiel Gold. So bereicherte er sich lange Zeit, bis die Zöllner schließlich hinter den Trick kamen. Das abenteuerliche Leben machte jedoch ʿUmar nicht reich. Er blieb ein armer, strebsamer Quraiš, dessen Lebenserfahrungen niemand ausnutzen wollte. Da er gehört hatte, daß die Verfolgung des Propheten neuerdings in Mekka Mode geworden war, schloß er sich der Aristokratenpartei an und beschimpfte den Propheten, wo immer er ihn traf. Da er aber auch hiermit nicht weiter kam, beschloß er, durch eine einmalige, große Tat, sich ewigen Ruhm und die Dankbarkeit Mekkas zu erwerben.

Er faßte den Plan, Mohammed zu ermorden. Man erzählt, daß er mit einem gezückten Säbel zum Hause des Propheten ging und auf dem Wege einem alten Araber begegnete. »Du willst den Mohammed töten?« fragte der Araber, »sorge lieber dafür, daß in deiner Familie keine Muslims entstehen.« Und er erzählte ʿUmar, daß dessen eigene Schwester dem Islam verfallen sei. Von Wut ergriffen, eilte ʿUmar zum Hause seiner Schwester. Und fand sie tatsächlich beim Lesen des Korans. Er versetzte der Schwester eine Ohrfeige, da er aber gerecht war, wollte er erst dann zur Waffe greifen, wenn er sich von dem Inhalt der gefährlichen Schrift überzeugt hatte. Wie so viele Gegner hatte er scheinbar von dem Objekt seines Hasses keinen allzu deutlichen Begriff, deshalb setzte er sich nieder und begann die Schrift zu lesen. Und so groß, so gewaltig und begeisternd soll die Wirkung der Koranverse gewesen sein, daß ʿUmar spornstreichs mit gezücktem Säbel zum Hause des Propheten eilte, die über sein Auftreten zu Tode erschrockenen Gegner zur Seite schob und vor den Propheten trat, um sich zum wahren Glauben zu bekennen.

Ihm stand eine große Zukunft bevor, er wurde der Paulus des Islam, der zweite Kalif und Nachfolger des Propheten, der Herrscher über ein Riesenreich. Er erbaute die berühmte Moschee von Jerusalem, eroberte Persien und Ägypten, organisierte ein Weltreich und schlug mit seinem berühmten Stock, der gefürchteter war als der Säbel des bekanntesten Kriegers, auf alle ein, die ihm müßig in den Weg liefen, Frauen des Propheten nicht ausgenommen. Bis zu seinem Tode verachtete er die Schlösser, weiche Kissen und das zivilisierte Leben. Er wohnte im Zelt und schlief auf seinem Sattel. Sein Stock errichtete aber die Weltmacht des Islam.

Sofort nach seiner Bekehrung lief ʿUmar zum Hause Abū Ǧahls, dessen Verwandter er war, und erklärte zum Entsetzen des Rothaarigen: »Ich schließe mich von deiner Gemeinschaft aus, denn auch ich bin Muslim.« Im Gegensatz zu vielen Gläubigen machte er aus seinem Glauben kein Geheimnis. Jeder sollte es wissen, jeder sollte den Hieb seines Stockes spüren. Jetzt hatte ʿUmar ein reiches Betätigungsfeld. Zusammen mit dem vornehmen Abū Bakr und dem mächtigen Ḥamza wurde ʿUmar der Beschützer des Propheten in seinen schwersten Jahren.

Die Bekehrung Ḥamzas und ʿUmars erschütterte die Quraiš. Die Häresie schien tatsächlich weit um sich gegriffen zu haben. Auch aus der Wüste kamen unerfreuliche Nachrichten. Man hörte, daß einige Wüstenstämme sich für den Propheten interessierten, man vernahm, daß die Kunde von seinem Prophetentum, durch zahlreiche Wunder ausgeschmückt, bis weit in die Wüste vorgedrungen war, und man begann den Propheten als eine politische Größe zu werten. Eins stand für die Quraiš fest: hinter all den schönen Legenden und Sprüchen dieses Mohammed verbarg sich ein sozialer Reformator gefährlichster Natur. Die Familien der Quraiš schlössen sich nun noch fester zusammen, bildeten einen aristokratischen Bund und wählten den vornehmsten Mekkaner, den Chef des Hauses Umaiya, den überaus edlen Abū Sufyān Ṣaḫr ibn Ḥarb, zum offiziellen Führer der Bewegung. Von Tag zu Tag wurde die Lage ernster in Mekka. In dem Regierungsgebäude tagten ununterbrochen die Feinde Mohammeds. Niemand wußte, was sie vorbereiteten. Man wußte aber, daß ihr Haß groß war und daß mit der Größe ihres Hasses auch ihre Entschlossenheit wuchs. Etwas wurde in dem Regierungsgebäude geplant, und von Tag zu Tag stieg die Sorge der Hašim.

Wochenlang saß Mohammed hinter den Mauern des Hauses Arqams. Auch er wußte, daß etwas vorbereitet wurde. Schweigend, mit halb geschlossenen Augen saß er auf dem weichen Teppich im Hause seines Freundes. Stumm umgaben ihn die Gläubigen. Doch um das Haus, den Propheten und die weichen Verse des Koran tobte die aufgewühlte, haßerfüllte Stadt Mekka. Mohammed liebte die Stadt. Er liebte das graue Tal mit den kahlen Felsen, die viereckigen Burgen, die engen Gassen und den heiligen schwarzen Stein der Kaʿba.

Mekka, die Heilige! – Als der Prophet in der Wüste war, als er durch fremde, feindliche Länder reiste, schützte ihn die Hand der Schönsten unter den Städten. Kamele horchten auf, wenn in der Wüste das Wort Mekka fiel. Räuberische Beduinen liefen auseinander, wenn sich in der Ferne ein Quraiš zeigte. Denn mächtig, reich und glücklich war Mekka, das Spielzeug Gottes, die Geburtsstadt des Propheten. Im Sande surrte die heilige Quelle Zamzam. Ihr Wasser war süß wie das Wasser des Paradieses, und sie selbst, die Stadt Mekka mit der Kaʿba, war wie ein Ebenbild der Schlösser des Allmächtigen. Mohammed liebte seine Stadt, liebte das Volk der Gassen, dem er zuerst die Schrift predigte. Jetzt lag die Stadt vor dem Propheten und haßte ihn. In den Gassen, auf den Plätzen, in den vornehmen Burgen und in der Kaʿba wurde der Name des Propheten mit Haß ausgesprochen. Mohammed wußte darum, und der Haß der Stadt bedrückte sein Herz. In den stillen Nächten, wenn die Quraiš beim Rat zusammen saßen, betete der Prophet um Frieden und sann nach, wie man das Herz der Quraiš dem Glauben öffnen könnte. Der Prophet wollte den Untergang der Stadt nicht, er litt unter den vorwurfsvollen Blicken der Hāšim, die er auf sich gerichtet fühlte.

Eines Tages nun ging der Gesandte Gottes wieder in die Kaʿba. Haßerfüllte Blicke begleiteten ihn. Ängstlich drängten sich seine Schüler um ihn. Keiner von ihnen war seines Lebens sicher. Im Hofe der Kaʿba standen drei weibliche Idole, al-Lāt, al-ʿUzzāʾ und Manāt, die Mondjungfrauen, die Töchter des Allmächtigen. Diese drei waren die Beschützerinnen der Stadt und die Lieblingsgötter der Quraiš«. Der Prophet blieb neben ihnen stehen. Die Quraiš umringten ihn, blickten drohend auf ihn und griffen nach ihren Dolchen, die sie in den Falten ihrer Gewänder verborgen hielten. Sie warteten auf den neuen Fluch des Ketzers.

Und weil Mohammed nur ein Mensch war wie die andern, und weil Gott wollte, daß er von jeder Sünde eine begehen sollte, streckte der Gesandte Gottes seine Hand empor, deutete auf die Mondfrauen und sagte: »Was denkt ihr über al-Lāt, al-ʿUzzāʾ und Manāt? Es sind hohe Jungfrauen, und wir hoffen, daß sie uns vor dem Throne des Allmächtigen schützen werden.« Freude blitzte da in den Augen der Quraiš, und die Hāšim atmeten erleichtert auf. Wenn der Prophet drei Idole anerkannte, so brauchte man sich um das Schicksal der andern nicht zu sorgen. Mekka konnte in Frieden seine Schätze weitersammeln. Einer nach dem andern traten jetzt die Quraiš näher und beglückwünschten den Propheten. Eine so angenehme Offenbarung hatten sie selbst nicht erwartet.

Der Gesandte Gottes ging aber gesenkten Hauptes in sein Haus zurück, setzte sich wieder auf den Teppich seines Freundes und versank in Meditationen. Eine Stunde verging nach der andern, Mohammed regte sich nicht. Die Freunde umgaben ihn. Jeder erzählte von der Freude, die bei den Quraiš herrschte, und von dem Frieden, der jetzt in der Stadt Mekka beginnen würde. Mohammed antwortete nicht, seine Augen waren fest geschlossen, die Lippen psalmodierten leise die Verse des Korans. Er fühlte das Wort Gottes über sich, und das Wort Gottes handelte von der großen Sünde, die der Prophet begangen hatte. Die Nacht über betete der Prophet, und seine Blicke wurden hart.

In feierliche Gewänder gehüllt, ging der Prophet am nächsten Morgen zur Kaʿba, und wieder umgaben ihn die Quraiš. Doch jetzt waren ihre Blicke freundlich, die Hände streckten sich dem Propheten entgegen, und Grüße kamen von ihren Lippen. Und wieder schritt der Prophet zu den Idolen der Mondjungfrauen. Und wieder fragte er: »Was denkt ihr von al-Lāt, al-ʿUzzāʾ und Manāt?« Doch dann fuhr er fort: »Es sind nichts weiter als leere Namen, die ihr und eure Väter erfunden habt.« (53,19-23). Da wurde es still im Hofe der Kaʿba, die Blicke der Quraiš verfinsterten sich, und zu Fäusten ballten sich ihre Hände. Sie hoben Steine und warfen damit nach dem Propheten. Flüche kamen von ihren Lippen. Doch stolz erhobenen Hauptes, von Schülern umringt, schritt durch ihre Mitte Mohammed al-Amīn, der Aufrichtige, der Gesandte Gottes.

So erkannte der Prophet seine Sünde, so verkündete er die Wahrheit und säte wieder Krieg, Haß und Kampf in der reichen Stadt Mekka. Denn der Prophet war nur ein Mensch, nur ein Träumer mit zartem Gesicht und weichen Händen. Der Träumer aber fand in sich Kraft genug, seine Sünden zu bekennen, die Schwäche eines Augenblicks zu verdammen und der enttäuschten Stadt furchtlos die bitterste Wahrheit zu verkünden.

Denn so wollte es Gott, daß sein Gesandter von jeder Sünde eine begehe und von jeder Sünde eine bereue und seine Reue verkünde.

Die Enttäuschung der Quraiš war groß. Mohammed schien unverbesserlich, es mußten ernste Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden. Zu scharfen Schritten entschlossen sich aber die Kaufleute ungern. Blut war ihnen verhaßt, denn sie wußten: Blut schädigt den Handel. Solange aber der Prophet unter dem Schutze der Hāšim stand, war seine Person leider unantastbar. Abū Sufyān, der Führer der Quraiš, war ein Kaufmann, und Blutfehden waren auch ihm verhaßt. Er beschloß daher, die Hāšim auf kaufmännische Art zu bekämpfen, vielleicht in der Hoffnung, daß sie dann den Propheten aus ihrer Gemeinschaft ausstoßen würden.

Eine Abordnung von Quraiš erschien bei Abū Ṭalῑb und erklärte: »Wenn die Hāšim den Propheten nicht der Gerechtigkeit ausliefern, werden sie aus der freien Gemeinschaft der Stadt Mekka ausgeschlossen. Sie müssen die Gebiete der Stadt verlassen, sie dürfen auf dem Jahrmarkt ihre Waren nicht mehr verkaufen, kein Quraiš wird noch irgendwelche Handelsgeschäfte mit ihnen abschließen. Ehe und Freundschaft mit den Hāšim werden untersagt, und das alles für ewige Zeiten.« Das bedeutete den Ruin, den Untergang der Hāšim. Niemand wußte es besser als Abū Ṭālῑb, der Sippenführer. Er wollte nicht allein die Verantwortung für das Schicksal der Hāšim übernehmen.

In seiner Burg versammelte er alle Hāšim und Muṭṭalῑbs, alle, die von dem angedrohten Boykott der Quraiš betroffen wurden. Sie alle glaubten nicht an das Prophetentum Mohammeds, sie alle waren der vielen Verfolgungen müde geworden, sie alle fürchteten den angekündigten Boykott.

Es wird für den Europäer schwer verständlich sein, daß sich am Ende des Jahres 616 eine stattliche Anzahl normal veranlagter Kaufleute und Händler freiwillig dem schwersten Los unterwarfen, und zwar einer Lehre wegen, an die keiner von ihnen glaubte, und eines Menschen wegen, der ihnen allen reichlich unsympathisch sein mußte. Hier stand aber die uralte Stammesverfassung, die Stammesehre, das heiligste Gut der Araber, auf dem Spiel, und der alte Trieb der Blutsverwandtschaft erwies sich stärker als alle Drohungen der Quraiš. Sämtliche Hāšim und Muṭṭalib, mit Ausnahme eines einzigen, Abū Lahab, erklärten sich bereit, eher ihr Leben und Vermögen zu verlieren, als ihre Verwandten den Feinden auszuliefern.

Abū Ṭālib teilte diesen Entschluß den Quraiš mit. Schon am nächsten Tag wurde an der Tür der heiligen Kaʿba für ewige Zeiten eine Pergamentrolle aufgehängt, in der alle Verwandten und Anhänger des Propheten verdammt und aus der Gemeinschaft der Quraiš ausgestoßen wurden.

Noch am selben Tag verließen die Verdammten die Stadt Mekka und zogen mit Frauen, Kindern und Vieh in die Schlucht Šīʿb, östlich von Mekka, wo sich eine alte Burg Abū Ṭālibs befand. So begann die Verbannung des Propheten.

Die Quraiš atmeten jetzt erleichtert auf. Ihre Wache stand Tag und Nacht vor dem Eingang der Schlucht. Sie brauchten den falschen Propheten nicht mehr zu fürchten. Schwer hatte auf der Kaufmannsstadt die doppelte Gefahr gelastet: der Negus, der von draußen mit großen Elefanten und unzähligen Soldaten in das Land einbrechen konnte, und der Prophet, dessen Gott der Gott des Negus war und der mit den kriegstüchtigen Gesellen seiner Sippe die ständige innere Gefahr der Kaufmannsrepublik war. Jetzt, nach langem Zögern, war diese innere Gefahr endlich behoben, die Partei des Propheten, des radikalen Revolutionärs, war verboten und für immer in die feuchte Schlucht Šīʿb verbannt.

Der Negus konnte ruhig kommen.

Wochen und Monate vergingen. Von neuem blühte die Stadt Mekka, friedlich schritten die Karawanen durch die Gassen, zufrieden lächelten die Händler und Kaufleute einander zu, zählten ihr Geld, freuten sich ihres Reichtums und beteten die Götter der Kaʿba an.

In der feuchten Schlucht Šīʿb lebte unterdessen in Qual und Hunger das Volk der Hāšim, und mit ihm der Gesandte Gottes und seine kleine gläubige Gemeinschaft. Im Innern der Burg saß der Prophet. Um ihn hungerte in tatenlosem Einerlei der Verbannung sein Volk. Niemand aber, weder die Gläubigen noch die Hāšim, wagte dem Propheten einen Vorwurf zu machen. Denn eisern sind die Gesetze der Sippe. Doch auch die Quraiš wußten, was Wüstengesetze bedeuten, auch sie wagten nicht, dagegen zu verstoßen. Wenn die heiligen Monate kamen, öffnete sich die Sperre von Šīʿb, und der Prophet schritt an der Spitze seines Volkes zur Kaʿba, um siebenmal um das heilige Haus zu gehen und die fremden, aus der Wüste gekommenen Beduinen die heilige Wahrheit zu lehren. Niemand von den Quraiš wagte in den Monaten des Festes den Propheten anzurühren. Wenn aber das Fest vorbei war, schlossen sich von neuem die schweren Tore von Šīʿb, und finstere Wachen beobachteten die Schlucht, in der das Volk der Gläubigen hungerte.

Drei Jahre dauerte der Bann, drei Jahre lebte der Prophet in der Schlucht, drei Jahre ertrugen die Sippen und die Getreuen den Fluch der Stadt Mekka. Dann aber bemerkten die Quraiš, daß Mitleidige aus ihren eigenen Reihen des Nachts Nahrungsmittel nach Šīʿb brachten, und sie begriffen, daß die Stunde des Friedens gekommen war. Zur selben Zeit fiel der große Kaiser Khosrau II. in das Land des Negus ein und verwüstete es. Nun brauchte man sich nicht mehr vor den Elefanten des Negus zu fürchten. Ohne die Krieger des Negus war aber der Prophet nur halb so gefährlich.

Man machte den Verbannten den Friedensschluß nicht leicht. Mohammed sollte versprechen, nicht mehr in der Kaʿba zu predigen. Er tat es. Da er aber ein Prophet war und nicht umhin konnte, zu predigen, hielt er sein Wort nicht. Gott vergab ihm seinen Wortbruch. Wie schon gesagt, sollte der Prophet von jeder Sünde eine begehen.

Bevor die Sippe in die Stadt zurückkehren durfte, mußten die Quraiš ihr Gesicht wahren. Das Pergament mit dem Fluch sollte für ewige Zeiten an der Tür der Kaʿba hängen, keine menschliche Hand durfte es anrühren. Da geschah es, daß in der Nacht, als alles schlief und niemand die Kaʿba bewachte, das Pergament zur allgemeinen Freude plötzlich verschwand. Man machte die Götter dafür verantwortlich und war froh, feierlich Frieden zu schließen. Die Hāšim kehrten nach Mekka zurück, besetzten ihre Burgen und ihren Platz in der Ratsversammlung der Kaʿba.

Das geschah im Jahre 619. Für Mohammed begann mit diesem Jahr eine schwere Zeit. Das Unglück schlich um sein Haus, das Unglück stand an seiner Schwelle, das Unglück brach über ihn herein und drohte ihn zu überwältigen.


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